04.01.2006


Das zarte Pflänzchen Verantwortung

Frau Wankas Räsonieren über die Staatsräson

Durch Angela Merkels Neujahrsansprache fühlte sich Torsten Harmsen an das Rhetoriklametta der DDR erinnert.

Seine Kritik fand unter den Lesern der Berliner Zeitung ihrerseits viele Kritiker. Man solle doch nicht alles mies machen, wandten sie ein.

Harmsen antwortet ihnen in der heutigen Ausgabe: »Das ist richtig. Im Grunde sollte jeder Schritt in Richtung gemeinsame Verantwortung unterstützt werden. "Dieser Staat sind wir", hieß es früher, und es wäre auch wunderbar, wenn es so wäre.

Da erreicht uns eine Meldung am Rande, zu einem Thema, das immer wieder für große Aufregung sorgt. Johanna Wanka, die ehemalige Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), sagte diese Woche im Spiegel: "Die Kultusminister wissen längst, dass die Rechtschreibreform falsch war. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden."

Das bedeutet: Politiker haben bewusst einen zehnjährigen Rechtschreibkrieg in Kauf genommen, Konfusion in Schulen und Ämtern produziert, Millionen für den Druck immer neuer Wörterbücher in den Sand setzen lassen. Aus Staatsräson.

Vor zehn Jahren wurde die Reform von der Politik, bis hinauf zum Bundeskabinett, gebilligt. Die Staatsmacht brachte eine Reform in Gang, für die es keinen dringenden Bedarf gibt und für die sie nach der Meinung von Fachleuten auch gar nicht zuständig ist. Sechzig deutsche Juristen nannten es in einer Erklärung sogar "rechtlich äußerst problematisch", dass Lehrer, Schüler und Ämter gezwungen würden, falsche Schreibweisen zu nutzen. Der frühere Bundesverfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz kritisierte das ganze undemokratische Verfahren: "Man kann so etwas nicht machen ohne einen wirklich gründlichen öffentlichen Prozess", sagte er.

30 Gerichtsverfahren, Reform-Streik seitens bedeutender Zeitungen und Verlage, Bürgerinitiativen für Volksbegehren - all das hat die Politik ignoriert. Aus Staatsräson.

Denn man hatte die Sache nun mal beschlossen; nun musste sie auch durchgepeitscht werden, um sich nicht die Blöße zu geben. Nicht einmal zu einem vorläufigen Stopp konnte sich die KMK durchringen. Als eine Art Sprach-Feuerwehr versucht jetzt ein Rat für deutsche Rechtschreibung das Schlimmste wieder rückgängig zu machen.

Doch ein Teil davon ist schon seit dem 1. August 2005 in Kraft. Die Folge: Zwei Bundesländer verweigern sich; viele Behörden und Schulen ignorieren die Reform einfach. Die Rede ist bereits von "kollektivem Ungehorsam". War das mit der Wahrnehmung gemeinsamer Verantwortung gemeint?«




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