07.12.2005


Theodor Ickler

Sondervotum

Bedenken zur revidierten GZS

Mein Sondervotum zur GZS müßte schon im Netz stehen.
Ich weiß aber selbst nicht mehr, wo. Nun, hier ist es noch einmal, allerdings ohne Kursivierungen.



Sondervotum
zur revidierten Fassung der Getrennt- und Zusammenschreibung


Vorbemerkung:

Obwohl ich der Neufassung von § 34 wegen ihrer begrüßenswerten allgemeinen Tendenz (Orientierung am Sprachgebrauch, daher weitgehende Rückkehr zur gleichen Schreibweise wie vor der Reform) zugestimmt habe, sind in Einzelheiten wie im Grundsätzlichen zahlreiche Bedenken geblieben, die ich – wie bereits vor der Abstimmung angekündigt – im folgenden darstellen möchte. Eine dauerhafte und von der ganzen Sprachgemeinschaft, auch von anspruchsvolleren Bevölkerungsgruppen akzeptierte Regelung muß sorgfältig durchdacht sein.


Zum Vorspann:

Die Neufassung setzt sich wie schon die Neuregelung 1996 über die linguistischen Bedenken hinweg, die einer Reduzierung der Getrennt- und Zusammenschreibung auf den Gegensatz von Wortgruppe und Zusammensetzung entgegenstehen. Der Duden von 1991 hatte diesen Fehler weitgehend vermieden.

Zu § 33:

Unter E sind untrennbare Verben wie danksagen (er danksagt), gewährleisten (sie gewährleistet), staubsaugen (du staubsaugst), also echte Verbkomposita, zu denen es die Alternativen Dank sagen (er sagt Dank) usw. gibt, vermischt mit den völlig anders gebauten „Zusammensetzungen“ (= Zusammenschreibungen!) brustschwimmen, marathonlaufen usw. (wobei marathonlaufen neu erfunden ist). Aus der jetzigen Fassung muß man schließen, daß zum zusammengeschriebenen Verbgefüge delfinschwimmen (von den reformierten Wörterbüchern neu erfunden) bei entsprechender Stellung die finite Form er schwimmt Delfin und bei Kontaktstellung wahlweise daß er delfinschwimmt und daß er Delfin schwimmt gehören. Der Unterschied ist nur einer der Schreibweise, kein syntaktischer, wie behauptet. Ich hatte auf diesen Konstruktionsfehler bereits mündlich und schriftlich hingewiesen, konnte mich aber offenbar nicht verständlich machen.

Halbzusammensetzungen notlanden usw. wären ebenfalls noch zu erwähnen, wegen er notlandet, aber notgelandet, notzulanden – durchaus orthographisch relevant.

Zu § 34:

E1: Es fehlen Ausführungen zu den Doppelpartikelverben; oder sollen etwa wiederaufbauen, wiederherrichten usw. nur noch getrennt geschrieben werden?

Aus der Formulierung von E2 muß man folgern, daß Verbindungen mit darin (welche noch?) wie schon 1996 erst dann zusammengeschrieben werden, wenn das Pronominaladverb synkopiert ist: darin sitzen, aber drinsitzen. Falls dies nicht nur ein redaktionelles Versehen sein sollte, ist es abzulehnen.

E2 und E3 sind auch regeltechnisch ungeschickt, da sie den Leser über grammatische Sachverhalte aufklären, statt diese vorauszusetzen und nur die gesuchte Schreibweise zu vermitteln.

Zusammenzuschreiben sind Partikeln, die „die Merkmale von frei vorkommenden Wörtern verloren haben“. Es wird nicht erklärt, was damit gemeint ist. Aus den Beispielen geht es auch nicht hervor. Welche Merkmale haben bevor, entzwei oder inne einst besessen und nun verloren? Oder sollte gemeint sein, daß diese Elemente eben nur als Bestandteile von Zusammensetzungen vorkommen? Das wäre tautologisch und nutzlos.

