13.02.2008 Theodor Ickler Hoch verdientZum Rücktritt der Ministerin Karin WolffIn ihrem Rücktrittsschreiben zählt Karin Wolff ihre Verdienste auf, vergißt aber anscheinend, auf die Rechtschreibreform hinzuweisen, zu deren Durchsetzung gegen den Willen des Volkes sie mehr als jede andere beigetragen hat.Da Stillemunkes und andere Beamte der Reformertruppe wohl im Amt bleiben werden, ist auch keine Besserung zu erwarten, das war ja bei bisherigen Amts- und sogar Regierungswechseln auch nicht anders. Das Wählervolk kennt diese Leute nicht und kann ohnehin nichts ändern. Die FAZ ruft der Ministerin stilvoll nach: "Wolff hatte in der Vorwahlkampfzeit mit dem Bekenntnis, mit einer Frau zusammen zu leben, für Aufsehen gesorgt." Die eine lebt, und die andere lebt auch, also leben sie zusammen. Da man von Karin Wolff wohl nicht mehr viel hören wird, möchte ich hier ein Gedenkblatt einschalten: 19. August 2004 10 gute Gründe für die Rechtschreibreform – und 10 gute Gründe, warum es kein Zurück geben kann Mit einem Informationsangebot im Internet unter www.hessen.de will die Hessische Landesregierung der in den letzten Tagen entstandenen Verunsicherung im Zusammenhang mit der Einführung der neuen Rechtschreibregeln begegnen. „Durch die Entscheidung einiger Verlage, zu den alten Rechtschreibregeln zurück zu kehren, ist viel Verunsicherung entstanden, aber zugleich zeigt sich beachtlicher Bedarf, sich mit dem Thema zu beschäftigen und zu wissen, wo eigentlich die Unterschiede liegen“, erläuterte der Sprecher der Hessischen Landesregierung, Staatssekretär Dirk Metz, heute in Wiesbaden. „Auf einen Klick“ bietet die Landesregierung „10 gute Gründe für die Rechtschreibreform“, „10 gute Gründe, warum es kein Zurück geben kann“ sowie „10 gute Beispiele, die zeigen, dass die Reform logisch ist“. „Rund 12,5 Millionen haben seit 1998 ohne nennenswerte Probleme unsere Schrift nach den neuen Regeln gelernt – deswegen klärt die Landesregierung auf und wendet sich zugleich gegen Bestrebungen, die nur Verunsicherung, Beliebigkeit, zusätzliche Kosten und einen weiteren Beleg für die Reformunfähigkeit Deutschlands heraufbeschwören würden“, so der Regierungssprecher. Wiesbaden (ddp-swe). Die hessische Landesregierung geht beim Thema Rechtschreibreform in die Offensive. Auf der Homepage http://www.hessen.de nennt das Kabinett von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) auf satten neun Seiten «10 gute Gründe für die Rechtschreibreform». Zugleich begründet die CDU-Regierung mit ebenso vielen Argumenten, «warum es kein Zurück geben kann». Doch die Offensive beschränkt sich nicht nur auf den Bereich Information. Denn die konservative Landesregierung wirft einigen ihr eigentlich nahe stehenden Verlagen, die für die alten Regeln fechten, den Fehdehandschuh hin. Hintergrund ist die Ankündigung mehrerer Großverlage, zu den alten Rechtschreibregeln zurück zu kehren. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» praktiziert dies bereits seit längerer Zeit. Koch hatte dagegen frühzeitig ein Festhalten an den neuen Regeln betont. Kochs Stellvertreterin und Kultusministerin Wolff Karin Wolff (CDU) wird ganz deutlich: «Nicht Zeitungsüberschriften bestimmen die Inhalte einer guten Politik, sondern die Richtigkeit des Inhalts muss die Orientierungsgröße für die Politik sein.» Ausdrücklich kritisiert sie «die von einigen Chefredakteuren angezettelte» Debatte, die nach Ansicht der Ministerin «Verunsicherung und Unklarheit schürt». Dabei gehe es nicht um Inhalte, sondern um «die Machtfrage, wer in diesem Land Politik gestaltet». Den kritisierten Chefredakteuren schreibt die CDU-Politikerin zudem ins Stammbuch, dass die Neuregelung seinerzeit gründlich vorbereitet und von Zustimmung begleitet war. Außerdem bekennt sie mit Blick auf die internationale Abstimmung der neuen Regeln mit der Schweiz, Österreich und Liechtenstein: «Zu seinem international gegebenen Wort muss man stehen.» Und auch einen Seitenhieb auf die im eigenen Lande beheimatete FAZ kann sich Wolff nicht verkneifen: «Die alte Rechtschreibung hat sich nicht bewährt», widerspricht sie der renommierten Tageszeitung. Als sachliche Argumente für die neue Rechtschreibung nennt Wolff unter anderem deren Einfachheit, eine bessere Erlernbarkeit sowie Handhabung, die neue s-Schreibung und das Stärken des Großschreibungsprinzips bei Substantiven. Das Reformwerk wird außerdem als «pädagogisch sinnvoll» und weitgehend problemlos im schulischen Belastungstest gepriesen. Als letzter Pluspunkt folgt ein in diesen Tagen schwer wiegendes Argument: «Die Rückkehr zur alten Rechtschreibung würde die Unfähigkeit Deutschlands zu Reformen bestätigen.» Die Sachargumente ausgetauscht sieht derweil der Vorsitzende der Gesellschaft für deutsche Sprache, Rudolf Hoberg. Den Reformgegnern hält er sogar falsche Argumentation vor. «Ich sehe keinen großen Spielraum mehr für Kompromisse», betont er. Gleichwohl plädiert Hoberg dafür, eine für alle Seiten