29.11.2005 Theodor Ickler Flucht ins SubstantivPeter Gallmann plädiert unbeirrt für die gemäßigte Kleinschreibung – oder radikale GroßschreibungGallmann argumentiert in seinem Beitrag Konzepte der Nominalität (1997) ungefähr so:Es ist schwer, die Verbindung heute abend usw. grammatisch zu analysieren. Deshalb soll man sich umsehen, ob es in der Sprache ein frei vorkommendes Lexem der Form /abend/ gibt, dem sich eindeutig eine bestimmte Wortart zuordnen läßt. Dabei stößt man natürlich auf das Substantiv Abend. Per default ordnet Gallmann nun auch das fragliche Wort, das bisher in der Fügung klein geschrieben wurde, dem Lexem Abend zu. Es läuft also auf eine Petitio principii hinaus, die Identifikation mit einem Homonym. Zur Erläuterung führt Gallmann u. a. an: der über das Essen fluchende Patient. Hier sei fluchend adjektivisch flektiert, aber dem verbalen Lexem fluchen zuzuordnen. Nun sind Lexeme und Lexemklassen Abstraktionen oder Konstrukte des Linguisten, real sind nur die Wortformen. In Konstrukte kann man keine Merkmale eintragen, die nicht aus den real vorkommenden Wortformen und ihren syntaktischen Umgebungen abgelesen sind. So auch hier: nur weil fluchend die verbale Rektion zeigt, ist es als Verbform einzuordnen. Gerade deshalb spricht man bei den Partizipien von Verbaladjektiven und eben auch von „Partizip“ (griechisch „metoche“). Sie können vom verbalen Lexem wegdriften und ein eigenständiges neues bilden: reizend, gelaunt usw. Gallmann führt an: Wir treffen uns heute Abend. Der Abend war sehr unterhaltsam. (1997:229) Es müßte ihm auffallen, daß auf den „Abend“ des ersten Satz nicht referiert werden kann: Wir trafen uns gestern Abend. *Er zog sich sehr lange hin. Das gilt auch für ein paralleles Beispiel: Die Leute standen Schlange. Die Schlange wurde immer länger. Aber nicht: *Sie wurde immer länger oder *die immer länger wurde. Der Hinweis, daß es das Substantiv Schlange ebenfalls gibt, ist trivial und ohne Wert. Wie er die „Juxtaposition“ morgen Abend mit der gleichgebauten morgen früh abgleichen will, ist ebenfalls nicht zu erkennen. Im gleichen Aufsatz zeigt sich, daß Gallmann neuschreibliches Pleite gehen, Leid tun usw. offenbar für korrekte Substantivgroßschreibung hält (S. 223f.). (Der ganze Aufsatz geht natürlich wie die Reform überhaupt von der „Substantivgroßschreibung“ aus, womit ein Verständnis des modernen Schreibbrauchs von vornherein verstellt ist.)
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