18.11.2006


Theodor Ickler

Der Axel Springer Verlag und die Rechtschreibreform

Wie Peter Meyer (Schmachthagen) vom Hamburger Abendblatt den Axel Springer Verlag auf Reformkurs brachte

Ein Mathematiker und Universitäts-Bibliothekar hatte Ende Juli 2006 folgenden Brief an Peter Meyer (= „Peter Schmachthagen“) gerichtet:


Sehr geehrter Herr Meyer,

wer sich nun der Reform ergibt, um endlich Ruhe zu haben oder warum auch immer, sollte sich nochmals vor Augen stellen, was er damit billigend hinnimmt. Sowohl in der Sache als auch in der Verfahrensweise.
Dinge, die auf anderen Feldern der Politik niemals hingenommen würden, und gerade z.B. im Abendblatt nicht:
– Berufung auf einen falsch zusammengesetzten "Rat", dem man die Kompetenz und die Zeit beschnitten und den man für seine Arbeit völlig unzureichend ausgestattet hat,
– Objektiv (grammatisch) falsches soll gelernt werden,
– Es wird für die Schule, nicht fürs Leben gelernt,
– Offene, aber gravierende Fragen bleiben unbeachtet,
– kein Untersuchungsausschuß nimmt sich ihrer an, es wird keine Evaluierung angestellt (ein absolutes Unding!!), keine Nutzen-Kosten-Analyse – WIESO EIGENTLICH NICHT?
– Die viel zu geringe Akzeptanz wird gar nicht thematisiert, dabei hatte das Verfassungsurteil 1998 darauf gedrungen,
– Dilettantismus setzt sich über Sachverstand hinweg, zahlreiche dokumentierte Ungereimtheiten bleiben ungelöst (siehe die Rezensionen von Ickler in der FAZ),
– Lieber werden die Varianten vermehrt als eine schlechte Neuschreibweise zurückzunehmen, aber ungerührt bleiben völlig gebräuchliche und kaum je fehlerhafte Schreibweisen weiter verboten.

Das Chaos wird durch die Springer-Entscheidung keineswegs kleiner werden, denn der neue Duden ist durch und durch chaotisch! Sie werden es schon merken, aber wohl zu spät.

Mit freundlichem Gruß

NN


Darauf erhielt er folgende Antwort:


1. August 2006

Sehr geehrter Herr (NN),

Sie reden mich direkt an, obwohl ich mich nicht erinnern kann, jemals mit Ihnen Kontakt gehabt oder mich unter meinem Klarnamen in den vergangenen Jahren öffentlich zur Rechtschreibung geäußert zu haben. Der Einzige, der mich in der letzten Zeit zu diesem Thema von außen unter diesem Namen angesprochen hat, war jener unten erwähnte Herr aus Erlangen. Ich hoffe nicht, dass aus dem Dunstkreis von Theodor Ickler und seinen Claqueuren jetzt eine Leserbriefkampagne gestartet wird (...).

Die direkte Anrede gibt mir allerdings Gelegenheit, ganz persönlich und nicht im Namen einer Redaktion oder eines Verlags zu antworten, was eine gewisse Deutlichkeit erlaubt. Nach zehn Jahren unfruchtbarer und weitgehend unsachlicher Diskussion sollten Sie wissen, wann es Zeit ist zu schweigen, bevor das Ganze endgültig in den Bereich der Comedy abrutscht.

Das Abendblatt nimmt nichts anderes billigend in Kauf als so zu schreiben, wie in der Schule seit 1998 mit großem Erfolg gelehrt wird – und wie wir übrigens ohne die geringsten Probleme bereits von 1999 bis 2004 geschrieben haben. Falls sich Ihre Kritik auf den (Un-)Rat für deutsche Rechtschreibung bezieht, gebe ich Ihnen recht oder Recht. Wenn Sie aber damit die verwucherte Norm von 1901/1991 in toto zu verteidigen beabsichtigen, hätten Sie den orthografischen Überblick verloren.

Niemand beherrschte die alte Rechtschreibung fehlerfrei, auch ich nicht und auch Sie nicht. Wer, wie Sie, zum Beispiel "[etwas] falsches" kleinschreibt, sollte nicht von Grammatik und Rechtschreibung reden. Es ist nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Fakten Sie von "mangelnder Akzeptanz" ausgehen. Wie Bastian Sick ("Zwiebelfisch") süffisant anmerkte, gehörte zu einer solchen Aussage ein Mindestmaß an Rechtschreibkenntnissen alt wie neu bei den Befragten. Bei fast allen Deutschen ist es jedoch eh egal, ob sie die alte oder die neue Rechtschreibung nicht beherrschen.