gesichtswahrende Lösung zu «versuchen». Änderungen, so schlägt er vor, sollten erst nach etlichen Jahren vorgenommen werden - und zwar an Punkten, die bis dahin tatsächlich gesellschaftlich nicht akzeptiert sind. — 7.9.2004 (Klett-Homepage) Ein Ja zur Rechtschreibreform Von Karin Wolff, Kultusministerin Hessen Wir haben ein Herz für die deutsche Sprache. Und weil wir dieses haben, muss Deutsch auch richtig geschrieben werden. Wer Fehler in der Rechtschreibung begeht, fällt unangenehm auf. Wenn Bildungsdefizite karikiert werden, werden diese häufig an Rechtschreibfehlern festgemacht. Mangelnde Kenntnisse der deutschen Rechtschreibung, besonders bei Auszubildenden, sorgen immer wieder für Diskussionen. Diese Diskussionen erreichten aber bisher nie das Ausmaß, mit dem in diesem Sommer die Debatte um die Rechtschreibreform neuerlich vom Zaune gebrochen wurde. Klar ist: Man muss die Rechtschreibreform nicht lieben! Sie ist zweifellos eine Reform, mit der sich die Rechtschreibregeln einfacher und besser erlernen lassen als bisher. Und daher bietet sie die Chance, die Aufregung um die Rechtschreibdefizite der Schülerinnen und Schüler verstummen zu lassen. Die Debatte um die neue Rechtschreibung, die von einigen Chefredakteuren angezettelt wurde, schürt Verunsicherung und Unklarheit, die auf dem Rücken und auf Kosten junger Leute ausgetragen wird. Hier geht es nicht darum, dass etwas Bewährtes noch besser wird. Um Inhalte geht es nicht. Es geht vielmehr um die Machtfrage, wer in diesem Land Politik gestaltet. Hessen setzt diesem Chaos politische Verlässlichkeit und inhaltliche Information entgegen. Politik heute so und morgen anders ist mit uns nicht zu machen. Nicht Zeitungsüberschriften bestimmen die Inhalte einer guten Politik, sondern die Richtigkeit des Inhalts muss die Orientierungsgröße für die Politik sein. Die neue Rechtschreibung ist weder ein Buch mit sieben Siegeln, noch bedeutet sie den Untergang unserer Sprache. Polemik ist daher überflüssig. Vielmehr sind wir unseren Schülerinnen und Schülern eine sachliche Argumentation schuldig. Wir informieren Sie über die Inhalte der Rechtschreibreform! Karin Wolff Hessische Kultusministerin 10 gute Gründe für die Rechtschreibreform 1. Einfachheit der Rechtschreibung 2. Alte Rechtschreibung – viele Ausnahmen untergraben die Regeln 3. Neue Rechtschreibung – bessere Erlernbarkeit und Handhabbarkeit 4. Das Stammprinzip wird gefestigt 5. Neue s-Schreibung 6. Keine Streichung beim Zusammentreffen von drei Konsonanten 7. Getrenntschreibung wird geregelt 8. Großschreibung von Substantiven wird gestärkt 9. Kleinschreibung bei festen Verbindungen von Adjektiv und Substantiv wird festgelegt 10. Trennung nach Sprechsilben 1. Einfachheit der Rechtschreibung Konrad Duden, der Vater des Duden, forderte schon 1902, auf die Einheit der deutschen Rechtschreibung in allen deutschsprachigen Ländern müsse nun auch die Einfachheit folgen. Diese blieb allerdings für die folgenden Jahrzehnte eine Utopie. Im Gegenteil: Das Regelwerk der deutschen Rechtschreibung wurde zusehends undurchdringlicher. 2. Alte Rechtschreibung – viele Ausnahmen untergraben die Regeln Das bekannte Sprichwort „Ausnahmen bestätigen die Regel“ gilt vielleicht im Leben, nicht aber bei der Rechtschreibung. Zahlreiche Ausnahmen, Einzelfallregelungen und sich widersprechende Festlegungen machten die Rechtschreibung unübersichtlich und kompliziert. Resultat waren Probleme im Rechtschreibunterricht und schlechte Kenntnisse der Regeln nicht nur bei Schülerinnen und Schülern, sondern auch bei versierten Schreiberinnen und Schreibern. 3. Neue Rechtschreibung – bessere Erlernbarkeit und Handhabbarkeit Die neue Rechtschreibung stärkt Prinzipien und Grundregeln, vermeidet Ausnahmen und baut Überregulierungen ab. Die richtige Schreibweise kann von einer Regel abgeleitet werden. Die neuen Regeln sind daher einfacher zu vermitteln und leichter zu lernen. Dies zeigt die Broschüre Rechtschreibung gut erklärt des Hessischen Kultusministeriums. www.kultusministerium.hessen.de (Presse/Publikationen – Broschüren). 4. Das Stammprinzip wird gefestigt In der deutschen Rechtschreibung gilt grundsätzlich das Stammprinzip. Das bedeutet, dass sich die Schreibung eines Wortes nach seinem Stamm richtet, also dem Wort, von dem es sich ableitet. Der Stamm des Wortes länglich ist lang. Verstöße gegen dieses Prinzip sind in der neuen Rechtschreibung beseitigt. Das Wort Stengel (alte Rechtschreibung) hat seinen Wortstamm in Stange und wird daher jetzt Stängel geschrie-ben. Ebenso verhält es sich bei überschwänglich (früher: überschwenglich) und Überschwang. 5. Neue s-Schreibung Für das stimmlose s steht nach kurzem betontem Vokal ss, also Amboss (statt früher Amboß; nass statt naß). Das führt zu einheitlichen Schreibweisen - Fluss schreibt sich wie Flüsse -, wo früher Abweichungen gelernt werden mussten. Gemäß dem Stammprinzip bleiben auch hier die Schreibweisen gleich, z.B. küssen – sie küsst – er wurde geküsst (früher: sie küßt, er wurde geküßt). 