08.02.2006


Theodor Ickler

Die Voten

Zu den Ergebnissen der „Anhörung“

Um mehr Öffentlichkeit herzustellen, fasse ich die Ergebnisse der „Anhörung“ zusammen und erläutere sie zugleich ein wenig.

Anhörung der Verbände zu den Vorlagen des Rates für deutsche Rechtschreibung (Januar 2006)


Voten aus Deutschland:

Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen (Jürgen Hein, dpa, zugleich Ratsmitglied):
Die Agenturen haben keine Bedenken, nur die Schweizerische Depeschenagentur, die ein eigenes Votum einreicht (s. u.).

(Die aktive Rolle der Deutschen Presse-Agentur bei der Durchsetzung der Reform ist in meinem Buch „Regelungsgewalt“ dokumentiert.)

Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen e. V. (Vorsitzender Klaus Willberg):
Überwiegend Zustimmung gemäß einer Umfrage unter den Mitgliedsverlagen. Erwünscht sind „lange, schleichende Übergangsfristen“, in denen die Jugendbücher nicht als unkorrekt gelten.

(Vgl.: „Klaus Willberg, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen, appelliert in einem Brandbrief an die zuständigen Politiker, die Reform beizubehalten: Die Verlage hätten 'im Vertrauen auf die Verlässlichkeit der Beschlüsse' ihr gesamtes Programm auf die neue Rechtschreibung umgestellt. Eine Rückumstellung würde Kosten verursachen, die 'vor allem klein- und mittelständische Kinder- und Jugendbuchverlage so belasten, dass ihre Substanz ernsthaft gefährdet wäre'.“ FOCUS, 16. 8. 2004)

Bibliographisches Institut Brockhaus (Matthias Wermke, zugleich Ratsmitglied):
Die Dudenredaktion befürwortet den Kompromiß.
„Gleichwohl stellt sie fest, dass dieser Kompromiss eine Abkehr vom ursprünglichen Anliegen des neuen amtlichen Regelwerkes darstellt, wonach alle Schreibungen von einfachen Regeln ableitbar sein sollen.“
Wünscht deutliche Erweiterung des amtlichen Wörterverzeichnisses.

Börsenverein des deutschen Buchhandels (Edmund Jacoby, zugleich Ratsmitglied):
Hat die Vorlagen bei der Jahresversammlung der Publikumsverlage vorgestellt.
„Als weitgehende Wiederherstellung gewohnter Schreibweisen und Schritt zum Rechtschreibfrieden wurden die Vorschläge des Rats einmütig und lebhaft begrüßt.“

(Daraus geht hervor, daß weitere Schritte gewünscht werden und die Zustimmung gerade dem Rückbau gilt. Jacoby hatte sich schon früher verhältnismäßig gründlich auf die inhaltlichen Probleme eingelassen.)

Bundeselternrat (Vorsitzender Wilfried W. Steinert):
„Da die Sprache ein lebendiger Prozess ist, haben wir die Einrichtung des Rats für deutsche Rechtschreibung begrüßt. Dieser kann diese Entwicklung begleiten und steuern.“
„Die vorgelegten Empfehlungen lassen erkennen, dass der Rat mit Sorgfalt und Zurückhaltung das Regelwerk von 2004 weiterentwickelt.“
„Das Offenhalten der Alternativen kann dazu beitragen, dass die Rechtschreibung sich weiterentwickeln kann.“

(Der Rat hat das Regelwerk nicht weiterentwickelt, sondern repariert. Die Stellungnahme des Bundeselternrates sind so abgefaßt, daß dazu keinerlei Beschäftigung mit der Vorlage erforderlich wäre.)

