19.01.2014 Theodor Ickler Grammatica ancilla orthographiaeGermanisten und die Lust am Gehorchen„(Der Orthographus bestimmt nicht), wie die Wörter heißen und abgeändert werden; sondern nur bloß, wie man die einmal festgesetzten schreiben soll.“ (Luise Gottsched, 89. Brief; dann in Gottscheds „Abhandlung von der Rechtschreibung“).Im geschichtlichen Wandel des Schreibgebrauchs spiegelt sich zwar manchmal ein Wandel der Grammatik (z. B. in der Kleinschreibung ehemaliger Substantive), aber das hebt die eigenständige grammatische Analyse nicht auf. Außerdem unterliegt die Schulorthographie den Beschlüssen der Kultusminister. d. h. den Einfällen der von ihnen beauftragten Rechtschreibreformer. Davon kann die grammatische Analyse erst recht nicht abhängig gemacht werden. Genau dies geschieht aber seit 1996 in Deutschland. „Wir folgen in unseren Satzgliedanalysen den orthographischen Regeln und auch der aktuellen Schreibung.“ (Klaus Welke: Einführung in die Satzanalyse. Berlin, New York 2007:233) An anderer Stelle (231) weist Welke auf mögliche Widersprüche hin, bleibt aber trotzdem bei der Unterwerfung der Syntax unter die Schulorthographie. Über die Zusammenrückung schreibt er: „Deren orthographischer Reflex ist die Zusammenschreibung. Wir nehmen daher Zusammenschreibung als Indiz für das Vorliegen komplexer Prädikate.“ (239) „Ein Wort ist eine solche Einheit, die von Zwischenräumen oder von Satzzeichen umgrenzt ist.“ (Henning Bergenholtz/Burkhard Schaeder: Die Wortarten des Deutschen. Stuttgart 1977:19) (Zu den Folgen vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1134) „Bei Verb-Komposita hängt es von den geltenden Regeln der Zusammen- bzw. Getrenntschreibung ab, ob sie formell überhaupt Komposita sind.“ (Wolfgang Boettcher: Grammatik verstehen. Band 1: Wort. Tübingen 2009:212) „Die Wortbildungslehre wiederum hatte auf die Neuregelung der amtlichen deutschen Rechtschreibung seit 1996 zu reagieren.“ (Irmhild Barz u. a.: Wortbildung – praktisch und integrativ. 4., überarb. Aufl. Frankfurt u. a. 2007:73) Die Verfasserinnen stellen daher auch folgende Übungsaufgabe: „Kompositum oder syntaktische Fügung? Begründen Sie Ihre Entscheidung mit der entsprechenden Rechtschreibregel.“ (75) Ebenso verfährt Barz im Wortbildungsteil der Dudengrammatik. „Da es schwer fällt, hier ein allgemeingültige Regel zu finden, sollte im Zweifelsfall die jeweils gültige Zuordnung eines Wortes zur Wortklasse der Substantive stets in einschlägigen orthographischen Lexika überprüft werden.“ (Elke Hentschel/Harald Weydt: Handbuch der deutschen Grammatik. Berlin 2003:492) „So wurde kennen lernen bis zur Rechtschreibreform 1996 als ein Wort aufgefaßt und entsprechend zusammengeschrieben; seither wird es als zwei Wörter betrachtet und getrennt geschrieben.“ (ebd. 14) „So wurde kennen lernen bis zur Rechtschreibreform 1996 als ein Wort aufgefaßt und entsprechend zusammengeschrieben; nach den nun geltenden Regeln kann es wahlweise auch als zwei Wörter betrachtet und getrennt geschrieben werden.“ (Dasselbe 2013:12) Auch die Lehre von den Verbzusatzkonstruktionen als „Komposita“ stützt sich auf die Schreibweise: „Zweitens sind die hier betrachteten Verben die einzigen, die Verbkomposita bilden können, die einen Infinitiv als Erstglied haben: kennenlernen, spazierengehen, sitzenbleiben.“ (Nanna Fuhrhop) „Diachron ist fest stellen ein Syntagma, Feststellung damit eine Zusammenbildung; synchron ist feststellen dagegen ein Verb und Feststellung ein Derivat.“ (Jan Bruners: "Zusammenbildungen und Klammerparadoxa". http://janeden.net/pdf/2290.pdf) „Die Rechtschreibreform brachte es mit sich, dass viele bisher einfache zweiteilige Prädikate im Infinitiv nicht mehr zusammengeschrieben werden; damit kommt es zu Änderungen in der Klassifikation: Du hackst die Kräuter klein. (alt: kleinhacken; neu: klein hacken.)“ (Katja Kessel/Sandra Reimann: Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache. Tübingen, Basel 2005:13) (Inzwischen ist beides möglich, Duden empfiehlt Getrenntschreibung.) „Die Beherrschung von Teilen der geltenden Orthografieregeln ist Voraussetzung zur korrekten Klassifikation des Prädikats.“ (ebd. 14) „Durch die neue Rechtschreibung hat sich besonders im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung vieles geändert. Das betrifft vor allem Verben (alt: kennenlernen, neu: kennen lernen) und Adjektive (alt: kochendheiß, neu: kochend heiß). Diese ehemaligen Wörter und heutigen Wortgruppen fallen nun aus der Wortbildung heraus, da sich die deutsche Wortbildung an grafischen Wortgrenzen, d. h. an Leerzeichen vor und nach einem Wort, orientiert.“ (ebd. 114f.) „Durch die Rechtschreibreform (Stand Februar 2005) hat sich die Zahl der Verbalkomposita erheblich verringert.“ (Michael Lohde: Wortbildung des modernen Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen 2006:222) „Der Anteil verbaler Komposita mit substantivischem Erstglied ist gering. (Anm.:) Als Folge der Rechtschreibreform ist deren ohnehin begrenzte Zahl noch weiter zurückgegangen, denn einige geläufige Komposita werden jetzt getrennt geschrieben: Rad fahren, Kopf stehen, Halt machen.“ (ebd. 227 Einige Beispiele sind im Zuge der Revisionen schon wieder geändert worden, so daß auch die entsprechenden Teile der Grammatik revidiert werden mußten.
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