Die Reformschreibweise, wie sie die Kultusminister nach den Schlussempfehlungen der Zwischenstaatlichen Kommission (schon einmal) am 3. Juni 2004 verabschiedet hatten, war systematisch und von germanistisch Vorgebildeten in 20 Minuten zu lernen. 15 Millionen Schüler und ebenso viele Eltern, Großeltern und Lehrer haben sie sich seit 1998 angeeignet.

Was der Rat daraus gemacht und am Rosenmontag vorgelegt hat, bezeichnete die GEW damals als "längsten Narrenzug der Republik", obwohl der schon genannte Obernarr drei Tage vorher aus dem Gremium desertiert war. Glücklicherweise hat der Rat nur 0,5 Prozent der Reform angefasst, was keineswegs an mangelnder Ausstattung oder Zeit lag. Wenn er fast anderthalb Jahre benötigt, um dem Paragrafen 34 drei weitere Partikel hinzuzufügen, sollte er nach Hause geschickt und schon gar nicht von einem Vorsitzenden vertreten werden, der eitel in fast jedem Interview andere Ergebnisse verkündet. Immerhin sind die resultative Prädikative, die Starktonregel und Dämlichkeiten wie "ich laufe eis", aber "ich schwimme Brust" wiederbelebt worden.

Unter meinem Autorennamen habe ich wie das gesamte deutsche Feuilleton den neuen Duden überaus kritisch rezensiert. In dieser Beziehung benötige ich keine Nachhilfe. Ich habe auch Icklers Duden- und Wahrig-Verrisse in der FAZ gelesen, und ich kenne alle Auflagen seines (unbrauchbaren) Wörterbuchs. Worauf ich allerdings gehofft hatte, war, dass nun – egal ob schlecht, gut oder besser – Rechtschreibfrieden und Schulkonformität einkehren würde. Es wäre schön, wenn das auch von Ihnen und Ihren Mitstreitern erwartet werden könnte.

Mit freundlichen, aber ganz persönlichen Grüßen

Peter Meyer (65, Germanist)





Sechs Jahre früher hatte Meyer einem anderen Reformkritiker folgendes geschrieben:


Von: PMeyer@asv.de (Meyer, Peter) [Ein so großes Geheimnis war der Klarname also nie!]
Datum: 17.08.2000, 03:04:56
Betreff: AW: Märchen der Duden-Redaktion

„Ich weiß zwar nicht, wie ich zu der Ehre komme, Empfänger Ihrer Rundschreiben zu sein, und ich möchte von vornherein betonen, dass (daß) ich, unser Blatt und unser Haus die Rechtschreibreform in großen Teilen für misslungen (mißlungen) halten, aber mit derart hanebüchenen "Kommentaren" wie den Ihren werden wir die Kultusminister wohl kaum veranlassen können, eine dringend erforderliche Reform der Reform "amtlich" zu machen. Ickler hat mit seinem FAZ-"Fiasko"-Artikel gar nichts nachgewiesen, sondern höchstens ein solches geliefert. Er gerät immer mehr in die Rolle eines Pausenclowns mit immer gleichem Programm. Will er den "Duden" durch den "Ickler" ersetzen? Vor mir liegt seine "Deutsche Einheitsorthographie", die schon beim Durchblättern zeigt, dass (daß) man mit den alten Regeln zwar ein Konglomerat von Ausnahmen und Widersprüchlichkeiten alphabetisieren, aber keine logischen Regeln didaktisieren konnte. Das mag den Reformern zwar auch nicht hundertprozentig gelungen sein, aber sie haben es wenigstens versucht.
Es ist wenig überzeugend, wenn Leute gegen die Schreibweise von "Balletttruppe" (Reich-Ranecki, Wickert) polemisieren, ohne zu merken, welches Eigentor sie dabei im Hinblick auf die alten Regeln geschossen haben. Theodor Ickler beschäftigt die Presse ausreichend mit eigenen Beiträgen. Es wäre nett, wenn Sie unsere Zeit nicht noch mit den Märchen seiner Claqueure strapazierten.

Mit orthographischen Grüßen
Meyer
Aktion gegen überflüssige Pressemitteilungen





Dasselbe Repertoire von Argumenten enthält ein Beitrag im Hamburger Abendblatt drei Jahre später:


Es ist doch egal, was man nicht beherrscht

Peter Schmachthagen (Hamburger Abendblatt 2.8.2003)

Hamburg - Im festgefahrenen Grabenkampf der Orthografie wenig Neues. Vor fünf Jahren wurde die Rechtschreibreform an den Schulen, heute vor vier Jahren im Hamburger Abendblatt und den anderen Medien umgesetzt. Wer gehofft hatte, dass dieses „Jubiläum“ geräuschlos über die Bühne gehen würde, sieht sich getäuscht. Die Gegner veranstalten noch einmal ein Feuerwerk gegen die Rechtschreibreform mit reichlich Blindgängern und Absurditäten.