Deutscher Elternverein (Ulrich Kliegis):
17 Seiten umfassende sehr kritische Analyse der Vorlage und der gesamten Situation. Begrüßt die Korrekturen und fordert weitere. „Der Deutsche Elternverein bittet den Vorsitzenden des Rates für deutsche Rechtschreibung, seiner besonderen Verantwortung für den Erhalt und die Wiederherstellung der Schriftsprachsicherheit und -fähigkeit der Schülerinnen und Schüler weiterhin gerecht zu werden und die Kultusminister mit größtem Nachdruck aufzufordern, alle Schreibweisen der herkömmlichen Rechtschreibung ab sofort wieder als richtig anzuerkennen, also nicht nur nicht als Fehler zu werten, sondern auch auf Anmerkungen wie ‚überholt' und ähnliches zu verzichten. Die Sprachwirklichkeit in Deutschland folgt nicht den Regeln der „Rechtschreibreform“, sondern dem gewachsenen und sich stetig weiterentwickelnden Sprachgebrauch. Unsere Kinder haben einen Anspruch darauf, die gleiche Rechtschreibung zu lernen, wie sie von der weit überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung benutzt wird. Die Lehrinhalte müssen dem angepaßt werden.“

Fachverband Deutsch im Deutschen Germanistenverband (Fritz Tangermann, zugleich Ratsmitglied und beim Berliner Schulsenat für die Reformdurchsetzung tätig):
Zustimmung (drei Zeilen)

(Tangermann begutachtet nicht nur sein eigenes Werk, sondern in seiner amtlichen Funktion auch sein Gutachten zu seinem Werk.)

Deutscher Journalistenverband/Deutsche Journalisten-Union (Ulrike Kaiser, zugleich Ratsmitglied):
Keine Bedenken (vier Zeilen)

Gesellschaft für deutschen Sprache (Rudolf Hoberg, zugleich Ratsmitglied):
Die GfdS empfiehlt eigentlich, „zurzeit die Regeln der Rechtschreibreform nicht zu verändern“. Stimmt aber dem Kompromiß zu, „damit die Diskussion um die Rechtschreibreform zu einem vernünftigen Abschluss kommen kann“.

(Die Mitglieder der GfdS hatten keine Gelegenheit, sich zu äußern, Hoberg spricht nur seine eigene Meinung aus. Er war Mitglied der Zwischenstaatlichen Kommission und ist Dudenautor. Näheres über den GfdS-Vorstand in meinem Buch „Regelungsgewalt“.)

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (Marianne Demmer):
Tritt für die usprüngliche Reform ein, sieht in der Vorlage keine Verbesserungen.
„Bereits jetzt können wir darauf hinweisen, dass wir der Kultusministerkonferenz empfehlen werden, Vorschlägen des Rates für deutsche Rechtschreibung nur dann zuzustimmen, wenn vorher von Seiten der maßgeblichen Printmedien verbindlich erklärt wurde, den dann vorhandenen vollständigen Regelstand (also auch die geänderte s-Schreibung) zu übernehmen. (...) Sollten einflussreiche Medien bei ihrem Sonderweg bleiben oder eine neuerliche Umstellung verweigern, werden GEW und DGB der KMK davon abraten, den Empfehlungen des Rates zu folgen.“

(Die GEW war schon immer dafür, die ungemein fehlerhafte Neuregelung von 1996 unverändert durchzusetzen; Demmer hat auch 1998 vor dem BVerfG uneingeschränkt zugestimmt.)

Goethe-Institut (Stellv. Generalsekretär Wolfgang Bader):
Vorsichtig kritisch zu einzelnen Unterregeln wie „schwimmt Brust“, „läuft eis“ usw.
Silbentrennung wird gebilligt.

P.E.N.-Zentrum Deutschland (Johano Strasser, im Rat vertreten durch Theodor Ickler):
Detaillierte Kritik an den einzelnen Paragraphen. Fazit:
„Trotz richtiger Ansätze in einigen Bereichen ist die Überarbeitung der Reformorthographie im gegenwärtigen Zustand nicht annehmbar. Der Rat sollte ohne Zeitdruck weitergehende Korrekturen erarbeiten, die außerdem auch die Laut-Buchstaben-Entsprechungen, die Bindestrichregelung und vor allem die Groß- und Kleinschreibung umfassen müssen.“

Symposion Deutschdidaktik (M. Böhnisch, Jakob Ossner, letzterer zugleich Ratsmitglied):
Böhnisch sehr kritisch: Einleitung zu GZS sei tautologisch, wenig erhellend, einzelne Bereiche terminologisch überfrachtet, keine Vereinfachung usw. Es gehe weiterhin nicht ohne Nachschlagen im Wörterbuch.
Ossner gibt im eigenen Namen sehr kritische Stellungnahme ab, bedauert, daß dem besseren Vorschlag der Arbeitsgruppe nicht gefolgt wurde.

