25.10.2006 „Ein Chaos wie bei der Rechtschreibreform“Die Bilder gleichen sichNach der deutschen Rechtschreibreform steht nun eine europäische Rechtsreform bevor: Daß sie kommt, steht so gut wie fest, daß sie mißlingt, auch.Rettet das BGB vor Brüssel VON JOACHIM JAHN Eifrige Doktoranden basteln am Reißbrett ein europäisches Zivilgesetzbuch, das niemand braucht. Weitgehend unbeachtet, aber wild entschlossen arbeitet eine kleine Gruppe von Rechtswissenschaftlern am Abschied vom Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und von anderen nationalen Paragraphenwerken. Die Europäische Kommission in Brüssel hat nämlich - mit Unterstützung des Europaparlaments - den Auftrag erteilt, einen "Gemeinsamen Referenzrahmen" für das Vertragsrecht der Mitgliedstaaten auszuarbeiten. Was hinter diesem harmlos klingenden Namen steckt, ist dasselbe wie das, was Europapolitiker und Eurokraten sonst hinter wohltönenden Floskeln wie Harmonisierung, Kohärenz und Konvergenz verstecken: die Vereinheitlichung gewachsener Strukturen zugunsten einer zentralistischen Vorgabe. Wer mit Syndikusanwälten deutscher Industrieunternehmen spricht, hört Unterschiedliches. "Wir müssen dieses sinnlose Vorhaben aufhalten", sagen die einen. "Der Zug ist längst abgefahren", meinen resigniert die anderen. Doch Befürworter finden sich selbst in den Konzernen kaum, die beim Export ihrer Waren und beim Einkauf ihrer Vorprodukte durchaus Mühe mit den unterschiedlichen Vorschriften der einzelnen Rechtsordnungen haben. Zu schlecht sind nämlich die Erfahrungen mit der Einmischung von Europapolitikern in das Vertragsrecht der Einzelstaaten. Herausgekommen ist dabei eine einseitige Überbetonung des Verbraucherschutzes, mit der Kommissare und Abgeordnete sich vor den Bürgern und Wählern brüsten - ohne Rücksicht auf ökonomische Vernunft. Zudem haben diese Bestrebungen, die Konsumenten vor der vermeintlich übergroßen Marktmacht der Anbieter zu behüten, längst auf die Vorschriften für Verträge zwischen Kaufleuten abgefärbt. Auch hier wachsen seither die gesetzlichen Vorgaben, auch hier wird die Kontrolle durch die Gerichte immer enger. Kein Wunder, daß auch Vertreter des Bundesverbands der Deutschen Industrie das neue Mammutvorhaben ablehnen. Die Praxis habe sich mit dem gegenwärtigen Zustand ganz gut arrangiert, lautet ihre Botschaft. Haarsträubend sind zudem die internen Erfahrungsberichte von Teilnehmern des Arbeitskreises, der nicht zuletzt dem Abschied von dem mehr als einhundert Jahre alten - aber dank zahlreicher Reformen hochmodernen - Bürgerlichen Gesetzbuch den Weg ebnen soll. Praxisferne Doktoranden tüftelten dort unprofessionell, aber mit Eifer an immer neuen Entwürfen, klagen Beteiligte. Niemand habe einen Gesamtüberblick, weil das Mammutprojekt auf Arbeitsgruppen aufgesplittert worden sei. Fachleute aus Wirtschaft und Wissenschaft, die um Stellungnahmen gebeten werden, würden unter immensen Zeitdruck gesetzt. Befürworter der anrollenden Paragraphenrevolution verweisen beschwichtigend darauf, daß der "Referenzrahmen" nur die Grundlage für eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Vertragsrechts bilden solle. Es handele sich bloß um ein "optionales Instrument", dessen sich Geschäftspartner freiwillig bedienen könnten. Doch in Wirklichkeit ist die Weiterentwicklung zu einem Europäischen Zivilgesetzbuch in den Brüsseler und Straßburger Instanzen gewollt. Und Wirtschaftsjuristen argwöhnen, daß - wie vor vier Jahren unter der früheren Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin bei der großen Schuldrechtsreform - die Umsetzung einer derartigen EU-Richtlinie zum Vorwand für eine grundlegende Umgestaltung des Gesetzbuches gerät. "Eins zu eins" haben deutsche Politiker bislang nur selten EU-Direktiven ins deutsche Recht überführt. Wirtschaftsjuristen warnen: Paragraphen lassen sich vereinheitlichen, Rechtskulturen nicht. Ein Umstieg auf ein "Europa-BGB" lasse sich also allenfalls dann bewerkstelligen, wenn darüber hinaus die nationalen Gerichtszweige zusammengefaßt würden. Denn der bisherige Letztentscheid des Europäischen Gerichtshofs reiche für solch eine flächendeckende Angleichung der Regeln nicht aus. Firmensyndizi befürchten deshalb "100 Jahre Rechtsunsicherheit" - und das, obwohl jeder Jurist erst einmal wieder die Schulbank werde drücken müssen. Ein Chaos wie bei der Rechtschreibreform sagen Kritiker voraus. Statt einer weiteren Normierung der Bestimmungen in den verschiedenen Ländern weist der bessere Weg längst in eine andere Richtung. Mittlerweile hat der Europäische Gerichtshof etwa die Wahlmöglichkeiten stark erweitert, welcher Rechtsform sich Unternehmen bedienen können. Das ist der entscheidende Grund dafür, daß in Deutschland die britische "Limited" auf dem Vormarsch ist und die "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" verschlankt werden soll. Manche Konzerne sind im Geschäftsverkehr mit anderen Unternehmen überdies schon aus der staatlichen Rechtsordnung ausgezogen. Sie wählen beispielsweise Schweizer oder amerikanisches Recht als Gerüst für ihre Verträge, weil ihnen dieses mehr Gestaltungsfreiheit läßt. Und wenn es wirklich einmal zu einem Rechtsstreit kommt, der sich nicht auf dem Verhandlungswege lösen läßt, ziehen die Kontrahenten nicht vor deutsche Gerichte. Sondern sie rufen ein Schiedsgericht an, das sie vorsorglich gleich in ihrem Kontrakt festgelegt haben. Der Reißbrettplan eines europäischen Zivilrechts sollte deshalb schleunigst beerdigt werden. Auch die Kunstsprache Esperanto hat sich niemals durchgesetzt. Weitere Vorgaben der Parlamente brauchen weder die Wirtschaft noch die Bürger. Es liegen Welten zwischen den Rechtsordnungen von Deutschland, Frankreich oder Großbritannien. Damit läßt sich bestens leben. Wer im Urlaub beim Bäcker ein Brötchen kaufen will, braucht dafür keine europaweit einheitlichen Normen. (F.A.Z., 18.10.2006, Nr. 242 / Seite 13)
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