26.08.2005 Eckhard Hoog Hoher Lerneffekt oder eine Katastrophe?Wie die Deutschlehrer in der Region nach dem NRW-Sonderweg mit der Rechtschreibreform umgehenKaum hatten die Sommerferien begonnen, da wurde in Bayern und Nordrhein-Westfalen ein neues, eigentümliches Kapitel in Sachen Rechtschreibreform aufgeschlagen.Edmund Stoiber und Jürgen Rüttgers verordneten den Lehrern in ihren Ländern ein Ausscheren beim Umsetzen. Die Übergangsfrist, in der alte Schreibweisen bei Korrekturen nur angemerkt und nicht als Fehler gewertet wurden, wird erst einmal verlängert. Wie gehen die Lehrer, die in der Gewissheit in die Ferien gingen, dass die Reform ab 1. August gelten würde, jetzt mit der unerwarteten Situation um? Wir befragten eine Reihe von Deutschlehrern in der Region. Das Ergebnis ist denkbar breit gestreut und reicht von der Einschätzung der Rechtschreibreform als »Katastrophe« bis hin zur Überzeugung: »Wie man schreibt, ist egal, Hauptsache der Gedanke ist gut«. Maria Behre vom Aachener Einhard-Gymnasium markiert damit zweifellos die Extremposition: Für sie ist die Rechtschreibung lediglich ein »Spielsystem«, dessen Normen auf Vereinbarung beruhen und sich eben ändern können. In dieser Sicht wertet sie die ganze Rechtschreibreform positiv als gute Gelegenheit für die Schüler, Sprache als historisches Phänomen in seiner Wandlungsfähigkeit hautnah erleben zu können. »Das ist ein hoher Lerneffekt.« Im Übrigen sei Sprache lediglich ein »Hilfsmittel«: »Viel wichtiger sind gute Gedanken.« Wie die geschrieben werden, »ist eigentlich egal. Wir sind ja keine Fehlerzähler«. Kein Problem also mit der Verlängerung der Übergangsfrist – darin stimmt die Aachener Deutschlehrerin mit allen von uns Befragten überein. »Wir machen einfach so weiter wie bisher«, heißt es allenthalben. Schwierigkeiten haben die Lehrer indessen mit der Reform selbst. Und sogar Maria Behre merkt in ihrer rechtschreiblichen Laissez-faire-Haltung an, dass die reformierten Regeln »widersprüchlich« und in den verschiedenen Wörterbüchern zum Teil »sehr unterschiedlich« dargestellt sind. Macht aber letztlich nichts: »Man muss mit den Schülern darüber sprechen.« Für sie geht die Reform gar nicht weit genug: »Eine durchgängige Kleinschreibung wäre eine echte Hilfe, um sich ganz auf die Inhalte konzentrieren zu können.« »Totale Verwirrung« Für die Extremposition in anderer Richtung steht Gerit Langenberg-Pelzer vom Mädchengymnasium Jülich: Sie hält die Reform schlichtweg für »unsinnig« und eine »Katastrophe«. »Unterschiedliche Bedeutungen zum Beispiel von 'auseinandersetzen' und 'auseinander setzen' fallen einfach weg.« Die Schüler meinten jetzt, alles wäre erlaubt. »Es herrscht die totale Verwirrung.« Eine solche »Sprachlenkung« habe es seit Jahrhunderten nicht gegeben. »Der Duden ist immer nur deskriptiv vorgegangen, aber niemals normativ.« Sich jetzt daran halten zu müssen, entspreche lediglich der Amtspflicht der Landesbeamten, sagt sie, und reiht die Rechtschreibreform entsprechend ein: »Wir müssen als Lehrer täglich mit unsinnigen Vorgaben umgehen.« Als abgeordnete Mitarbeiterin am Germanistischen Institut der RWTH Aachen hat sie die Folgen hautnah miterlebt: »Selbst angehende Deutschlehrer machen zum Entsetzen der Dozenten schwerste Rechtschreibfehler.« Ernst Neulen vom Burgau-Gymnasium Düren kann kaum fassen, welche Schreibweisen auf einmal gelten sollen: Dass man »heute früh« jetzt als »heute Früh« schreiben soll, hat er soeben erst beim Nachschlagen entdeckt. »Die zugrunde liegende Regel kenne ich nicht«, gibt er unumwunden zu. Sein Generalurteil: »Alles ist viel komplizierter geworden als vorher. Es herrscht die totale Konfusion, zumal wir ja immer nur auf dem vorletzten Stand sind.« Die Rechtschreibreform in ihrer Wiedersprüchlichkeit, so Neulen, habe deutlich dafür gesorgt, dass die Rechtschreibung allgemein heute einen deutlich geringeren Stellenwert einnimmt als früher. Dass Schüler aber Schwierigkeiten bekämen, wenn sie etwa von Nordrhein-Westfalen nach Hessen wechseln, glaubt er nicht. »Dazu spielt die Rechtschreibung ohnehin eine viel zu kleine Rolle in der Gesamtdeutschnote.« Entsprechend gelassen geht Winfried Gelder vom Aachener Pius-Gymnasium mit der Reform um: Trotz der »unklaren Regelung« hält er den Anteil der »reformierten« Schreibweisen am Gesamtaufkommen geschriebener Wörter und Sätze für viel zu gering, als man sich darüber aufregen sollte. »Es gibt zwar eine große Verunsicherung, aber geändert hat sich eigentlich nichts. Wer vorher in Rechtschreibung schwach war, der ist auch jetzt noch schwach.« Die Reform habe letztlich weder eine Erleichterung noch eine Erschwernis gebracht. Schwierigkeiten durch den NRW-Sonderweg vermag er nicht zu erkennen: »Gelehrt wird ja schließlich in allen Ländern nach den neuen Regeln.« Und was sagt die Grundschullehrerin? Rebecca Radajewski von der Gemeinschaftsgrundschule Driescher Hof in Aachen bemerkt, dass eigentlich »lesefitte« Kinder, die Bücher in alter Schreibweise lesen, benachteiligt sind – denn sie übernähmen teilweise Versionen, die nach gegenwärtigem Stand der Reform nur als »veraltet«, später als Fehler zu werten sind. »Die Rechtschreibreform ist kein Gewinn, sie hat eher zu einem Durcheinander geführt.« Im Übrigen benutzt sie weiterhin Bücher und Arbeitsblätter in alter Schreibung. »Die waren viel zu teuer. Warum soll ich sie wegwerfen, nur weil auf einer Seite vielleicht mal zwei, drei Wörter anders geschrieben sind?« Aufschlussreich ist auch die Frage, nach welcher Wörterbuch-Grundlage gearbeitet wird: Die Lehrer konnten zum Teil nicht sagen, aus welchem Jahr und welcher Auflage ihr Duden stammt. Einer stellte sich als Ausgabe von 1996 heraus – und gibt mit Sicherheit nicht den aktuellen Stand der Rechschreibreform wieder. Aachener Zeitung/Nachrichten, 26. 8. 2005
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