14.11.2013


Theodor Ickler

Intentionalität und Sprache

Die Naturalisierung der Intentionalität durch Sprachkritik – eine Skizze

Der Ausdruck Intentionalität wird in der Philosophie hauptsächlich in zwei Bedeutungen verwendet:
1. als bildungssprachlicher Ausdruck (oder Anglizismus) für ‚Absichtlichkeit‘,
2. in einer Bedeutung, die man als die scholastisch-phänomenologische bezeichnen kann; sie läßt sich als ‚Gerichtetheit‘ oder ‚Bezüglichkeit‘ (engl. aboutness) umschreiben. Diese Bezüglichkeit wird einerseits sprachlichen Zeichen zugeschrieben, andererseits geistigen oder mentalen Vorgängen bzw. Akten.
In beiden Bedeutungen steht Intentionalität einer naturalistischen Auffassung entgegen, da es in einer Welt der Tatsachen weder Absichten und Ziele noch Gerichtetheit im phänomenologischen Sinne geben kann.
Gelegentlich wird behauptet, die beiden Bedeutungen hätten nichts miteinander zu tun:
„Der Begriff der Intentionalität wird in der Philosophie des Geistes in einem technischen Sinne gebraucht, der mit der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes ‚Intention‘ nichts zu tun hat. Wenn Philosophen von der Intentionalität des menschlichen Geistes sprechen, dann beziehen sie sich nicht auf den Umstand, daß wir Wesen sind, die Absichten verfolgen, sondern auf die Tatsache, daß viele mentale Zustände auf etwas gerichtet sind.“ (Wolfgang Barz)
Auch diese Behauptung ist zu überprüfen.

Intentionalität I: Wollen, Absicht

Statt einfach etwas zu tun, kann ein Mensch sagen, was er tun wird. Man kann ihn auch danach fragen, und dann wird er gewöhnlich sagen, er werde oder wolle dies oder jenes tun. „Unser Wollen ist ein Vorausverkünden dessen, was wir unter allen Umständen tun werden. Diese Umstände aber ergreifen uns auf ihre eigene Weise.“ (Goethe: DuW III, 11)
Eine solche Ankündigung hat mehrere Vorteile. Zunächst können sich die Gruppenmitglieder frühzeitig auf das angekündigte Verhalten einstellen. Auch bei Tieren hat man ein „Intentionsverhalten“ beobachtet, z. B. ein Flügelschlagen bei gesellig lebenden Vögeln als Anzeichen eines bevorstehenden Auffliegens. Der Schwarm fliegt gemeinsam auf, wenn das vorausgehende Verhalten eine gewisse Schwelle erreicht hat. Allerdings sind solche Ankündigungen bei Tieren auf das Hier und Jetzt beschränkt, nur der Mensch kann ausdrücken, was er morgen tun wird oder nur unter gewissen Bedingungen tun würde. Diese höhere Form der Handlungskoordination ist einer der Vorteile, um derentwillen sich die menschliche Sprache entwickelt haben dürfte. Weder die bisherige Erfahrung im Umgang mit einem Menschen noch die Zuschreibung bestimmter Charakterzüge ermöglichen es uns, das Verhalten dieses Menschen so sicher vorherzuwissen wie seine ausdrückliche Ankündigung dessen, was er tun wird oder will.
Die jeweiligen Umstände „ergreifen uns auf ihre eigene Weise“: Ein angekündigtes Verhalten kann zum Beispiel von den Mitgliedern der Gruppe vorab kommentiert werden. Die anderen können also zu- oder abraten und damit ihre eigene Erfahrung oder die Erfahrung Dritter zur Geltung bringen. Diese Erfahrung kann die Form aussprechbaren „Wissens“ angenommen haben oder in unbefragten Sitten, Gebräuchen und Tabus eingeschlossen sein. Unter geeigneten Umständen kann es zu handgreiflicher Verhinderung des Verhaltens kommen. Mit solchen Interventionen erspart die Gruppe es dem einzelnen, jede Erfahrung selbst zu machen, und trägt zur Vermehrung des gemeinschaftlichen „Wissens“ bei.
