25.01.2015 Theodor Ickler Grammatische Exerzitien 10Der RelativsatzRelativsätze sind Nebensätze, die mit einem satzwertigen Relativelement (Pronomen oder Adverb) eingeleitet werden.Es sind drei Haupttypen zu unterscheiden: 1. Relativsätze als Gliedteilsätze (Attributsätze) schließen sich an ein Bezugselement im Matrixsatz an. 2. Fehlt ein Bezugselement, ist der Relativsatz „frei“ und damit als Gliedsatz zu betrachten. 3. Als Textappositivsätze kommentieren sie ein Textstück beliebigen Umfangs. Attributsätze können restriktiv oder appositiv sein. Freie Relativsätze sind immer restriktiv. Der Unterschied ist formal nicht immer zu erkennen: Wir beliefern die einzige Brauerei in Palästina, die in Ramallah ihren Sitz hat. (NN 5.7.03) 1. Relativsätze als Gliedteilsätze (Attributsätze) Der Relativsatz ist Attribut eines Substantivs: Er spricht hierüber in einer Standardrede, deren Text er nie aus dem Stegreif variiert. (SZ 3.11.84) Auch Pronomina können Bezugselemente eines Relativsatzes sein: Er, der erfahren ist in jedem Zauber, wird dich leicht entzaubern können. (Wilhelm Hauff: Zwerg Nase) Wer, der die Entwicklungsgeschichte der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland kennt, wollte bestreiten, daß... (Aus Pol. u. Zeitgesch. 10.11.89) Indefinitpronomina wie alles, vieles, etwas, manches oder nichts und das generalisierende das sowie substantivierte neutrale Adjektive im Superlativ ziehen heute gewöhnlich den relativischen Anschluß mit was nach sich: Eigentlich habe ich ja alles, was man braucht, ich meine, was man hier braucht. (Theodor Fontane: Effi Briest, 1. Kapitel) Aber die Frau hörte auf nichts, was er sagte. (Brüder Grimm: Hänsel und Gretel) Doch kommt auch der Anschluß mit das vor: Der Jugendrichter bringt von Haus aus nichts mit, das ihn zur Lösung seiner Aufgabe befähigt. (Helmut Ostermeyer: Strafunrecht. München 1971:110) Der Schwager ahnte nichts von dem, das in mir vorging. (Thomas Bernhard: Auslöschung. Frankfurt 1986:483) Aus einem nachgestellten Genitiv- oder Präpositionalattribut heraus gilt der Bezug nicht als korrekt: Bereits 1920 (...) hat er das Manuskript zu einem „Enzyklopädischen Wörterbuch Esperanto-Deutsch“ vollendet, aus dem Vorwort zu dessen 1. Lieferung ich eben zitiert habe. (Muttersprache 92, 1982:295) im Kampf gegen den Klimakollaps (in Relation zu dem auch die schlimmste Wirtschaftskrise nur Kleinkram ist) (SZ 8.1.09) Die Uredition, kurz vor deren Fertigstellung auch Galba starb, ist schon für sich eine Kostbarkeit. (FAZ 23.2.91) Dagegen ohne weiteres mit dem Genitiv des anaphorischen Pronomens wie oben: eine Stegreifrede, deren Text ... Auch: Das Buch enthält außer den Gedichten Eichendorffs noch seine Versepen und dazu die Poesie Wilhelm von Eichendorffs, des Bruders, mit dem gemeinsam er sein Dichterleben in Heidelberg und Berlin begann. (FAZ 16.9.87) Aber nicht: Die Japanerin Midori heiratet unter Zwang ihrer Verwandten Yukio, gemeinsam mit dem sie nach Australien reist. (Wikipedia 2009) Kongruenz nach Personalpronomina: Person: Bezieht sich der Relativsatz auf ein Pronomen der ersten oder zweiten Person, so kann der Anschluß mit dem einfachen Relativpronomen der dritten Person hergestellt werden: Du, der weiß, was uns Menschen bewegt... (Gebet) Häufiger ist die Verbindung von Relativ- und wiederholtem Personalpronomen. Das Verb kongruiert dann mit dem Personalpronomen: Es ist mir, der ich wißbegierig bin, an dem Menschen vieles dunkel geblieben. (Nietzsche: Der Wanderer und sein Schatten) Du, der du weißt... (Rilke) Die