24.04.2005 Rauher WindAutoritätsprobleme bei Duden und KMKAuf der Sachbuch-Bestsellerliste des Spiegel findet der Duden sich nicht mehr. Doch ein »Sachbuch« kann man ihn ohnehin immer weniger nennen.Gleich auf dem Titel des Spiegel findet sich auch diese Woche wieder ein Wort so geschrieben, wie »man« es dem neuesten Duden zufolge gerade nicht schreibt: nämlich rauh. Das Vertrauen in den Duden schwindet. Und das Vertrauen in den Rechtschreibrat wächst, je weiter dieser von der KMK abrückt: »An die Leser denken Die Reform der Schriftsprache steht auf der Kippe. Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat mit dem Rückbau des umstrittenen Regelwerks begonnen. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit verkündete vollmundig: "Die Reform bleibt, wie sie ist!" Das war im Oktober vergangenen Jahres. Kurz zuvor hatten die im Roten Rathaus versammelten Ministerpräsidenten die heftig umstrittene Reform der deutschen Rechtschreibung ab August 2005 für verbindlich erklärt. Jetzt, ein halbes Jahr später, ist Wowereit verstummt. Ein Kernstück der Neuregelung, die Getrennt- und Zusammenschreibung, ist vom Rat für deutsche Rechtschreibung so gut wie gestrichen worden. Der Vorsitzende des Rats, der frühere bayerische Wissenschaftsminister Hans Zehetmair, hatte Anfang des Monats nach einer Gremiumssitzung in München der überraschten Öffentlichkeit erklärt, Wörter wie "krank schreiben" oder "kennen lernen" sollten nicht mehr getrennt, sondern zusammengeschrieben werden, wie vor der Reform. Theodor Ickler, Mitglied im Rechtschreibrat, triumphiert: "Jetzt behaupten sich wieder die inneren Gesetze der Sprache gegen die Versuche der Politik, diese Gesetze zu eliminieren." Der Erlanger Sprachwissenschaftler hatte nie eingesehen, dass Verben mit bestimmten Zusätzen prinzipiell getrennt geschrieben werden müssen, wie es das reformierte Regelwerk verlangte. Denn man sollte doch auch künftig unterscheiden können zwischen "auseinander setzen", wie der Lehrer mit störenden Schülern verfährt, und "auseinandersetzen", wenn sich Schüler etwa mit der Rechtschreibreform beschäftigen. Auf seiner nächsten Sitzung Anfang Juni will der Rat Änderungen beschließen. Und dabei soll es nicht bleiben. "Bei der Reform fällt jetzt ein Stück nach dem anderen um", prognostiziert Ickler, der von deutschen Schriftstellervereinigung PEN in den 36-köpfigen Rechtschreibrat entsandt wurde. Als Nächstes steht die neue Zeichensetzung auf dem Prüfstand, die nach einhelliger Meinung der Kritiker das Lesen vor allem langer Sätze erschwert, weil zahlreiche Kommata danach entfallen. "An den Leser muss jetzt viel stärker gedacht werden", kündigt Ratschef Zehetmair an und zeigt sich siegessicher: "Für Änderungen habe ich klare Mehrheiten." Bis zum Sommer wollen sich die Reformer der Reform noch die Silbentrennung am Zeilenende vorknöpfen, dazu die Schreibung von Fremdwörtern und, wenn es nach Zehetmair geht, auch die Groß- und Kleinschreibung. So viel Eifer scheint dem Auftraggeber des Rats, der Kultusministerkonferenz (KMK), nicht zu gefallen. Frostig teilte sie nach der letzten Sitzung mit, sie werde "über die Vorschläge des Rats entscheiden, wenn sie nach Anhörung von Verbänden endgültig vorgelegt werden". Will sich die KMK dem Votum des Gremiums verschließen? "Ich rate es nicht", sagt Zehetmair. Die Einsetzung des Rats folgte nach massiven Protesten gegen die Reform. Zahlreiche Schriftsteller, darunter die Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass und Elfriede Jelinek, hatten eine Rückkehr zu den bewährten Schreibweisen gefordert. Buch-, Zeitungs- und Zeitschriftenverlage waren zu den alten Regeln zurückgekehrt. Die Einheitlichkeit der deutschen Schriftsprache schien verloren zu gehen. Das mit Experten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und Südtirol besetzte Gremium ist jetzt nicht nur dabei, die schlimmsten Entgleisungen der Reform zu korrigieren. Nach und nach soll das gesamte Regelwerk zurückgebaut werden. Mit Widerständen im Rat muss dennoch gerechnet werden. Gleich zu Beginn der jüngsten Sitzung hatte der Schweizer Horst Sitta die Diskussion über das Hauptthema des Tages, die Getrennt- und Zusammenschreibung, gar nicht behandeln und auf die lange Bank schieben wollen: "Zu wenig Zeit zur Vorbereitung", bemängelte der Sprachwissenschaftler. Den Hinweis, dass von dem Schriftstellerverband PEN doch hilfreiche Erläuterungen verschickt worden seien, kanzelte Sitta ab: "Post vom PEN landet bei mir ungelesen im Papierkorb." Unterdessen hat die KMK erklärt, dass zum 1. August nur die unstrittigen Teile der Reform in Schulen und Behörden verbindlich eingeführt werden sollen. Doch da ist man im Rat schon weiter. Der Terminplan der KMK sei "illusorisch", heißt es aus der Runde: "Es wird ein Moratorium geben." Der bisherige Erfolg der fachlich schwierigen und politisch heiklen Mission ist dem Verhandlungsgeschick ihres Vorsitzenden zu verdanken. Hans Zehetmair gehörte als Minister einst selbst zu den Reformern. Doch während der Sitzung am 8. April im holzgetäfelten Konferenzraum der Münchner Hanns-Seidel-Stiftung räumte der CSU-Mann den "kapitalen Fehler" ein, sich als "Politiker an die Sprache herangewagt zu haben". Zehetmair heute: "Das darf nie wieder geschehen." CHRISTOPH SCHMITZ« ( Der SPIEGEL 17/2005, 25. April 2005, Seite 48 )
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