27.02.2006 Helmut Jochems In der Bütt: Marianne DemmerMarianne Demmer, Vorstandsmitglied der GEW, fungiert seit 1997 als Sprachrohr der Lehrergewerkschaft in allen Krisensituationen der Rechtschreibreform.Wozu sie gute Voraussetzungen mitbringt, denn sie gehörte in den siebziger Jahren an der Gesamthochschule Siegen zum Freundeskreis eines jungen kulturrevolutionären Deutschdidaktikers, dessen Parole lautete: "Rechtschreiben, verehrte gnädige Frau, ist doch heute scheißegal!" (So gehört auf einer Fortbildungsveranstaltung für Grund- und Hauptschullehrer, als eine ältere Lehrerin nach dem Stellenwert der Rechtschreibung in der progressiven Deutschdidaktik fragte.) Alles was recht ist, aus dem Munde von Gerhard Augst oder Burkhard Schaeder kennt man dergleichen Sprüche nicht. Marianne Demmers erster Kommentar zu den Problemen mit der neuen Rechtschreibung stammt vom 21. 10. 1997, als Gerhard Schröder in Niedersachsen den vorübergehenden Stopp der Rechtschreibreform verfügte. Sie meinte damals, dies sei "ein Stück aus dem Tollhaus" und geeignet, die "Erwachsenenwelt" vor den Kindern lächerlich zu machen. Gnädiger äußerte sie sich zu den Änderungsvorschlägen in Gerhard Augsts erstem Kommissionsbericht, der Ende 1997 ähnliche Reparaturarbeiten vorschlug, wie sie Herrn Zehetmairs Rat jetzt nachgeholt hat. Am 29. 12. 1997 sagte Frau Demmer im Saarländischen Rundfunk, es sei "sinnvoll, diese Fälle freizugeben. In der täglichen Praxis hat ja jeder sowieso geschrieben, wie es ihm gerade einfiel." Es sei "sehr positiv, wenn wir in den Schulen jetzt solche Fälle tolerieren können". Die Arbeit der Lehrer und das Lernen der Schüler werde dadurch nicht beeinträchtigt. Trotz der anhaltenden Diskussion sei sie überzeugt davon, daß die Reform komme, sagte Demmer. Da alle Welt davon spreche, daß in Schulen mehr gelernt, die Lernzeit aber verkürzt werden müsse, sei es ein "sehr sinnvolles Unterfangen, bei der Rechtschreibung nicht Erschwernisse zu produzieren und tatsächlich Erleichterungen zu haben". Daraus ist damals bekanntlich nichts geworden. Immerhin schickte die GEW am 12. Mai 1998 Marianne Demmer nach Karlsruhe. Dort berichtete sie dem Bundesverfassungsgericht von ihren früheren Problemen mit dem "Buchstabenwechel" in lassen/ließ, aber das sei jetzt anders - dank der Neuregelung. An dieser Stelle stöhnten Gerhard Augst und der neben ihm sitzende Uraltreformer Wolfgang Mentrup laut und vernehmlich. Nicht einmal die Heysesche s-Regel hatte die stellvertretende Vorsitzende der Lehrergewerkschaft begriffen. Die erste wirkliche Krise der Rechtschreibreform löste die Rückumstellung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus. Die GEW lehnte natürlich eine Rücknahme der Reform ab und forderte dazu auf, "nicht weiter Verunsicherung in die Schulen zu tragen." Marianne Demmer ermutigte die Lehrer, "bei den weniger wichtigen Streitfragen großzügig" zu sein. Die Frage, ob zum Beispiel "wohl gemerkt" zusammen oder auseinander geschrieben würde, tauge nicht "für eine weltanschauliche Grundsatzdebatte". "Das Chaos", das mit der neuen Diskussion in der Regel ältere Herrschaften und die FAZ mit konservativem Starrsinn hervorgerufen hätten, genüge für das Sommerloch vollständig. Vier Jahre später wiederholte sich die Aufregung bei der Rückumstellung der Springer-Zeitungen, die Marianne Demmer mit den bekannten Argumenten kommentierte: "Es ist unverantwortlich, wie hier auf Kosten von Kindern, Eltern und Schulen Stimmung gemacht wird, um das Sommerloch zu füllen und die eigene Macht zu demonstrieren." Die Hartnäckigkeit, mit der das Thema hochgespielt werde, sei nicht nachzuvollziehen. Daß die ältere Generation nicht gerne