18.07.2005


Peter Eisenberg

Die Würde des Möglichen

Ein Plädoyer für die Arbeit des Rates

»Am 3. Juli hat der Rat für deutsche Rechtschreibung seine Beratung der Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung beendet und einen Text verabschiedet, der die entsprechenden Paragraphen des amtlichen Regelwerks ersetzen soll.

Damit liegt erstmals seit den Wiener Beschlüssen von 1996 eine Neuformulierung von Regeln vor, die mehr als kosmetische Veränderungen enthält und trotzdem eine gewisse Chance hat, von der Kultusministerkonferenz akzeptiert zu werden. Eine – vielleicht die wichtigste – Voraussetzung zur Wiedererlangung einer einheitlichen deutschen Orthographie ist erfüllt.

Der Rat hat schon jetzt mehr erreicht, als erwartet werden durfte. Man hatte zu befürchten, er werde mit seinen über 30 Mitgliedern, unter denen sich zudem viele für die Neuregelung Verantwortliche befinden, zu wenig mehr in der Lage sein als dem gewohnten Streit und einer Akklamation des Beschlossenen. So hatte es gute Gründe, dass die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung die ihr angebotenen Sitze im Rat nicht einnahm. Ein arbeitsfähiges Gremium, so erklärte sie, dürfe nicht mehr als acht Personen umfassen. Als der Rat dann eine siebenköpfige Arbeitsgruppe zur Umarbeitung der Getrennt- und Zusammenschreibung einrichtete, ließ sich die Akademie in die Pflicht nehmen. Es war die Probe aufs Exempel.

Dass die Probe erfolgreich war, hatte eine Reihe von Gründen. Die Arbeitsgruppe hatte einen klaren Auftrag, dem sie fachlich gewachsen war, und sie stand unter Erfolgsdruck. Es wurde heftig gestritten, man bewegte sich oft am Rande des Scheiterns, erzielte aber schließlich weitgehend Konsens über Wichtig und Unwichtig – mit der Folge, dass ein beinahe einstimmiger Beschluss möglich wurde. Dasselbe kann man vom Rat sagen. Es gab den erwarteten Widerstand gegen eine am Sprachgebrauch und an den Regeln des Sprachbaus orientierte Neufassung der Regeln. Die Neuorientierung setzte sich durch, weil jeder sehen konnte, wie man ein so fundiertes Regelwerk gegen Angriffe fast jeder Art verteidigen kann. Hinzu kam die konstruktive Arbeit der Wörterbuchverlage, die bereit waren, Auswirkungen der Neufassung auf einen größeren Wortschatz zu untersuchen.

In den kommenden Monaten wird sich der Rat schwerpunktmäßig mit Zeichensetzung und Silbentrennung befassen. Kommt es auch hier zu einem Beschluss, könnte die KMK und könnten mit ihr die Zuständigen in den anderen deutschsprachigen Ländern in absehbarer Zeit die überarbeiteten Regelteile in Kraft setzen und wir hätten wieder ein komplettes Regelwerk, das – wie vor der Neuregelung von 1996 – auf evolutionärem Weg weiter veränderbar wäre.

Der Rat braucht dazu die Unterstützung der Öffentlichkeit. Anders als die im vergangenen Jahr entlassene Zwischenstaatliche Kommission hält kein politisches Gremium seine schützende Hand über ihn. Was immer die Kommission erklärte, wurde von der Politik gedeckt und umgekehrt. Gerade diese Hermetik trug ja viel zur allgemeinen Frustration bei. Der Rat braucht die Unterstützung der Öffentlichkeit auch deshalb, weil nach Bewältigung der ersten, schwierigsten Aufgabe der Eindruck entstehen könnte, man sei nun in ruhigerem Wasser, der Erfolgsdruck sei gemindert. Zeichensetzung und Silbentrennung bieten viele Möglichkeiten, mit so etwas wie fundamentalen Detailproblemen zu operieren und zu den alten Grabenkämpfen zurückzukehren. Zu viele Sprecher, Schreiber, Leser und Lerner der größten Sprache Europas sind auf eine im ganzen einigermaßen stabil geregelte Orthographie angewiesen, als dass man eine Lösung weiter vor sich und einer längst total ermüdeten Öffentlichkeit herschieben könnte.

Der Autor lehrt deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Potsdam, ist Mitglied des Rates für deutsche Rechtschreibung und war entscheidend an der Formulierung der neuen Regeln für die Getrennt- und Zusammenschreibung beteiligt.«


( Süddeutsche Zeitung, 18.7.2005, Seite 11 )



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