Die Situation, in der ein Verhalten angekündigt und damit dem möglichen Einspruch der Gruppe ausgesetzt wird, nenne ich „Deliberationssituation“ und das Gespräch, in dem über eine bevorstehende Handlung beraten wird, „Deliberationsdialog“. Nach Abschluß des Verhaltens ergibt sich möglicherweise eine Rechtfertigungssituation mit einem entsprechenden Rechtfertigungsdialog. Er rekonstruiert typischerweise die Deliberationssituation: Welche Gründe waren entscheidend? Wäre die Tat bei passender Beratung unterblieben? Beide Arten des Dialogs sind aus der klassischen Rhetorik, besonders der forensischen Rhetorik bekannt und werden hier in Anlehnung an diese Tradition benannt (Genus deliberativum bzw. iudiciale). (Zum Rechtfertigungsdialog als Ursprung von Selbstbeobachtung und Selbstbewußtsein s. Skinner: „Wissenschaft und menschliches Verhalten“ Kap. 18. - Wilfried Stroh meint, daß die Bezeichnung deliberativ als Übersetzung von symbuleutisch „fast unbegreilich“ scheint, „da sie sich ja auf die Tätigkeit des Redeadressaten, nicht des Redners bezieht“ [Die Macht der Rede. Berlin 2009:179]. Für unsere Zwecke paßt sie aber gut, da wir es mit dem dialogischen Erwägen von Handlungsoptionen zu tun haben.)

Soweit das angekündigte Verhalten in der Willensbekundung benannt wird, wirft es die Frage auf, wie ein noch gar nicht gegebener Stimulus das Sprachverhalten steuern kann. Diese Funktion übernehmen andere Reize, die in der gegebenen Situation mit dem eigentlich relevanten Reiz regelhaft verbunden sind. Skinner diskutiert einen solchen Fall:
„Nehmen wir an, daß ein Kind daran gewöhnt ist, auf dem Frühstückstisch eine Orange zu sehen. Fehlt die Orange eines Morgens, sagt das Kind schnell Orange. (...) Wieso konnte die Reaktion erfolgen, obwohl gar keine Orange als Reiz gewirkt hat? (...) Die Reaktion wird durch den Frühstückstisch mit allen seinen vertrauten Eigenschaften und durch andere zur Tageszeit passende Reize ausgelöst. Zu diesen Reizen gehörten oftmals Orangen, und die Reaktion Orange ist in ihrer Anwesenheit verstärkt worden.“ (Verbal behavior. Englewood Cliffs 1957:101; eigene Übersetzung)
Die Ankündigung eines Verhaltens ist die vorgeschaltete sprachliche Phase eines neuen Gesamtverhaltens. Die Gruppenmitglieder reagieren gegebenenfalls auf diese Anfangsphase wie auf jedes andere Verhalten in der gelernten Weise. Auch von jenen Vögeln sagen wir, das Flügelschlagen sei nicht die Bekundung der Absicht zu fliegen, sondern die Anfangsphase des Auffliegens selbst, und auf diese erste Phase können die anderen Mitglieder des Schwarms reagieren. So wird die intentionalistische Begrifflichkeit vermieden.
Goethes Formulierung sieht davon ab, das Wollen in eine verhaltensfremde „geistige“ Sphäre zu versetzen oder die Willensbekundung als Protokollaussage über mentale Prozesse zu deuten. Er beschränkt sich ausdrücklich auf das „Vorausverkünden“, also das Ankündigungsverhalten. Es handelt sich einfach um eine Verständigungstechnik: „Weil wir 'wollen' sagen können, glauben wir zu wollen.“ (Fritz Mauthner: Beiträge zu einer Kritik der Sprache. Bd. 1. Frankfurt, Berlin 1906:67) Bemerkenswert ist auch, daß Goethe bereits die große Nähe von will tun und wird tun angedeutet hat. Oft fragen wir „Was wirst du tun?“ und meinen kaum etwas anderes als „Was willst du tun?“ Letzteres wird in herkömmlicher phänomenologischer Auffassung als Beschreibung eines mentalen Zustandes angesehen, ersteres nicht, obwohl es fast dasselbe bedeutet. Der Unterschied besteht darin, daß werden die Unabänderlichkeit hervorhebt, wollen die Offenheit für Einspruch. Es handelt sich also um einen Unterschied der Funktion im Dialog und nicht um einen psychologischen.