Union der Akademien der Wissenschaften (Gerhard Gottschalk):
Befürwortet Vorlagen aufgrund des Berichtes und der Empfehlung von Ratsmitglied Werner Besch.

VdS Bildungsmedien (Michael Banse, zugleich Ratsmitglied):
Zustimmung (zwei Zeilen)

Verband Bildung und Erziehung (Ludwig Eckinger, zugleich Ratsmitglied):
„Damit keine Irritation entsteht, weise ich Sie (...) darauf hin, dass die Briefkastenfirma „DL“ in der Person von Herrn Kraus sich im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ offensichtlich ohne Legitimation, also privat, geäußert hat.“
(DL = Deutscher Lehrerverband)
Geht auf Einzelheiten ein und empfiehlt vielfach eine konservative Lösung: Grundsätzlich Zusammenschreibung bei Verbzusätzen, gegen Varianten, strengere Kommasetzung und Silbentrennung, immer k-k. (Dieser Teil des Textes stammt aber möglicherweise gar nicht von Eckinger selbst.)
In die Stellungnahme sind verschiedene kurze Texte unbestimmbarer Herkunft eingefügt, anscheinend Zuschriften von Teilverbänden. Sie wenden sich gegen Komplizierungen und Subtilitäten. Die unredigierten Zuschriften sind zum Teil in eher privatem Ton abgefaßt, z. B. dieser Text ohne erkennbaren Absender:
„Deinem Wunsche folgend habe ich das umfangreiche Papier durchgelesen und mit meiner Frau (sie ist Logopädin!) besprochen. Unsere Kritik bezieht sich weniger auf einzelne Paragraphen als auf den Ansatz. Diese Haarspalterei semantischer Unterschiede scheint mir völlig an der großen Mehrheit der breiten Bevölkerung vorbeizugehen. (...) Erkennst du den Bedeutungsunterschied zwischen schwerwiegenderer Vorfall und schwerer wiegender Vorfall. Welchem Schüler soll man solch eine Unterscheidung noch vermitteln (können)?“
Ein anderer, ebenfalls ungenannter Verfasser schreibt:
„Nach Durcharbeitung der Vorschläge teile ich Dir meine Einschätzung mit. Das Nebeneinander von Schreibweisen sollte nicht möglich sein.“

Verleger-Ausschuss Börsenverein des deutschen Buchhandels (Gudrun Bolduan, Geschäftsführerin):
Begrüßt die Vorlage. (Dreieinhalb Zeilen)

Wissen Media Verlag (Bertelsmann, Beate Varnhorn, im Rat vertreten durch Sabine Krome):
Die Vorschläge seien stringenter, zugleich näher am Usus und in den Wörterbüchern des Verlags gut umsetzbar. Semantisches Prinzip, Sinnerfassung wird verstärkt. Kritisch wird die Vermehrung der Varianten gesehen. Dokumentation aller Varianten wird empfohlen, Wahrig will mithelfen.

(Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat nicht Stellung genommen, weil sie nicht dazu aufgefordert worden ist. Ihre beiden Vertreter im Rat, Peter Eisenberg und Uwe Pörksen, wollen die Reform unbedingt retten.)


Voten aus der Schweiz:

Bund für vereinfachte rechtschreibung (Rolf Landolt):
Lehnt den Rat ab, die Zwischenstaatliche Kommission war ihm lieber. Totale Ablehnung der Vorlagen.

(Landolts Verein macht den Eindruck eines Ein-Mann-Unternehmens, vgl. die Internetseite; was die anderen Mitglieder zur Rechtschreibreform meinen, war nie feststellbar.)

Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (Anton Strittmatter):
Vollständig ablehnend aufgrund umfangreicher Auseinandersetzung (über sieben Seiten). Auch gegen die Bevormundung durch die deutsche Seite wehrt sich der Verband.

Erziehungsdepartement des Kantons St. Gallen (Werner Stauffacher):
Die Überarbeitung sei eine Verbesserung, eine Untervernehmlassung aber wegen der kurzen Frist nicht möglich gewesen, daher nur interne Departementsmeinung.
Schwerverständlichkeit des Regelwerks wird bemängelt.