Übrigens wurde abhanden kommen nach bisheriger Dudennorm nur getrennt geschrieben; das sollte zumindest nicht ausgeschlossen werden. In überhandnehmen wiederum steckt eigentlich ein Substantiv, so daß es eher zu (3) zu stellen wäre. (Wenn man denn schon auf ursprüngliche Wortarten Bezug nimmt, gerät man ins Sprachgeschichtliche und muß korrekt bleiben, es sei denn, man verschreibt sich der Augstschen Doktrin der „synchronen etymologischen Kompetenz“, also Laienlinguistik.)

E4: Bekanntlich sind feil, irre und in Grenzen auch kund und wett ('quitt') sehr wohl der Wortart Adjektiv zuzuordnen. Die 1996 verordnete Neuschreibung daß er irrewird bzw. irrwird (Duden 2004) kann m. E. nicht verpflichtend vorgeschrieben werden. Die Erwähnung von weis-, wett- und preis- ist überflüssig, da diese jeweils nur mit einem einzigen Verb zusammengefügt werden: weismachen, wettmachen, preisgeben; das gehört ausschließlich ins Wörterbuch.

Nach (2.1) wäre bereitlegen wohl fakultativ zusammenzuschreiben, aber wie steht es mit bereit+liegen, das nicht „resultativ“ gedeutet werden kann?

Beobachter haben gefragt, wozu der Begriff des „resultativen Prädikativs“ gut sein soll, der offenbar nur hier vorkommt. Die Rechtschreibregelung sollte nicht mit Bruchstücken grammatischer Theorie um ihrer selbst willen befrachtet werden.

(2.2): Die Vorschrift, Verbindungen wie krankschreiben, kaltstellen usw. bei einer idiomatischen Gesamtbedeutung zusammenzuschreiben, ist weder deskriptiv angemessen noch sinnvoll. Bei fakultativer Geltung würde auch die Ausnahmeregelung E5 entfallen, die ohnehin die Vorschrift entwertet. Hier ist entgegen der Dudennorm schon früher unterschiedlich geschrieben worden, und man kann das weiterhin der Sprachgemeinschaft überlassen. Es ist schlechterdings niemandem zuzumuten, über den Idiomatisierungsgrad von krankschreiben, krank melden und krankfeiern nachzusinnen. (Ich habe hier jeweils die in Zeitungen statistisch überwiegende Schreibweise angeführt, die jeweils andere ist aber auch nicht selten; dabei wäre noch nach finiten und infiniten Formen zu differenzieren.) Außerdem ist die Bedingung der Idiomatisiertheit fragwürdig, weil die betreffenden Zusätze durchaus offene Reihen bilden können. Das Hauptproblem liegt aber darin, daß die „nichtidiomatisierte“ Gesamtbedeutung ohnehin eine Illusion ist, die auf dem logizistischen Dogma von der Kompositionalität der Bedeutung komplexer Ausdrücke beruht. So streng fixiert ist die Bedeutung von schreiben und von krank nicht, daß sich daraus die eine buchstäbliche Bedeutung nach dem „Frege-Prinzip“ gleichsam errechnen und die andere, idiomatische, als abweichend erkennen ließe. Diese Überlegung gilt natürlich auch für viele andere Verbindungen, bei denen die Reform Neuschreibungen verordnet hatte: offen legen usw. - es dürfte schwerfallen, hier mit Hilfe der Revision zu einer Entscheidung zu kommen.

Der neuen Darstellung ist weiterhin nicht zu entnehmen, ob es für großschreiben/groß schreiben usw. tatsächlich bei der reformbedingten Umkehrung der bisherigen Norm bleiben soll. Die Zusammenstellung bereit erklären, klein beigeben macht den Leser stutzig, weil die beiden Gebilde erstens ganz verschieden gebaut sind (klein beigeben gehört überhaupt nicht hierher) und zweitens weder ein morphologisch komplexes noch ein erweitertes Adjektiv enthalten; daß sich die Beispiele möglicherweise nicht unter die Klausel „insbesondere“ fügen sollen, erschließt sich erst nach mehrmaligem Lesen. Die gesamte Regel lautet in der Vorlage:

„(2) Zusammensetzungen mit einem adjektivischen ersten Bestandteil. Dabei sind folgende Fälle zu unterscheiden (...) In den anderen Fällen wird getrennt geschrieben. Dazu zählen insbesondere Verbindungen mit morphologisch komplexen oder erweiterten Adjektiven, zum Beispiel:
bewusstlos schlagen, ultramarinblau streichen, ganz nahe kommen, bereit erklären, klein beigeben“

Man muß das fast zwangsläufig so lesen, als handele es sich auch bei den Beispielen um „Zusammensetzungen“, nur eben um andere Fälle als die zuvor genannten.

