15.02.2006


Theodor Ickler

Aus dem Leben eines Rechtschreibrates III

Oktober 2005

Anmerkungen zur Sitzung vom 28. 10. 2005, Mannheim 11–15 Uhr:

Es fehlen entschuldigt: Sitta, Zilk, Fürstner, Pörksen, Müller, Blüml, Jacoby, Siegel.

Zehetmair teilt mit, daß Stoiber, Rüttgers und auch Wulff dem Rat folgen wollen.

Banse beruft sich gegen die neuen Vorlagen der AG auf die Voten der Mitglieder vom Dezember 2004 – allerdings waren damals DASD und PEN noch nicht im Rat, und überhaupt scheint sich kaum noch jemand daran zu erinnern, was er damals gesagt hat. Zur Silbentrennung wird teils die Vorlage der AG, teils die Alternativvorlage Banse/Steiner diskutiert.

Eisenberg ist zwar auch gegen die Nichttrennung von ck, findet aber die wenn auch falsche Analogie zu ch auch ganz einleuchtend. Güthert weist aufgrund ihrer Dissertation die Behauptung zurück, die Trennung k-k sei erst durch Duden zur Norm geworden; vielmehr jahrhundertelange Anbahnung. Außer Ossner und mir legt sich niemand für k-k ins Zeug.

Hoberg will nichts von Akzeptanzbefunden hören, erklärt wie seit je „99,9 Prozent“ (Originalton) der Bevölkerung für doof (nicht Originalton, aber gemeint). Schimpft ja auch in Vorträgen seit Jahrzehnten über die Unwissenheit der Leute.

Die Abtrennung einzelner Buchstaben wurde mit großer Mehrheit (28:7) zurückgenommen, die Nichttrennung von ck mit noch größerer Mehrheit (30:3) beibehalten. Die Diskussion in diesem Falle verlief völlig hoffnungslos. Die Blockierer hatten keine ernstzunehmenden Argumente, waren auch völlig unempfindlich gegen den Widerspruch zu § 3 und damit zur Trennung nach Sprechsilben. Man stimmt kurzschrittig von Satz zu Satz ab, immer nach Gusto (oder vom Auftraggeber erteilter Anweisung), die Systematik gerät aus dem Blick. Angeblich nutzt die Nichttrennung den Schülern. Immerhin wird ein großer Klumpen von Trennungen wie Dusche-cke nun schon beseitigt, es bleiben der ärgerliche Da-ckel usw.

Hoberg findet die Varianten immer gut, daher auch die gelockerte Zeichensetzung. Besch nimmt Anstoß an der alten Dudennorm zu „Gesamtbegriffen“ usw. (dunkles (,) bayerisches Bier), will zur rhetorischen Kommasetzung zurück. Dagegen weist Eisenberg auf die Syntaktisierung des Kommas hin. Ich stelle die Folgen in Schul- und Kinderbüchern dar. Banse bestätigt die Rückentwicklung. Gallmanns Papier wird eingearbeitet, es geht ziemlich durcheinander, aber die Hauptsache ist, daß alle die frühere Kommasetzung weitgehend wiederherstellen wollen.

Schrodt fragt wieder einmal, was wir von der herkömmlichen Rechtschreibung heute noch brauchen, verschiebt die Beweislast auf diejenigen, die den Usus nicht ändern wollen. Eisenberg weist das streng zurück. Adelung als Vorbild: Was man nicht versteht, soll man nicht ändern wollen.

Lindauer hält, wie die Reformer, die Aneinanderreihung von Hauptsätzen für eine „Aufzählung“. Ich widerspreche; die Bibel ist keine Aufzählung von Sätzen usw. Eine Aufzählung häuft an, ein Text schreitet voran.

Das Heysesche ss soll auf einer Plenarsitzung diskutiert werden (noch keine AG zur Laut-Buchstaben-Entsprechung). Ich sehe jedoch voraus, daß auch hier keinerlei Änderungsbereitschaft besteht. Die Schüler kommen mit dem ss problemlos zurecht, das ist das einzige Argument. Untersuchungen gibt es natürlich nicht. Als ich feststellte, daß wir keine Schulorthographie, sondern eine Orthographie für Qualitätstexte zu machen hätten, höhnten einige Mitglieder gleich wieder, als hätte ich kein Herz für Kinder. Dabei hatte Zehetmair bereits vor Monaten dasselbe gesagt: nicht nur für die Schule, sondern für die ganze Sprachgemeinschaft arbeiteten wir. Außerdem bin ich der einzige im Rat, der eine veritable Schulorthographie gemacht hat – das „einfache“ Regelwerk im ersten Teil meines Wörterbuchs. Eckinger gibt sich wieder einmal als Fürsprecher der Schüler und Lehrer, von denen er angeblich genau weiß, was sie wünschen.
Der Rat ist auch deshalb so unberechenbar, weil mindestens 12 Mitglieder niemals den Mund aufmachen und man deshalb nicht weiß, wie sie abstimmen werden. Zilk habe ich noch nie gesehen, weil er seit der konstituierenden Sitzung nie wieder aufgetaucht ist. Die Geschäftsführerin hat sich gebessert, führt sich nicht mehr als Dienstleisterin der KMK auf, sondern arbeitet jetzt wirklich für den Rat. Zehetmair hat wohl mit ihr über Loyalitäten gesprochen.

Manche wollten auch keine AG zur GKS; das sei nicht dringlich. Der Vorsitzende ließ sich aber nicht beirren. Das ist überhaupt der größte Erfolg der Oktobersitzung: Die Behauptung der Kultusminister, daß hier vom Rat keine Änderungswünsche zu erwarten seien, wurde als Täuschungsversuch entlarvt und zurückgewiesen. Der Rat bestimmt seine Tagesordnung selbst.

Die AG zu GKS wird kurzerhand beschlossen, Eichinger, der automatisch alle AGs leitet (soll mir recht sein, auch wenn es ein Rüchlein hat), bittet mich, möglichst bald eine Vorlage zu erstellen.

Als noch anzuhörende „Verbände“ will Zehetmair anscheinend auch solche vorschlagen, die bereits im Rat sitzen, also GEW, PEN usw. Sonderbar, aber der Schlußtumult läßt keine Erörterung mehr zu. Die Zeit war schon überzogen, und draußen wartete die Presse.

Vor der Sitzung brachte dpa wieder einmal einen ziemlich fehlerhaften, KMK-hörigen Artikel von Bernd Glebe. Die Wirklichkeit hat ihn überholt, so daß eine Widerlegung nicht nötig scheint. Frau Burchards Artikel im Tagesspiegel war nützlich, viele wußten davon oder hatten ihn gelesen. (Das Gespräch mit mir hat es aber nicht gegeben, weil ich am Donnerstag unerreichbar war; Burchard hatte jedoch Schriftliches von mir bekommen und verwendet.)

Die nächsten Ratssitzungen sind am 25.November, 3. Februar und 24. März.



Nachtrag 31.10.2005: Mehrere Mitglieder protestieren gegen die formlose Einsetzung der AG (Schrodt, Steiner, Gebele, Tangermann als erste). Zehetmair dürfte in Bedrängnis geraten, denn sie haben recht.


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