6. Keine Streichung beim Zusammentreffen von drei Konsonanten Bis 1991 wurden für den Fall des Zusammentreffens dreier Konsonanten insgesamt zehn Regeln entwickelt, was in solch verschiedenen Schreibungen wie Ballettänzer, Balletttruppe und Ballettheater gipfelte. Jetzt werden bei allen Versionen alle drei Kon-sonanten geschrieben (Balletttänzer, Balletttruppe und Balletttheater). 7. Getrenntschreibung wird geregelt Verbindungen aus Substantiv und Verb (Rad fahren) sowie steigerbarem Adjektiv und Verb (übel nehmen) werden nach den neuen Regeln immer getrennt geschrieben. Bei der Kombination zweier Verben hing die Schreibweise bisher von den verschiedenen Bedeutungen dieser Kombination ab. „Er ist auf dem Stuhl sitzen geblieben“ aber: „Er ist in der Schule sitzengeblieben“. Im Widerspruch dazu wurden aber auch Worte zusammengeschrieben, ohne dass ein neuer Begriff entstanden war (spazierengehen); in anderen Fällen wurde trotz übertragener Bedeutung getrennt geschrieben (baden gehen). Die neuen Regeln verlangen jetzt in allen Fällen die Getrenntschreibung. 8. Großschreibung von Substantiven wird gestärkt So werden jetzt alle Tageszeiten nach gestern, heute und morgen (gestern Nacht, heute Morgen) und Substantivierungen (der Einzelne, als Erster, im Dunkeln) konsequent großgeschrieben. Zugleich wird die Schreibweise bei feststehenden Ausdrücken vereinheitlicht (früher: mit Bezug auf, aber in bezug auf; jetzt: mit Bezug auf, in Bezug auf). 9. Kleinschreibung bei festen Verbindungen von Adjektiv und Substantiv wird festgelegt Bei Verbindungen von Adjektiven und Substantiven, die keine Eigennamen sind, wird das Adjektiv jetzt immer klein geschrieben, also: schwarzes Brett, schwarze Liste, golde-ner Schnitt und goldene Hochzeit. Bisher hieß es: Schwarzes Brett aber schwarze Liste, Goldener Schnitt aber goldene Hochzeit. 10. Trennung nach Sprechsilben Mehrsilbige Wörter werden jetzt so getrennt, wie es sich beim Sprechen ergibt. Das frühere Verbot der Trennung von st gilt nicht mehr (Wes-te, Kas-ten) und es kann auch ein einzelner Vokal am Wortanfang abgetrennt werden (A-der, I-gel). — Pressemitteilung Hessisches Kultusministerium 12.4.05: Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung bleibt wie beschlossen auch nach dem Ende der Übergangszeit am 1. August 2005 verpflichtende Grundlage für den Unterricht. Dies bekräftigte Kultusministerin Karin Wolff heute angesichts der erneuten Debatte um die Rechtschreibreform. "Es gibt keine Rolle und kein Röllchen rückwärts. Die Einsetzung des Rats für deutsche Rechtschreibung durch die Kultusministerkonferenz war richtig und hat sehr zur Versachlichung beigetragen", erklärte Wolff. Die vom Rat für deutsche Rechtschreibung am 8. April 2005 vorgeschlagenen Änderungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung seien keine Rücknahme der Rechtschreibreform, sondern Modifikationen im Sinne der Schülerinnen und Schüler. "Die neue Rechtschreibung hat sich in den Schulen bereits bewährt. Jeder, der etwas entwickelt, weiß aber, dass nichts von Anfang an völlig perfekt ist", sagte die Ministerin. Die strittigen Fragen beträfen nur einige wenige Teilbereiche der Rechtschreibung. Änderungen in diesen Bereichen würden nach dem 1. August 2005 Eingang in den Unterricht finden. Bei der Getrennt- und Zusammenschreibung hält Wolff eine Verlängerung der Übergangsfrist für denkbar. "Der überwiegende Teil der neuen Regeln bleibt von den Änderungen unberührt. Ab dem kommenden Schuljahr können alle Schulen auf einer verlässlichen Grundlage unterrichten", betonte die Ministerin. — Rheinischer Merkur 30.09.2004 Schnellschuss ohne Zukunft Mit seiner Attacke gegen das Ländergremium hat der niedersächsische Regierungschef unnötig Streit gesät. Dazu ein Gespräch mit Karin Wolff, der Vizepräsidentin der viel diskutierten Ministerrunde. Mit der Androhung, sein Bundesland werde den Staatsvertrag über die Kultusministerkonferenz (KMK) kündigen, hat der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) für Aufruhr gesorgt. Er findet das Bildungsgremium zu teuer und zu unbeweglich. Unbeweglich nicht zuletzt bei der Rechtschreibreform, die gescheitert sei und laut KMK trotzdem beibehalten werden soll. Niedersachsens SPD-Chef Wolfgang Jüttner fragte sich laut, ob Wulff die KMK-Debatte nur aus Ärger über eigenes Versagen bei den neuen Schreibregeln angestoßen habe. Es wird aber auch gemutmaßt, dass sich der Niedersachse über ein Bildungsthema für die Bundespolitik profilieren wolle. Inzwischen hat Wulff seine Forderungen abgeschwächt. Er will nicht mehr auf die KMK als Gremium verzichten, sondern es schlanker, effizienter und kostengünstiger haben. Andere Gremien wie die Hochschulrektorenkonferenz betonen, dass Deutschland in Europa mit einer Stimme sprechen und handeln können muss. RHEINISCHER MERKUR: Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) will aus der Kultusministerkonferenz