Fraglich ist auch, ob selbst bei den Resultativzusätzen, die angeführt sind, die morphologische Komplexität das entscheidende Kriterium ist, vgl. ?orangestreichen. Außerdem leuchtet nicht ein, daß bereit erklären anders behandelt werden soll als krankschreiben.

Die leider immer noch nicht beseitigte Verkennung der Bestandteile leid und not als Substantive (!) unter (3) sollte in einem sprachwissenschaftlich seriösen Werk keinen Platz finden. Die Verbannung des herkömmlichen leid tun ist völlig willkürlich und strikt abzulehnen. Zusammenschreibung kann allenfalls zugelassen werden, auch wenn sich die schweizerische EDK in ihrer Stellungnahme zum vierten Bericht dagegen ausgesprochen hatte. Dasselbe gilt für zusammengeschriebenes nottun, das zwar angebahnt, aber keineswegs schon allgemein verbreitet war.

Das Wüstersche Prinzip „Entweder klein und zusammen oder groß und getrennt“ kommt im ganzen Regelwerk nicht vor – soll es trotzdem gelten? (Vgl. meine Abhandlung „Die verborgenen Regeln“, Fs. Munske 1997.) Es lag schon der Entscheidung des vierten Berichts der aufgelösten Kommission zugrunde, die Kritik an Leid tun usw. unter „Getrennt- und Zusammenschreibung“ zu behandeln:
„Die Kritik hat sich besonders an der Getrennt- und damit Großschreibung von Leid tun gemäß § 34 E3(5), auch an der von Bankrott gehen und Pleite gehen entzündet.“
Diese unter GKS noch einmal wiederholte Behauptung ist nicht wahr. Die Kritik hat sich an der Großschreibung und nicht an der Getrenntschreibung entzündet, denn diese war ja das Übliche: leid tun. Die Reformkritiker teilen keineswegs die Voraussetzung, mit der Getrenntschreibung müsse auch Großschreibung einhergehen. Es zeigt sich aber das Bestreben, ausgerechnet die bisher allein normgerechte Schreibweise überhaupt nicht mehr in Erwägung zu ziehen.

Im vierten Bericht findet man die falsche Behauptung, in diät leben liege ein Substantiv vor, weswegen nur noch groß geschrieben werden dürfe, und die groteske Fortsetzung:

„Das trifft auch für Pleite gehen und Bankrott gehen zu, die analog zu Ausdrücken wie Gefahr laufen, Schlange stehen zu betrachten sind.“

Hier ist Kleinschreibung das Richtige, nicht aber etwa Zusammenschreibung – nur deshalb sei dieses Phänomen schon hier erwähnt, obwohl es eigentlich unter die „Groß- und Kleinschreibung“ gehört. Der Beschluß des Rates ist zu nachgiebig gegenüber der fehlerhaften Vorgabe der Kommission. Es muß verhindert werden, daß völlig unübliche Schreibweisen wie pleitegehen (im dritten Bericht der Kommission bereits erwogen), rechthast usw. eingeführt werden. Schaeder wollte schon 1985 nicht einsehen, warum Staub aufwirbeln trotz enger semantischer Bindung nicht zusammengeschrieben wird (Augst, hg., 1985, S. 145). Auf solch abwegiges Räsonieren sind die Neuerungen der Reform zurückzuführen.

Warum kopfstehen und brustschwimmen verschieden zu behandeln sind, dürfte nicht leicht plausibel zu machen sein. Was ist der grammatische (also nicht tautologisch auf die vorgesehene Schreibweise zurückgreifende) Unterschied zwischen achtgeben und Acht geben? Warum wird er nicht genannt, wenn es ihn gibt?

