24.02.2005 Heike Schmoll Ohne ZehetmairKritiker der Rechtschreibreform in MünchenMÜNCHEN, 23. Februar. Zum ersten Mal seit acht Jahren hatte sich ein für die Rechtschreibreform verantwortlicher Kultusminister bereit erklärt, sich dem Gespräch mit den Kritikern zu stellen.Darauf hatten Germanisten, Schriftsteller und Journalisten lange gewartet. Der Vorsitzende des Rates für die deutsche Rechtschreibung, der frühere bayerische Wissenschaftsminister Hans Zehetmair (CSU), war jedoch plötzlich erkrankt. So fand in der bayerischen Akademie der Wissenschaften eine Gesprächsrunde mit einigen der profiliertesten Kritiker ohne den eigentlichen Adressaten statt. Der Mitschnitt des Gesprächs werde Zehetmair zugestellt, wurde versichert, nicht ohne die großherzige Bereitschaft des Vorsitzenden des Rechtschreibrates zu würdigen. "In welchem Land leben wir eigentlich, wo es eigens gewürdigt werden muß, daß ein verantwortlicher Politiker sich dem Gespräch mit Fachleuten stellt", wandte einer der Zuhörer ein. Die "Anmaßung", Sprache politisch reglementieren zu wollen, hatte Zehetmair schon zu seiner Amtszeit als Fehler erkannt. Das hatte aber kaum Folgen für die Schulpraxis in Bayern, wo die Rechtschreibreform schon zwei Jahre vor dem offiziellen Beginn Einzug in den Grundschulen hielt. Um so mehr weckte Zehetmairs Äußerung, der Rat für die deutsche Rechtschreibung sei in "größtmöglicher Staatsferne" zu organisieren, das Mißtrauen des DDR-erfahrenen Schriftstellers Reiner Kunze. Denn Zehetmair hatte gleichzeitig bekundet, es könne keine Rückkehr geben. "Staatsnäher geht es doch gar nicht", sagte Kunze und bemängelte, daß der Rat sich nicht damit zufriedengeben dürfe, "einige Schwachstellen zu beseitigen". Die Getrennt- und Zusammenschreibung bezeichnete Kunze als "Vergehen an der Sprache". Der Rechtschreibkritiker Hans Krieger nannte die Bezeichnung einer Rechtschreibreform eine "grobe Irreführung". Es gehe nicht um Orthographie, sondern um Sprache, denn Bedeutungsentscheidungen seien verwischt, Worte gestrichen und die Grammatik dereguliert worden. Die sogenannte Reform sei ein Salto rückwärts, die Rücknahme der Regeln ein Schritt nach vorn. "Wieso erlauben wir es Politikern, ihre Feigheit, Probleme zu lösen, als Stärke auszugeben?" fragte Krieger. Der Erlanger Sprachwissenschaftler Horst Haider Munske war während der Rechtschreibdebatte selbst vom Saulus zum Paulus geworden. Seine frühe wissenschaftliche Untersuchung der Orthographie und Reformneigung führte 1987 zum Auftrag, an der Reform mitzuarbeiten. Munske war zunächst auch Mitglied der sogenannten Zwischenstaatlichen Kommission, des Vorläufergremiums des heutigen Rates. Angesichts der heftigen Proteste von Schriftstellern und Journalisten hatten ihn aber Zweifel beschlichen. 1997 trat er aus der Kommission aus. Bis heute sei es der Politik nicht gelungen, die Sprachgemeinschaft von der Notwendigkeit der Rechtschreibreform zu überzeugen, sagte er. Der Rat sei zu groß, inkompetent und unausgewogen. Unter den deutschen Mitgliedern sei kein einziger Fachmann für Orthographie, auch kein Kritiker. Der ganze Rat sei als Erfüllungsgehilfe der Konferenz der Kultusminister (KMK) konzipiert. Kaum einer der Kultusminister benutze die neue Schreibung, aber alle stünden zu ihrer Entscheidung, um ihr Gesicht zu wahren. Der schnellste und kostensparendste Weg sei, die Reform kurzerhand zu beenden. Munske bat Zehetmair, Transparenz bei den Beratungen zu schaffen und die Stellungnahmen der einzelnen Ratsmitglieder sowie die Protokolle der Sitzungen im Internet zu veröffentlichen. Im Statut festgelegte Mehrheitsentscheidungen des Rates provozierten den besonderen Zorn der Kritiker. Die im Duden inzwischen zugelassene Zahl von insgesamt 3000 Varianten sei keine Lösung, meinte Kunze und verwies auf das Beispiel "es tut mir Leid/leid". Die Großschreibung sei grammatikalisch falsch und könne deshalb kein Gegenstand einer Mehrheitsentscheidung sein. Munske forderte die Duden-Redaktion auf, wieder den Sprachgebrauch darzustellen, anstatt den Sprachwandel zu diktieren. Die Politik lebe bis zum Ende der Legislaturperiode, die jetzt in der Sprache vorgenommenen Eingriffe seien aber noch in 50 Jahren sichtbar. Wenn schon kein Fürsprecher der Reform auf dem Podium saß, so heizte wenigstens der Chef der Duden-Redaktion, Matthias Wermke, die Diskussion mit seinem Vorwurf an, solche "sinnlosen" Debatten mündeten in "Larmoyanz und Politikverdrossenheit". Wieso die Kritik nicht im Rat vorgebracht werde, fragte er, wohl wissend, daß sie dort niemand vorbringen wird und den Kritikern nur das zahnlose Minderheitsvotum bleibt. Wermke, der Änderungen allenfalls bei der Interpunktion zulassen will, sagte überdies, Deutschlehrer hätten zur Rechtschreibung ebensowenig zu sagen, wie Physiklehrer Einsteins Relativitätstheorie umkrempeln könnten. So wird am 1. August der vierte Reformduden vorliegen, während inzwischen 400 Zeitschriften und Zeitungen, dazu viele Verlage und Schriftsteller in Deutschland zur bisherigen Schreibung zurückgekehrt oder gleich dabei geblieben sind. ( F.A.Z., 24.02.2005, Nr. 46 / Seite 5 )
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