15.04.2005 Hans Krieger Keine Chance für SprachvernunftDie Kultusminister mißachten die Arbeit ihres Rechtschreibrates»Ein Sieg der Sprachvernunft in der leidigen Rechtschreibdebatte schien zum Greifen nahe.Der neue Rat für deutsche Rechtschreibung, von der Kultusministerkonferenz eingesetzt, um die umstrittene Rechtschreibreform kurz vor dem Ende der Übergangsfrist durch Nachkorrektur konsensfähig zu machen, war auf dem besten Wege, die ärgsten Auswüchse der Reform zurückzunehmen und damit die Sprachkultur vor schwerwiegenden Substanzschäden zu bewahren. Dem diplomatisch geschickt agierenden Ratsvorsitzenden, dem früheren bayerischen Kultusminister Hans Zehetmair, schien so etwas wie ein Paradigmenwechsel zu gelingen: weg vom zwanghaften Regelfetischismus und hin zum Respekt vor der Unverfügbarkeit der lebendigen Sprache. Über die Vorlage einer Arbeitsgruppe des Rates, die für das besonders dornenvolle Feld der Getrennt- oder Zusammenschreibung die nahezu vollständige Rücknahme der Reform vorsieht, konnte auf der Münchner Sitzung vom 8. April zwar noch keine abschließende Einigung erzielt werden, aber Zehetmair war zuversichtlich, daß dies auf der nächsten Sitzung am 3. Juni gelingen werde. Man hätte dann wieder „nottun“ und „volltanken“ geschrieben, wieder „fertigstellen“, „sich auseinandersetzen“, „heiligsprechen“ oder „übrigbleiben“. Man hätte wieder dem Sprachgefühl und dem Bedeutungsverständnis vertrauen dürfen, statt undurchschaubaren Willkürregeln zu gehorchen, man hätte die von den Reformern kaltblütig eliminierten Wörter und damit zahllose Differenzierungsmöglichkeiten zurückgewonnen, die sträflich dem Verlangen nach rigider Regelhaftigkeit geopfert worden waren. Und beendet worden wäre ein Zustand, den selbst ein so entschiedener Reformverfechter wie Dieter E. Zimmer bitter beklagt hatte: daß der Schreibende, also Zimmer, gezwungen war, etwas anderes zu sagen, als er meinte. Mit unüberbietbarem Zynismus hat die Kultusministerkonferenz das zarte Hoffnungsflämmchen nach vier Tagen wieder ausgeblasen. In einer am 12. April veröffentlichten Erklärung bekräftigt die KMK ausdrücklich den im Herbst 2004 gefaßten Beschluß, die 1996 eingeführte Neuregelung der Rechtschreibung vom 1. August 2005 an zur „verpflichtenden Grundlage“ für die Fehlerkorrektur an den Schulen zu machen. Vom Rat für Rechtschreibung etwa noch zu beschließende Änderungen könnten zu einem späteren Zeitpunkt „Grundlage des Unterrichtes“ werden. Die KMK desavouiert also den von ihr selbst eingesetzten Rat und demütigt seinen Vorsitzenden, indem sie die geleistete und noch zu leistende Arbeit für unerheblich erklärt und ihm allenfalls das Recht auf marginale Retuschen am Reformkonzept zugesteht. Oder können die Kultusminister ernstlich wollen, daß sprachrichtige Schreibungen wie „(sich) auseinandersetzen“ oder „eislaufen“ und tausend andere nun eine Zeitlang als Fehler gewertet werden und zu schlechten Noten führen, wenn abzusehen ist, daß sie demnächst wieder als richtig anerkannt werden müssen? Daß die grammatikwidrige Schreibung „so Leid es mir tut“ als richtig gilt, aber die bisher übliche Schreibung „es hat ihm sehr leid getan“ als Fehler geahndet wird? Daß Schüler, um deren Lerninteressen es angeblich geht, das Sprachwidrige nicht nur zu lernen, sondern unter Strafdrohung auch anzuwenden haben, obwohl die Wiederherstellung des Sprachrichtigen (des „sinngemäßen Schreibens“, wie Zehetmair das nennt) bereits eingeleitet ist? Was hätte es denn gekostet, die Übergangsfrist zu verlängern, bis der Rechtschreibrat seine Arbeit abgeschlossen hat und revidierte Wörterbücher vorliegen? Ohnehin ist das Reformkonzept durch Neuauflagen des Duden bereits so dereguliert und verwässert worden, daß niemand mehr weiß, was eigentlich als „amtliche Neuregelung“ gilt. Die Neuschreibung ist zum Phantom geworden, und wie korrigiert und bewertet wird, hängt davon ab, welche Duden-Auflage zufällig zur Hand ist. Wenn die Kultusminister in ihrem Starrsinn verharren, brauchen sie Wörter wie „Bildung“, „Geist“, „Eliteförderung“, „Leistung“, „Verantwortung“, gar „pädagogische Verantwortung“ nicht mehr in den Mund zu nehmen, sie können damit nur noch Hohngelächter ernten, denn was sie den Schulen zumuten, ist auf skandalöse Weise unverantwortlich. Hans Zehetmair aber wird hart zu kämpfen haben, um seine Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren. Kasten: „Zierat“ … ist mit dem Suffix -at aus „Zier“ abgeleitet wie „Heimat“ aus „Heim“. Die Rechtschreibreform aber fordert den „Zierrat“ als handle es sich um einen Rat fürs Zieren. Wer sich nach dem 1. August diesem Unfug nicht beugt, macht einen Fehler. Wer „eine Handvoll Kirschen essen“ schreibt statt „eine Hand voll Kirschen“ (als äße man eine Hand, die mit Kirschen gefüllt ist), macht einen Fehler. Wer von der Forderung schreibt, den verstorbenen Papst „heiligzusprechen“ („heilig zu sprechen“) macht einen Fehler. Und kriegt, wenn die Fehler sich häufen, eine schlechte Note. Die Kultusminister, die dies ungerührt verordnen, haben offenbar nicht begriffen, daß von der Nuanciertheit der Sprache die Differenziertheit der Wahrnehmung und des Denkens abhängt. Sie begreifen nicht, daß es ohne hochdifferenzierte sprachliche Artikulationsfähigkeit keine Elitebildung und keine Spitzenstellung der deutschen Forschung geben kann. Sie begreifen auch nicht, daß Versimpelung der Sprache durch eindeutige Regelhaftigkeit nicht einmal den Schülern hilft, weil Kinder nicht durch Regelanwendung lernen, sondern durch übenden Gebrauch: wie sonst könnten schon Kleinkinder sich die Grundlagen der Grammatik aneignen, ohne je von Regeln gehört zu haben? Die Kultusminister müssen umdenken, wenn sie nicht zu Kulturzerstörungsministern werden wollen.« ( Bayerische Staatszeitung, 15.4.2005 )
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