02.08.2004


Weiter so oder zurück?

Kontroverser Briefwechsel zweier Verleger

Die Debatte um die Rechtschreibreform reicht immer stärker in die Branche hinein. In einem öffentlichen Briefwechsel diskutieren Beltz&Gelberg-Verleger Ulrich Störiko-Blume und dtv-Verleger Wolfgang Balk kontrovers.
Im Wortlaut:

Beltz&Gelberg-Verleger Ulrich Störiko-Blume schreibt an dtv-Verleger Wolfgang Balk:

Lieber Herr Balk,

auch wenn es mir schwerfällt, weil Sie ein geschätzter Kollege und ein exzellenter Verleger eines wunderbaren Verlags sind: Ich muss mit Ihnen streiten.

Ich kann manches von dem teilen, das mit Sachverstand und Überzeugung gegen die neue Rechtschreibung vorgebracht wird, auch übrigens gegen die alte. Ich halte es aber für fatal, dass die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Ihre Äußerungen als "Ansicht deutscher Verleger" unter der Schlagzeile »Zurück zur alten Rechtschreibung - Die Kosten sind zu verkraften« verbreiten kann.

Alle Kinder- und Jugendbuchverlage mussten bereits einmal ihre komplette Backlist neu setzen lassen, mit allem Drum und Dran. Bei einem Zurück zur alten Rechtschreibung würden ein weiteres Mal Kosten in etwa der gleichen Höhe anfallen. Wenn Ihnen die wirtschaftliche Lage Ihres Verlages erlaubt, solche Kosten einfach wegzustecken, dann gratuliere ich Ihnen. Zugleich kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass man mit dem Geld sicher etwas Sinnvolleres anfangen könnte.

Auf Dauer kann die Verlagswelt nicht mit einem erbitterten Glaubenskrieg zwischen "Zurück!" und "Weiter so!" leben, und die darunter leidenden Schüler und Lehrer schon gar nicht. Wenn sich dann noch popularitätssüchtige Politiker einschalten, ist das Chaos perfekt, wie es so schön widersprüchlich heißt.

Stellen wir uns vor, der Kampf um die Buchpreisbindung bräche wieder los, eine bedeutende Zeitung stellte sich hinter extrem wirtschaftsliberale Positionen und sie fände einige Verleger, die sagen: "Die Kosten sind zu verkraften."

Stellen wir uns weiter vor, wir bekämen eine Debatte um die Abschaffung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes für Bücher, und es fänden sich Verleger, die sagen: "Die Kosten sind zu verkraften."
Stellen wir uns schließlich vor, als Konsequenz des neuen Urhebervertragsrechts würden den Verlagen drastisch erhöhte Mindesthonorare zur Pflicht gemacht, und es fänden sich Verleger, die sagen: "Die Kosten sind zu verkraften."

Die Reihe ließe sich fortsetzen. Lassen wir uns doch nicht von intentional hingedrechselten Kostenrechnungen in der einen oder anderen Richtung beeindrucken! Einfach "zu verkraften" wäre das alles jedenfalls nicht. Ein ruckartiges Zurück zur alten Rechtschreibung kann eine Tageszeitung durchführen, Buchverlage mit langlebigen Listen lieferbarer Bücher können das nicht. Ein solcher Zurück-Ruck wäre für die betroffenen Verlage, darunter mit Verlaub auch ihr in die neue Rechtschreibung umgestelltes dtv-junior-Programm, keine akzeptable Lösung. Wir brauchen einen klügeren Ausweg aus dem Dilemma, und ich bitte Sie, daran mitzuwirken.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr

Ulrich Störiko-Blume



Wolfgang Balk antwortet Ulrich Störiko-Blume:

Lieber Herr Störiko-Blume,
gerne erwidere ich Ihre Wertschätzungen.

Nur hinsichtlich der Rechtschreibreform und deren Kosten sind und bleiben wir unterschiedlicher Meinung.

Ich halte (und ich sage das als examinierter Sprachwissenschaftler und Linguist) die Rechtschreibreform für größtenteils mißlungen und in ihrem Ergebnis für fahrlässig chaosgenerierend.

Verbesserungen sind nur möglich durch eine, zumindest partielle, Rückführung, ansonsten verfolgt uns das Chaos die nächsten Jahrzehnte - und von Auflage zu Auflage.

Der weitüberwiegende Bestand der Bibliotheken und der Großteil der Produktion literarischer Verlage sind in der sog. alten Rechtschreibung.

Die Kosten für eine Umstellung, wenn das überhaupt möglich wäre, sind unübersehbar, dagegen sind die Korrekturkosten für Neuauflagen Ihrer und unserer Kinderbücher und auch der Schulbücher nun wirklich überschaubar. Oder wollen Sie wirklich, daß Ihre Kinder zukünftig die Bibliotheken meiden und vor der (in den letzten Jahrzehnten übersetzten) Weltliteratur zurückschrecken.

Ich sehe bis heute keine Notwendigkeit für diese seltsame Reform und verstehe noch weniger deren quasi diktatorische Durchsetzung (Wie leben halt nicht mehr in der Kaiserzeit).

Es fällt mir auch schwer, mir vorzustellen, daß Sie die diversen evidenten Ungereimtheiten der Reform sowie deren seltsame Eindeutschungen für brauchbar halten.

Weder die Flüsse noch die Sprache sollte man einbetonieren.


Mit herzlichen Grüßen aus München
Ihr
Wolfgang Balk

Quelle: Börsenblatt-online
Link: http://www.börsenblatt.de

Die Quelldatei dieses Ausdrucks finden Sie unter
http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=40