04.02.2006 Heike Schmoll Rechtschreibrat regelt Groß- und Kleinschreibung neuAuf Seite 1 der heutigen F.A.Z. stellt Heike Schmoll die Situation umfassend dar:»Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat bei seiner letzten und achten Sitzung am Freitag mit einer Gegenstimme eines Didaktikers über Änderungen bei der Groß- und Kleinschreibung entschieden. Es ist jetzt also wieder nötig, „angst und bange machen” sowie „bankrottgehen und pleitegehen”, aber auch „es nimmt mich wunder” oder „not sein” klein zu schreiben. Nach der Reform hätte „Bankrott gehen” geschrieben werden müssen, nun wird wieder zwischen substantivischem und adjektivischem Gebrauch unterschieden. Wegen des gleitenden Sprachgebrauchs können „Unrecht haben/Recht haben” sowohl groß als auch klein geschrieben werden (recht haben und unrecht haben). Dies entspricht der bisherigen Entscheidungslinie des Rates, eher Varianten zuzulassen als ganz zu ändern. „Du“ ist wieder groß Die Anredepronomina „Du”/„Dein” werden jetzt wieder groß geschrieben. Ohne moderate Schritte bei den Änderungen seien keine Zweidrittelmehrheiten möglich, sagte der Vorsitzende des Rates, der frühere bayerische Wissenschaftsminister Zehetmair (CSU). Er selbst hätte das eine oder andere noch stärker geändert. Er sei aber zufrieden, bei der heterogenen Zusammensetzung des Rates zu diesen Änderungen überhaupt gelangt zu sein. Nun könne der Rat langsamer arbeiten, werde aber mit Sicherheit noch weitere Änderungen vornehmen. Die nächste Sitzung wird im September in Wien stattfinden. Geplant ist dort eine erste Rückschau auf die Sprachentwicklung. Es ist damit zu rechnen, daß die Kultusminister in ihrer Sitzung Anfang März die überarbeitete Reform zum Schuljahr 2006/2007 in Kraft setzen. Bis dahin will der Rat auch eine Wörterliste vorlegen, die dann als Maßstab für Lehrer und Behörden gelten. Einige Zahlwörter ausgespart Nicht korrigiert wurden im Vorschlag der Arbeitsgruppe zur Groß- und Kleinschreibung Wendungen wie „heute Abend”, „Diät leben”, „im Allgemeinen”, „bei Weitem”, „alles Übrige, Letzterer, Verschiedenes”, „Ultima Ratio”, ausgespart wurden auch einige Zahlwörter und Pronomina. Darüber war zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine Einigung zu erzielen. Der „Schwarze Kontinent” wurde bisher überwiegend klein geschrieben, soll aber trotzdem nur noch groß geschrieben zulässig sein. Schon 1995 hatte es im Bayerischen Kultusministerium einen Eklat gegeben, weil der heilige Vater und die letzte Ölung klein geschrieben werden sollten. In Bayern wurde beides fortan wieder groß geschrieben, weshalb bayerische Schüler im Unterschied zu den übrigen auch wieder „Erste Hilfe” schreiben durften, ohne einen Fehler zu machen, in anderen Bundesländern wurden entsprechende Schreibweisen als veraltet angestrichen. Jetzt werden das „Hohe Haus”, das „Schwarze Brett”, „Erste Hilfe” wieder groß geschrieben. Auch hier habe sich der Rat nach dem Sprachgebrauch gerichtet, erläuterte Zehetmair. Zu knappe Wortlisten Einige Wendungen mit eingegliedertem Objekt sind nach der jetzigen Regelung der Zusammenschreibung zugeschlagen, andere nicht. So soll es künftig „kopfstehen” heißen, aber „Maß halten”, bisher war „maßhalten” üblich. Die Entscheidungen seien willkürlich und nie vorhersehbar, sagt einer der Kritiker im Rat. Endgültig kann erst ein neues Wörterverzeichnis Aufschluß über diese und andere Fälle geben, das Anfang März vorliegen soll. Schon nach den dritten Wiener Gesprächen 1994 und später sind immer wieder umfassende Wörterverzeichnisse gefordert worden. Wenn die durchweg zu knappen Wortlisten dann erschienen, erwiesen sich viele Einträge als überraschend oder fragwürdig. Über Weihnachten hatten die Verbände Gelegenheit, ihre Voten einzureichen. Dabei haben die Verbände Stellung genommen, die zum großen Teil aber auch schon die Reform selbst mitentwickelt hatten. Es wundert daher nicht, daß sie weitgehend den Änderungen, an denen sie ebenfalls aktiv beteiligt waren, zustimmten. Denn die Autoren der meisten Voten sind Mitglieder des Rats, begutachten also ihr eigenes Werk. Der vom Fachverband Deutsch im Deutschen Germanistenverband in den Rat entsandte Fritz Tangermann ist gleichzeitig in der Berliner Schulverwaltung (Referat Qualitätsentwicklung) für die Durchsetzung der Reform in Berlin zuständig. Ablehnung durch den Pen-Club Vorsichtig kritisch äußerte sich das Goethe-Institut zu einzelnen Regelungen wie „läuft eis” oder „schwimmt Brust”, auch das Symposion Deutschdidaktik, das ausdrücklich bedauert, daß den besseren Vorschlägen der Arbeitsgruppe wegen der Zweidrittelmehrheit oftmals nicht gefolgt wurde. Rundheraus abgelehnt wurden die Überarbeitungen durch den Rat vom deutschen Pen-Club, der vom Erlanger Sprachwissenschaftler Theodor Ickler im Rat vertreten wird. Die Nachrichtenagenturen in Deutschland haben keine Bedenken gegen die Änderungen, eine Ausnahme bildet die Schweizerische Depeschenagentur, die sich strikt ablehnend äußerte. Auch der Dachverband der Schweizer Lehrer lehnte die Vorschläge des Rates ab, weil „die verunglückte Lösung zwar von den übelsten Unfugkonstruktionen” befreie, aber gleichzeitig systematisch „verschlimmbessert” worden sei. Sollten die Änderungen durchgehen, müsse die Rechtschreibreform als gescheitert angesehen werden, meint der Lehrerverband. Die meisten Kritiker aus der Schweiz richten sich auch gegen die eigenen Ratsmitglieder, die als dogmatische Vertreter der Neuregelung gelten. Sie setzen sich für ein Moratorium ein und fordern eine grundlegende und unabhängige sprachwissenschaftliche Überarbeitung. Da die Kultusministerkonferenz die Stellungnahmen des Rates Anfang März ohnehin ohne weitere Diskussion annehmen will, werden die einzelnen Stellungnahmen jedoch kaum von entscheidender Bedeutung sein. Text: oll. / F.A.Z., 04.02.2006, Nr. 30 / Seite 1«
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