wir ihm näherstanden, haben bedauert, daß die Folgen eines Sturzes vor zwei Jahren ihn uns ferner rückten. (FAZ 12.7.04) Ihr, die ihr euch von Christo nennet... (Arie von J. S. Bach) Numerus: Nach dem Anredepronomen Sie für eine Einzelperson wird der Anschluß mit dem Pronomen im Singular hergestellt: mit Ihnen, der das gesagt hat (bei weiblichem Adressaten: die...) Bei zusätzlichem Personalpronomen steht das Verb im Plural, der relativische Anschluß kann den sachlich gebotenen Singular oder den formalen Plural fortführen: „Und das sagen Sie, Czako, gerade Sie, der Sie das Menschliche stets betonen?“ (Theodor Fontane: Der Stechlin, 2. Kap.) Sie, die Sie jetzt diese Vorschau in der Hand halten und überlegen, brauche ich dieses Buch oder brauche ich es nicht. (Buchwerbung von Kiepenheuer & Witsch) Genus: Neutrale Substantive, die weibliche Personen bezeichnen, werden entweder mit grammatischer Genuskongruenz oder – heute seltener – nach dem natürlichen Geschlecht wiederaufgenommen: dieses schöne Mädchen, das jahrelang, von mir kaum beachtet, in meinem Hause lebte (Franz Kafka: Ein Landarzt) Nun siehst du deutlich das schlanke holde Mädchen, die im weißen dünnen Nachtgewande bei dem Kessel kniet. (E. T. A. Hoffmann: Der goldene Topf) Stellung: Der attributive Relativsatz steht meist unmittelbar hinter seinem Bezugselement, weil dadurch mißverständliche Bezüge vermieden werden; er kann jedoch auch extraponiert werden. „Anknüpfende“ Relativsätze beziehen sich auf ein Satzglied im Obersatz, spezifieren dieses aber nicht, sondern führen die Darstellung mit eigener Illokution fort, weshalb auch logische Partikeln wie aber möglich sind (Blatz II 899): Wir langten in einem Dörfchen an, wo wir die Nacht verbrachten. Sie sind in der normativen Stilistik umstritten. Blatz II 901 verteidigt sie wegen ihrer weiten Verbreitung, auch bei Klassikern. (Zur problematischen Deutung des Beispiels als Relativsatz s. u.) 2. Relativsätze als Gliedsätze („freie Relativsätze“) Relativsätze ohne Bezugselement im Obersatz heißen freie Relativsätze. Das Bezugselement kann fehlen, wenn es entsprechend der Verbrektion der gleichen Ergänzungsklasse angehören würde wie das Relativum, anders gesagt: wenn der freie Relativsatz und das Relativum zur gleichen Ergänzungsklasse gehören. Der einfachste Fall liegt vor, wenn beide Teilsätze dasselbe Verb enthalten: Darf eine Prinzessin glauben, woran sie glauben will? Hier wird häufig die Wiederholung des Verbs vermieden; es ist jedoch zu ergänzen und regiert weiterhin das Relativum: Darf eine Prinzessin glauben, woran sie will? (FAS 2.12.01) Weitere Fälle: Graf Peter blieb immer, der er war. (Adelbert von Chamisso: Schlemihl) Beide Verben fordern eine Ergänzung im Nominativ, im Obersatz wäre ein der oder derjenige/derselbe einsetzbar. Wer rastet, (der) rostet. Für wen ein Auslandsaufenthalt in Jahrgangsstufe 10 nicht in Frage kommt, (für den) besteht die Möglichkeit, das Auslandsjahr auch von vornherein in der Jahrgangsstufe 11 einzuplanen. (Bayer. Ministerium für Unterricht und Kultus: Die neue Oberstufe des Gymnasiums in Bayern. 