austreten. Die KMK sei „überfordert, alten Vorstellungen verhaftet und nicht aufgeschlossen“, bemängelt er. Was sagen Sie als Vizepräsidentin des Gremiums: Hat er Recht? KARIN WOLFF: Ich finde die Kultusministerkonferenz in den letzten Jahren ausgesprochen aufgeschlossen für neue Aufgaben und für effiziente Arbeit. Das zeigt sich etwa an der Schnelligkeit der Reaktionen auf die Pisa-Studie. Das Tempo, in dem die Gründung eines Instituts für Qualitätssicherung und nicht zuletzt die bundesweiten Bildungsstandards zustande gekommen sind, macht manchen Institutionen geradezu Angst. Wulff verlangt, dass sich die KMK wieder auf ihre Kernaufgaben besinnt. Welche sind das? Das, was wir getan haben und tun: Sicherung von Qualität, Vergleichbarkeit, Anerkennung und Mobilität im Schul- und Hochschulbereich. Die KMK hat auf eigenen Beschluss gesagt, dass sie Überlegungen über ihre künftige Struktur anstellen muss. Dazu gehört das Einstimmigkeitsprinzip genauso wie die Frage, welche und wie viele Ausschüsse notwendig sind. Die KMK hat unter ihrem Dach auch wichtige Dienstleistungsbetriebe. Etwa den Pädagogischen Austauschdienst und die Zentralstelle für die Anerkennung internationaler Abschlüsse. Wollte jedes Land selber darüber befinden, müsste es die dafür nötige Fach- und Sachkompetenz bereitstellen. Das würde diese Aufgaben wesentlich aufwändiger machen und käme teurer, als wir es bisher haben. Was hat die KMK versäumt? Ich kann im Moment nicht erkennen, was sie versäumt hat. Im Gegenteil: In der bildungsplanerischen Kernkompetenz waren wir ziemlich erfolgreich. Die KMK hat sehr beschleunigt dafür gesorgt, Antworten auf Pisa zu finden und sie nach Kräften transparent zu machen. Ob uns das in der Öffentlichkeit ausreichend gelingt, angesichts mancher Widerstände des Bundes, kann man dahingestellt sein lassen. Christian Wulff will die 2,5 Millionen Euro, die Niedersachsen jährlich für die KMK-Arbeit zahlt, investieren, um die Qualität seiner Schulen zu verbessern. Das kann man doch nur gutheißen. Vorsicht! Wulff spricht nicht davon, was es kostet, wenn ein neues Gremium nach seinen Vorstellungen gegründet ist. Das braucht ebenfalls eine Verwaltung und Mitarbeiter. Außerdem müsste geklärt werden, wer auf wessen Kosten die dann eventuell wegfallenden Aufgaben der Kultusministerkonferenz leistet. Sind, wenn ein Bundesland den Staatsvertrag aufkündigt, alle bisherigen Vereinbarungen hinfällig? Bildungsstandards, länderübergreifende Vergleichsarbeiten, nationaler Bildungsbericht, Institut für Qualitätssicherung – ist alles obsolet? Das glaube ich nicht – rückwirkend greift eine Kündigung nicht. Ich baue darauf, dass es mit Überzeugungskraft gelingt, an der KMK wegen ihrer koordinierenden Wirkung festzuhalten. Ohne ein solches Gremium wäre alles Sprechen über den Föderalismus und seine künftige Entwicklung obsolet. Bildung ist nun mal das Kernstück des Föderalismus. Wenn sich die Kultusministerkonferenz auflöste, hätten wir zwei Alternativen: Erstens, jedes Land macht, was es will. Zweitens, der Bund bekommt die Bildungskompetenz. Beides wäre gleichermaßen absurd. Die erste Alternative würde bedeuten, dass wir erneut über Anerkennungsfragen etwa von Schulabschlüssen zwischen den Ländern verhandeln müssten; wir kämen in einen Partikularismus, den sich keiner in unserer Republik wünschen kann. Bei der zweiten Alternative würde vom Bund in einer Mammutbehörde alles zentral organisiert mit im Zweifelsfall noch größerem Aufwand und auf niedrigerem Niveau. Die große Mehrheit der Deutschen befürwortet bundeseinheitliche Regelungen für Schule und Hochschule. Das mag sein. Aber die Zeit nach Pisa hat, wie ich finde, sehr eindrucksvoll gezeigt, dass die Länder durchaus in der Lage sind, sehr schnell, auch im Wettbewerb miteinander und deshalb beschleunigend, Qualität und Einvernehmen herzustellen. Wenn der Föderalismus sich selbst die Beine wegschlagen will, muss er es bei der Bildung tun. Wäre es denn nicht im europäischen Kontext angebracht, wenn Bildung und Ausbildung zentral geregelt würden, statt dass sich jedes Mal 16 Länder einigen müssen? Wir sind offenkundig in der Lage, länderübergreifende Vereinbarungen zur besseren Kooperation und Vergleichbarkeit zu schließen. In Frankreich etwa geht die Tendenz eher zur Dezentralisierung als zur Zentralisierung hin. Wie sähe eine neue KMK aus, wenn sich die jetzige auflösen müsste? Darüber wäre zu verhandeln. Aber wir sollten die bestehende Kultusministerkonferenz auf der Basis der Reformüberlegungen, die wir längst führen, weiterentwickeln können. Weiß denn Ministerpräsident Wulff nicht, dass es diese Reformbestrebungen gibt? Und dass Reformen zu erwarten sind? Für diese Frage bin ich die falsche Ansprechpartnerin. Christian Wulff stört insbesondere das Einstimmigkeitsprinzip in der KMK. Wird das unter seinem Druck sehr rasch aufgegeben? Wir haben in der Reformgruppe der Kultusministerkonferenz auch über dieses Thema gesprochen. Es besteht