16.05.2007


Theodor Ickler

Verbindlich

Bemerkungen zu Duden 9 (2007)

Duden 9: Richtiges und gutes Deutsch (6. Auflage 2007); bearbeitet von Peter Eisenberg, der im Vorwort schlicht als Autor angegeben wird.

dagewesen ist unterschlagen, es wird ausnahmslose Getrenntschreibung mit sein gelehrt.

Das Buch verwendet stets selbstständig, bei Weitem, ohne Weiteres usw.

Ausdrücklich als richtig bezeichnet werden – neben der wiedereingeführten Kleinschreibung – auch: du hast ganz Recht, Sie haben ja so Recht, du hast Recht daran getan.
Wie auch im Rechtschreibduden wird heute Früh als zulässige Variante angeführt; das amtliche Regelwerk weiß davon nichts.
Zu abendelang: "Getrennt und groß schreibt man, wenn Abende durch eine nähere Bestimmung als Substantiv zu erkennen ist: Er trieb sich mehrere Abende lang herum." Das ist zweifellos unzureichend, denn Abende wird auch dann groß geschrieben, wenn es nicht durch eine nähere Bestimmung als Substantiv zu erkennen ist: Abende lang (= mehrere Abende lang). Unter tagelang ist dieselbe Regel etwas anders formuliert, unter Jahr und Meter findet man gar nichts Entsprechendes.
Der Band enthält ein kurzes Kapitel über Political correctness, das sich recht zurückhaltend äußert, aber im Buch selbst werden dann die Gebote der Political correctness doch ziemlich deutlich weitergegeben, genau wie in den übrigen neuen Wörterbüchern.

"In manchen Zusammenhängen kann schon der Gebrauch von Jude und Jüdin einen antisemitischen Zungenschlag haben. Man kann einen derartigen Eindruck meist durch die Verwendung von Ausdrücken wie jüdische Menschen, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger usw. vermeiden."
"Ob der Begriff Rasse sinnvoll auf Menschen anwendbar ist, bleibt wissenschaftlich zumindest umstritten. Schon weil das Wort Rasse durch seinen Gebrauch im Nationalsozialismus schwer belastet ist, sollte es nicht verwendet werden, wenn z. B. auf Menschen unterschiedlicher Hautfarbe Bezug genommen wird."
Gegen schwul sei nichts mehr einzuwenden, weil die Homosexuellen das Wort als Selbstbezeichnung benutzen. Aber: "Der abwertende Gebrauch von schwul in Bezug auf Gegenstände oder Sachverhalte (etwa im Sinne von seltsam o. Ä.) ist diskrimierend und sollte generell, auch in der Umgangssprache, vermieden werden."
Das ist seltsam, denn wer oder was wird hier diskriminiert? Wie kann das Wort abwertend gebraucht werden, wenn es in bezug auf Personen angeblich nicht mehr abwertend ist? Das Kapitel über "Gleichstellung von Frauen und Männern in der Sprache" lehrt auf sieben Seiten die schönsten sprachlichen Eiertänze.


Nachtrag:

Unter „Groß- und Kleinschreibung“ wird einerseits gelehrt: „In festen adverbialen Wendungen aus Präposition und nicht dekliniertem, artikellosem Adjektiv schreibt man dieses klein: Sie hielten durch dick und dünn zusammen (...)“, andererseits: „Ist in Wendungen mit fester Präposition eine Flexionsendung, aber kein Artikel vorhanden, dann kann die Form als Adjektiv oder als substantiviertes Adjektiv angesehen werden. Man kann groß- oder kleinschreiben: von Neuem / neuem (...)“. Die zweite Regel hebt die erste auf, der Widerspruch wird nicht thematisiert.

Zu diesen Jahres wird vermerkt, daß sich diese Form ausgebreitet habe. „Als standardsprachlich korrekt gilt jedoch vor allem bei konservativen Sprachpflegern nur Anfang dieses Jahres.“ Eine interessante Argumentation, weil sie zeigt, daß Standardsprache keine objektive Größe, sondern etwas von bestimmten Gruppen Imaginiertes ist. Die sonst überaus häufige Berufung auf das „standardsprachlich Korrekte“ müßte daher überdacht werden. (Zu den "konservativen Sprachpflegern" gehört bekanntlich Bastian Sick, völlig zu Recht, aber man sollte nicht vergessen, daß für ihn der Duden die Bibel ist!)