2008:33) Bei Nichtübereinstimmung wird eher ein Bezugselement im Nominativ oder Akkusativ weggelassen: Wem man im Orient begegnete, schaute auf romantische Lebensumstände zurück. (Otto Flake: Es wird Abend. Frankfurt 1980:306) Ein deutlicher markiertes Bezugselement im Obersatz (Dativ, Genitiv, Präpositionalgruppe) kann bei Ungleichheit mit dem Relativum nicht weggelassen werden: Wer den Tod nicht fürchtet, dem kann man mit dem Tod auch nicht drohen. (Literaturen Nov. 2001:47) Die Wiederholung des Personalpronomens findet sich auch beim freien Relativsatz: Die wir ihm näherstanden, haben bedauert, daß die Folgen eines Sturzes vor zwei Jahren ihn uns ferner rückten. (FAZ 12.7.04) In Fällen wie Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los. (Goethe) ist scheinbar ein Bezugselement vorhanden; es ist jedoch als Apposition anzusehen, so daß der Relativsatz gleichwohl frei ist. (Blatz II:850: „epexegetisch“) Freie Relativsätze dienen auch dazu, Satzglieder oder -gliedteile in eine hervorgehobene Position am Anfang oder Ende eines Satzes zu bringen. Man unterscheidet Links- und Rechtsspaltung (Engel). s. Spalt- und Sperrsatz (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1607) Relativsatzverschlingung Der relativische Anschluß wird aus einer untergeordneten satzwertigen Konstruktion heraus hergestellt, formal jedoch vom Verb des Matrixsatzes regiert: Da sind eine Menge Aushöhlungen in dem Felsen, aus denen man nicht weiß, was man (daraus) machen soll. (Seume bei Blatz II 930) Und was sollen wir erst von Winston Churchill sagen, von dem Manne, den ich nicht zögere, als den bedeutendsten Staatsmann unserer Epoche zu bezeichnen! (Dolf Sternberger in: Die deutsche Sprache im 20. Jahrhundert. Göttingen 1969:80) Enthält der Relativsatz ein Verb des Sagens, Denkens, Fühlens oder Wollens, so kann an das vorweggenommene Relativum ein Inhaltssatz mit daß angeschlossen werden: Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Hier könnte es sich auch um einen gleichlautenden, mit das angeschlossenen Relativsatz handeln; darauf deutet die gelegentlich anzutreffende Schreibweise hin (vgl. Blatz S. 932: „ziemlich veraltet“). Fälle wie Wen wollt ihr, daß ich euch losgebe? sind jedoch eindeutig. Die Verschlingung wird ganz oder teilweise vermieden, wenn der relativische Anschluß nicht mehr vom untergeordneten Prädikat regiert ist, das vielmehr sein eigenes pronominales Objekt erhält: Das gehört unter die Dinge, von denen Kant sagt, daß man sie weder behaupten noch widerlegen kann. (Jean Paul nach Blatz II 931) Das weiß doch jeder, daß der Weg des Erfolgreichen mit jenen Leichen gesäumt ist, von denen er jetzt kaum noch Zeit hat, sie in den Keller zu räumen. (SZ 5.9.86) (statt: die er jetzt kaum noch Zeit hat in den Keller zu räumen) 3. Relativsätze als Textappositivsätze Weiterführende Relativsätze sind ihrer Funktion nach selbständig (sie haben eine eigene Illokution), formal jedoch als Relativsätze gebildet. Da sie kein Glied im Obersatz bilden, lassen sie sich nicht erfragen. Sie kommentieren den Obersatz oder ein passendes Textstück; sie können vorangestellt, nachgestellt oder in Parenthesennischen vorkommen: Was ich noch sagen wollte: ... Hier könnte man von einem elliptischen Sperrsatz sprechen: Was ich sagen wollte, ist dies: ... In beiden deutschen Staaten lockerten sich später die sexuellen Normen, wobei ich davon überzeugt bin, daß das jeweils gesellschaftlich Erlaubte und Angebotene nicht mit dem identisch ist, was die Leute in ihren Betten wirklich anstellen. (SZ 29.12.95) Was zu beweisen war.