Es ist zu bedauern, daß die herkömmliche Zusammenschreibung von spazierengehen usw. nicht als sinnvolle Möglichkeit vorgesehen wird, obwohl die strukturellen Unterschiede zu schwimmen gehen auf der Hand liegen und auch im Rat zur Sprache gekommen sind.

laufen lernen, arbeiten kommen, baden gehen, lesen üben – hier sind wieder höchst unterschiedliche Gebilde unter dem Titel „Verbindungen aus zwei Verben“ zusammengezwungen, so daß an der Ernsthaftigkeit des ganzen Unternehmens Zweifel aufkommen könnten. Wer sich die Mühe macht, „resultative Prädikative“ zu unterscheiden, sollte auch im Bereich der Verbkomplexe entsprechende Differenzierung nicht scheuen.

Ferner ist die Beschränkung der fakultativen Zusammenschreibung auf kennenlernen abzulehnen – wo übrigens die nichtübertragene Bedeutung ziemlich fragwürdig ist. Was ist überhaupt der Unterschied zwischen „übertragener Bedeutung“ und „neuer, idiomatisierter Bedeutung“?

E7 ist weit vom Sprachgebrauch entfernt: in Wirklichkeit werden die Positionsverben auch bei wörtlicher Bedeutung sehr oft mit bleiben und lassen zusammengeschrieben. Statt der Tendenz zur Zusammenschreibung weiterhin „entgegenwirken“ zu wollen (wie die Väter der mißglückten Reform es auf ihre Fahne geschrieben hatten), sollte man lieber nach den Ursachen fragen. Punkt (4) wird in seiner rigiden Fassung der tatsächlichen Sprachentwicklung nicht gerecht, sondern kämpft in sinn- und aussichtloser Weise dagegen an.

Zu § 35:

Das künstliche und überflüssige Verbot von Zusammenschreibungen mit sein ist aufzugeben. Es sei daran erinnert, daß das revidierte Wörterverzeichnis vom November 2004 schon wieder die Zusammenschreibungen beisammengewesen und zurückgewesen enthält. Die neuerliche Revision durch den Rat scheint dahinter zurückfallen zu wollen. Der Rechtschreibduden hat zwar kein Stichwort dagewesen mehr, aber alle Dudenwörterbücher verwenden es in ihrer Beschreibungssprache. Es wäre unplausibel und sprachfremd, wenn beisammenbleiben zusammen- und beisammen sein getrennt geschrieben werden müßte. Laut ursprünglicher Fassung wäre das erste eine Zusammensetzung, das zweite eine Wortgruppe. Um diesen allzu offensichtlich auf die Schreibweise gegründeten Zirkelschluß zu vermeiden, ist in der Neufassung nicht mehr von „Zusammensetzung“ die Rede, sondern von „Verbindungen“, aber das ist nur ein Trick, der die grundsätzlich verfehlte Auffassung der Verbzusatzkonstruktionen verschleiern soll.

Es wäre fatal, wenn bloß um der äußeren Form der Neuregelung willen der sinnlose Paragraph 35 beibehalten würde.

Zu § 36:

Vieles ist überflüssig, da es sich eigentlich um Kapitel aus der Wortbildungslehre handelt. Vor der Reform gab es hier überhaupt keine orthographischen Zweifel. Die einzigen Problemfälle sind jahrelang und meterhoch, weil bei solchen valenten Adjektiven (auch nichterwähnten wie wert, vgl. geldwert) semantisch etwas abweichende Wortgruppen möglich sind, übrigens ohne „Artikel, Präpositionen u. Ä.“. Es sind auch eigentlich nicht „Wörter“, sondern Stämme, die als Erstglieder in Zusammensetzungen eingehen: tropfnass, fernsehmüde usw. sind schon aus diesem Grunde nicht als Wortgruppen konstruierbar.