Neben dem reformierten deplatziert wird auch deplaciert anerkannt, mit französischer Aussprache (s). Das ist eine Errungenschaft des letzten Rechtschreibdudens, die anderen Wörterbücher und auch der neueste Wahrig wissen noch nichts davon.
Druckfehler: autochton (S. 1024)

Unter hoch bestätigt das Buch das Durcheinander, das schon im neuen Rechtschreibduden erkennbar war und eine Folge der Reform und ihrer Revision ist: hocherfreut darf nur zusammengeschrieben werden, hochbegabt auch getrennt (aber mit Dudenempfehlung für Zusammenschreibung), hochkompliziert ebenfalls auch getrennt (und so auch vom Duden empfohlen). Was dann für einige Dutzend weiterer Zusammensetzungen gilt, ist im einzelnen nicht vorhersehbar, und die entsprechenden Seiten im Duden sind daher besonders bunt geraten.

„Die Ausdrücke Mulatte / Mulattin (...) gelten mittlerweile (?) im öffentlichen Sprachgebrauch wegen ihres Ursprungs als abwertend und werden deshalb im Sinne der Political Correctness weitgehend vermieden. Die Wörter gehen über spanisch mulo zurück auf lateinisch mulus = Maultier; die Bezeichnung wurde also nach (heute als anstößig empfundenen) Vergleich mit dem Bastard aus Pferd und Esel gewählt.“
Die Etymologie ist in der Öffentlichkeit völlig unbekannt und kann daher nicht der Grund der Vermeidung sein. Vielmehr kann es nur um die Vermeidung aller rassischen Zuordnungen gehen. Das Wort Mulatte ist übrigens im allgemeinen Sprachgebrauch nur sehr selten anzutreffen.

„Die früher übliche Bezeichnung taubstumm sollte nicht mehr verwendet werden. Auf Wunsch der Betroffenenverbände ersetzt man sie durch gehörlos.“

Unter ehe steht die viel zu rigide Regel, daß ein nachstehender (temporaler) Bedingungssatz mit ehe nicht zusätzlich noch die Negation enthalten darf: Man darf die Wagentür nie öffnen, ehe man sich nicht umgesehen hat. Diese Konstruktion ist jedoch seit langem üblich und kann nicht logisierend kritisiert werden. Bei bevor und bis ist die Redaktion großzügiger.

Die Koordination von genusverschiedenen Nominalphrasen unter einer nur einmal gesetzten Präposition wird endlich nicht mehr beanstandet: vom Glanz und der Pracht des Festes (280).

Unter „Getrennt- oder Zusammenschreibung“ werden auch die adjektivischen Verbzusätze behandelt, deren Schreibweise bekanntlich im amtlichen Regelwerk alles andere als plausibel geregelt ist. Resultative Zusätze, heißt es, können getrennt oder zusammengeschrieben werden: leer trinken / leertrinken, blau streichen / blaustreichen, Nachtisch kalt stellen / kaltstellen, kaputt machen / kaputtmachen. Aber:
„Einige Verbindungen scheinen nur auf den ersten Blick in diese Gruppe zu gehören: Bei (...) warm laufen (es läuft nicht jemand den Motor, bis dieser warm ist), sich satt essen (man wird nicht von jemandem gegessen, bis man satt ist) (...) wäre die Zusammenschreibung nicht korrekt.“
Die Paraphrasen sind vollkommen willkürlich und beweisen nichts, was nicht auch von den zuerst angeführten Beispielen gelten würde. Warum sollte warm laufen überhaupt transitiv konstruiert werden? Der Motor selbst läuft, bis er warm ist; dieser Zustand ist das Resultat. Man ißt, bis man satt ist – was soll hier die passivische Paraphrase? Und umgekehrt: Man stellt doch nicht den Nachtisch, bis er kalt ist; man macht nicht etwas, bis es kaputt ist; man trinkt den Becher nicht, bis er leer ist.

Unter dem Stichwort „Prädikativ“ findet man das Beispiel Sie schrien sich heiser, und hier wird heiser ausdrücklich als „Resultat“-Angabe der Verbalhandlung bezeichnet. Der Fall ist genauso strukturiert wie sich satt essen.

Der Begriff des „Subjektsprädikativs“, den die Handreichung zur amtlichen Regelung angeführt hatte, wird nicht wiederaufgenommen.