(Schlußformel in mathematischen Texten) Womit wir beim Thema wären. Parenthetisch: Aber was hat ihn in diese Kneipe am Kurfürstendamm verschlagen, in der, womit früher alles gesagt war, nur Leute wie ich verkehren? (Peter Schneider: Der Mauerspringer. Darmstadt 1984:110) Verkappte Relativsätze (Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1609) Die anknüpfenden Relativsätze lassen sich als Spiegelbilder einer anderen Art von Satzverkleidungen auffassen: verkappte Relativsätze, scheinbar selbständige Sätze, die funktional Attributsätze sind: Es war einmal ein König, der hatte zwei Söhne. Es gibt Redner, denen hilft kein Redenschreiber. Einen kenne ich, dessen Redenschreiber möchte ich nicht sein. (Kursbuch 84, 1986:139) Daß es sich um keine Satzreihe handelt, merkt man an der progredienten Intonation des ersten Teils (die einem Korrelat gleichwertig ist) und daran, daß der zweite Satz keine unabhängige Illokution hat, folglich auch nicht mit Adverbien wie aber, übrigens usw. versehen sein kann: *Es gibt Leute, die haben aber/übrigens sehr viel Geld. Diese verkappten Relativsätze werden fast immer rechts herausgestellt (extraponiert). Bei anderer Stellung verlieren sie ihren relativsatzähnlichen Charakter: Einen Redner, dessen Redenschreiber möchte ich nicht sein, habe ich kürzlich kennengelernt. Trajektion (nach Blatz) Welchen Kranken du anrührst, der wird gleich gesund. (Goethe) Statt: Der Kranke, welchen du anrührst ... Partielle Trajektion (nach Blatz): Alles, was er mir Böses zugefügt hat, habe ich vergessen. Statt: Alles Böse, das/was er mir zugefügt hat... (Hier lag ursprünglich ein partitiver Genitiv vor: was Böses = was an Bösem.) Historisch gesehen, ist die Trajektionsstellung sogar die ursprünglichere. Anmerkungen: 1. Die herkömmliche Definition des Relativsatzes über das einleitende Relativelement kritisiert Lehmann (HSK Syntax 2), aber auch schon Sütterlin (1910:391), der eine durchgreifend andere Einteilung der Nebensätze vorführt. 2. Relativsatz mit Anschluß aus einem nachgestellten Attribut heraus ist im Englischen möglich, aber kaum im Deutschen; Ausnahmen sind oben erwähnt. Das folgende Beispiel ist aus dem Englischen übersetzt: Gelegentliche Versuche (...) dienten nur dazu, bei den Linguisten ein nahezu haßvolles Mißtrauen zu schaffen, für viele von denen „Logik“ und damit Verwandtes nahezu Schimpfwörter wurden. (Laszlo Antal (Hg.): Aspekte der Semantik. Frankfurt 1972:293) Zusätzlich verwirrt: Mit der genannten Umkehr sind einige Probleme und offene Fragen verbunden, von denen auf einige im folgenden eingegangen wird. (Gerhard Helbig: Probleme der Valenz- und Kasustheorie. Tübingen 1992:55) 3. Relativsätze kommen auch im Zusammenhang der Extraktion („Fernattribution“) vor: Es gibt vier Männer, mit denen Hitler, aus jeweils verschiedenen Gründen, einen Vergleich herausfordert. (Sebastian Haffner: Anmerkungen zu Hitler:11) Dadurch wird die unter Anm. 2 beschriebene Konstruktion vermieden (*einen Vergleich mit denen ...). Ebenso: die Studenten, von denen ich einen nicht kenne = one of whom I do not know (nach Hammer 93); möglich wäre auch deren einen ich nicht kenne (nach dem Muster: dessen Freundin ich nicht kenne). 4. Das Relativum kongruiert im Numerus manchmal nicht mit seinem Bezugselement: Einer der aufregendsten Menschen, den (statt die) ich je kennen gelernt habe, war mein Schwager. Dieser „unlogische“ Bezug wird von der Sprachpflege kritisiert (Duden 9. Mannheim 2001:720) oder als falsch abgelehnt (Wahrig Fehlerfreies und gutes Deutsch. Gütersloh 2003:433). 5. Textappositivsätze sind nicht „in Konstruktion“; es sind gesonderte Äußerungseinheiten, die man weder im Vorvorfeld noch im Nachnachfeld eines Satzes unterbringen muß. 6. Beim freien Relativsatz kann das angeblich „fehlende“ Bezugselement nicht immer ohne formale Änderungen eingesetzt werden: „Wer Köln kennt, weiß, dass diese Stadt tausend Gesichter hat. = Derjenige, der Köln kennt, weiß, dass diese Stadt tausend Gesichter hat.