Im Deutschen hat sich das Hilfsverb werden als Futur-Periphrase erst spät (um 1700) vollständig aus der Konkurrenz der Modalverben sollen, wollen, müssen gelöst (Polenz II:262) – ebenfalls ein Hinweis auf die semantische Nähe. Da es keinen Infinitiv des Futurs gibt, behilft man sich oft mit wollen:
Bei ihren Beratungen hat sich die Freisinger Bischofskonferenz mit der Frage des Rechts zur Mitwirkung an der Besetzung der außerhalb der Katholisch-Theologischen Fakultäten bestehenden Konkordatslehrstühle auseinandergesetzt und beschlossen, auf die Ausübung dieses Rechts aus dem Bayerischen Konkordat verzichten zu wollen. (Erklärung der Freisinger Bischofskonferenz, Frühjahrsvollversammlung der bayerischen Bischöfe in Waldsassen am 30. und 31. Januar 2013)
Man kann eigentlich nicht beschließen, etwas tun zu wollen. Das Modalverb steht hier im Sinne von werden. (Zum Futur gibt es keinen Infinitiv.)
Das Konstrukt des Wollens ist in Wortschatz und Grammatik der Sprache fest verankert. Dazu einige Beispiele:

Die anderen Modalverben, also können, mögen, dürfen, müssen, sollen lassen sich nicht definieren, ohne daß man sich auf wollen bezieht. können, mögen werden verwendet, wenn dem eigenen Wollen kein Hindernis entgegensteht, wobei dürfen zusätzlich angibt, daß auch fremdes Wollen kein Hindernis darstellt („nihil obstat“); müssen, wenn das eigene Wollen durch fremden Zwang eingeschränkt wird; sollen, wenn dieser Zwang auf fremdem Willen beruht.
schaffen, gelingen und ähnliche Verben setzen wollen voraus.
In viele Gegenstandsbezeichnungen ist der Zweck eingebaut, z. B. lassen sich Schlüssel, Henkel, Haus, Nest, Falle, Weg usw. gar nicht ohne Funktionsbestimmung definieren.
Verben wie geben und schenken setzen ein Haben voraus, das seinerseits auf gesellschaftliche Verhältnisse verweist, unter denen es so etwas wie Besitzansprüche gibt, d. h. ein Verfügenwollen.
Faktitive und kausative Verben wie leeren, fetten, heizen, glätten, ölen, kürzen, brühen, wärmen, fällen, füttern bezeichnen ein zweckgerichtetes Verhalten, ebenso die privativen „Küchenverben“ wie schuppen, köpfen, häuten, schälen.
Finalsätze drücken einen Zweck oder ein Ziel aus, nehmen also auf Absichten Bezug.
Bezug auf ein Wollen steckt in Konstruktionen wie das ist ihm zu schwer = das ist schwerer, als er will.
Das Handlungsschema wird in Vorrichtungen hineingearbeitet, die man als teleologische Maschinen bezeichnen kann. Einfache Beispiele wären der Fliehkraftregler, der Füllmechanismus der Wasserspülung usw.
Wie gezeigt, hat das Wollen seinen Platz in bestimmten Dialogspielen. Wir neigen jedoch dazu, das Handlungsschema, also die Verbindung von Absicht und Ausführung, auch in die nichtmenschliche Natur zu projizieren, weil sich mit diesem Modell die Fälle von Anpassung bequem erklären, d. h. in ein vertrautes und bewährtes Schema einfügen lassen. Ist der Mechanismus der Evolution einmal klar, haben Biologen keine Bedenken, intentionalistische Metaphern auf die Phylogenese anzuwenden, zum Beispiel den Finalsatz:
Um eine Kolonie lose miteinander assoziierter Einzelzellen in einen integrierten Organismus zu verwandeln, bedurfte es zunächst eines neuen Selektionskriteriums(Wolfgang Wieser, Hg.: Evolution der Evolution. Heidelberg 1994:34)
Auch das konkrete Verhalten der Tiere wird, obwohl instinktgesteuert, gern so dargestellt: Moskitoweibchen trinken Blut, um Proteine zur Produktion von Eiern zur Verfügung zu haben (SZ 4.1.08). Hierher gehört auch die Personifizierung der „Natur“:
Die Natur bildet eine Ganzheit. Sie löst ihre langfristigen Probleme immer auf optimale Weise. (Lorenz und die Folgen. Zürich 1978:1089)
Auch kulturgeschichtliche Entwicklungen werden gern als zielgerichtete Handlungen dargestellt:
(Die Menschheit brauchte 3000 Jahre, um das Problem zu lösen,) die potentiell unendliche Vielfalt des menschlichen Denkens in einer potentiell ebenso großen, aber dabei immer auch geistig beherrschbaren Vielfalt von Zeichen auszudrücken (Friedhart Klix: Erwachendes Denken. Berlin 1985:187).