Anlass, in bestimmten Fragestellungen auf das Einstimmigkeitsprinzip zu verzichten. Aber man muss sehr genau abmessen, welche Fragestellungen das sein sollen. Geht es um Geld, um Haushalte, um die Gründung eines Instituts wie das für Qualitätssicherung? Bedeutet die Einstimmigkeit immer auch eine Bereitschaftserklärung, bei jedem Vorhaben finanziell einzusteigen? Wir dürfen nicht verkennen, dass einstimmige Beschlüsse etwa über Bildungsstandards jedes Land verpflichten, diese Bildungsstandards auch einzuhalten. Es gibt aber durchaus Bereiche, die eher empfehlenden oder Stellungnahme-Charakter haben. Dort halte ich eine Einstimmigkeit nicht für erforderlich. Ist das allgemeine Überzeugung in der Kultusministerkonferenz? Das ist meine persönliche Ansicht, die allerdings von Kollegen geteilt wird. Die Überlegungen sind noch zu keinem Beschlusstext verdichtet worden. Das wird aber sehr bald geschehen. Haben Sie den Eindruck, dass der CDU-Mann Wulff weiß, was seine Attacke gegen die KMK für die Union bedeutet? Die Akzeptanz der CDU bei den Wählern leidet ohnedies schon durch Streitigkeiten und Unsicherheiten. Ich halte es unter keinem Gesichtspunkt für hilfreich, was wir seit einiger Zeit öffentlich diskutieren müssen. Braucht die KMK 250 Mitarbeiter und einige Dutzend Gremien? Die KMK hat zwar 250 Bedienstete, aber nur rund ein Drittel ist im Tagesgeschäft der Bildungsplanung und Koordination der Länder beschäftigt. Zwei Drittel beschäftigen sich mit Dienstleistungen wie Anerkennung internationaler Abschlüsse, Pädagogischer Austauschdienst und anderes. Kein Land könnte diese Arbeit individuell für sich leisten. Insofern hält sich die Zahl insgesamt in Grenzen gegenüber dem, was wir riskieren würden, wenn wir dieses Instrument aufgäben. Werden jetzt all die alten Vorwürfe gegen die Kultusministerkonferenz wieder aufleben? Dass sie langsam wie eine griechische Landschildkröte sei, ein Moloch, marode . . .? Wer seit Jahrzehnten die Kultusministerkonferenz beschimpft, lässt sich auch durch Sachkenntnis nicht davon abbringen. Die KMK eignet sich offenbar immer wieder zum Punchingball für viele Auseinandersetzungen. Ich nehme allerdings auch wahr, dass sich die Beurteilung des Gremiums in der öffentlichen Meinung und in der Fachwissenschaft positiv verändert hat. Unsere Anstrengungen zugunsten der jetzigen und künftigen Schülerinnen und Schüler werden wahrgenommen und anerkannt. Meinen Sie, dass sich mit massiver Überzeugungsarbeit bei Christian Wulff noch etwas erreichen lässt? Man soll ja niemals den Optimismus verlieren. Das Interview führte Birgitta Mogge. — Gehässige Töne Aus den Worten vieler Kritiker der Rechtschreibreform spricht Verachtung Von Karin Wolff Die Rechtschreibdebatte hat die Diskussionskultur in unserem Land verändert. Mit welchen Gefühlen werden manche der Kombattanten in wenigen Wochen wohl in den Spiegel schauen, wenn sie ihren Worten mit etwas Abstand wieder begegnen? Aus den Äußerungen so manchen Reformgegners spricht Hass oder Verachtung. Hoffentlich gibt der eine oder andere bald zu, dass seine Wortwahl maßlos war. Natürlich ist die Rechtschreibung als Teil unserer Sprachkultur von großer Bedeutung, das streitet niemand ab. Trotzdem dürfen wir sie nicht mit dem Gesamten eines gebildeten Menschen verwechseln. Vor allem leben die Kombattanten aller verbalen Waffengattungen unseren Kindern und Jugendlichen nichts von der Schönheit der Sprache, von ihren unzähligen Möglichkeiten vor. Nein, es ist die Rede von „staatlich verordneter Legasthenie“, die Kultusministerkonferenz wird als skrupellose Mafia beziehungsweise „Cosa Nostra“, als „Kreis von Legasthenikern, der es zu Ministerämtern gebracht hat“, diffamiert. Da wird von hochmögenden Chefredakteuren der Vorwurf des Totalitarismus gegen politisch Verantwortliche erhoben, gleichsam der Verdacht, NSDAP- und SED-Schergen meuchelten im Gewand des neuen Staates die Sprache! Als reichte das noch nicht, bringt eine Karikatur die Rechtschreibreform mit Osama bin Laden in Verbindung. Scheinbar harmlos mutet dagegen die Mitteilung eines ehemaligen Ministers an, er ginge lieber ins Gefängnis, statt in neuer Rechtschreibung Texte zu verfassen. Dass er damit viele verhöhnt, die der Meinungsfreiheit wegen in anderen Systemen tatsächlich verhaftet wurden, bemerken wohl nur sensible Naturen. Auch aus Wissenschaft und Kultur waren oft ähnlich gehässige Töne zu hören. Dichter und Schriftsteller haben zu allen Zeiten die Spielräume des sprachlich und orthografisch Möglichen gedehnt. Ihre sprachlichen Regelverletzungen gehören zu dem, was der Mensch dulden muss. Doch auch für literarisch Schaffende gilt das Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und wie halten wir es neuerdings mit der Teilung der Gewalten im Staate? Journalisten und Verlage sollen eine Wächterfunktion ausüben. Natürlich dürfen und müssen Zeitungen auch Partei ergreifen. Doch Partei sein sollen sie nicht. Trotzdem machen sich einige