“ (Beispiel nach Dudengrammatik 2005:311, aber anders gedeutet als dort) 7. „Nebensätze mit w-Pronomen plus (auch) immer erinnern an freie Relativsätze. Das zweite Beispiel mit Pro-Adverb wann deutet allerdings darauf hin, dass ein Sonderfall von Interrogativnebensatz vorliegen könnte: wann wird nämlich sonst nur interrogativ gebraucht: (...) Ich komme dich besuchen, wann immer du willst.“ (Dudengrammatik) Gegen die interrogative Deutung spricht, daß die Verallgemeinerung gerade nicht im indirekten Fragesatz stehen kann: *Ich will wissen, wann immer du kommst. Vgl. auch die parallelen Konstruktionen Man bleibt, wo man mag, und geht weg, wann man mag. (ebd. S. 327) 8. „Die Volkssprache hat sich mit dem Relativpronomen bis jetzt noch nicht befreundet; sie ersetzt es, so gut es geht, durch Demonstrative oder wendet die Partikel wo an, z. B. Das Haus, wo (= das) ich gekauft habe.“ (Blatz I:427) Dies ist auch schriftsprachlich anzutreffen, wenn ein zeitlicher oder räumlicher Sinn gefunden werden kann: Es geht doch nichts über die Momente, wo (=in denen) man das Gute des Lebens mit seinen Freunden oder allein in der Erinnerung noch einmal genießt. (Johann G. Seume: Prosaschriften. Darmstadt 1974:659) Aber alle Versuche, den Arzneimittelmarkt zu steuern, führen in der politischen Diskussion unweigerlich an den Punkt, wo (=an dem) sich Sozialsystem und Marktwirtschaft unversöhnlich gegenüberstehen. (SZ 3.3.84) Das kasusvertretende (ebenso wie das lokale) wo hat das früher häufige da zurückgedrängt (Paul IV, S. 210). Statt der Verbindung von Präposition und Pronomen steht besonders bei Bezug auf Gegenstände meist das relative Pronominaladverb (worüber, womit usw. statt über das, mit dem usw.). Bei Personen ist das weniger üblich, doch kommen in beiden Richtungen sehr oft Abweichungen vor: Soll man das, über was (= worüber) man im Augenblick verfügt, im Kampf um eine prinzipiell ungewisse gesellschaftliche Zukunft aufs Spiel setzen? (Helmut Seiffert: Hochschuldidaktik und Hochschulpolitik. Neuwied 1969:3) Weiterführende Relativsätze werden gegebenenfalls mit dem Pronominaladverb eingeleitet: Lavater besaß eine Sanduhr, die man alle Viertelstunden umdrehen mußte, womit er sich zu einem ökonomischen Zeitgebrauch anhielt. (Therese Wagner-Simon/Gaetano Benedetti (Hg.): Sich selbst erkennen. Göttingen 1982:163) „Weiterführende Nebensätze können nur hinter dem Hauptsatz stehen. Sie können also nicht vor den Hauptsatz gestellt oder in ihn eingebettet werden. Nicht: Worüber ich mich sehr freute, er hat mich eingeladen.“ (Nach Canoo) Diese Konstruktion ist sehr wohl möglich, nur nennt man sie natürlich nicht „weiterführend“. Ein Fehler, der sich sonst eher in Texten von Nichtmuttersprachlern findet: Wie bereits darauf hingewiesen wurde, handelt es sich bei den Possessivkomposita um eine besondere Art des Determinativkompositums. (Michael Lohde: Wortbildung des modernen Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen 2006. S. 82) 9. Umgangssprachlich, vor allem süddeutsch, wird das Relativpronomen mit der Partikel wo verbunden; veraltet ist die Verbindung mit da: die Lehrerin, die wo uns das beigebracht hat(aus einem Schülertext) Gaßaus gaßein kam er endlich an den Meerbusen, der da heißt: Het Ey, oder auf deutsch: das Ypsilon. (Johann Peter Hebel: Kannitverstan) Damit schlagen Sie auch gleich weiteren Feinden Ihrer Digitalcamera ein Schnippchen, die da heißen Schlag, Stoß, Druck oder Kratzer. (Kodak-Werbung) In den meisten Fällen verhindert das eingefügte da die im Nebensatz unerwünschte Verbzweitstellung. 