Ebenso:
Die Entwicklung der Schrift geschieht in einem mehrere Tausend Jahre beanspruchenden Problemlösungsprozeß. (Wolfgang Schnotz: Aufbau von Wissensstrukturen. Weinheim 1994:10)
Dieses Problem hat es nie gegeben; die Alphabetschrift erscheint nur im Rückblick als seine Lösung. Darauf paßt die Bemerkung Skinners:
„People do not observe particular practices in order that the group will be more likely to survive; they observe them because groups which induced their members to do so survived and transmitted them.“ (In Catania/Harnad [Hg.] 1988:15. Vgl. Skinner ebd. 219 zum „Problemlösen“ nach Thorndike.)
Solche „ptolemäischen Redensarten“ (wie die Allgemeine Semantik die sprachlichen Relikte überholter Weltbilder kritisch zu nennen pflegte) sind heute harmlose Spielformen. Psychologen sehen jedoch in der „Hypertrophie sozialer Wahrnehmung“ auch die Grundlage animistischer und vieler religiöser Überzeugungen.
Der Fehler, das Wollen als ein mentales Ereignis oder einen Zustand zu verstehen, führt zu unlösbaren Problemen:
„Wie geschieht es, dass unser Körper in aller Regel unserem Willen gehorcht, dass etwa, wenn ich trinken will, sich meine Hände so bewegen, dass sie tatsächlich die Tasse ergreifen und zum Munde führen?“ (Joachim Hoffmann u. a.: „Spekulationen zur Struktur ideo-motorischer Beziehungen“, Zeitschrift für Sportpsychologie 14/3, 2007, 95-103, S. 95)
Man wird schwerlich bestreiten, daß der Körper dem Willen gehorcht, und doch hat die Ausdrucksweise etwas Schiefes. Natürlicher wäre es zu sagen, daß ich meistens, aber nicht immer tun kann, was ich will. Nimmt man die philosophische Rede von „meinem“ Willen und „meinem“ Körper wörtlich, ergibt sich die weitere Frage, was denn dieses Ich ist, dem beides zugehört usw.
Das lösbare Problem besteht darin, unwillkürliche von willkürlichen, d. h. kommunikativ steuerbaren Bewegungen zu unterscheiden und die Steuerung selbst zu erklären.


Intentionalität II: Gerichtetheit, Aboutness

Gerichtetheit des Mentalen
Gerichtetheit wird sowohl bestimmten „geistigen Akten“ zugeschrieben als auch sprachlichen Handlungen, und zwischen beidem sollen Verbindungen existieren, die das ganze Problem sehr kompliziert erscheinen lassen. Die Diskussion muß sich auf einige exemplarische Fassungen beschränken. Das bekannteste Dokument der phänomenologischen Richtung ist folgende Stelle von Franz Brentano:
„Jedes psychische Phänomen ist durch das charakterisiert, was die Scholastiker des Mittelalters die intentionale (auch wohl mentale) Inexistenz des Gegenstandes genannt haben, und was wir, obwohl mit nicht ganz unzweideutigen Ausdrücken, die Beziehung auf einen Inhalt, die Richtung auf ein Objekt (worunter hier nicht eine Realität zu verstehen ist), oder die immanente Gegenständlichkeit nennen würden. Jedes enthält etwas als Objekt in sich, obwohl nicht jedes in gleicher Weise. In der Vorstellung ist etwas vorgestellt, in dem Urteil etwas erkannt oder verworfen, in der Liebe geliebt, in dem Hasse gehaßt, in dem Begehren begehrt usw.