Die Paraphrasenprobe kann nur als heuristisches Hilfsmittel für den Laien angesehen werden und ist insgesamt zu vage. „Paraphrasierbar“ sind auch Wortgruppen, „die entsprechende syntaktische Fügung“ ist ebenfalls zu unbestimmt, denn was heißt „entsprechend“? Es kommt ja nur darauf an, daß das betreffende Kompositum als Wortgruppe nicht analysierbar ist: *ein Angst erfüllter Blick usw. Folglich muß mindestens ein NUR eingeschoben werden. Der Rückgriff auf Paraphrasen ist ein unnötiges Erbstück aus der Fassung von 1996, wo es an derselben Stelle geheißen hatte: „Zusammensetzungen, bei denen der erste Bestandteil für eine Wortgruppe steht“.
Unklar ist weiterhin, was „adjektivisch gebraucht“ bedeutet. Der Begriff „adjektivisch gebraucht“ kommt im Originalregelwerk nur einmal vor, im revidierten zweimal, und im revidierten amtlichen Wörterverzeichnis vom November 2004 wird „adjektivisch“ in diesem Sinne über 90mal vermerkt, um die entsprechende Zahl von wiederhergestellten Zusammenschreibungen zu begründen. Es ist also eine sehr wichtige Neuerung, die unbedingt geklärt werden muß. Der Generalsekretär der KMK teilte am 10.1.2005 brieflich mit, daß es zu den Aufgaben des neuen „Rates für deutsche Rechtschreibung“ gehören werde, den Sinn des Begriffs „adjektivisch“ in der neuformulierten Regel und im Wörterverzeichnis zu klären. Das ist im Rat trotz meiner mehrfachen Bitte bisher nicht geschehen.
Wenn man Gallmann (Dudengrammatik 2005, S. 346) folgt, könnte es scheinen, daß „adjektivisch“ soviel heißt wie „attributiv“. Sonderbar ist allerdings das Beispiel der bellende Hund, *der bellendere Hund. Denn eigentlich ist die gleich darauf behandelte Partizipialform reizend ein Beispiel für adjektivischen Gebrauch, und gerade sie ist steigerbar. Gallmanns Aussage: „Adjektivisch gebrauchte Partizipien können nicht kompariert werden“ ist also unverständlich, denn gerade diese können es. Mit dem „adjektivischen Gebrauch“ kann aber nach Duden 2004 nicht der attributive gemeint sein, sonst wären Einträge wie der folgende unverständlich: „da bist du aber schief gewickelt, auch schiefgewickelt“.
(1.2)
Es gibt viele Belege für selbständig vorkommendes schwerst; überhaupt werden in einzelnen Fällen auch die unflektierten Superlative adverbial (elativisch) gebraucht: Frührehabilitation schwerst hirngeschädigter Patienten (Buchtitel); schwerst und irreversibel geschädigte Menschen (F.A.Z. 12.7.1996); auf schwerst rufschädigende Weise (F.A.Z. 10.10.1996); da das Heck in den bis zu neun Meter hohen Wellen schwerst schlingerte (Nürnberger Nachrichten 26.11.1997); ein schwerst vorgeschädigter Angeklagter (verschiedene Zeitungen am 31.7.1998) Das Problem der Lehre Hahnemanns liegt in ihrer Machbarkeit. Sie ist eine der schwerst zu praktizierenden Medizindisziplinen. (O. Eichelberger: Kent Praktikum. Heidelberg 1984, S. XIII); ähnlich von anderen Adjektiven: die Greueltaten seines Vaterlandes, dessen Politik er heftigst kritisiert hat (F.A.Z. 16.9.1997) . – Die Behauptung des IDS (Stellungnahme vom 10.11.1997 für das Bundesverfassungsgericht), daß „schwerst als selbständiges Wort im Deutschen gar nicht vorkommt“, ist also unrichtig.
Im Fall zeitsparend usw. wird der eigentliche Grund der Zusammenschreibung nicht angegeben, der ein syntaktischer ist und nicht das Fehlen von selbständigem Vorkommen. zeitsparendst ist der Superlativ von zeitsparend und keine Zusammensetzung aus Zeit und sparendst. zeitsparend seinerseits wird gerade durch die gesamthafte Steigerbarkeit als Zusammensetzung erwiesen.