10. Die verkappten Relativsätze sind immer restriktiv. Das folgt aus der semantischen Unabgeschlossenheit des Obersatzes. Darum können im verkappten Relativsatz auch keine Partikeln wie aber, übrigens, ja usw. stehen, die auf Sätze mit eigener Illokution beschränkt sind: Es gibt Leute, die haben sehr viel Geld. *Es gibt Leute, aber sie haben nicht viel Geld. Ich habe einen Bekannten, der fährt einen Porsche. *Ich habe einen Bekannten, der fährt übrigens einen Porsche. 11. Der Genitiv des anaphorischen Pronomens der wird manchmal einer irrtümlich empfundenen Rektionsverpflichtung unterworfen, besonders nach Präpositionen: Eines Morgens, in dessem trüben Zwielicht alle Zeit stehengeblieben zu sein schien (...) (Michael Ende) Die Geschichte des Antisemitismus (...) hat die höchsten Werte der abendländischen Gesellschaft, in derem Namen Juden verfolgt und getötet wurden, diskreditiert. (Das Parlament 1.1.88 – statt in deren) Man kann darin die Entwicklung zu einem Artikelwort sehen. 12. Relativattraktion und umgekehrte Attraktion: Die ahd. und mhd. Kasusangleichung des Relativpronomens an das Bezugselement ist heute kaum noch anzutreffen, die umgekehrte Angleichung (Attractio inversa) ist ebenfalls selten: „Was ich möchte, ist euren Respekt.“ (Gerhard Schröder in SZ 13.4.99) 13. Es wird behauptet, daß nach substantivierten neutralen Adjektiven der Anschluß mit was üblich oder besser sei: all das Schöne, was wir in diesen Tagen erlebten (Duden 9:719; Dudengrammatik 2005:1039); all das Traurige, was in diesen Augen lag ... (Wahrig Fehlerfrei 432); das Spannende, was diesen Film auszeichnet (Flämig 315). In Wirklichkeit ist hier der Anschluß mit das üblicher. 14. Es wird auch behauptet, daß freie Relativsätze im Fokus einschränkender Partikeln nicht mit einem resumptiven Element im Nachsatz verträglich sind werden können: ?Nur wer mitspielt, der kann gewinnen. Vgl. aber: Nur wer noch träumen kann, der kann die Welt verändern. Nur wer bereit ist, auf seine Kunden zuzugehen und ihre Sichtweisen und Bedürfnisse kennenzulernen, der kann sie erfolgreich ansprechen. Denn nur wer die gemeinen Fallstricke im Unternehmerleben kennt, der kann die Fallen auch wirklich umgehen! (Klappentext zu: Die miesesten Fallstricke für Existenzgründer und Jungunternehmer: Nur wer sie kennt, kann sie vermeiden ) In Wirklichkeit ist wer zweideutig: 1. = 'wer auch immer', 2. = 'derjenige, welcher'. Nur der erste Fall schließt die Einschränkung durch eine Fokuspartikel aus, da die Verallgemeinerung gerade alle Beschränkungen aufhebt: *nur jeder beliebige – das wäre tatsächlich ein Widerspruch. 15. Als falsch gilt die Nutzung des Relativpronomens in zwei verschiedenen Kasusfunktionen: Aber auch Stella hätte nicht sagen können, woher die Eifersucht gekommen war, die (Akk.) Antonia fünfzig Jahre lang nicht gekannt hatte und (Nom.) sie nun jede Minute des Tages beherrschte. (Martin Mosebach: Ruppertshain. München 2004:286) 16. Manchmal wird vom Relativum in kopulativer Verbindung ein weiterer, andersartiger Nebensatz abhängig gemacht: Toby fuhr flüchtig mit der Schnauze über ihr Gesicht, das er streifte und auf diese Weise seine Küsse nur andeutete. (Martin Mosebach: Ruppertshain. München 2004:144) Das war früher üblicher: Besonders war sie sorgfältig, alle Zugluft abzuwehren, gegen die er eine übertriebene Empfindlichkeit zeigte und deshalb mit seiner Frau, der es nicht luftig genug sein konnte, manchmal in Widerspruch geriet. (Goethe: Wahlverwandtschaften) Hierher auch verschiedenartige Ergänzungen: In Wirklichkeit schrieben die Schmähepisteln Ulrich von Hutten und zwei, drei quicke Freunde, deren Adepten und schließlich allerlei findige Federn, deren Namen und die Örtlichkeiten ihrer Schreibpulte nie mit Sicherheit ermittelt wurden. (ZEIT 13.6.02) 17. Die folgende konzessive Konstruktion sieht Blatz nicht als Trajektion an: In welche Unternehmung er sich auch einläßt, stets hat er Glück. (Auch mit verallgemeinerndem soviel u.