02.12.2006


Theodor Ickler

Bei den Herausgebern

Besuch bei der FAZ im März 2006

Aus meinen Aufzeichnungen (kein Jota geändert):

Am 7.3.2006 war ich zu einem Gespräch mit den Herausgebern der FAZ in Frankfurt; Schirrmacher hatte mich noch während meines Skiurlaubs in der Vorwoche eingeladen. Außer Kohler waren alle da, das Gespräch dauerte anderthalb Stunden. Gerade hatte nach dem SPIEGEL auch Springer sein Einknicken angekündigt. Die Herausgeber zeigten sich besorgt, daß die FAZ bald allein dastehen würde, und davor haben sie offenbar Angst. Merkwürdigerweise spielt der SPIEGEL eine große Rolle, als sei er das Leitmedium. Für die Suche nach Bundesgenossen, wie von mir vorgeschlagen, sei es zu spät.
Die Herren kamen immer wieder auf die Frage zurück, wieviel „Prozent“ nach den Empfehlungen des Rates (in konservativer Auslegung, wie gerade vom SPIEGEL des Vortags vorgeführt) noch übrigblieben. Dieser rein quantitative Gesichtspunkt erwies sich als sehr wichtig, vor allem für Steltzner. Zehetmair war vor einigen Wochen ebenfalls dagewesen (wie offenbar auch bei Springer und SPIEGEL), um die Herausgeber zum Mitmachen zu bewegen, und in der Vorwoche habe er nochmals angerufen, um zu versichern, er habe den Herausgebern „nichts vorgemacht“, und mit den „Empfehlungen“ sei es dem Rat gelungen, 80 bis 90 Prozent der alten Rechtschreibung zu retten. (Wahrscheinlich eine Reaktion auf die in mehreren Medien wiedergegebene Marknersche Liste.) Ich versuchte immer wieder den Gedanken nahezubringen, daß die Augst-Schaederschen Dummheiten (behänden Fußes, Diät leben), auch wenn sie je für sich selten vorkommen, gerade für den FAZ-Leser jedesmal ein Schlag ins Gesicht sein würden, an den er sich nie gewöhnen werde.
Ich beantwortete alle Fragen nach Inhalten und Verfahren, und den Herausgebern ist hinreichend klar, daß das Ganze ein einziges Unglück ist, aber dauerhaftes Festbleiben kommt für sie offensichtlich nicht in Frage. Ich habe daher vorgeschlagen, daß die Zeitung bei der von mehreren Medien vorgegebenen, jetzt aber aufgegebenen Linie bleiben solle: Man sei kooperationsbereit, fordere aber, daß der Rat seine nur auf Wunsch der KMK vorzeitig abgebrochene Arbeit weiterführt und auch die übrigen zweieinhalb Kapitel (Laut-Buchstaben, Bindestrich, restliche GKS) durcharbeitet. Erst dann werde man die Ergebnisse prüfen. Die Herausgeber ließen alles weitere offen, ich habe aber wenig Hoffnung. Meine Feststellung, daß ich im neuesten SPIEGEL außer dem ss nur alle paar Seiten noch Spuren der Reform feststellen konnte, verstärkte eher die Ansicht, dann könne man ja mitmachen, vielleicht unter Auslassung der wenigen verbliebenen, für die Leser wirklich ärgerlichen Augstschen Schreibweisen und ähnlicher Schnitzer (bankrottgehen, Diät leben).
Meine Frage, ob die Herausgeber dem Gast Zehetmair feste Zusagen gemacht hätten, wurde verneint.
Ich kündigte auch die Einladung der Schweizer Medien zu einer orthographischen Konferenz in Zürich Anfang April an. Der Schweizer Widerstand war von der FAZ praktisch noch gar nicht wahrgenommen worden.
Nebenbei kam eine starke Skepsis der Herausgeber gegenüber der hessischen Landesregierung zum Ausdruck. Die Attacke von Regierungssprecher Dirk Metz war noch in übler Erinnerung. Wolff genießt keinen guten Ruf. Schirrmacher zeigte starkes Interesse an meiner Ausarbeitung über die Schulbuchlobby und will eine Kurzfassung als Vorabdruck aus meinem neuen Buch vielleicht in die FAZ bringen. Ich habe ihm außerdem meine erste Analyse der Empfehlungen, die Liste „Was bleibt“ und andere Texte dagelassen.
Die Frage nach dem Grund von Wulffs Umkippen konnte ich nicht beantworten.
Wie ich schon wußte, hatten Jürgen Hein und sogar dpa-Chef Herlyn schriftlich gegen die Darstellung der FAZ („Krawallmacher“) protestiert. Aber Heins dementierender Leserbrief (der nicht abgedruckt wird) war so formuliert, daß die Äußerung im Rat nicht direkt bestritten wurde. Ich versicherte noch einmal, daß sich die Episode genau so abgespielt habe und daß ich den Verlauf seinerzeit sofort aufgezeichnet und an meine Freunde gemailt hätte. Zur dpa hat die FAZ ohnehin ein kritisches Verhältnis.
Ich schied mit der Bitte, die Leser der FAZ nicht zu verärgern.
Gesamteindruck: Anders als beim SPIEGEL, wo ich ein Jahr zuvor gewesen war und die Spannungen innerhalb der Redaktion sowie die primadonnenhafte Rolle des Chefredakteurs, aber auch die Gebundenheit an „höhere Mächte“ spürte, sind die FAZ-Herausgeber in der orthographischen Frage sowohl ziemlich einig als auch unabhängig, aber gerade das macht ihnen die Entscheidung nicht leicht. Ich selbst kann nicht verstehen, warum die FAZ nicht den Mut hat, noch etliche Jahre festzubleiben und die Entwicklung abzuwarten. Das neue Provisorium wird ja wahrscheinlich stillschweigend weiter demontiert werden.


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