(1.5)
Die Beispielliste enthält wieder sehr heterogene Elemente, neben normalen Determinativkomposita stehen die auf dem zweiten Bestandteil betonten „Volkssuperlative“. Präfixe wie ur- und eigentlich auch die entlehnten Augmentativpräfixe gehören überhaupt nicht hierher, wo es doch um Zusammensetzungen geht. Dasselbe gilt vom heute undurchschaubaren erz-. Ich hatte auf den simplen Fehler hingewiesen, anscheinend vergeblich.
Außerdem sollten die besonders produktiven Elemente hoch-, tief- und wohl- erwähnt werden, weil sich bei deren Verwendung durch die Neuregelung viele Zweifelsfälle ergeben haben: tiefblau usw. Die Zusammensetzungen hatten sich zu einem Hauptproblem der Wörterbücher entwickelt. In den vom IDS erarbeiteten Wortlisten zur Neuregelung, wie sie z. B. den Zeitschriften „Die Woche“ und „Hörzu“ in hohen Auflagen beigelegt waren, sind sie bezeichnenderweise weggelassen. Duden 2004 läßt auch hochempfindlich wieder zu, Wahrig 2005 bestreitet es ausdrücklich, genau im Sinn der neuen Regel, daß nur adjektivisch gebrauchte Partizipien, aber nicht genuine Adjektive mit hoch zusammengeschrieben werden. Das Adjektiv wohlbekannt ist weder bei Duden noch Bertelsmann wiederhergestellt, obwohl die Reformer selbst behaupten: „wohlbekannt wird weiterhin zusammengeschrieben.“ (Augst/Schaeder SZ 14.12.96) Das Kriterium „bedeutungsverstärkend oder bedeutungsmindernd“ trifft nicht auf alle Fälle zu, z. B. nicht auf dunkel und gemein. Das amtliche Wörterverzeichnis enthält kein Beispiel für gemein- (außer gemeinsprachlich, das nicht hierher gehört). lau scheint nur in einer einzigen Zusammensetzung vorzukommen: lauwarm.
(2.1)
Ich hatte während der fünften Ratssitzung darauf hingewiesen, daß es mit der bloßen Wiederzulassung von ratsuchend usw. nicht getan sein kann und daß Steigerung und Erweiterung keineswegs ausreichen, um über die jeweilige Schreibweise zu entscheiden. Stilistische Markiertheit des erweiterten Partizips I und vor allem die syntaktische Fragwürdigkeit des prädikativ gebrauchten Partizips I müssen unbedingt erwähnt werden, sonst kommt es zu Schreibweisen wie eine Besorgnis erregende Erkrankung (Inge Jens/Walter Jens: Frau Thomas Mann. Rowohlt 2003) oder Es klang alles miteinander Furcht erregend (Astrid Lindgren: Rasmus und der Landstreicher. Oetinger 1999). Mit diesem Phänomen hatten die Reformer seit je ihre Schwierigkeiten, wird es doch schon im Reformentwurf von 1992, S. 142 falsch dargestellt. In ihrem Handbuch von 1996 stellten Sitta und Gallmann die Sache noch richtig dar: „Wenn Verbindungen aus Substantiv und Partizip I mit ‹sein› verbunden werden können, so ist das ein Hinweis darauf, dass keine Wortgruppe vorliegt, sondern eine Zusammensetzung: 'die Investition war gewinnbringend'.“
Daß die Kommission das Argument bezüglich des prädikativen Gebrauchs bis zuletzt nicht verstanden hat, zeigt sich an einem grammatischen Schnitzer noch im vierten Kommentar:
„... dass die Umsetzung der Rechtschreibregelung in den Korrekturprogrammen diverser Softwareproduzenten nicht zufrieden stellend (!) sei.“
(Näheres in meinem Krit. Kommentar.)
(2.2) E4
Die „Akzentplatzierung“ (!) höchstpersönlich halte ich für unrealistisch.

