18.02.2005 Reinhard Markner Schule und SühneHans Zehetmair will eine etwas bessere Rechtschreibung„Es wird Widerstand geben, erbitterten Widerstand“ – Hans Zehetmair ahnte, was kommen würde, als er vor zehn Jahren mit dem „Spiegel“ über die geplante Rechtschreibreform sprach.Um jeder Unbotmäßigkeit zuvorzukommen, sorgte der damalige bayerische Kultusminister für die vorfristige Einführung der Reform an den von ihm beaufsichtigten Schulen. Der von niemandem prophezeite Untergang des Abendlandes ist zwar ausgeblieben. Aber angesichts eines Zustands allgemeiner Rechtschreibschwäche hat Zehetmair "tätige Reue" versprochen. Er will jetzt "einige der größten Schwachstellen der Reform bereinigen". Blieben noch einige andere der größten und eine unbestimmte Anzahl großer wie kleiner Schwachstellen. Um die wird sich vielleicht ein anderes Gremium kümmern als der heute zu seiner ersten Arbeitssitzung zusammentretende "Rat für deutsche Rechtschreibung". Gutachter in eigener Sache Zehetmair, der auf Wunsch der Kultusministerkonferenz den Vorsitz übernommen hat, hält eine gewisse "Staatsferne" des Rats für wünschenswert. Die deutsche Sprache gehört zweifellos nicht in die Hände von Politikern. Aber wer würde sie ohne Bedenken den Verbands- und Unternehmensrepräsentanten überlassen, die nun ihre Sitze im Rechtschreibrat einnehmen? Wer würde gar mit der Überprüfung der Rechtschreibreform deren Urheber betrauen? Die Kultusbeamten in Wien und Bern verfolgen eben diese Absicht. Sie haben als Delegierte die bisherigen österreichischen und Schweizer Mitglieder der an ihrer Aufgabe gescheiterten "Zwischenstaatlichen Kommission" benannt. Diese dürfen weiterhin als Gutachter in eigener Sache fungieren, während die namhaftesten Vertreter der Gegenseite gar nicht erst zur Mitwirkung eingeladen wurden. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und der PEN-Club haben deshalb eine Beteiligung an dem Verfahren abgelehnt, das für sie auf die Verfertigung von Minderheitsvoten hinausliefe. Dabei wäre Verhandlungsspielraum durchaus vorhanden, denn die seriösen Reformkritiker sind keine Duden-Nostalgiker. Manche reformkonformen Großschreibungen ("auf Deutsch"), manche Kleinschreibungen ("infrage"), manche Getrenntschreibungen ("zu viel"), manche Zusammenschreibungen ("stattdessen") sind akzeptabel, hauptsächlich deshalb, weil sie schon vor 1996 verbreitet waren. Einige Bereiche der Rechtschreibung waren nicht befriedigend geregelt und sind es immer noch nicht, zum Beispiel die Schreibung von Komposita aus dem Englischen ("Standingovations"). Kaum Aussicht auf Konsens Eine schonungslose Bestandsaufnahme wäre nötig. Die umgestellte Springer-Presse zeigt, wie die Rückkehr zur bisherigen Verteilung von ß und ss, da rein mechanisch, problemlos vonstatten gehen kann, während eine optimale Getrennt- und Zusammenschreibung kaum zu erreichen ist. Vernünftige Entscheidungen können nur strikt im Interesse der Sprache selbst getroffen werden, nicht im Interesse bestimmter Gruppen, deren Vertreter nun unter Zehetmairs Vorsitz beraten. So wird, wie empirische Studien belegen, die von vielen Erwachsenen als einleuchtend empfundene ss/ß-Schreibung von Kindern weit weniger gut begriffen. Lehrern gefallen an der Neuregelung der Getrennt- und Zusammenschreibung die ganz schematischen Festlegungen, die Schriftstellern und Grammatikern besonders anstößig sind. Zwischen diesen Interessen zu vermitteln hieße Kompromisse auf Kosten der Sprache zu schmieden. Solange allerdings die an den Schulen geschaffenen Fakten mit Argumenten verwechselt werden und die "Durchsetzbarkeit" fälliger Änderungen als wichtigstes Kriterium ihrer Sinnfälligkeit gilt, besteht kaum Aussicht auf eine konsensfähige deutsche Rechtschreibung. Link: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/feuilleton/423120.html
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