ä.). Der kommentierende Satz ist nicht integriert, hat daher keine grammatische Beziehung zum folgenden Hauptsatz. 18. Relativsätze können durch Satzabschnitte vertreten werden: Zu Beginn der neueren deutschen Geschichtsschreibung hat es bereits einen Historikerstreit gegeben, heftiger als derjenige in der Bundesrepublik. (SZ 31.3.90) 19. Einige Anschlüsse werden oft als relativ bezeichnet, obwohl sie es nicht sind. Vgl. der Moment, nach dem das passiert ist der Moment, nachdem das passiert ist Hier suggeriert Eisenberg (S. 233) eine Nähe oder Verwandtschaft der beiden Ausdrucksweisen, die in Wirklichkeit nicht gegeben ist. Die Bedeutung der beiden Ausdrücke ist sehr verschieden: Im ersten Fall liegt der Moment vor dem, was passiert ist, im zweiten Fall danach. Im zweiten Fall wird der Moment nur expliziert: der Moment = nachdem das passiert ist. Im ersten Fall wird eine Relation zwischen dem Moment und dem Passierten ausgedrückt. Anders gesagt: der Moment nominalisiert im zweiten Fall nur den Nebensatz(inhalt), als typisches textuelles Abstraktum, allerdings unter einem bestimmten Aspekt. Der Nebensatz (der nicht durch ein Relativum eingeleitet ist) wird dadurch für bestimmte syntaktische Zwecke hergerichtet. Vgl. der Ort, wo x begraben ist usw. Dieser Fall wird bei Blatz II:814f. diskutiert: Vor alten Zeiten, als noch Engel auf der Erde wandelten... Hier würde bei relativem Bezug auf Zeiten „der handgreifliche Widersinn entstehen, daß die erzählte Geschichte sich zutrug vor den Zeiten, in denen Engel auf der Erde wandelten.“. Also ist besser doppelte Besetzung der Adverbialstelle annehmen, appositiv zueinander. Doppeldeutig ist die Konstruktion, wenn die Konjunktion oder Partikel ohne Bedeutungsänderung in ein Relativum überführt werden kann: der Augenblick, als er mich erblickte = der Augenblick, in dem er mich erblickte Aber das sind verschiedene Programme mit gleichem Ergebnis: „Zweifelhafter ist die Auffassung von als in dem Satze 'Eines Abends, als wir vergnügt in dem Garten saßen, fiel in der Nähe ein Schuß'; doch ist auch hier die Aussage des Nebensatzes als zweite, speziellere Zeitbestimmung anzusehen und derselbe als Konjunktionalsatz zu bezeichnen.“ (Blatz II 814f.) Vgl.: Aber heute, da man weiß, was der Spitzel Kurras tat, stellt sich die Frage... (SZ 30.5.09) 20. Beim freien Relativsatz entspricht das Relativum der Rektion des Verbs, von dem es abhängt; meistens stimmt der Kasus gleichzeitig zum Verb des Matrixsatzes ("Matching"): Platon versteht nur, wer mit ihm philosophiert. (Rudolf Bultmann in Gadamer/Boehm (Hg): Philos. Hermeneutik. Frankfurt 1976:248) Oder der Kasus des Relativums steht in einer anderen Form, die in einer angenommenen Kasushierarchie (Nominativ – Akkusativ – Dativ – Genitiv – Präpositionalkasus) niedriger steht als der des Matrixverbs: Auch wem die Grünen nicht passen, muß gestehen: Sie haben einiges bewirkt. (Zeit 11.1.91) Darf eine Prinzessin glauben, woran sie will? (FAS 2.12.01)
Den Beitrag und dazu vorhandene Kommentare finden Sie online unter
|