03.10.2005 Theodor Ickler Unklare MotiveDie Reformer wußten wohl selbst nicht genau, was sie eigentlich wollten.Die Motive vermischten sich in fataler Weise: den Duden verbessern („Regelwust“ vereinfachen), die Schreibweisen verändern, das Dudenprivileg aufheben. Zur Verbesserung des Dudens (Haarspaltereien auskämmen usw.) wäre die Orientierung am Schreibbrauch das Mittel der Wahl gewesen. Man hätte den Usus empirisch ermitteln, die Entwicklungstendenzen herausarbeiten und im Sinne einer zukunftsträchtigen Variantenbeschneidung allenfalls etwas systematisieren können. Das hätte den Reformern aber nicht genügt, denn sie wollten das deutsche Schreibsystem selbst umkrempeln, vor allem durch Kleinschreibung, Tilgung der Dehnungsbuchstaben, phonographische Orientierung der Schrift. Für Hubert Ivo, den Mitverfasser der Rahmenrichtlinien, bestand Rechtschreibunterricht im „Einpauken rational nicht begründbarer Regeln“, deren Beherrschung kein „Ausweis von Begabung“ sei und daher bei der Notengebung keine Rolle spielen dürfe. Einen kritischen Rechtschreibunterricht als Hebel zur Gesellschaftsveränderung propagierte der Deutschdidaktiker Bernhard Weisgerber. Wenn ein Schüler Eltern mit Ä geschrieben hatte, sollte der Lehrer ungefähr folgendes zu ihm sagen: „Du hast Eltern mit Ä geschrieben. Sicher hast du gedacht: Das sind die Älteren, Eltern gehört also zu alt. Und damit hast du recht. Aber nach der heute geltenden Rechtschreibregelung wird das Wort Eltern mit E geschrieben. Wenn du in unserer Gesellschaft Ärger vermeiden willst, muß du dich zunächst an diese Regelung halten. Wenn aber viele Leute darüber nachdenken wie du, wird die Schreibung vielleicht später einmal geändert.“ „Erwachsene berichten gar nicht selten auch nach Jahrzehnten noch von traumatischen Erfahrungen mit der Rechtschreibung in ihrer Schulzeit. Wie Untersuchungen aus den 60er und 70er Jahren zeigen, war schon damals die richtige Schreibweise das Kreuz der Schule.“ (Bärbel Schubert, Tagesspiegel 28.7.2003) Wie sollte es anders sein, wenn die Lehrer selbst ein solch gespaltenes Verhältnis zur Rechtschreibung hatten, daß sie keinen ansprechenden Rechtschreibunterricht zu erteilen vermochten? Heute könnte der Lehrer z. B. die Aufgabe stellen, die übliche Schreibweise mit dem Internet zu ermitteln und zu diskutieren.
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