§ 37

Dieser Teil beginnt ebenfalls mit einem überflüssigen Kapitel Wortbildungslehre.

„§ 38 und § 39 verbleiben nach Vorschlag des Rats für deutsche Rechtschreibung grundsätzlich in der Fassung von 2004.“
Während der fünften Ratssitzung sagte Peter Eisenberg als führendes Mitglied der Arbeitsgruppe, daß § 38 und § 39 nur deshalb nicht bearbeitet worden seien, weil er sie für zu wirr halte. Sie scheinen der Arbeitsgruppe also irreparabel zu sein. Das würde jedoch eher dafür sprechen, sie völlig aufzugeben, als dafür, sie unkorrigiert in eine Neuregelung der deutschen Rechtschreibung aufzunehmen.
Die Paragraphen § 38 und § 39 enthalten Problematisches; anderes ist übergangen: Was wird aus dem Typ Handvoll, Mundvoll, Zeitlang usw.? Soll das dem Wörterverzeichnis überlassen bleiben? Immerhin war die Aufspaltung ein Vorzeigestück der Neuregelung gewesen. Ist die Sache mit dem Hohe[n]priester usw. eigentlich geklärt? (Der Fall ist 2004 stillschweigend aus dem amtlichen Wörterverzeichnis herausgenommen worden.) Bleibt jedesmal verboten? Wie steht es mit unterderhand, unverrichteterdinge, insonderheit (alle durch die Reform aufgelöst)? Warum wird zurzeit vorgeschrieben, obwohl es in Deutschland nicht üblich war? Warum umso? Warum wird das bisher übliche von seiten für falsch erklärt und durch zwei Neuschreibungen (vonseiten, von Seiten) ersetzt? Warum ist die ganze Gruppe zu Stande, zu Gute usw. so unsystematisch und in allen Einzelheiten unvorhersehbar geregelt? Das amtliche Wörterverzeichnis unterscheidet zwischen stattdessen und statt dessen, aber wie ist das zu interpretieren?

