02.06.2005 Hubert Spiegel Vor der EntscheidungAls im Herbst letzten Jahres die Zusammensetzung des Rates für deutsche Rechtschreibung diskutiert wurde, gab es heftige Auseinandersetzungen.Nach Jahren übelster Hinterzimmerdiplomatie der Kultusminister und der von ihr eingesetzten Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung war das Mißtrauen groß. Die Kultusminister erklärten damals, der Rat solle „strittige Punkte” der Reform vor deren Inkrafttreten zum 1. August 2005 klären. Gleichzeitig ließen sie jedoch erkennen, daß sie fast ausschließlich jene in die Institution entsenden wollten, die die Reform verzapft hatten und seit Jahren jeglichen Korrekturbedarf leugneten. Bürokratische Anmaßung Elfriede Jelinek, die kurz zuvor den Literaturnobelpreis erhalten hatte, schrieb damals einen Brief an ihre Kollegen von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, in dem sie die Akademie mit Vehemenz aufforderte, die der Institution angebotenen Sitze im neuen Rat auszuschlagen: „Wir können und wir dürfen uns an dieser bürokratischen Anmaßung nicht beteiligen, weil die Einladung an uns nur dazu dient, uns und unsere Vereinigungen zu kompromittieren.” Jeglichem Kompromißbegehren erteilte die Schriftstellerin eine harsche Abfuhr: „Zweitbeste Lösungen sind nicht unsere Sache, weil wir Perfektionisten der Sprache sind.” Nun ist die Reform ja gerade nicht für die Perfektionisten der Sprache gedacht. Gültigkeit besitzt sie ohnehin nur im Zuständigkeitsbereich der Kultusminister, die nur Schülern und Beamten vorschreiben können, wie sie zu schreiben haben. Dichter sind an orthographische Regelwerke ebensowenig gebunden wie Bäcker, Buchhändler oder Krankenpfleger. Nur sieht so mancher Krankenpfleger nicht ein, warum seine Kinder die Erste Hilfe, die ihr Vater leistet, nach dem Willen der Reformer klein schreiben soll. Alle Zweifler überrascht Die Akademie hat sich dann größten Bedenken zum Trotz entschlossen, den Potsdamer Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg in den Rat zu entsenden, wo er nun den Status eines Gastes genießt. Unter dem Vorsitz von Hans Zehetmair, der als früherer Kultusminister Bayerns die Reform beförderte, hat der Rat nach seiner dritten Sitzung im letzten April alle Zweifler überrascht, als er ankündigte, die Rücknahme verfehlter Teile der Reform sei nicht länger kategorisch ausgeschlossen. Die interne Arbeitsgruppe zu den wichtigen Fragen der Getrennt- und Zusammenschreibung hatte im wesentlichen die Rückkehr zu den bewährten Regeln auf diesem Feld vorgeschlagen und war damit im Rat auf Zustimmung gestoßen. Beschlossen war und ist freilich damit noch nichts. Dennoch war die Signalwirkung groß. Zehetmair, dem die Politik als Kunst des Machbaren gilt, hatte akzeptiert, daß die Reform ihr wichtigstes Ziel, die Akzeptanz in der Bevölkerung, nicht erreichen kann, und zog nun souverän die Konsequenz daraus. Fortan durften er und die Kultusminister damit rechnen, daß die Gegner der Reform sich ihrerseits kompromißbereit zeigen würden, denn die Einheit der Rechtschreibung ist ein höheres Gut, als ein einzelner Paragraph ihres Regelwerks je sein könnte. Die strittigen Punkte An diesem Freitag tagt die Kultusministerkonferenz, und auch der Rat für Rechtschreibung tritt noch einmal zusammen, um erneut Fragen der Getrennt- und Zusammenschreibung, vor allem aber der Groß- und Kleinschreibung, zu diskutieren. Auf der Schlußseite unseres Feuilletons dokumentiert der Sprachwissenschaftler Theodor Ickler, der als Vertreter des PEN-Clubs dem Rat angehört, mit zahlreichen Beispielen die strittigen Punkte (Von früh bis spät werden wir an den Folgen leiden). Wie stets im Konflikt um die Rechtschreibung treffen auch hier zwei unterschiedliche Grundüberzeugungen aufeinander. Während Eisenberg, Ickler und andere die Sprache und ihren Gebrauch als empirische Tatsachen auffassen, aus deren Beobachtung und Analyse sich Regeln formulieren lassen, haben die Reformer, etwa Peter Gallmann und Horst Sitta, überwiegend ein rein normatives Verständnis: Den Regeln, die der Sprachwissenschaftler am heimischen Reißbrett nach Gutdünken entwirft, habe die Sprachgemeinschaft zu folgen. Verständigung ist unter so unterschiedlichen Voraussetzungen schwierig, erst recht unter dem von den Kultusministern erzeugten Zeitdruck. Höhere Kompetenz als die Experten? Wie kann es nun weitergehen? Sollte der Rat eine teilweise Rückkehr zu den bewährten Regeln empfehlen, werden die Kultusminister das von ihnen eingesetzte Gremium weder ignorieren noch seinen Empfehlungen zuwiderhandeln können. Denn wie sollten die Kultusminister diese Entscheidung begründen? Wollen sie, die allesamt keine Sprachwissenschaftler sind, sich eine höhere Kompetenz als ihre Experten anmaßen? Oder wollen sie offen eingestehen, daß fachliche Argumente sie nicht interessieren und nie interessiert haben? Das käme einem Bekenntnis zu Willkür und Amtsmißbrauch gleich, und man muß nicht nach Paris und Amsterdam blicken, um zu sehen, wie rasant der Unmut über Auswuchs und Anmaßung der Bürokratie derzeit wächst. Der Rat für Rechtschreibung fällt seine Entscheidung mit Zweidrittelmehrheit. Bei dem zahlenmäßigen Übergewicht der Reformbefürworter ist das eine schwere Hypothek. Sie wurde eingeführt, um die nötige Korrektur der Reform so unwahrscheinlich wie möglich zu machen. Da ist es nicht zuviel verlangt, wenn die Abstimmung im Rat heute nicht wie bisher geheim, sondern namentlich erfolgt. Wer sich seiner Sache so sicher ist, daß er noch nach jahrelangen begründeten Protesten an ihr festhält, der muß auch bereit sein, seinen Namen darunterzusetzen. Quelle: F.A.Z., 3. 6. 2005
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