14.04.2008


Theodor Ickler

Lob der Rechtschreibung

Nun auch auf koreanisch

In Korea ist eine Übersetzung von Horst H. Munskes "Lob der Rechtschreibung" erschienen. Hier das Nachwort (mit Erlaubnis des Verfassers):


Nachwort für koreanische Leser

Ich freue mich sehr, daß mein kleines Buch über die deutsche Rechtschreibung jetzt auch koreanischen Lesern in ihrer Muttersprache zugänglich wird. Ihnen möchte ich im folgenden ein paar zusätzliche Informationen geben über die Hintergründe und die Geschichte der deutschen Rechtschreibreform, die seit 1987 vorbereitet wurde und 2007 einen vorläufigen Abschluß gefunden hat. Denn dies Buch ist gewissermaßen ein Kind dieser Rechtschreibreform.

Zunächst war ich ein eifriger Anhänger der Reform und habe als Mitglied zweier Fachkommmissionen aktiv an ihrer wissenschaftlichen Vorbereitung mitgewirkt.
Mir schienen ihre Ziele plausibel: Vereinfachung der Regeln und eine systematische Darstellung, damit die Erlernung richtigen Schreibens für Schüler leichter wird. Auch in der Öffentlichkeit wurde diesem Konzept zunächst kaum widersprochen. Als jedoch die konkreten Änderungen an der bisherigen Rechtschreibung bekannt wurden, brach ein Sturm der Entrüstung aus. 'Verbessern – ja, aber ändern – nein' schien die vorherrschende Meinung, etwa nach dem Motto des deutschen Sprichworts 'Wasch mich, aber mach mich nicht naß'. Über zehn Jahre lang, von 1996 bis 2007, hielt die Auseinandersetzung um die Rechtschreibreform die deutsche Öffentlichkeit in Atem. Es war eine Kulturdebatte, an der sich zahlreiche engagierte Journalisten, Lehrer und Sprachwissenschaftler, Schriftsteller, Verleger, Juristen und – in Leserbriefen – unzählige Bürger beteiligten. Eltern riefen im Namen ihrer Kinder die Gerichte gegen die Einführung neuer Schreibregeln in den Schulen an, in einem Volksentscheid fiel die Reform durch, doch schließlich verhinderte das oberste deutsche Gericht eine völlige Niederlage der Politik. Denn nicht nur die Reformvorschläge selbst fanden heftigen Widerstand. Dieser richtete sich schließlich vor allem gegen den Anspruch der Kultuspolitiker, sprachplanerisch in die deutsche Sprache einzugreifen. In Umfragen stimmte die große Mehrheit der Bevölkerung gegen eine Rechtschreibreform.

Ihr weitere Schicksal läßt sich so zusammenfassen: Je mehr der Kritik durch Verzicht auf bestimmte Neuerungen nachgegeben wurde, desto unwirksamer und unnötiger wurde sie. Vor allem ein Einwand fand nun Beachtung: Vereinfachungen durch die Reform dürften nicht zur Beseitigung wichtiger sprachlicher Unterscheidungen führen. Dies mache die Rechtschreibung nicht besser, sondern schlechter. Nun entdeckte man viele Vorzüge der bisherigen Rechtschreibung, die bislang wegen einiger kleinerer Mängel in Vergessenheit geraten waren. Erst ihre Bedrohung machte sie sichtbar. Mich hat die intensive Beschäftigung mit den überkommenen Regeln, das Gespräch mit vielen Kritikern und die Empörung über den tölpelhaften Umgang der verantwortlichen Politiker mit der deutschen Sprache schließlich zu einem entschiedenen Reformgegner werden lassen. Das hat sich in zahlreichen publizistischen Beiträgen niedergeschlagen.

