27.09.2006


Theodor Ickler

„Es gibt keine nennenswerten Probleme mehr.“

Wie Hans Zehetmair den Rechtschreibfrieden herbeiführte

Der „Rat für deutsche Rechtschreibung“ wurde auf Anregung der Kultusministerinnen Schavan und Wolff sowie ihres Kollegen Reiche (alle CDU) gegründet, weil die Zwischenstaatliche Kommission und der ihr nachträglich zugeordnete Beirat für deutsche Rechtschreibung die Mängel der Reform nicht beheben konnten und daher „keine ausreichende Akzeptanz“ (Wolff) gefunden hatten.
Besonders schwer wog, daß die Kommission sich weigerte, mit der kompromißfreudigen Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zusammenzuarbeiten. Der Beschluß zur Auflösung der Kommission wurde auf der Plenarsitzung der KMK am 3./4.6.2004 gefaßt, anschließend fand die Abstimmung mit den anderen deutschsprachigen Staaten statt. Als Vorsitzenden schlug die KMK den für die Rechtschreibreform mitverantwortlichen Kultusminister a. D. Hans Zehetmair vor. Die Mitglieder rekrutierten sich fast ausschließlich aus der Kommission und dem Beirat.

Zehetmair bekundete in den ersten Monaten seine Bereitschaft, die im Statut vorgesehene Unabhängigkeit des freilich sehr einseitig besetzten Rates zu wahren. Die KMK hatte zwar den Wunsch geäußert, zunächst nur die Getrennt- und Zusammenschreibung, die Zeichensetzung und Silbentrennung bearbeiten zu lassen, aber das Eingehen auf diese Prioritätensetzung sollte keine endgültige Beschränkung auf diese Hälfte von sechs Regelungsbereichen bedeuten. Die KMK-Präsidentin Ahnen stellte fest: „Es gibt keine Zielvorgabe.“ (SPIEGEL-Gespräch am 22.11.2004) Ihre Nachfolgerin Wanka antwortete einem Bürger brieflich: „Sie bitten darum, dem Rat für deutsche Rechtschreibung Freiheit und Zeit zu geben. Freiheit hat er in der Tat, da er keine Vorgabe bekommen hat hinsichtlich seiner Themenwahl. Auch die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz und der Kultusminister­konferenz aus dem vergangenen Jahr sind nicht als thematische Einengung anzusehen, sondern als thematische Prioritätensetzung. In diesem Zusammenhang hat der Rat auch Zeit, denn er ist nicht gebunden, zu einem bestimmten Termin Vorschläge zu unterbreiten.“ Als die Reparaturarbeiten im Sommer 2005 weiter auszugreifen drohten, zog die KMK die Notbremse und machte denjenigen Teil der Regeln, den der Rat noch nicht bearbeitet hatte, ab 1.8.2005 für die Schulen verbindlich, um ihn auf diese Weise der Überarbeitung zu entziehen – zum Verdruß Zehetmairs, der aber dennoch während der Julisitzung keinen Beschluß des Rates zu einem entsprechenden Antrag der Union der Akademien der Wissenschaften herbeiführen wollte. KMK-Generalsekretär Erich Thies beschwichtigte am 7.6.2005 brieflich: „[Die Teilverbindlichmachung] schließt überhaupt nicht aus, dass der Rat auch in anderen Bereichen der Rechtschreibung Vorschläge vorlegt.“ Zehetmair gab im Rat bekannt, daß Druck auf ihn ausgeübt werde, was die Behandlung weiterer Themenbereiche betraf; dem wolle er aber nicht nachgeben, wie er auch öffentlich erklärte: „Der Rat wird es sich nicht nehmen lassen, sich auch mit anderen Bereichen der Rechtschreibreform zu beschäftigen, um auch hier evidente Ungereimtheiten zu beseitigen.“ (Süddeutsche Zeitung vom 24.7.2005)

Am 24.11.2005 fand eine Telefonkonferenz der Kultusminister statt, zu der auch Zehetmair zugeschaltet war. Die Minister mahnten ihn dringlich, „der Rat möge die Vorschläge zu den einzelnen Bereichen so rechtzeitig vor ihrer Sitzung am 2. und 3. März vorlegen, dass endgültig darüber befunden werden könne. Nur auf diese Weise sei ein Inkraftsetzen zum Schuljahr 2006/07 gewährleistet.“ (Protokoll der Ratssitzung vom 25.11.2005; hier tritt zum erstenmal das Stichwort „endgültig“ auf.) Zehetmair machte sich nun diesen Termindruck zu eigen und arbeitet in den nächsten Monaten darauf hin, die Arbeit des Rates vorzeitig zu beenden. Zwei bereits anberaumte Sitzungstermine und eine schon angekündigte Anhörung zur Groß- und Kleinschreibung sagte er ab. Der Rechtschreibrat folgte ihm gern, bestand er doch nach meinem Austritt nur noch aus Mitgliedern, denen die Durchsetzung der Reform am Herzen lag.

