25.11.2005


Reinhard Markner

Regeln aus der Tintenkillerzeit

Der Rat für deutsche Rechtschreibung wird heute die vor einem Monat angekündigte Revision der Silbentrennungsregeln förmlich beschließen.

Aus dem streng vertraulichen Wortlaut der Neufassung zu zitieren könnte Maßnahmen des Staatsschutzes nach sich ziehen. So viel aber sei hier enthüllt: Aus den einschlägigen sechs Paragraphen der Amtlichen Regelung werden sieben, und auch deren Reihenfolge ändert sich. „So soll insbesondere der Hinweis, dass sinnentstellende Trennungen zu vermeiden sind, an den Anfang der Regeldarstellung gerückt werden“, heißt es dazu auf www.rechtschreibrat.com, und weiter: „Damit soll erreicht werden, dass Trennungen wie ‚Spargel-der‘ und ‚Urin-stinkt‘ nicht praktiziert werden.“

An welcher Stelle dieser Hinweis zu finden ist, bleibt natürlich ohne Konsequenzen für seinen Gehalt oder seine Wirksamkeit. Anders als der Öffentlichkeit suggeriert, ändert sich in Wahrheit nichts. Denn schon bisher galt die unverbindliche Empfehlung, „irreführende Trennungen“ zu vermeiden, und schon bisher war „Blumentopferde“ nicht vor, sondern unbedingt nach dem pf abzuteilen.

„Wörter mit mehr als einer Silbe kann man am Ende einer Zeile trennen“, lautet der lakonische Satz, der den betreffenden Teil des Regelwerks von 1996 einleitet. Keine Regel ohne Ausnahme: „Kleie“ und „Reue“ wollten auch die Reformer nicht getrennt sehen. Nun kommen „Esel“ und „Igel“ wieder auf die Liste der unzerlegbaren Wörter und dazu erstmals „Acker“ und „Ecke“. Denn der Rat will einerseits die Abtrennung einzelner Buchstaben wieder unterbinden, andererseits aber an der Untrennbarkeit von ck festhalten.

Wenn nun der Rat, wie beabsichtigt, die meisten einschlägigen Paragraphen lediglich neu sortiert, anstatt sie zu ändern oder zu streichen, bleiben Trennungen wie „Dext-rose“, „Frust-ration“ oder „Ins-tanz“ möglich, da sie regelkonform sind und offiziell nicht als irreführend gelten. Weiterhin schützt Unwissenheit vor Strafe: Wer nicht versteht, aus welchen Bestandteilen sich Wörter wie „Detritus“ oder „Photosphäre“ zusammensetzen, darf sie in „Det-ritus“ und „Photos-phäre“ zerteilen.

Schwerlich wird ein Schüler Begriffe wie diese jemals von Hand schreiben oder gar trennen müssen; von den plumpen Fehlervermeidungsstrategien der Reformer hat er folglich nichts. Wer heute solches Fachvokabular verwendet, sitzt vor einer Tastatur und will sich auf sein Textverarbeitungsprogramm verlassen können. Auf die Bedürfnisse heutiger Schreiber und Programmierer sind die Regeln von 1996 jedoch so wenig zugeschnitten wie auf diejenigen klassisch gebildeter Leser. Dennoch fehlt der Mut, die von der technischen Entwicklung überholten Vorschriften aus dem Verkehr zu ziehen.

Nur vier bis sechs Jahre vergingen nach der Markteinführung der ersten Taschenrechner 1972, bis deren Gebrauch im Schulunterricht ab der 7. Klasse durch Erlasse der bundesdeutschen Kultusminister geregelt war. Aber 27 Jahre nach der Präsentation der ersten Version von „Microsoft Word“ mag Hans Zehetmairs Rechtschreibrat immer noch nicht an Trennungsregeln rühren, die aus der frühen Tintenkillerzeit stammen.

Eine gekürzte Fassung dieses Textes erscheint heute im Feuilleton der Berliner Zeitung.



Die Quelldatei dieses Ausdrucks finden Sie unter
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