„Ich werde sie niemals akzeptieren“, sagte Ralph Giordano am Freitag im ZDF. „Schifffahrt mit drei f gibt es nur über meine Schriftstellerleiche.“ Vorsicht mit vorschnellen Leichenreden!

Es ist verständlich, dass Leute wie Giordano, Reich-Ranicki, Grass, Kempowski oder Gertrud Höhler nichts Neues mehr lernen wollen, aber die Reform hat sich dennoch weitgehend durchgesetzt - wenn auch nicht in verträumten Dichterstuben, sondern vor allem bei denjenigen, die das Lesen und Schreiben neu lernen. Und davon gibt es immer mehr. Diese Schülerjahrgänge wachsen nach.

In zwei Jahren wird die Reform endgültig verbindlich an den Schulen sein. Sie ist unumkehrbar, womit nicht gesagt werden soll, die Reform wäre optimal gelungen. Änderungsbedarf im Detail besteht. Der Vorsitzende der Gesellschaft für deutsche Sprache, Rudolf Hoberg, sagte, Korrekturen bei der Zusammen- und Getrenntschreibung sowie bei der Groß- und Kleinschreibung seien angezeigt, aber insgesamt sei die Bilanz überaus positiv.

Hoberg meinte, dass auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), die einen Salto rückwärts zur alten Rechtschreibung gemacht hatte, ihren Alleingang nicht mehr lange werde durchhalten können.

Seitdem der Kaiser 1901 Konrad Dudens Rechtschreibregeln amtlich abgesegnet hatte, wurde immer wieder von Reformen gesprochen. Die radikale Kleinschreibung und die phonetische Variante mit keiser und bot (Boot) scheiterten in den frühen Jahren der Bonner Republik nur an der deutschen Zweistaatlichkeit.

Insofern ist es fast ein Wunder, dass es in unserem reformscheuen Deutschland eine Rechtschreibreform gegeben hat. Das Abendblatt hat sie nicht mitgemacht, weil es von einem Änderungswahn befallen gewesen wäre, sondern weil es die Schreibweise bieten wollte, wie sie in den Schulen gelehrt wird. Die Praxis zeigt, dass die neuen Regeln zwar nicht einfach, aber einfacher als die alten Regeln sind. Wer das leugnet, leugnet die Praxis, früher und heute. Ein Kollege kommentiert das so: „Es ist völlig egal, ob man nun die alte oder die neue Schreibweise nicht beherrscht.“





Mail an die Mitarbeiter des Hamburger Abendblattes:


Von: Meyer, Peter
Gesendet: Donnerstag, 27. Juli 2006
Betreff: Online-Duden

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

bekanntlich werden wir im Hamburger Abendblatt von Montag an wieder eine schulkonforme Rechtschreibung benutzen. Dann wird die alte oder sogenannte "klassische" Rechtschreibung endgültig auf dem Müllhaufen der Orthografie landen, und zwar in allen deutschsprachigen Medien. Lediglich die FAZ überlegt noch, ob, wie Herausgeber Günther Nonnenmacher sagte, "wir resignierend den Verfall kultureller Werte hinnehmen oder einen letzten heroischen Widerstandsakt leisten". Sollen sie. Hinter der FAZ steckt ab und zu ein kluger Kopf, aber nicht immer.

Auf Wunsch unseres Chefredakteurs werden wir die Rechtschreibumstellung dem Leser gegenüber zurückhaltend kommentieren, was umso leichter fällt, als im Augenblick nicht Axel Springer, sondern der neue Duden und der Rat für deutsche Rechtschreibung im Fokus der Kritik stehen. Falls einzelne Leser Briefe oder Mails schreiben, bitte ich sie an mich weiterzuleiten; ich antworte individuell. Falls ein Leser mit mir über Rechtschreibregeln diskutieren will: Bitte, wie bisher, seine Telefonnummer notieren. Ich rufe zurück.

Schulkonform, also so, wie 15 Millionen Schüler und ebenso viele Eltern, Großeltern und Lehrer es seit 1998 gelehrt und gelernt haben, ist nicht unbedingt identisch mit den Empfehlungen des neuen Dudens und erst recht nicht mit den Verschlimmbesserungen des Rates für deutsche Rechtschreibung. Ich hatte bereits am Montag (24.7., S. 6) Gelegenheit, einige Eigentümlichkeiten herauszustellen. Wir haben nach dem Ende der Abc-­Liste im SpringerNet aber keine andere Quelle, um intern zu einer weitgehenden Einheitlichkeit zu kommen.

