19.11.2005


Theodor Ickler

Tageszeiten

Aus der Geschichte nicht nur der Forschung

Dieses Teilgebiet der reformierten GKS soll nach Auffassung einiger Ratsmitglieder nicht geändert werden. Deshalb hier noch einmal ein paar Einzelheiten:

Seit dem Kompromißvorschlag der DASD von 2003 ist Peter Eisenberg bereit, die Großschreibung der Tageszeiten hinzunehmen, weil die syntaktischen Verhältnisse in Verbindungen wie heute abend/Abend nicht klar seien (Zur Reform der deutschen Rechtschreibung. Ein Kompromißvorschlag. Wallstein Verlag 2003, 2. durchgesehene Aufl. im selben Jahr). Vier Jahre zuvor hatte Eisenberg aus der Einsicht in die Ungeklärtheit die richtige Folgerung gezogen:

„Die weitaus meisten Änderungen betreffen die Großschreibung der Substantive. Nachdem die sogenannte gemäßigte Kleinschreibung nicht durchsetzbar war, hat man versucht, mit teilweise mechanischen Regelungen zu einfachen Lösungen zu kommen.
Zeitangaben. Begrenzt im Umfang ist die Großschreibung des zweiten Bestandteils von Zeitangaben wie heute Morgen, gestern Nachmittag. Der alten Regelung lag die Fehlanalyse zugrunde, es handle sich bei diesem Bestandteil um ein Adverb. Zwingend ist die Neuregelung nicht, weil Großschreibung der besondere, Kleinschreibung der allgemeine Fall ist. Wenn man nicht genau weiß, ob es sich um ein Substantiv handelt, ist klein zu schreiben. Also sollte man es auch in diesen Fällen tun.“ (Vorschlag zur Neuregelung der Orthographie. Februar 1999)
Die Kleinschreibung hing nicht an der „Fehlanalyse“ als Adverb, sondern an der Untunlichkeit der Deutung als Substantiv. Im übrigen spricht tatsächlich alles für die adverbiale Deutung, denn das Muster ist morgen früh, worin zweifellos das Adverb zu erkennen ist, mhd. morgen fruo (ohne Umlaut) oder früeje. Mit der Beschreibung des Verhältnisses der beiden Teile zueinander haben wir dieselben Schwierigkeiten wie mit den sogenannten engen Appositionen, die man aus Verlegenheit auch zu den „Juxtapositionen“ stellt. Wie immer dem auch sei: Im Zweifel schreibt man klein, das ist die Grundlage der Reform wie auch der bisherigen Rechtschreibung.

Aus der Geschichte der Forschung:

Im Deutschen Wörterbuch heißt es unter „heute“:
„Nach der oben erwähnten begriffsausdehnung von heute bezeichnet man die einzelnen theile des tages im falle genauerer hervorhebung durch adverbiale zusätze: heute früh; heute morgen; heute vormittag; heute abend; heute nacht; als ir nun heüt morgen also mit einer groszen und starken stimm auf der kanzlen anfiengen zu schreien. WICKRAM rollw. 114, 20 Kurz; heute nacht träumte ich mich wieder in meinen geschäften. GÖTHE 28, 80; heute nacht hat es sehr geregnet. 29, 300 (...)“ und weitere Beispiele.

Wilmanns schrieb:
„Wer aus grammatischen Rücksichten morgens, mittags u. s. w. schreibt, wird auch hier die Minuskel anwenden müssen; denn es sind hier zwei Adverbien neben einandergesetzt, von denen das eine das andere näher bestimmt; dem Substantivum ist solche Verbindung versagt. Vgl. „gestern morgen“ und „gestern früh“. (Wilmanns 1880, S. 159; ähnlich 1887, S. 187.)

Heutige Grammatiker meinen:
„Es handelt sich nicht um eine reguläre Flexionsform von Abend, da sie keinen Kasus aufweist; nominale Lexeme haben sonst nur kasusbestimmte Flexionsformen.“ (Peter Gallmann 1991; vgl. auch derselbe in der Dudengrammatik 2005, S. 194.) Auch der Reformer Klaus Heller stellt in einer millionenfach verbreiteten Kurzfassung fest, daß die Bezeichnung der Tageszeiten hier „nichtsubstantivisch“ gebraucht werde und daher bisher klein geschrieben worden sei. Ebenso spricht Sitta 1992 in seinem Gutachten für das Symposion Deutschdidaktik vom „nichtsubstantivischen Gebrauch“. Übrigens hätte, wie auch Eisenberg bestätigt, nach dem Muster von heute Abend auch Freitag Abend anerkannt werden müssen; die allein reformgemäße Form Freitagabend resultiert aus einem ganz anderen grammatischen Programm und kommt zusätzlich zustande.

Nachdem die Kritik als Reductio ad absurdum auch morgen Früh für geboten erklärt hatte, nahmen die Reformer dies tatsächlich in die Wörterbücher auf; im revidierten amtlichen Wörterverzeichnis vom November 2004 ist es allerdings nicht mehr enthalten, wohl aber noch im Wahrig 2005. (Der alte Duden war bei den Tageszeiten auch schon unvollständig, insofern er das reguläre dienstagabends nicht anführte.) Übrigens fehlt in allen neuen Wörterbüchern die Konstruktion neulich (Nacht usw.) (zahllose Belege!). Das amtliche Regelwerk scheint an diesen Fall nicht gedacht zu haben, denn neulich fehlt in der Aufzählung der Adverbien.


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