05.07.2006


Theodor Ickler

Tagesprämie

Eine Kapitel bayerische Geschichtsschreibung

Im bayerischen Rundschreiben vom Frühjahr 2006 heißt es:
"Ab Beginn des Schuljahres 1996/97 wurden die Neuregelungen in den Schulen ohne nennenswerte Probleme umgesetzt. Zur Beseitigung einzelner Unstimmigkeiten sowie zur Verbesserung der Akzeptanz bei den erwachsenen Schreibern bedurften jedoch einzelne Bereiche des Regelwerks – vor allem die Getrennt- und Zusammenschreibung – einer Überprüfung.
Die Kultusministerkonferenz beschloss dementsprechend im Juni 2004, einen Rat für deutsche Rechtschreibung einzusetzen; im Oktober 2004 erklärte die Kultusministerkonferenz, dass sie von dem einzurichtenden Rat entsprechend einer Beschlussfassung der Ministerpräsidentenkonferenz ggf. Änderungen in den Bereichen 'Getrennt- und Zusammenschreibung, Fremdwörter, Interpunktion und Trennung' erwarte.
Nach der Abstimmung mit den internationalen Partnern trat der Rat für deutsche Rechtschreibung am 17.12.2004 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen; den Vorsitz übernahm Staatsminister a.D. Zehetmair."

Hier wird also die siebenjährige Existenz und folgenreiche Tätigkeit der einst so hoch gelobten Zwischenstaatlichen Kommission völlig übergangen. Das dürfte nicht nur mit den unzulänglichen Ergebnissen zusammenhängen, sondern spiegelt auch jenen starken Verdruß wider, der schließlich zur formlosen Entlassung der Kommission führte. Daß die Kommission zuletzt noch die die dringend angemahnte Zusammenarbeit mit der kompromißfreudigen Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung verweigerte, die sich den Kultusministern so liebreich zur Wahrung des Gesichtes angeboten hatte, brachte das Faß zum Überlaufen. Die Zwischenstaatliche Kommission soll offenbar aus der Geschichtschreibung der Rechtschreibreform gestrichen oder vielmehr herausgeklittert werden. Bayern macht den Anfang.

EZ, die Elternzeitschrift des bayerischen Schulministeriums, widmet den Titel von Heft 2/06 der Rechtschreibreform:

"Als im Februar dieses Jahres der Rat für deutsche Rechtschreibung seine 'Empfehlungen' zur vorläufig endgültigen Festlegung der deutschen Orthographie vorstellte, wurde es noch mal richtig spannend. Wie würden die Kultusminister der deutschen Länder reagieren?"

Für dieses "vorläufig endgültig" verdient das Ministerium eine Tagesprämie. Aber was die Sache selbst betrifft, so hielt sich die Spannung in Grenzen. Schließlich hatte der Rechtschreibrat unter seinem Exminister Zehetmair genau das beschlossen, was ihm von den Kultusministern aufgetragen war; weitergehende Korrekturen am Reformwerk sowie die eigentlich vorgesehene und schon anberaumte Anhörung verhinderte der Vorsitzende auf Druck der KMK.

"Der Rat für deutsche Rechtschreibung war bereits 2004 ins Leben gerufen worden, um einzelne Bereiche des Regelwerks nochmals zu überprüfen. Damit wollte man die Akzeptanz vor allem bei den Erwachsenen verbessern, die sich mit manchen Neuerungen einfach nicht anfreunden konnten."

Die objektiven Mängel werden nicht genannt, es sind bloß die sturen Erwachsenen, die die Wohltat nicht annehmen wollten. Tausende lesen dieses Propagandageschwätz und denken sich ihr Teil. Wen wundert es, daß die Verachtung für "die da oben" immer weiter zunimmt?

In der Übersicht "Beispiele auf einen Blick", bis zur Verfälschung verknappt, wird wiederum behauptet, bei bankrott gehen (reformiert Bankrott gehen, revidiert bankrottgehen) sei "die Wortart nicht geklärt". Für ein Schulministerium ein erstaunliches Armutszeugnis.

In der Übersicht wird auch gelehrt, daß "abhängige Infinitive" nun wieder mit Komma abgetrennt werden. Im EZ-Heft ist das nicht der Fall, und es stimmt ja auch gar nicht.


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