Erziehungsdirektion des Kantons St. Gallen (Beat Mayer):
Mayer stellt in seinem kurzen Brief an Christian Schmid („Lieber Christian“) fest, daß die Regelformulierung „unheimlich kompliziert“ und die Frist zu kurz sei. Stärkere Anlehnung an den Sprachgebrauch wird begrüßt.

Roman Looser (Ratsmitglied):
Looser wundert sich selbst, daß er – übrigens als einzige Einzelperson – zur Stellungnahme zu seinem eigenen Werk aufgefordert worden sei, bekennt auch eine gewisse Befangenheit. Wehrt sich gegen die Forderung der Reformgegner, „die Rechtschreibung habe in erster Linie den Lesenden zu dienen“. Bedauert das Aufgeben von Positionen des „bewährten Regelwerks von 2004“.

(Das ist seltsam, denn wann und wo hätte sich das Regelwerk von 2004 bewährt, wo es doch noch in keinem Wörterbuch und keinem Schulbuch umgesetzt worden ist, geschweige denn, daß die Lehrer davon Kenntnis genommen hätten!)
Findet „v. a.“ die Nichttrennung von ck „sinnvoll“.

Schweizerische Depeschenagentur (Peter Müller u. a.):
Mit Abstand detaillierteste Auseinandersetzung mit den Empfehlungen (s. Internetveröffentlichung).
Fazit: Verbesserung, aber unzureichend, es wird sprachwissenschaftliche Überprüfung ohne Zeitdruck gefordert.

Sprachkreis Deutsch (Peter Zbinden, Stefan Stirnemann):
Kurze, aber mit konkreten Beispielen argumentierende Kritik der Vorlage. Der Sprachkreis weist die Empfehlungen zurück und fordert eine unabhängige sprachwissenschaftliche Prüfung ohne Zeitdruck.

Schweizerische Bundesverwaltung (Werner Hauck, zugleich Ratsmitglied):
Allgemeine Zustimmung, die auch von der Konferenz der Staatsschreiber zu erwarten ist. Jedoch sollten auch die als „unstrittig“ bezeichneten Bereiche die notwendigen Änderungen vorgenommen werden.


Voten aus Österreich:

Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kunst (Kurt Scholz, zugleich Ratsmitglied):
Am 16. Januar hat eine Anhörung stattgefunden. Keine Einwände seitens der Eltern- und Lehrervertreter. Die neuen Regelungen sollten für einen längeren Zeitraum gelten, daher solle nur ein Gesamtpaket vorgelegt werden. Im Hinblick auf die Uneinigkeit der Linguisten sollten Fehler bei GZS und GKS nicht zum Nachteil der Schüler ausgelegt werden.
„Bei jenen Vorschlägen zur Groß- und Kleinschreibung, die noch nicht vom Gesamtrat akkordiert sind, solle die 'zweitbeste Lösung' (nach der generellen Kleinschreibung der Substantive) durch Einzelfallregelungen nicht allzu sehr aufgeweicht werden. Die Stärkung des Prinzips der Großschreibung aller substantivisch empfundenen Wörter (wie etwa 'Gut und Böse') wird begrüßt, doch solle es hier nicht wieder Ausnahmefälle (etwa vom Typ 'sie hat recht') geben.“
„Dafür traten die Vertreterinnen und Vertreter der Eltern und Lehrerinnen und Lehrer ganz deutlich ein.“
„Das gesamte Anhörungsverfahren fand in einer dankenswert konstruktiven Stimmung statt.“

(Leider erfährt man nicht, wer angehört wurde.)


Andere Voten:

Schulamt des Fürstentums Liechtenstein (Guido Wolfinger):
Kritisiert Termindruck. Umsetzung in den Wörterbüchern noch nicht erkennbar. Unschärfen und Komplizierheit werden bemängelt. Für einfache, schülerfreundliche Regeln, gegen Sonderregeln bei „kennenlernen“ usw.

Amt für Sprachangelegenheiten der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol (Peter Höllrigl):
Für Annahme der Empfehlungen. Orientierung an Semantik wird begrüßt. Verunsicherung der Schüler soll ein Ende haben.


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