umlerne, sei zwar verständlich, aber in einer Zeit, da von jedem und jeder die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen gefragt sei, wohl nicht mehr zeitgemäß. Schließlich zeige die Erfahrung in den Schulen, daß die Kindern nach den neuen Regeln weniger Fehler machten, denn die alte Rechtschreibung sei ja nun "alles andere als logisch" gewesen. "Hier ist die Solidarität der Älteren mit den Jüngeren gefragt", so Demmer. Gerade in PISA-Zeiten müsse Einvernehmen darüber bestehen, daß die Schulen die knappe Lernzeit sehr effizient verwenden. Demmer: "Die Schulen haben wichtigere Probleme zu lösen, als den Zirkus um die Rechtschreibreform nachzuvollziehen". Im deutschsprachigen Ausland werde das deutsche Hin und Her nur noch mit Kopfschütteln betrachtet. Dort denke niemand daran, bestehende Vereinbarungen zur Wahrung der Einheitlichkeit der deutschen Sprache in Frage zu stellen. Eine Rückkehr zur alten Schreibweise hätte nach Ansicht der GEW für Schüler/innen, Lehrer/innen und Eltern gravierende Auswirkungen: gerade für die Jahrgänge, die schon komplett nach der neuen Rechtschreibung unterrichtet wurden, wäre eine Rückkehr zur alten Schreibweise eine ziemliche Katastrophe; die Verunsicherung wäre komplett. Als am 4. 6. 2005 Herrn Zehetmairs Rat wider Erwarten Hand an die bis dahin über alle Fährnisse gerettete Rechtschreibreform legte, war Marianne Demmer natürlich sogleich wieder an Deck: Die Schüler seien "verunsichert, müssen mehrgleisig lernen und im schlimmsten Fall wieder umlernen", sagte die Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) auf dpa-Anfrage. Den Schulen bleibe jetzt nichts anders übrig, "als Toleranz zu üben und mehrere Rechtschreibmöglichkeiten zuzulassen". Und dann probten zwei Landesfürsten den orthographischen Aufstand. Darauf Frau Demmer: „Diese Aktion der Ministerpräsidenten Stoiber und Rüttgers führt zu einem einzigen Durcheinander. Schülerinnen und Schüler werden erneut verunsichert und wissen bald überhaupt nicht mehr, wie sie schreiben sollen. So erreicht man, daß Rechtschreibung nicht mehr ernst genommen wird", sagte die stellvertretende Vorsitzende der GEW in Frankfurt. Nun sage niemand, Frau Demmer habe nichts dazugelernt. Neuerdings ist Marianne Demmer sogar für einen Kungel zu haben. Einerseits warnt sie die Kultusminister vor einer "voreiligen Korrektur der Rechtschreibreform", denn die jetzt vom Rat für deutsche Rechtschreibung vorgeschlagenen Änderungen zu Getrennt- und Zusammenschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung stellten keine so wirklich bedeutsamen Verbesserungen dar, "daß sie eine nochmalige kostspielige Korrektur der Lehr- und Lernmittel und der Wörterbücher rechtfertigten." Anders sähe das aus, "wenn zuvor von Seiten der maßgeblichen Printmedien auch verbindlich erklärt wird, daß dann der vollständige Regelstand auch übernommen wird." Der für die Umsetzung der neuerlichen Reform notwendige Aufwand lasse sich "nur dann rechtfertigen, wenn anschließend die Einheitlichkeit der Rechtschreibung auch tatsächlich wieder hergestellt wird". Sollten aber "einflußreiche Medien bei ihrem Sonderweg bleiben oder eine neuerliche Umstellung verweigern", rate die GEW der Kultusministerkonferenz davon ab, den Empfehlungen des Rates zu folgen, so Marianne Demmer gegenüber dpa. A propos "In der täglichen Praxis hat ja jeder sowieso geschrieben, wie es ihm gerade einfiel." (1997) - Der Kölner Stadt-Anzeiger kommentierte diese Bemerkung damals so: "Humor, viel Humor braucht der Zeitgenosse angesichts der immer närrischer werdenden Posse 'Rechtschreibreform'." Auch ein Wort zum heutigen Rosenmontag.
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