Diese intentionale Inexistenz ist den psychischen Phänomenen ausschließlich eigentümlich. Kein physisches Phänomen zeigt etwas Ähnliches. Und somit können wir die psychischen Phänomene definieren, indem wir sagen, sie seien solche Phänomene, welche intentional einen Gegenstand in sich enthalten.“ (Franz Brentano: Psychologie vom empirischen Standpunkt. Leipzig 1924:24, zuerst 1874)
Die umfangreiche Literatur seit Brentano hat sich zunächst vor allem mit der Frage beschäftigt, ob Intentionalität ein notwendiges, hinreichendes und ausschließliches Kriterium des Psychischen oder, wie man heute meist sagt, „mentaler Phänomene“ ist. Seltener wird die Voraussetzung in Zweifel gezogen, daß es mentale Phänomene überhaupt gibt bzw., sprachanalytisch ausgedrückt, daß die Rede von mentalen Phänomenen sinnvoll ist und welchen Sinn sie allenfalls haben könnte. Wie schon das Brentano-Zitat erkennen läßt, sind die mentalen Phänomene etwas, was sich der Naturalisierung zu entziehen scheint. Ihre Analyse ist daher eine Hauptaufgabe der naturalistischen Philosophie.
Die – im weiteren Sinne – phänomenologisch orientierte Philosophie beruft sich auf die Existenz des Mentalen als letzte Gewißheit.
Ein Verhaltensforscher hat kein Bedürfnis, sich der Existenz seines Forschungsgegenstandes zu versichern. Traditionelle mentalistische Psychologen beginnen ihre Einführungswerke aber gern mit solchen Letztbegründungen. Es sind verschiedene, aber miteinander zusammenhängende „Phänomene“, deren Existenz als evidente, unbezweifelbare Grundlage des psychologischen Unterfangens dargestellt werden: die „Innenwelt“ oder der „Geist“ bzw. das „Mentale“ schlechthin, dann auch dessen Inhalte in mehr oder weniger eingehender Bestimmtheit, wie die „Gerichtetheit“ („Intentionalität“) psychischer Phänomene.
Die Gewißheit dieser Grundlagen wird auf zwei Wegen begründet: entweder durch Überlegung oder durch Appell an die Erlebnisse und Erfahrungen des Lesers. Man könnte in einem weiteren Sinne von logischer vs. phänomenologischer Argumentation sprechen.
Descartes stellte sich die heute fast unverständliche Frage, ob es einen Beweis für seine Existenz gebe, und er fand ihn im „Cogito ergo sum“: Wenn ich zweifle, ob es mich gibt oder ob ein böser Geist mich täuscht, dann muß es mich als Zweifelnden doch wenigstens geben. Diese Schlußfolgerung wird heute als logisch ungültig angesehen (was der Mathematiker Descartes gewußt haben dürfte) oder auf andere Weise sprachkritisch demontiert.
Gelegentlich findet sich auch unter Psychologen noch die räsonierende Denkfigur Descartes’:
„Modern philosophy began with what I think is the valid insight that consciousness is the most certain thing in the world. (...) You cannot coherently doubt that you are conscious, for to doubt it is to be conscious; you establish the fact of consciousness in the very act of doubting it.“ (Brand Blanshard: „The Problem of Consciousness: A Debate with B. F. Skinner. Opening Remarks“. Philosophy and Phenomenological Research 27/3, 1967:317-337, S. 317)
Ähnlich in traditionellen Psychologie-Lehrbüchern:
„Es gibt in der ganzen Natur nichts, an dessen Existenz wir weniger zweifeln könnten als an dem, was sich in uns selbst an seelisch-geistigen Vorgängen abspielt. Wer daran zweifeln wollte, ist durch seinen eigenen Zweifel widerlegt, denn auch dieser ist ein bewußtes Erleben.“ (Hubert Rohracher: Einführung in die Psychologie. 10. Aufl. 1971:3)
Eines phänomenologischen Appells hingegen bedienen sich die meisten Philosophen und auch Psychologen mit Ausnahme der Behavioristen:
„Every one agrees that we there discover states of consciousness. (...) I regard this belief as the most fundamental of all the postulates of Psychology, and shall discard all curious inquiries about its certainty as too metaphysical for the scope of this book.“ (William James: Principles of Psychology. New York 1890:185).