Während die Schulen bereits 1996 mit dem Unterricht der neuen Regeln beginnen mußten, blieben die meisten Verlage und Zeitungen zunächst bei den bisherigen Regeln. Es drohte der Verlust der Rechtschreibeinheit, die 1901 in der zweiten Berliner Rechtschreibkonferenz erreicht und über hundert Jahre vom 'Duden' behütet worden war. Mehrmals wurden deshalb die Reformregeln korrigiert. Neue Rechtschreibwörterbücher ersetzten die alten. Sie alle sind inzwischen wertlos. Denn 2006 wurden die meisten zweifelhaften Reformvorschläge auf Empfehlung eines neu gegründeten Rechtschreibrates zurückgenommen. Seit dem 1. August 2007 ist ein überarbeitetes Regelwerk für die Rechtschreibung in allen Schulen und Behörden verbindlich. Auch die meisten Buch- und Zeitungsverlage haben sich inzwischen diesen Regeln angeschlossen, um die bedrohte Einheit der deutschen Rechtschreibung wiederherzustellen. Zufrieden ist aber niemand. Politiker äußern einmütig, nie wieder würden sie eine Rechtschreibreform versuchen. Die einstigen Befürworter klagen, die wichtigsten Reformziele seien nicht erreicht worden und die einstigen Kritiker bemängeln, einige Fehler der Reform seien noch immer nicht ausgebessert.

Rückblickend kann man dennoch feststellen: es gibt einen Sieger dieser Auseinandersetzung: die Tradition der deutschen Rechtschreibung. Sie ist in allen wesentlichen Zügen, die sich seit dem Buchdruck entwickelt haben und die von den klassischen deutschen Schriftstellern des 18. und 19. Jahrhunderts mitgeprägt wurden, bewahrt geblieben. Inzwischen wissen wir mehr als je zuvor über die Entstehung, die Funktion und den Wert vieler Rechtschreibregeln. Und wir wissen mehr über die Vorzüge und die Handikaps einer Alphabetschrift. Das dürfen wir als den Gewinn der langen Beschäftigung mit der Rechtschreibreform verbuchen.

Mein Anliegen war es, nach dem Ende der öffentlichen Auseinandersetzungen die wichtigsten Einsichten über die deutsche Rechtschreibung zusammenzufassen und zu erklären, "warum wir schreiben, wie wir schreiben" – wie es der Untertitel ankündigt. Lange habe ich nachgedacht über die Frage, warum der Widerstand gegen die Rechtschreibreform so heftig war und warum er so emotional geführt wurde. In den ersten Kapiteln gebe ich darauf eine Antwort. Sollte einmal ein koreanischer Politiker auf die Idee kommen, das Alphabet Hangeul zu reformieren und um wesentliche Züge seiner Tradition zu berauben, ich vermute, er würde ähnliche Erfahrungen machen wie die deutschen Politiker mit ihrer Rechtschreibreform.

Dies Buch erklärt die bisherige Rechtschreibung, wie sie in Tausenden von Bibliotheken deutscher Literatur vertreten ist und wie sie im wesentlichen bis heute gilt. Nur wenige Änderungen durch die Reform sind erwähnenswert. Die häufigste Neuerung betrifft die Verwendung des Sonderzeichens ß. Es wurde nun eingeschränkt auf bestimmte Fälle. Viele nicht-deutsche Autoren ersetzen jedoch alle ß durch ss, wie es seit langem in der Schweiz üblich ist (siehe dazu Kapitel 7 und 8). Dies ist also eine erlaubte Vereinfachung.
Die Großschreibung wurde, zum Teil fakultativ, auf einige adverbiell gebrauchte Wendungen und pronominal gebrauchte Adjektive ausgedehnt (siehe dazu Kapitel 9).
Umfassende Auskunft über die geltenden Regeln geben in ihren jüngsten Auflagen zwei Rechtschreibwörter: DUDEN und WAHRIG (siehe Literaturverzeichnis). Sie unterscheiden sich geringfügig in der Auswahl zulässiger Varianten. Die angesehenste deutsche Tageszeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, folgt dem WAHRIG. Diese und wenige weitere neuere Titel zur Rechtschreibung habe ich in das Literaturverzeichnis aufgenommen.

Ich danke an dieser Stelle meinem Schüler, Prof. Dr. Jinhee Lee, für die Mühe der Übersetzung vom Deutschen ins Koreanische. Und ich hoffe, daß diese koreanische Ausgabe meines Büchleins dem Verständnis der deutschen Sprache dient und auch einen Beitrag leistet, den außerordentlichen Rang traditioneller Schriftsysteme zu erkennen.

Erlangen, im November 2007
Horst Haider Munske



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