Blätter jetzt zu politisch Handelnden, ja Agitierenden. Wie glaubwürdig sind sie, wenn sie anderweitig zu Recht darauf bestehen, es habe Gewaltenteilung zu herrschen? Es hilft nur eines: eine Weile schweigen, nachdenken, sich besinnen auf Maß und Ziel. Wir haben viel aufs Spiel zu setzen. Die Autorin ist CDU-Politikerin und Kultusministerin von Hessen. — (Mitte November 2004) Liebe Frau Dr. Merkel, lieber Herr Dr. Lammert, ich habe heute widersprüchliche Botschaften erhalten und möchte Ihnen daher meine Bedenken in möglicher Kürze vortragen: in der Zeitung meinte ich gelesen zu haben, die Union habe auf einen Antrag zur Rechtschreibung im Bundestag verzichtet – andererseits ging mir der Antrag per Mail zu, und Herr Gehrke bestätigte, das sei die Grundlage für die Fraktion am 22.11.04. Ich streite nicht in der Frage, ob die Rechtschreibreform so hätte sein müssen/dürfen, ob der Bundestagsbeschluss von 1998 weise war oder dergleichen; ich stimme durchaus der Feststellung zu, dass eine gewisse Unsicherheit eingekehrt war – kein Wunder übrigens bei einer vergleichsweise so langen Übergangsfrist bei gleichzeitig tendenzieller Unlust von uns Erwachsenen, das selbst Gelernte zu verändern, und einem Stil der Auseinandersetzung, der glaubenskriegsähnliche Züge trug. Ich habe auch als später ins Amt Gekommene überhaupt keine Lust zu Wiederholung einer solchen Prozedur. Also war unsere Aufgabe als Kultusminister – die Aufgabe war uns übrigens von der MPK 1996 zugewiesen, 1998 verfassungsgerichtlich bestätigt –, ein Procedere zu entwickeln, das Korrekturen und eine dezente Weiterentwicklung der Rechtschreibung ermöglichte und, da das Dudenmonopol unwiderbringlich verloren war, ein Gremium dafür zu finden, das möglichst politikfern vorzubereiten. Zudem hatten die bisherigen Gremien keine ausreichende Akzeptanz. Es war die Idee der Unionsseite in der KMK – Hessen und Baden-Württemberg dürfen hier durchaus genannt werden –, diese Aufgabe neu zu ordnen und einem Rat zuzuordnen. Das hat die KMK übrigens längst vor der MPK im Juni d.J. beschlossen. Die näheren Einzelheiten wurden auf der Grundlage eines Präsidiumsbeschlusses vom August im Oktober beschlossen. Die diesbezüglichen Formulierungen im Antrag sind leicht schräg. Der KMK-Beschluss, bestätigt durch die MPK, hat Klarheit geschaffen: 1. Die Reform in der (vielfach bisher ignorierten) Fassung des 4. Berichts der Zwischenstaatlichen Kommission gilt ab 1.8.05 für Schule und öffentliche Verwaltung. 2. Der Rat wird umgehend eingesetzt. 3. Kann er bestimmte Punkte bis Sommer leisten, gehen sie in die geltende Fassung ein. Damit kann ein Antrag im Bundestag jetzt keinen Fortschritt mehr erbringen. Das irgend Mögliche in Bezug auf die ersten beiden Punkte haben die Kultusminister in dieser wenig komfortablen Lage geleistet. Der dritte Aspekt geht an der Sache vorbei, da die Bundesregierung keine eigene zusätzliche Funktion hat. Was die Handlungsweise einiger Verlage angeht, äußere ich mich nicht zu dem durchaus vorhandenen Reiz, einmal zu zeigen, dass die Medien die Politik nicht nach Belieben am Nasenring durch die Arena ziehen können. Berücksichtigen Sie aber, dass die Süddeutsche Zeitung längst Abstand vom Plan ihres Chefredakteurs genommen hat; auch beim Spiegel gibt es enorme innere Verwerfungen und Andeutungen möglichen Verzichts auf den Vollzug des Angekündigten. Selbst beim Springer-Verlag lässt man Bereitschaft spüren, im Rat mitzuarbeiten. All dies führt mich zu der Frage: was will die Fraktion jetzt noch erreichen als neue Unsicherheit? Die Strukturen, innerhalb derer die unbezweifelbar wünschenswerten Korrekturen möglich sind, sind geschaffen – jetzt geht es höchstens noch darum, die Akademie für Sprache und Dichtung zu bewegen, ihre Pflicht an der Schriftsprache in diesem Rahmen zu tun. Beste Grüße Karin Wolff — Brief von Th. Ickler: Sehr verehrte Frau Ministerin, aus Ihrem Hause kommen Texte zur Rechtschreibreform, die von einem überholten Stand der Dinge ausgehen. Was aus den Beschlüssen der KMK vom Juni 2004 tatsächlich folgt, läßt sich bisher nur am neuesten Duden ablesen. Ich verweise daher auf die beigefügte Langfassung meiner Rezension. Bei dieser Gelegenheit möcht ich auch noch einmal in Erinnerung rufen, wie vor sieben Jahren in Ihrem Ministerium mit den Tatsachen umgegangen wurde. Ich beziehe mich auf ein Schreiben des damaligen (inzwischen verstorbenen) Mitarbeiters Habedank, das allerdings wahrscheinlich von Herrn Stillemunkes verfaßt worden ist: VI A - 601/83 - 246 - Wiesbaden, im September 1997 Betr.: Neuregelung der deutschen Rechtschreibung; hier: Argumente für die Umsetzung Darin heißt es u. a.: Die bisherigen Rechtschreibregeln werden von 212 Duden-Regeln auf 112 verringert, die Komma-Regeln von 52 auf 9. In Wirklichkeit ist das reformierte Regelwerk umfangreicher als jedes frühere, und die neue Numerierung der Paragaphen täuscht lediglich eine verminderte Regelzahl vor. Dazu schrieb die Dudenredaktion in einer internen Anweisung: „Die inhaltlich falsche, aber politisch wirksame Formel ,aus 212 mach 112‘ muß auch im Duden ihren angemessenen Ausdruck finden.