„The Fundamental Fact. - The first and foremost concrete fact which every one will affirm to belong to his inner experience is the fact that consciousness of some sort goes on. 'States of mind' succeed each other in him. If we could say in English 'it thinks,' as we say 'it rains' or 'it blows,' we should be stating the fact most simply and with the minimum of assumption. As we cannot, we must simply say that thought goes on.“ (Ebd. 153)
„Ausschließlich in der inneren Erfahrung, in den Tatsachen des Bewußtseins, fand ich einen festen Ankergrund für mein Denken.“ (Wilhelm Dilthey: Einleitung in die Geisteswissenschaften, Leipzig/Berlin 1923:XVII)
„Bewußtsein wird von uns als ständiger Begleitumstand von Wahrnehmen, Erkennen, Vorstellen, Erinnern und Handeln empfunden. Bei allem, was ich tue und erlebe, habe ich das Gefühl, daß ich es bin, der etwas tut oder erlebt, daß ich wach und 'bei Bewußtsein' bin.“ (Gerhard Roth in Wulf Schiefenhövel u. a.: Vom Affen zum Halbgott. Stuttgart 1994:141)
„Es besteht kein Zweifel, daß wir uns selbst einer Außenwelt gegenüberstehend erleben.“ (Johannes Engelkamp/Thomas Pechmann: „Kritische Anmerkungen zum Begriff der mentalen Repräsentation“. Sprache & Kognition 7, 1988:2-11, S. 3)
In der eigentümlichen Metaphorik der Phänomenologen heißt es:
„Jedes intellektive Erlebnis und jedes Erlebnis überhaupt, indem es vollzogen wird, kann zum Gegenstand eines reinen Schauens und Fassens gemacht werden, und in diesem Schauen ist es absolute Gegebenheit. Es ist gegeben als ein Seiendes, als ein Dies-da, dessen Sein zu bezweifeln gar keinen Sinn gibt.“ (Edmund Husserl: Die Idee der Phänomenologie. Fünf Vorlesungen. Haag 1958:31)
Dieses so sichere Bewußtsein wird erst neuerdings in einer Weise definiert, die auf Thomas Nagel zurückgeht und von beinahe jeder inhaltlichen Bestimmung wie „Bewußtseinsstrom“ usw. absieht:

„An organism has conscious mental states if and only if there is something that it is to be that organism—something it is like for the organism.“ („What is it like to be a bat?“ The Philosophical Review 83/4, 1974:435-450, S. 435).
„Eine Entität hat 'Bewußtsein', wenn es für diese Entität irgendwie ist, diese Entität in dieser oder jener Weise zu sein.“ (Martin Kurthen in Sybille Krämer, Hg.: Bewußtsein. Philosophische Beiträge. Frankfurt 1996:17)
„To say one has an experience that is conscious (in the phenomenal sense) is to say that one is in a state of its seeming to one some way. In another formulation, to say experience is conscious is to say that there is something it's like for one to have it.“ („Consciousness“ in: Stanford Encyclopedia of Philosophy)
„The idea of phenomenal consciousness is the idea of ‘something that it is like’ to which Thomas Nagel directed our attention (1979, p. 166): ‚an organism has conscious mental states if and only if there is something that it is like to be that organism – something it is like for the organism.‘ We can say that a system is phenomenally conscious just in case there is something that it is like to be that system, and that a state of a system is a phenomenally conscious state if and only if there is something that it is like, for the system, to be in that state.“ (Martin Davies: „Consciousness and the Varieties of Aboutness“. In: In Cynthia Macdonald/Graham Macdonald (Hg.): Philosophy of Psychology: Debates on Psychological Explanation. Oxford 1995: 356–392)
„Wenn jemand Schmerz empfindet, dann ist es für ihn irgendwie, Schmerzen zu haben. (...) Es wäre absurd anzunehmen, daß es für einen Hund nicht irgendwie ist, an seinem Lieblingsknochen zu nagen.“ (...) (Michael Tye in Thomas Metzinger, Hg.: Bewußtsein. Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie. 2. Aufl. Paderborn u.a. 1996:108f.)
