06.12.2006 Theodor Ickler SibilantentumDie kurzbeinigen Rechtfertigungsversuche der FAZ machen alles nur noch schlimmerFAZ-Herausgeber Werner D'Inka schreibt in einem Standardbrief Anfang Dezember 2006 u. a.:"Leute, die der 'alten' Rechtschreibung durchaus gewogen sind, sagen, daß es unter diesen Auspizien – also abgesehen von 'ss' oder 'ß' – beispielsweise im 'Spiegel' nur auf jeder dritten Seite zu einer neuen Schreibweise komme." Wieder wird das ss herausgerechnet. Dabei weiß die FAZ genau, daß es nur auf dieses Schibboleth ankommt. Die Gründe, die für die Umstellung angegeben werden, lassen sich nicht halten, wenn man am Ende gesteht, daß praktisch nur die ss-Schreibung sich auf das Schriftbild der FAZ auswirkt: Was wird sich in der Zeitung ändern? "Am sichtbarsten wird die Doppel-S-Schreibung in Wörtern wie 'dass', 'muss' oder 'Schluss' sein.“ (D'Inka) Wenn es nur das ist, kann es doch für die Schüler nicht so wichtig sein – es ist ja immer dieselbe, leicht zu lernende „Ausnahme“ gegenüber der amtlichen Regelung, zudem eine, die den Schülern wie jedermann noch jahrzehntelang begegnen wird. Diesen Widerspruch können die Herausgeber nicht auflösen. Schon jetzt sind die Fehler, die unsere Kinder bei der s-Schreibung machen, größtenteils nicht durch Interferenz der traditionellen Schreibung verursacht, sondern es sind die üblichen Verwechslungen von „dass“ und „das“ sowie einige Übergeneralisierungen („Fussball, weiss, aussen“). Kurios, daß das Schibboleth unserer Zeit auch wieder der Zischlaut ist! Man sollte die unterwerfungsbereiten Zeitgenossen "Sibilanten" nennen, ihre Haltung (?) das "Sibilantentum". „Deshalb scheint uns jetzt, ein halbes Jahr bevor die Übergangsfrist in den Schulen am 31. Juli 2007 abläuft, der Zeitpunkt gekommen, die Rechtschreibung in der Zeitung der Rechtschreibung in den Schulen anzugleichen. Unsinnigen Regeln werden wir freilich auch in Zukunft nicht folgen.“ (D'Inka) Das heißt, die FAZ wird sich der Schulorthographie gerade nicht anpassen. Dabei erwähnt D'Inka anschließend bloß die lächerlichen paar volksetymologischen Schreibungen; aber wie steht es denn mit den Großschreibungen, die der Rat bisher nicht bearbeiten durfte (im Allgemeinen, des Öfteren, Diät leben, in Sonderheit usw.)? Ist er etwa mit der Beseitigung von Wörtern wie jedesmal aus dem deutschen Wortschatz einverstanden und will auch dies mitmachen? „Unser Entschluß dient den Lesern ebenso wie der Redaktion. Er dient den Schülern, Lehrern und Eltern, und er dient der Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung .“ (D'Inka) Die Leser sind nicht gefragt worden, die Herausgeber wissen auch ganz genau, was eine solche Befragung ergeben würde, deshalb unterbleibt sie, und D'Inkas Aussage ist eine schlichte Bevormundung und Anmaßung. Die Redakteure der FAZ lehnen die Reform wahrscheinlich fast ausnahmslos ab; etwas Gegenteiliges hat noch nie einer von ihnen geäußert. Die wenigen Schüler unter den FAZ-Lesern dürften den kritischen Argumenten zugänglich sein, die gerade in dieser Zeitung immer wieder ausgebreitet worden sind. Unter Lehrern haben ich seit Jahren keinen Befürworter der Reform, sondern allenfalls Resignierte getroffen. Und der Einheitlichkeit dient eine Hausorthographie definitionsgemäß gerade nicht. Also was soll's?
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