“ Es gab auch nicht 52 Kommaregeln und gibt jetzt nicht 9, sondern es gab und gibt zehn DIN-A4-Seiten Kommaregeln, und die neuen sind so schlecht, daß die Reformer Gallmann und Sitta ausdrücklich raten, bei der alten Kommasetzung zu bleiben. (Handbuch Rechtschreiben, Zürich 1996) Habedank schrieb: Nur in der Schweiz seit 1935 Bindewort "dass" mit zwei s, ab 1998 bzw. 2005 im ganzen Geltungsbereich der deutschen Schriftsprache. Die völlige Anschaffung des ß in der Schweiz ist überhaupt nicht mit der phonographischen Begründung der Heyeschen s-Schreibung zu vergleichen, wie sie jetzt überraschenderweise wiedereingeführt worden ist, nachdem man vor über hundert Jahren in Österreich schlechte Erfahrungen damit gemacht hatte. Im Protokoll der Ersten Orthograohischen Konferenz 1876 heißt es: „Demnächst empfahl Hr. Scherer, für jetzt bei der allgemein verbreiteten Adelungschen Regel stehen zu bleiben; Heyse sei bisher im wesentlichen nur in Schulen durchgedrungen, und aus Österreich könne Redner bezeugen, daß auch wer danach unterrichtet werde, die Heysesche Regel später wieder aufzugeben pflege.“ (Verhandlungen ... S. 97) Nur 0,8 % des Wortschatzes sind betroffen; allerdings Wörter, deren Schreibweise besonders häufig zu Fehlern in der Schule führte. Das ist doppelt falsch. Von den 12.500 Wörtern des amtlichen Wörterverzeichnisses sind rund 1.030 durch ein Sternchen als geändert markiert (ohne Silbentrennung!), das sind etwa 8 Prozent und nicht 0,8. Unter den wirklich fehlerträchtigen Wörtern wäre in erster Linie das/dass(daß) zu nennen, hier ändert sich bekanntlich nichts an der grammatischen Unterscheidung. Schwierig sind Wörter wie Verlies, verwandt, brillant, wider/wieder - keines davon ist von der Reform betroffen. Zu den Kosten findet man die interessante Behauptung: Auch nach den jeweiligen Duden-Neuauflagen wurde kein einziges Werk eines Schriftstellers neu gedruckt. Alle Bestände der Bibliotheken blieben und bleiben erhalten. Geändert wurden die neu anzuschaffenden Schulbücher, besonders die deutschen Sprachbücher. Nicht mehr und nicht weniger ist Ziel; und - das haben wir überprüft - das ergibt Preissteigerungen von 3 bis 5 % zu Beginn des nächsten Schuljahres. (...) Das Land Hessen bzw. der einzelne zahlt für rechtschreibreformierte Schulbücher 3 bis 5 % mehr. Das entspricht den Preissteigerungen der letzten Jahre ohne Rechtschreibreform. Dies möchte ich nicht inhaltlich kommentieren, sondern nur darum bitten, die damaligen Aussagen des Ministeriums auch heute zu beherzigen, wenn von drohenden Kosten einer Rücknahme der Reform die Rede ist. Übrigens machen die jüngsten Änderungen der amtlichen Neuregelung genau die Ausgaben notwendig, vor denen die Kultusministerien ständig warnen. — Die Bio-Bibel Kultusministerin Karin Wolff erklärt dem Volk und seinen Kindern Gott und die Welt VON ARNO WIDMANN (FR 29.6.2007) Der dicke Obelix pflegte den Kopf zu schütteln und zu sagen: "Die spinnen, die Römer!" Damit hatte er sich beruhigt und die Geschichte konnte weitergehen. Zu so viel gallischem Stoizismus ist unsereiner angesichts der Äußerungen der hessischen Kultusministerin Karin Wolff nicht fähig. Sie sieht, so erklärte sie in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, keinen Widerspruch zwischen der biologischen Evolution und der biblischen Erklärung für die Entstehung der Welt. Das ist ihr gutes Recht. In einer freien Gesellschaft darf jeder auch so dumm sein, wie er gerne möchte. Allerdings muss man sich fragen, ob das Kultusministerium der richtige Aufenthaltsort für Propagandisten solcher Überzeugungen ist, oder ob es nicht doch andere Anstalten für sie gibt. Frau Wolff sieht keinen Widerspruch zwischen der biblischen Schöpfungsgeschichte 1. Moses 1,26, bei der Gott den Menschen "als Mann und Frau" durch das Wort schafft, und der Geschichte 1. Moses 2, 7, in der es heißt: "Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase." Ministerin Wolff ist der Auffassung, beide Geschichten sagten dasselbe, nämlich dass der Mensch durch Gott in die Welt komme und dass dieser das ordnende Prinzip vorgebe. Der von ihr gezogene Extrakt - sie nennt diesen kleinsten gemeinsamen Nenner ein "Erklärungsmuster" - müsse, so die für die Schulbildung in Hessen zuständige Ministerin, "der naturwissenschaftlichen Erkenntnis nicht widersprechen". Als kleiner Redakteur fühlt man sich unwohl dabei, aber es scheint nötig zu sein, die Kultusministerin darauf aufmerksam zu machen, dass es bei der "naturwissenschaftlichen Erkenntnis" weniger um das Ergebnis geht als vielmehr um die Methoden, mit denen es erreicht wird. Mit anderen Worten: Die Geschichten von der Entstehung der Welt, des Lebens und der Menschen durch das Wort Gottes sind nicht überprüfbar. Es gibt kein Experiment, das sie bestätigen oder - wichtiger