In den „Empfehlungen“ des Rates vom Februar 2006 wird mit folgenden Worten Vollzug gemeldet: „Der Umfang der gemachten Vorschläge entspricht dem Auftrag der staatlichen Stellen.“ Einen solchen Auftrag staatlicher Stellen gab es nicht und konnte es nicht geben.
Obwohl die Empfehlungen offiziell immer nur als Zwischenergebnis behandelt wurden, waren fortan die Dudenwerbung und die sonstige Reformpropaganda auf den Tenor „Abgeschlossenheit“ und „Endgültigkeit“ gestimmt. Zehetmair kam nie wieder auf die Absicht zurück, weitere Kapitel der Neuregelung zu überarbeiten.

Im zeitigen Frühjahr 2006 reiste Zehetmair zu den großen Zeitungsunternehmen (SPIEGEL, Axel Springer Verlag, F.A.Z ...) und versuchte sie zu überreden, sich der zu erwartenden konservativen Auslegung der Reform durch den nächsten Duden anzuschließen. Als der Duden erschien und Zehetmair darauf aufmerksam gemacht wurde, daß das Wörterbuch in zahllosen Fällen die radikaleren Reformschreibweisen von 1996 empfahl und damit nicht nur die gesamte Arbeit des Rechtschreibrates desavouierte, sondern die Werbetour des Vorsitzenden nachträglich in ein schiefes Licht rückte, reagierte er mit verständlicher Gereiztheit.

Im August ließ Zehetmair sein Grußwort auf der Internetseite des Rates ändern. Hier zum Vergleich die entscheidenden Passagen:

2005:

„Die Einrichtung eines 'Rats für deutsche Rechtschreibung' ist die Antwort auf die anhaltende Kritik an der so genannten Rechtschreibreform.

Daher beschäftigt sich der Rat entsprechend den Beschlüssen der Ministerpräsidenten- und Kultusministerkonferenz zunächst vorrangig mit den strittigsten Fragen der bestehenden Neuregelung der Rechtschreibung, nämlich der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Zeichensetzung und der Worttrennung am Zeilenende.

Darüber hinaus kommt dem Rat für deutsche Rechtschreibung die langfristige Aufgabe zu, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren, die Entwicklung der Sprachpraxis zu beobachten und das orthografische Regelwerk im notwendigen Umfang weiterzuentwickeln.“


2006:

„Die Einrichtung eines 'Rats für deutsche Rechtschreibung' in der bestehenden Form war im Dezember 2004 die Antwort auf die anhaltende Kritik an der so genannten Rechtschreibreform.

Daher beschäftigte sich der Rat zunächst mit den strittigsten Fragen der bestehenden Neuregelung der Rechtschreibung, nämlich der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Zeichensetzung und der Worttrennung am Zeilenende. Als Ergebnis dieser Arbeit des Rates wurde im Februar 2006 ein Text des Regelwerks vorgelegt, der in diesen Punkten Modifikationen vorsah. Dieser Vorschlag wurde von den zuständigen politischen Stellen in den beteiligten Staaten gutgeheißen und in der Zwischenzeit für gültig erklärt.

Nach dem Abschluss dieser akuten Aufgabe kann sich der Rat für deutsche Rechtschreibung seiner langfristigen Aufgabe zuwenden, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren, die Entwicklung der Sprachpraxis zu beobachten und das orthografische Regelwerk im notwendigen Umfang weiterzuentwickeln.“


Die Neufassung tilgt den Hinweis darauf, daß die gewaltsame Themenbegrenzung auf den Wunsch der Ministerpräsidenten und Kultusminister zurückging. In der Neufassung scheint es so, als habe der Rat nie etwas anderes gewollt und nicht etwa einen „Auftrag staatlicher Stellen“ erfüllt. Außerdem wird der Eindruck verstärkt, daß die Korrekturen am Regelwerk nun abgeschlossen und keine weiteren Änderungen mehr geplant seien.
Beide Änderungen dokumentieren die vollständige Unterwerfung Zehetmairs und des Rechtschreibrates unter die Wünsche der Politik. Noch im SPIEGEL-Gespräch vom 6.6.2005 hatte Zehetmair gesagt: „Wir werden uns wie geplant gegen Ende des Jahres auch die Groß- und Kleinschreibung vornehmen. Wir sind ein völlig unabhängiges Gremium.“ Davon ist nichts mehr übrig.

