08.01.2007


Theodor Ickler

Spät erwacht

Die ÖDP begreift allmählich etwas

Die bayerische ÖDP (aus der ich vor vielen Jahren ausgetreten bin, nachdem sie sich gegen meine Warnungen der Rechtschreibreform in die Arme geworfen hat) kritisiert das Büchergeld.
Allerdings hat sie dabei nur den Reibach der Staatskasse im Blick, nicht die Machenschaften der Schulbuchlobby. Ich erlaube mir, einen alten Text hier noch einmal einzurücken:


Schulbuchverleger und Büchergeld

Die Einführung des Büchergeldes in Bayern ist ein Etappensieg des Verbandes der Schulbuchverlage (VdS Bildungsmedien). Dieser strebt seit vielen Jahren die gänzliche Abschaffung der Lernmittelfreiheit an. Das Büchergeld – eigentlich eine überteuerte Leihgebühr – ist für den Staat ein gutes Geschäft, denn es ist doppelt so hoch wie die bisherigen Ausgaben der Kultusministerien für Schulbücher. Der VdS-Vorsitzende sagte denn auch auf der Hauptversammlung 2004 unverblümt: „Die Eltern erhalten wiederum nur alte Bücher, und das auch noch gegen relativ teures Geld.“ Erst wenn die Eltern jedes Jahr neue Bücher aus eigener Tasche bezahlen müssen, ist das Verbandsziel erreicht.

Zu den Verdiensten seines früheren Vorsitzenden Fritz von Bernuth rechnet der Verband die „politische Argumentationsoffensive des Verbandes für eine Reform der Lernmittelfreiheit“, d. h. für deren Abschaffung. (Mitteilungen 5.7.2004)

Wie der VdS die öffentliche Diskussion steuert, beschreibt er so:

„Bei den in der Öffentlichkeit verwendeten Zahlen zu den Schulbuchausgaben und der Ausstattungsmisere haben wir mittlerweile eine Monopolstellung erreicht. Selbst die Ministerien stützen sich bei ihren Aussagen auf unser Zahlenwerk. Damit haben wir die Berichterstattung über das Thema Lernmittelfreiheit stark beeinflusst: Journalisten haben zumindest erkannt, dass Elternkauf in vielen Bundesländern selbstverständlich ist. Es gibt auch direkte Belege dafür, dass unsere Arbeit einen Meinungswandel bei Medien erzeugen konnte: So hat die Frankfurter Rundschau kürzlich unter weidlicher Ausschlachtung unserer Hintergrundmaterialien auf einer ganzen Themenseite eine 'sozialdemokratische' Position zur Lernmittelfreiheit entwickelt, die unserer Forderung nach einer einkommensabhängigen Regelung sehr nahe kommt.“ Und: „Direkt generiert haben wir eine breite Berichterstattung zu den rückläufigen öffentlichen Schulbuchausgaben.“

Die Zwischenlösung Büchergeld nimmt der Verband hin, versucht aber gleichzeitig, die Läünder auf kürzere Ausleihzyklen zu verpflichten: nicht neun Jahre, sondern nur drei soll ein Schulbuch benutzt werden dürfen. Verbandssprecher Mikulic weiß aber, daß man das nur schwer kontrollieren kann.
Die Bücher werden durch ständige kleine Veränderungen künstlich zum Veralten gebracht; die einzelnen Auflagen können nicht mehr nebeneinander benutzt werden. Damit will der Verband auch verhindern, daß die Bücher an jüngere Geschwister weitergegeben oder auf Flohmärkten verkauft werden.

Hinzu kommt, daß die Schulbuchverlage in einer offenbar verabredeten Aktion der letzten Jahre alle Bücher auf ein Format gebracht haben, das ein Kopieren von Doppelseiten verhindert und damit das besonders verhaßte Arbeiten mit Fotokopien unrentabel macht. Die Bücher sind jetzt fast ausnahmslos in diesem Breitformat gehalten, über dessen vermeintliche Vorteile auch noch pädagogische Gutachten beigebracht werden. In Wirklichkeit greift man zu mehrspaltigem Druck, Marginalien und anderen Hilfsmitteln, um die unüberschaubaren Riesenseiten zu füllen. Auch das Gewicht der neuen Bände hat zugenommen und trägt erheblich zur körperlichen Belastung der Kinder bei.

Die Bücher sind teurer, aber nicht besser geworden: "'Die Schulbücher sind qualitativ schlechter und in der Anschaffung teurer geworden', so Ingeborg Horn, am Goethe-Gymnasium für die Lehrmittelsammlung verantwortlich. 35 Euro für ein Chemiebuch seien happig.“ (HNA 12.10.05, Kassel)


Auch für die weitere Durchsetzung der Rechtschreibreform kämpft der Verband und hat sich einen Sitz im Rat für deutsche Rechtschreibung gesichert. „Die Reform der Reform dürfte den Absatz noch mal steigern.“ (Stefan Bicker, Schroedel, Braunschweiger Zeitung 8.7.04) Ich habe das in einem längeren Aufsatz genauer dokumentiert.

Insgesamt empfiehlt es sich, die internen Verbandsmitteilungen zu lesen, um die langfristige Strategie der Schulbuchverlage zu durchschauen. Nicht umsonst haben sich die Unternehmen Bertelsmann und Duden jüngst bei Schulbuchverlagen eingekauft (Duden-Paetec). Nachhilfe und Erwachsenenbildung sind Wachstumsmärkte. Cornelsen hat den „Studienkreis“ übernommen, Klett betätigt sich im Fernstudienbereich (vgl. „Private Lern-Imperien“, FR 8.1.2005).

Angesichts sinkender Schülerzahlen mußte der Verband etwas unternehmen, und er tut es mit großer Zielstrebigkeit.


Den Beitrag und dazu vorhandene Kommentare finden Sie online unter
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=768