Ich muss, auch auf Wunsch von Herrn Dr. Schneider, aber mit Nachdruck auf eine Tatsache hinweisen, die weder in der Schulung erwähnt noch bekannt zu sein scheint: Der Online-Duden, der auch nicht in Berlin, sondern in Mannheim beim Dudenverlag auf dem Server liegt, ist keineswegs identisch mit dem gedruckten Duden oder dem Duden auf CD. Es handelt sich um ein von der Dudenredaktion als Ersatz für die Abc-Liste ausschließlich für Axel Springer angefertigtes Tool, das in einer fünften Farbe (rot hinterlegt) die spezielle Springer-Hausschreibweise bei Akronymen, Firmennamen, Transkriptionen, Ländernamen und Medientiteln zeigt, die in unserem Hause weiterhin gültig bleibt und die gelben Duden-Empfehlungen konterkariert. Es heißt also weiterhin Fifa, Uefa, Sfor, Nato, Uno, Unesco, Cebit, Ebay, DaimlerChrysler, al-Qaida, aber ADAC, TOV, BUND, UN etc.

Ich bitte, für diese Bereiche den Duden im SpringerNet zu benutzen. Horst Gleich hat mir versprochen, dass auch der neue link auf dem Desktop auf die richtige Quelle leiten wird. Ob wir die Abc-Liste auf dem Laufwerk X: für das Abendblatt am Sonnabend zurückziehen oder nur als Quelle für die Zusammen- und Getrenntschreibung temporär für obsolet erklären, überlege ich noch. Auf vielfachen Wunsch könnte es eine überarbeitete Abc-Liste nur für das Abendblatt geben, aber nicht vor Oktober, denn zurzeit versuche selbst ich die Regeln zu verstehen, die nach der Reform der Reform in den Bereichen, die der Rat anfassen durfte (glücklicherweise nur 0,5 Prozent des Wortschatzes), schlichtweg unverständlich geworden sind. (...)





Anmerkung:

Meyer schreibt: „Bekanntlich werden wir im Hamburger Abendblatt von Montag an wieder eine schulkonforme Rechtschreibung benutzen. (...) Schulkonform, also so, wie 15 Millionen Schüler und ebenso viele Eltern, Großeltern und Lehrer es seit 1998 gelehrt und gelernt haben, ist nicht unbedingt identisch mit den Empfehlungen des neuen Dudens und erst recht nicht mit den Verschlimmbesserungen des Rates für deutsche Rechtschreibung.“ Da jedoch diese „Verschlimmbesserungen“ die amtlich gültige Rechtschreibung sind, wird das Hamburger Abendblatt erklärtermaßen nicht die jetzt gültige, sondern die gerade abgeschaffte bzw. zweimal offiziell und einmal inoffiziell überholte, in den neuen Wörterbüchern unterdrückte Rechtschreibung von 1996 benutzen. Das ist das Gegenteil von „schulkonform“, denn gerade die Schule ist ja gezwungen, ohne Wenn und Aber die neueste Rechtschreibung zu unterrichten. Mit seiner Haltung sabotiert Meyer also die Linie des Vorstandsvorsitzenden, denn Döpfner hatte ja das Nachgeben des Verlags ausschließlich so begründet: „Wir können langfristig nicht anders schreiben, als es Kinder in der Schule lernen.“

Aus dem internen Schreiben geht hervor, daß Meyer in Absprache mit dem Chefredakteur eine Leserbriefdebatte über die Rechtschreibentscheidung verhindern will: „Falls einzelne Leser Briefe oder Mails schreiben, bitte ich sie an mich weiterzuleiten; ich antworte individuell. Falls ein Leser mit mir über Rechtschreibregeln diskutieren will: Bitte, wie bisher, seine Telefonnummer notieren. Ich rufe zurück.“ Ein bemerkenswert offenes Zeugnis für die Absicht, die Meinungen zu manipulieren.

Interessant ist an jenem Brief an den Bibliothekar noch folgende Stelle: „Das Abendblatt nimmt nichts anderes billigend in Kauf als so zu schreiben, wie in der Schule seit 1998 mit großem Erfolg gelehrt wird – und wie wir übrigens ohne die geringsten Probleme bereits von 1999 bis 2004 geschrieben haben.“ Damit wird die Entscheidung des Konzernschefs im Jahre 2004, wieder zur bewährten Rechtschreibung zurückzukehren, nachträglich als falsch kritisiert. Meyer war offenbar immer schon gegen Döpfners Entscheidung gewesen, hatte sie aber zähneknirschend hingenommen. Daß der „große Erfolg“ der Reform in den Schulen eine durch nichts belegte Behauptung ist, bedarf keines Nachweises.


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