29.03.2005 Theodor Ickler Pseudodemokratische ReformDie Dresdner Erklärung der Kultusministerkonferenz (Okt. 1996) ist ein Dokument des schlechten Gewissens.Daher auch das wiederholte Gerede von dem "demokratischen Entscheidungsprozess", der nunmehr abgeschlossen sei. Die Bevölkerung sei selbst schuld, wenn sie nicht daran teilgenommen habe. Den Ministern fällt dazu hauptsächlich die Anhörung von 1993 ein. Aber selbst die damals abgegebenen Voten einiger Verbände änderten nichts an den längst feststehenden Beschlüssen der ministeriellen Arbeitsgruppe. Das dokumentiert unfreiwillig gerade der Band von Hermann Zabel ("Keine Wüteriche am Werk" 1996). Was ohnehin mit den Absichten der Arbeitsgruppe übereinstimmte, machte sie sich zu eigen, den Rest eben nicht, also nicht die Vorschläge zur gemäßigten Kleinschreibung (nachdem die KMK den Reformern ohnehin untersagt hatte, dieses Gebiet aufs neue zu behandeln [vgl. Pressemitteilung der KMK vom 1.10.1992], was die Reformer, allesamt Kleinschreibungsverteter, freilich nicht hinderte, dennoch einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten) und erst recht nicht die Einheitsschreibung das auch für die Konjunktion. Was die Ministerialräte am Ende beschlossen, war schon vor der Anhörung klar. Munske, der daran teilgenommen hatte, bezeichnete die Anhörung daher im Rückblick als "Alibiveranstaltung". Zu Stellungnahmen eingeladen waren 43 Organisationen, zur Anhörung selbst 30, teilgenommen haben schließlich 16. Hinzu kamen einige schriftliche Stellungnahmen. Die KMK stellt mißbilligend fest, daß viele der Eingeladenen (z. B. die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, das Goethe-Institut, das deutsche P.E.N.-Zentrum, der Deutsche Bibliotheksverband) nicht einmal geantwortet, später aber gegen die Reform protestiert hätten. Ungeklärt ist, warum nicht nachgefragt wurde, wenn so viele Antworten von teilweise doch recht bedeutenden Organisationen einfach ausblieben. War den Angeschriebenen nicht hinreichend erklärt worden, daß es nun nach so vielen Reformversuchen ernst wurde? "Beteiligung der Öffentlichkeit" kann sich doch nicht darin erschöpfen, daß die Bevölkerung mit Propagandamaterial überschwemmt wird. Nachdem die Reform politisch unter Dach und Fach war, gab es Millionen von Informationsbroschüren und -faltblättern, aber die kritischen Reaktionen der Leser darauf wurden mit dem Hinweis abgefertigt, die demokratische Entscheidung sei abgeschlossen. Dabei blieb es, wir haben Hunderte von amtlichen Schreiben, die es bekräftigen, und außerdem das Zeugnis von Horst H. Munske, den die Enttäuschung darüber zum Austritt aus der Kommission trieb. Was zwei Jahre vor dem geplanten Inkrafttreten beschlossen war, galt den Kultusministern de facto als unabänderlich. Alle späteren Beratungen, auch die Arbeit der erst im Frühjahr 1997 eingerichteten Zwischenstaatlichen Kommission, standen unter der Vorgabe, die Regeln nicht zu ändern. Die erste amtliche Neufassung wurde 2004 vorgelegt und gab sich immer noch als Präzisierung o. ä. aus, nicht als der Eingriff in die Grundlagen, der sie tatsächlich war.
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