16.03.2006


Theodor Ickler

Was bleibt?

Versuch eines Überblicks über die ungelösten Probleme

Von der Rechtschreibreform bleiben hauptsächlich folgende Teile erhalten, weil der Rat für deutsche Rechtschreibung sie entweder nicht korrigieren wollte oder wegen der Termin- und Themenvorgaben der Kultusministerkonferenz nicht korrigieren durfte:

1. die „Etymogeleien“, die auf den Reformer Gerhard Augst zurückgehen: behände, Stängel, Gämse, Zierrat, belämmert, gräulich, einbläuen, aufwändig, Tollpatsch u. a. Ferner: rau, platzieren, deplatziert, nummerieren u. a.

2. die Dreibuchstabenregel: helllicht, Brennnessel, Nussschokolade usw.

3. die Heysesche s-Schreibung: Messergebnis usw.; sie ist trotz ihrer Fehlerträchtigkeit so sehr zum Symbol der Reform geworden, daß sie schon aus Prestigegründen nicht angetastet werden soll.

4. die Fremdwortschreibung: Mopp, Stepp, Stopp und Tipp. (Weitere wie Topp, Shopp, Popp, Stripp, Chatt usw. wurden im letzten Bericht der Kommission ausdrücklich als „möglicher Handlungsbedarf für die Zukunft“ bezeichnet.) Ferner: Grislibär, Hämorriden, Schikoree, Kommunikee u. a. (aber weiterhin nur Attaché u. a.). Den Thunfisch kann man auch Tunfisch schreiben (was so wenig angebahnt war wie die Spagetti), die Thuja aber nicht Tuja. Unerhört schwierig ist die neue Regel zur Großschreibung in mehrgliedrigen Fremdwörtern: Herpes Zoster, Ultima Ratio, Commedia dell’Arte, Café au Lait, aber, wenn man den neuesten Wörterbüchern glauben kann, weiterhin Café crème, L’art pour l’art u. v. a. Ungelöst ist die Getrennt-, Zusammen- und Bindestrichschreibung: Big Band, Smalltalk, Sitin usw.

5. Im sogenannten Überlappungsbereich von Groß- und Kleinschreibung sowie Getrennt- und Zusammenschreibung hinterläßt der Rat ein großes Durcheinander. Man schreibt eislaufen klein und zusammen, aber Rad fahren groß und getrennt (aber radfahrend auch zusammen), weiterkommen zusammen, aber näher kommen getrennt /(wenn übertragen gebraucht), eine Handbreit, aber auch zwei Hand voll, zum Teil, aber zurzeit, die beiden, aber die Einzigen. Aus gut tun, leid tun, not tun, leid sein, not sein machte die Reform gut tun, Leid tun, Not tun, leid sein, Not sein. Der Rat ändert in gut tun, nottun, leidtun, leid sein, not sein.

6. Die Großschreibung der Tageszeiten wird nicht korrigiert: gestern Abend. Erhalten bleiben auch das grammatisch ebenso falsche Diät leben sowie als Variante Recht haben. Gewohnte und regelhafte Schreibweisen wie pleite gehen und bankrott gehen bleiben verboten.

7. Die archaisierenden Großschreibungen im Allgemeinen, des Öfteren, im Voraus, Letzerer, jeder Einzelne werden nicht zurückgenommen, sondern noch ausgebaut (seit Langem, bei Weitem usw.). Die Einzelheiten wie in Sonderheit (nur so!), zu Schulden (auch so) oder vonnöten (nur so) lassen sich nicht vorhersagen. Herkömmliches von seiten bleibt verboten (vonseiten/von Seiten).

8. Die Nichttrennung von ck (Da-ckel) bleibt, obwohl sie gegen das Prinzip der Trennung nach Sprechsilben und gegen § 3 verstößt. Die nichtmorphologische Trennung der Fremdwörter bleibt zulässig: Diag-nose, Transk-ription.

9. Die Verwendung des Bindestrichs ist weiterhin unklar und widersprüchlich (das 8-Fache); dasselbe gilt für den Apostroph (Uschi’s Blumenladen).

10. Viele Einzelfragen bleiben im Regelwerk unbeantwortet oder werden erst im – vom Rat nicht mehr beschlossenen – Wörterverzeichnis beantwortet: Handvoll/Hand voll, Handbreit/Hand breit (neu eingefügt!), Zeitlang/Zeit lang, hier zu Lande, Vabanque spielen, jedes Mal, unter der Hand u. a. Letzten Endes muß man auf die Wörterbücher warten, auf die der Rat keinen Einfluß mehr hat.


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