08.09.2006


Theodor Ickler

Noch mehr Duden-Werbung

Und ein Brief vom Chefredakteur

Das Geschäftsinteresse der Wörterbuchverlage gebietet es, die Endgültigkeit der jeweils vorliegenden Reformvariante hervorzuheben. So wird der neue Duden beworben:

„Die Reform ist geschafft, und ab 1. August 2006 gibt es wieder eine verbindliche Rechtschreibung. Grund genug für einen komplett neu bearbeiteten Duden! Erstmals vierfarbig und mit vielen hilfreichen Extras ist der Duden noch anwenderfreundlicher geworden. Der Duden in seiner 24. Auflage zeigt und erklärt unsere neue Rechtschreibung, wie sie ist – und bleibt!“
(Weltbild-Katalog August 2006, Unterstreichung im Original)


Auf den kritischen Brief eines Zeitgenossen antwortete Duden-Chefredakteur Scholze-Stubenrecht am 22.8.2006:

„Sehr geehrter Herr XY,

zu Ihren Kritikpunkten ist Folgendes zu sagen:

1. Es ist zwar korrekt, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung weiterhin besteht und sich wahrscheinlich auch weiterhin mit Fragen der deutschen Rechtschreibung befassen wird. Dennoch hat die Debatte um die Rechtschreibung mit dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom März dieses Jahres insofern ein Ende gefunden, als danach seit dem 1. August eine Neufassung des amtlichen Regelwerks die verbindliche Grundlage für den Unterricht an den Schulen ist. Damit ist in den Augen der gesamten Öffentlichkeit ein deutlicher Schlusspunkt gesetzt worden, der auch weithin mit Erleichterung aufgenommen wurde.

2. Seit eh und je hat die Verbindlichkeit der Rechtschreibreglen für die Schulen sich auf nahezu alle anderen gesellschaftlichen Bereiche ausgewirkt. Geschäftskorrespondenz, behördlicher Schriftverkehr, Printmedien usw. orientieren sich – vernünftigerweise – an der Schulregelung, die damit zwar keine formaljuristische, aber durchaus eine faktische Gültigkeit hat. Dass im privaten Bereich niemand gezwungen ist, sich daran zu halten, bleibt davon unberührt.

3. Es trifft nicht zu, dass die Dudenempfehlungen hinter den Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung zurückbleiben, weil es keine Empfehlungen des Rates zum Umgang mit zulässigen Schreibvarianten gibt. Und nur auf diese, nach dem amtlichen Regelwerk eindeutig korrekten Varianten, von denen der Duden keine unterschlägt, beziehen sich die Dudenempfehlungen.

4. Als Hilfestellung für den Schulbereich gibt es im Duden auf Seite 10 einen Überblick über die noch bis zum 31. 7. 2007 zu tolerierenden, aber nicht mehr zu lehrenden Reformschreibungen.

Mit freundlichen Grüßen

(Unterschrift)

Dr. Werner Scholze-Stubenrecht



Kommentar: Die Mitglieder des Rates für deutsche Rechtschreibung werden mit Interesse erfahren, daß sich der Rat „wahrscheinlich (!) auch weiterhin mit Fragen der deutschen Rechtschreibung befassen wird“. Womit sonst sollten sie sich befassen? Schließlich ist dies sein einziger Daseinszweck.

Die Aussage der Werbung „Ab 1. August 2006 gibt es wieder eine verbindliche Rechtschreibung“ ist irreführend, denn eine verbindliche Rechtschreibung gab es zu jedem Zeitpunkt, samt Übergangsregelungen genau wie 2006. Es hat sich nichts geändert außer – wieder einmal, aber sicher nicht zum letztenmal – den Regeln und Schreibweisen.

Wenn „in den Augen der gesamten Öffentlichkeit“ ein Schlußpunkt gesetzt zu sein scheint, so ist das gerade ein Erfolg der irreführenden Duden-Werbung. Es trifft aber nicht einmal zu, denn die Presse hat sehr wohl auf die Vorläufigkeit der jetzigen Regelung hingewiesen.

Im dritten Absatz klammert sich der Dudenredakteur an eine etwas unvorsichtige Formulierung des Einsenders. Der Ratsvorsitzende Zehetmair hat deutlich genug gesagt, inwiefern die Dudenempfehlungen sich gegen die Neuregelung richten. Es ist längst nachgewiesen, daß die Dudenredaktion von Anfang an darauf hinarbeitete, die Revisionsarbeit des Rechtschreibrates zu unterlaufen (vgl. besonders die zur zweiten Sitzung eingereichte Stellungnahme der Dudenredaktion: „...wird deshalb beantragt, dass sich der Rat für deutsche Rechtschreibung nicht mit weiteren Eingriffen ins Regelwerk beschäftigt, sondern Empfehlungen zur Vermittlung dieser Regeln an den Schulen erarbeitet.“).

Die Hinweise auf S. 9/10 des neuen Duden sind wertlos, da sie die noch zu tolerierenden Schreibweisen nicht wirklich auflisten. Es ist ohnehin unzumutbar, daß ein korrigierender Lehrer außer im Wörterverzeichnis des Duden jeweils noch in anderen Teilen nachschlägt, um sicherzugehen, daß er Richtiges nicht als falsch anstreicht.


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