18.05.2005


Theodor Ickler

Bastler und Tüftler

(und Weltverbesserer)

Rechtschreibreformen sind Gelegenheiten für Bastler und Tüftler.
Wenn man mal in der Zeitung gestanden hat, bekommt man irgendwann Post von Weltverbesserern, die einen bitten, ihre in vielen Jahren ausgearbeiteten, bisher leider nicht ernst genommenen Pläne zu unterstützen. Als Sprachwissenschaftler hat man es meist mit Sprachverbesserungsideen zu tun; meistens sind es völlig neu konstruierte Orthographien, vor allem phonographischer Art. Der Rest beschäftigt sich großenteils mit der Entdeckung geheimer laut- oder buchstabensymbolisch kodierter Botschaften. (Genau in der Mitte eines umfangreichen Textes, sei es die Bibel oder der „Grüne Heinrich“, steht ein bestimmter Buchstabe, der den Schlüssel zu etwas ungemein Wichtigem enthält usw.)
Für den Weltverbesserer ist es bezeichnend, daß er seine Gedanken mit großer Hartnäckigkeit verfolgt und daß er sich gegen widersprechende Erfahrungen abschirmt. Er steht mit seiner „fixen Idee“ außerhalb des wissenschaftlichen Diskussionszusammenhangs, obwohl er manchmal erstaunlich viel darüber weiß und keineswegs immer in einer abgeschiedenen Hinterwelt lebt. Was andere zu sagen haben, berührt ihn jedoch nicht, er hat verschiedene Strategien zur Hand, um es abzuwehren – als unerleuchtet, korrumpiert usw., so daß eine Auseinandersetzung nicht lohne.
Schließen sich mehrere Weltverbesserer zusammen, so bilden sie ein Konventikel oder, auf gut deutsch, ein Kränzchen.

Von dieser Art war der Internationale Arbeitskreis, dessen Produkt ein kluger Kopf einmal als "Kränzchen-Orthographie" bezeichnet hat. Wie zutreffend das ist, wurde mir in den letzten Tagen beim Wiederlesen einiger Schriften aus den interessanten Jahren 1992/1993 deutlich. Wie da die Einfälle hin- und hergeschoben wurden: mal "achtgeben", mal "Acht geben", mal "Zu-cker", mal "Zuc-ker" usw. Alles im engsten Kreise, aber es sollte schließlich hundert Millionen Menschen aufgenötigt werden. Die Leichtfertigkeit wirft einen um, man kann es kaum noch lesen, ohne kribbelig zu werden.

Was wir jetzt im Rat und in den Arbeitsgruppen treiben, ist eigentlich auch nicht viel anders, schon wegen des Zeitdrucks, aber ein gewaltiger Pluspunkt ist das vorab ausgesprochene Bekenntnis, sich wieder mehr am Usus orientieren zu wollen. Wenn die Richtung stimmt, kann auch die kurzatmigste Zockelei nicht ganz in die Irre führen.

Das einzig Unberechenbare sind nun die Kultusminister bzw. ihre Ministerialratstruppe. Niemand weiß, was sie im Schilde führen, aber rechnen muß man mit allem. Hoffentlich ahnen sie, daß sie mit weiteren Dummheiten einen gewaltigen Wutanfall bei den schikanierten Bürgern und ihren Medien auslösen könnten. Nachtrag: Schon 1989, zum 25jährigen Bestehen des IDS, berichtete Mentrup über 30 Arbeitssitzungen des Orthographie-Arbeitskreises, die er allein in den letzten 10 Jahren geleitet hatte! Und danach ging es ja erst so richtig los, und vorher war auch schon viele Jahre vorbereitet worden. Allerdings handelte es sich stets um Reformwünsche, die vorgebracht und abgewogen und abgelehnt und wieder vorgebracht wurden. Wie die Orthographie funktioniert und ob eine Reform überhaupt notwendig sei, wurde nie erörtert.


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