Infolge der Revision seit 2004 kommt es in vielen Fällen dazu, daß zuerst die Getrenntschreibung zum Regelfall erklärt, gleich anschließend aber die Zusammenschreibung als ebenfalls möglich angegeben wird. Anders gesagt, weite Bereiche der Getrennt- und Zusammenschreibung sind wieder so offenwie vor der Reform; nur ein Wust von unplausiblen Begründungen ist hinzugekommen.


Noch ein Nachtrag: „Das einfache feind in Verbindung mit sein, bleiben und werden wird kleingeschrieben: jemandem Feind werden / sein / bleiben.“ Die Großschreibung ist offenbar ein Versehen, aber was bedeutet „das einfache“? Unter tod- usw. findet man tatsächlich nur Todfeind, nicht das im Rechtschreibduden wieder enthaltene todfeind. Das Werk drückt sich um eine Auskunft zu aberhundert usw. Hier ist ja infolge des Regelwerks sowohl von Duden wie von Wahrig die Großschreibung Aberhundert und Abertausend Blumen vorgesehen und empfohlen.

In leidtun vermutet Eisenberg immer noch das Substantiv Leid. Dabei weiß die Redaktion durchaus, daß es ein „altes Adjektiv“ leid gibt. Offenbar traut man sich nicht, das bessere grammatische und sprachhistorische Wissen gegen die falschen Behauptungen des amtlichen Regelwerks in Stellung zu bringen.

Das Substantiv Not soll groß geschrieben werden, was sich für in Not geraten von selbst versteht. Die Redaktion fügt kleinlaut an: „Getrennt und groß schreibt man ebenfalls: Dies wird Not sein. Hilfe ist Not. Liegt hier nun ebenfalls das Substantiv vor oder nicht?
Die reformierte Schreibung von mal/Mal wird voll ausbuchstabiert: darüber haben wir schon so viel Mal gesprochen. Auch die Beseitigung von jedesmal aus dem deutschen Wortschatz wird ausdrücklich bestätigt.

Bei den Ausführungen über das Partizip I wird wie schon im Regelwerk selbst und der anhängenden Literatur mit keinem Wort erwähnt, daß das erweiterte Partizip stilistisch markiert ist und normalerweise nicht prädikativ gebraucht wird. Die Redaktion stellt fest, daß die Verbindung von Substantiv und Partizip sich „generell nach dem zugrunde liegenden Verb“ richte. Demnach wäre die regelrechte Schreibung Aufsehen erregend, Laub tragend. Erst dann wird auch die Zusammenschreibung für zulässig erklärt und immerhin zugestanden, daß sie „oft sogar üblicher“ sei. Als erstes Beispiel dient ausgerechnet das Programm war aufsehenerregend. Hier ist die Getrenntschreibung aus grammatischen Gründen praktisch ausgeschlossen und nicht nur weniger üblich, wie der Leser nach den vorangehenden Ausführungen glauben muß. Die Reformer haben es seit 1996 nicht geschafft, dieses verunglückte Kapitel in Ordnung zu bringen.


Weitere Ergänzung: "Komposita mit nicht amtlichen Zusätzen" (usw.) - die Redaktion gibt stets den getrennt geschriebenen Fügungen nicht amtlich usw. den Vorzug, ohne Gespür für die stilistische Härte.

gehen lassen darf nur bei übertragener Bedeutung zusammengeschrieben werden. Eine solche liegt vor in Du sollst ihn gehenlassen (= in Ruhe lassen), aber nicht in Hefeteig muss man immer ausreichend gehen lassen. Aber geht denn der Hefeteig im buchstäblichen Sinn? An mehreren Stellen zeigt das Werk einen Ausweg aus der komplizierten Regel der Getrennt- und Zusammenschreibung mit adjektivischen Verbzusätzen:
„Wer sich an die Faustregel 'Außer bei übertragener Bedeutung immer getrennt schreiben“ hält, macht hier nichts falsch.“
Damit wird die ursprüngliche Reformregel „Im Zweifel getrennt“ einigermaßen gerettet – entgegen den Bemühungen des Rechtschreibrates, in diesem Bereich wieder zu realistischen Bestimmungen zurückzufinden. Der Dudenverlag hat ja schon bisher die Strategie befolgt, die Arbeit des Rechtschreibrates nach Möglichkeit zu unterlaufen.


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