Im einzelnen:
§ 38: „Mehrteilige Adverbien, Konjunktionen, Präpositionen und Pronomen schreibt man zusammen, wenn die Wortart, die Wortform oder die Bedeutung der einzelnen Bestandteile nicht mehr deutlich erkennbar ist.“
Beispiele sind: diesmal, einmal, zweimal, keinmal, manchmal usw.
Hier soll offenbar der Bestandteil mal als nicht mehr deutlich erkennbar gelten. Andererseits wird aber jedesmal in jedes Mal aufgelöst, das (an dieser Stelle besonders verworrene) Wörterverzeichnis behandelt Mal ebenfalls als klar erkennbares Substantiv, und für die Bindestrichschreibung nach Ziffern wird wegen der Beschränkung auf Zusammensetzungen ebenfalls die Erkennbarkeit des Bestandteils mal vorausgesetzt: 8-mal. Dieser Widerspruch muß aufgelöst werden. Die Beseitigung von millionenmal zugunsten von Millionen Mal ist unzulässig, da die Ausdrücke Verschiedenes bedeuten.
Warum sollten die Bestandteile von genauso u. ä. nicht erkennbar sein? Gerade weil sie es sind, herrschen hier seit je Zweifel, die Zusammenschreibung ist konventionell, aber keineswegs fest. Die neue Zusammenschreibung von umso darf nicht alleingültig werden.
Das Wort irgend kann nicht als unerkennbarer Bestandteil angesehen werden, die obligatorische Zusammenschreibung von irgendjemand, irgendetwas ist daher unbegründet. In der Erläuterung und in den Vorbemerkungen zur GZS wird ja zugegeben, daß irgend bei Erweiterungen wie irgend so ein getrennt geschrieben werden muß. Wie wäre das möglich, wenn irgend kein Wort wäre? Und warum hat es als solches keinen Eintrag im amtlichen Wörterverzeichnis? Die Wörterbücher kennen selbstverständlich das Wort irgend und geben an: wenn irgend möglich, wenn du irgend kannst usw. Folglich ist es ein ganz normales Wort und kein unerkennbares Element.
Zu E2(1): Bei stromabwärts und den Strom abwärts kann man nur in einem äußerst oberflächlichen Sinn sagen, daß „ein Bestandteil erweitert“ ist. In Wirklichkeit sind es vollkommen unvergleichbare Gebilde. Das gilt erst recht von ehrenhalber vs. der Ehre halber. Die Zerlegung von Zeitlang ist keinesfalls hinzunehmen.
Der Rest des Paragraphen besteht aus unlernbaren Listen von Einzelfällen, die wegen ihrer Willkür ins Wörterverzeichnis gehören. Das gilt besonders für die z. T. archaisierend wiederbelebten Getrennt- und Großschreibungen: außerstand setzen/außer Stand setzen; außerstande sein/außer Stande sein;imstande sein/im Stande sein; infrage stellen/in Frage stellen; instand setzen/in Stand setzen; zugrunde gehen/zu Grunde gehen; zuleide tun/zu Leide tun; zumute sein/zu Mute sein; zurande kommen/zu Rande kommen;zuschanden machen, werden/zu Schanden machen, werden; zuschulden kommen lassen/zu Schulden kommen lassen; zustande bringen/zu Stande bringen; zutage fördern, treten/zu Tage fördern, treten; zuwege bringen/zu Wege bringen
und für
„(3) Fügungen in präpositionaler Verwendung, zum Beispiel: anstelle/an Stelle; aufgrund/auf Grund; aufseiten/auf Seiten; mithilfe/mit Hilfe; vonseiten/von Seiten; zugunsten/zu Gunsten; zulasten/zu Lasten; zuungunsten/zu Ungunsten“,
die § 39 (3) widersprechen. Die Reihe zugunsten, vonnöten, zuschanden, zuschulden, also die alten Fügungen mit heute teilweise nicht mehr üblichem Plural von Abstrakten, wird ungleich behandelt. Die Reform hat nur Gunsten, Schanden, Schulden reanimiert, nicht Nöten. Nur bei Gunsten gibt es noch zu meinen Gunsten usw., insofern hat dies eine Sonderstellung.
Abschließend ist zur Getrennt- und Zusammenschreibung eine der letzten Äußerungen der Zwischenstaatlichen Kommission in Erinnerung zu rufen: Der „Ergänzende Bericht vom18.05.2004“ schließt mit folgenden Worten:
„[Die Kommission möchte] festhalten, dass die Diskussion in den Jahren seit der Einführung des neuen Regelwerkes und nicht zuletzt auch die Gespräche mit Vertretern der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gezeigt haben, dass der Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung äußerst schwierig in Regeln zu fassen ist, weil sich ständig neue Entwicklungen ergeben. Eine fortlaufende Beobachtung der Sprachentwicklung ist ebenso unerlässlich wie weitere gelegentliche Anpassungen des Regelwerks. In diesem Sinne muss der Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung in ganz besonderer Weise (ähnlich wie die Entwicklung der Fremdwortintegration) sowohl offen als auch außerhalb jeder rigiden Ahndung im schulischen Bereich bleiben. Getrennt- und Zusammenschreibung kann auf Grund seiner [sic!] Komplexität, Kompliziertheit und Offenheit nicht Gegenstand eines eng normierenden schulischen Rechtschreibunterrichts bzw. schulischer Fehlerkorrektur sein.“

Ähnlich auch im vierten Bericht selbst:

„Die in diesem Teilbereich zu treffenden Normierungen haben es mit komplexen Gegebenheiten im Überschneidungsbereich von Grammatik und Semantik zu tun, denen eine orthografische Regelung kaum allseitig gerecht werden kann.“

Nach den Erfahrungen von mehr als hundert Jahren sollte der Staat am besten ganz darauf verzichten, diesen Bereich zu regeln.

Nachbemerkung: Von der Geschäftsführung in den Text hineinpraktizierte Reformschreibungen im Sinne der Neuregelung von 1996 („Akzentplatzierung“, „u. Ä.“) könnten als Präjudiz für die künftige Arbeit des Rates verstanden werden und sind daher nicht hinzunehmen.

Erlangen, den 10.10.2005


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