noch - widerlegen könnte. Aufgabe des Biologieunterrichtes ist eben nicht in erster Linie, dem Schüler den Forschungsstand zu vermitteln, sondern ihm klarzumachen, wie in diesem Fach geforscht und argumentiert wird. Die biblischen Schöpfungsberichte haben mit Forschung und Wissenschaft nichts zu tun. Sie haben dort darum auch nichts verloren. Es ist jedem freigestellt, an sie zu glauben oder es nicht zu tun. Aber von den biblischen Schöpfungsberichten zu behaupten, sie seien kompatibel mit moderner Wissenschaft, ist ein gravierender Verstoß gegen das - zugegebenermaßen - altmodische Prinzip der intellektuellen Redlichkeit. Ich wüsste gerne, wie sich der Hessische Minister für Wissenschaft und Kunst, Udo Corts, zu Wolffs Auffassungen stellt. Die Ministerin ist eine Wiederholungstäterin. Im Oktober 2006 hatte sie sich in einem dpa-Interview ähnlich geäußert. Daraufhin zur Rede gestellt, erklärte sie, es gehe ihr nur darum, dass in einer "fächerübergreifenden Perspektive" dem Schüler die verschiedenen Ansichten näher gebracht werden. Das ist genauso glaubhaft wie ihre Behauptung, die verschiedenen Schöpfungsberichte der Bibel wollten alle nur eines sagen, nämlich dass Gott der Herr sei. Die gelernte evangelische Theologin möchte auf ihre Zeitungsäußerungen eben das Verfahren angewendet wissen, mit dem sie sich die Geschichten der Bibel zurechtbiegt. Wir ziehen es vor, auf allegorischen, tropologischen und anagogischen Sinn zu verzichten. Wir nehmen sie beim Wort. Da wird es alles ganz einfach: Hätte sie nur sagen wollen, dass in der Schule auch theologische und philosophische Fragen nach dem Sinn des Seins und der Existenz von Welt und Mensch eine Rolle spielen sollen - so wird sie von der FAZ zitiert -, dann hätte sie nur das gesagt. Sie hätte vielleicht noch den Satz hinzugefügt, dass sie nichts dagegen habe, dass diese Art von Debatte in allen Fächern stattfinde. Die interessierte Öffentlichkeit hätte das zur Kenntnis genommen, wäre besorgt gewesen, ob aufgeweckte Kinder nicht den Unterricht durch das stündliche Aufwerfen solcher grundsätzlicher Fragen jederzeit - gewissermaßen mit ministerieller Erlaubnis - unterlaufen könnten. Das wäre es dann gewesen. So aber hat Karin Wolff uns einen Einblick gewährt, in das, was sie wirklich bewegt und was sie für ihre Gedanken hält. Wir sind ihr dankbar dafür. Wir wissen jetzt, mit wem wir es zu tun haben. Wir beginnen zu ahnen, von wie weit oben die deutsche Pisa-Schwäche kommt. Frau Wolff meint, es gebe eine "erstaunliche Übereinstimmung" zwischen der Erzählung von den sieben Schöpfungstagen und der wissenschaftlichen Theorie. Dabei sei die Sieben-Tage-Erzählung allerdings kein naturwissenschaftlicher Abriss, vielmehr werde das Verhältnis von Gott und Mensch sowie der Menschen untereinander aufgezeigt. Ja, worin besteht dann die "erstaunliche Übereinstimmung"? Man stelle sich Frau Wolff mit diesem Galimathias vor einer Klasse von Sechzehnjährigen vor. Hohngelächter gäbe es. Aber im Ministerium nicken sie alle. Die spinnen. — Kritik an Wolffs Schöpfungsthesen Parteienstreit um Biologie-Unterricht Mainzer Allgemeine Zeitung vom 30.06.2007 WIESBADEN (dpa) Hessens Kultusministerin Karin Wolff (CDU) hat mit ihren Thesen zum Verhältnis von Biologie und christlicher Schöpfungslehre erneut Kritik der Opposition hervorgerufen. In einem Interview plädierte die Ministerin für einen Biologie-Unterricht, der auch theologische und philosophische Fragen jenseits der Naturwissenschaft erörtern solle. Die Grünen sehen darin einen Verstoß gegen die Pflicht des Staates zu weltanschaulicher Neutralität. Für FDP und SPD hat Biologieunterricht naturwissenschaftliche Erkenntnis zu vermitteln. Zwischen der naturwissenschaftlichen Evolutionslehre und der symbolhaften biblischen Schöpfungsgeschichte gebe es "erstaunliche Übereinstimmungen", ließ sich die Ministerin zitieren. Fragen nach der Herkunft des Menschen und seiner Bestimmung seien fächerübergreifend zu behandeln. Gerade dies mache junge Menschen wachsam gegenüber der unwissenschaftlichen und inakzeptablen Lehre der Kreationisten. "Frau Wolff sollte lieber die allzu irdischen Probleme an Hessens Schulen lösen statt jenseitige Debatten zu führen", kommentierte der Grünen-Landtagsabgeordnete Mathias Wagner. Die Ministerin verwische die Grenze zwischen Religion und Wissenschaft, ihr Missionsdrang kollidiere mit der Landesverfassung. Seine FDP-Kollegin Dorothea Henzler pochte auf die Facheinteilung: "Für die Schüler darf der Unterricht nicht unübersichtlich werden. Sie müssen wissen, welche Inhalte sie in den einzelnen Fächern erwarten." Die SPD nannte Wolffs Ansichten problematisch. "Die Trennung von Glauben und Wissenschaft ist fester Bestandteil der Aufklärung, hinter diesen Erkenntnisstand dürfen wir nicht zurückfallen. Niemandem darf vorgeschrieben werden, was er oder sie glaubt", sagte der Abgeordnete Thorsten Schäfer-Gümbel.
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