Bei der Ratssitzung am 22.9.2006 sind erwartungsgemäß keine inhaltlichen Fragen mehr diskutiert worden. Aus Zehetmairs Erklärung gegenüber der Presse geht hervor, daß er nicht einmal weiß, was orthographische Varianten sind. Jahrelang hatte er darauf bestanden, daß bei sitzenbleiben und auseinandersetzen die unterschiedliche Bedeutung durch unterschiedliche Schreibweise erkennbar sein müsse. Der Rat hat unter seiner Leitung in beiden Fällen anders (und zwar jeweils unterschiedlich) entschieden, und man muß annehmen, daß der Vorsitzende es nicht einmal mitbekommen hat. Seine Unkenntnis der orthographischen Tatsachen führte im Rat und in den Pressekonferenzen zu mancher Peinlichkeit. Immerhin mußte er während der letzten Sitzung berichten, daß beim Axel-Springer-Verlag inzwischen Zweifel aufgekommen waren, ob die Entscheidung für die neue Dudenversion, die Zehetmair bei seiner Werbetour empfohlen hatte, der richtige Weg gewesen sei. (In den Blättern des Konzerns geht weiterhin alles durcheinander.)

Die Presse berichtete am nächsten Tag:

„'Der Rat hat sich verständigt, in der nächsten Zeit nicht mit Empfehlungen zu kommen, weil der Markt (!) und die Menschen erst mal beruhigt werden sollen.' Mit diesen Worten beendete Hans Zehetmair die neunte Sitzung des Rats für deutsche Rechtschreibung in München.“ (SZ 23.9.2006)

Erst im Juni 2007 will sich der Rat wieder treffen, um über die Akzeptanz von Schreibweisen wie Spag(h)etti zu sprechen; er wird aber, wie Zehetmair vorsorglich ankündigte, keine Änderungen empfehlen. Der Presse teilte er mit: „Es gibt keine nennenswerten Probleme mehr.“ Einige Monate zuvor wußte er recht gut, welche Probleme es noch zu besprechen gab. Der Rat hat in den Augen der KMK seine Aufgabe erfüllt, er wird nur noch ein Schattendasein führen und könnte sich auflösen wie die anderen Gremien vor ihm. So sieht es auch Zehetmair selbst: „Das Ziel des Rates wäre seiner Ansicht nach erreicht, wenn das Gremium mangels Aufgaben in Vergessenheit geraten würde: ‚Glauben Sie denn’, so der CSU-Politiker, ‚dass ich an dem Job hänge?’“ (Mannheimer Morgen 23.9.2006)

Diese Äußerung ist besonders bemerkenswert. Im Statut des Rates heißt es:

„Dieser Rat hat die Aufgabe, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren und die Rechtschreibung auf der Grundlage des orthografischen Regelwerks (Regeln und Wörterverzeichnis von 1996 in der Fassung von 2004) im unerlässlichen Umfang weiterzuentwickeln.

Hierzu gehören insbesondere

– die ständige Beobachtung der Schreibentwicklung,
– die Klärung von Zweifelsfällen (der Rechtschreibung),
– die Erarbeitung und wissenschaftliche Begründung von Vorschlägen zur Anpassung des Regelwerks an den allgemeinen Wandel der Sprache.“


Die Reparatur des vorliegenden Regelwerkes, mit der sich der Rat bisher ausschließlich beschäftigt hat, gehört also offiziell gar nicht zu seinen Aufgaben. (Damit setzte sich nur die Verschleierungstaktik fort, die schon die Arbeit der Zwischenstaatlichen Kommission bestimmt hatte. Auch dieses Gremium befaßte sich während seiner siebenjährigen Existenz mit nichts anderem als der Reparatur der Regeln, aber offiziell lautete sein Auftrag fast genauso wie jetzt beim Rat. Bei der konstituierenden Sitzung der Kommission am 25.3.1997 hatte KMK-Präsident Wernstedt die Aufgabe übernommen, die Öffentlichkeit zu täuschen: „Vorrangige Aufgabe ist also zunächst die Klärung von Zweifelsfällen bei der Begleitung der Umsetzung des Regelwerks und nicht - wie vielfach in der Öffentlichkeit behauptet - die nochmalige Veränderung oder sogenannte Nachbesserung der vorliegenden Regeln. [...] Die Kommission ist also keineswegs - dieser Eindruck wird gelegentlich in der Öffentlichkeit geweckt - eine Reaktion auf die Kritik an der Neuregelung.“)

In seinem „Grußwort“ auf der Internetseite des Rates wiederholt Zehetmair die Formulierung des Statuts, der Rat habe die „langfristige Aufgabe, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren, die Entwicklung der Sprachpraxis zu beobachten und das orthografische Regelwerk im notwendigen Umfang weiterzuentwickeln.“ Ähnlich in seinem Vorwort zum neuen Wahrig, und in der Pressekonferenz nach der Ratssitzung am 28.5.2005 hatte er angekündigt, bald zum „eigentlichen Auftrag des Rates für deutsche Rechtschreibung zu kommen, nämlich die Sprache – ich sage dazu: unaufgeregt – zu beobachten.“
Wie paßt das alles zu Zehetmairs Wunsch, der Rat möge „mangels Aufgaben in Vergessenheit geraten“? Seinen vorgeblich „eigentlichen Auftrag“ hat er ja noch nicht einmal in Angriff genommen.


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