„Wenn sich ein Mensch durch eine verächtliche Bemerkung 'beleidigt fühlt', wenn er in Zorn gerät, wenn er nach Gerechtigkeit verlangt, wenn er sich 'für ein Ideal begeistert', wenn er nach Wissen strebt und ihm Erkenntnis wird, wenn er den 'Biß des Gewissens' oder den 'Schmerz der Reue' durchmacht, wenn er Neid und Eifersucht erlebt, wenn er nach Erfolg und Macht strebt, - in allen diesen Fällen, die mitten aus unserer Lebenserfahrung gegriffen sind und als Erlebnistatsachen so gesichert dastehen, wie nur irgendeine physikalische Tatsache gesichert sein kann, in allen diesen Fällen wäre ein Zweifel, ob es sich dabei nicht dennoch um rein körperliche und nicht um psychische Tatsachen handelt, schlechthin undurchführbar: so klar tritt hier das psychische Bewußtseinsgeschehen in seiner Eigenart gegenüber dem physikalischen Geschehen hervor.
Unbezweifelbare Tatsache ist, daß es ein psychisches Sein und Geschehen gibt und daß eine Welt des Lebens und Erlebens 'neben' der wahrgenommenen Welt 'physikalischen Geschehens' besteht.“ (Theodor Erismann: Allgemeine Psychologie I, Berlin 1965:7)
„...anyone who is honest and not anaesthesized knows perfectly well that he/she experiences and can introspect actual inner mental episodes or occurences, that are neither actually accompanied by characteristic behavior nor are merely static hypothetical facts of how he/she would behave if subjected to such-and-such a stimulation.“ (William Lycan in ders., Hg.: Mind and Cognition. Cambridge, Mass. 1990:5)
„Festzustellen ist nur, daß es eine elementare Tatsache des Seelischen ist, daß alle beseelten Lebewesen mit Hilfe bestimmter psychischer Prozesse mit ihrer Umgebung Kontakt gewinnen, daß sie in erlebende und praktische Kommunikation und in Wechselverkehr mit ihr treten, daß sie auf ein Außen sich beziehen, auf ein Anderes sich hinwenden, irgendeinem Anderen und Äußeren zugewandt und auf dieses bezogen sind, und so zu mehr oder weniger primitiven Formen des ‚Habens‘ von gegenständlichen Erlebnissen, des ‚Wissens‘ von Etwas, des Gewahrens von Etwas, der Kenntnisnahme gelangen, d.h. daß sie perzeptive Prozesse vollziehen.“ (Erich Rothacker: Die Schichten der Persönlichkeit. 5. Aufl. Bonn 1952:9)
„Ich kann klar feststellen, daß ich jetzt diese Empfindung, diese Wahrnehmung, diesen Gedanken habe. Mir sind diese Zustände so gegeben, daß es absurd erscheint, an ihrem Vorhandensein zu zweifeln. Dies heißt aber nichts anderes, als daß sie erfahren werden und daß man diese Erfahrung als Grund dafür anerkennt, sie als vorhanden anzunehmen.“ (Volker Gadenne/Margit E. Oswald: Kognition und Bewußtsein. Berlin u.a. 1991:23)
In ähnlicher Weise sagt man auch, es fühle sich jeweils anders an, Rot zu sehen, eine Symphonie zu hören oder ein Bier zu trinken. Diese besonderen Empfindungen seien auf nichts anderes reduzierbar, gleichsam Urgegebenheiten von „Qualia“, wie man auch gern sagt (traditionell "Erlebnisgehalt"). Jeder Versuch der Naturalisierung finde hier seine Grenze, niemand könne erklären, wie aus den materiellen Strukturen des Körpers solche Qualia-Erfahrungen entstehen, anders gesagt: wie aus Materie Bewußtsein entstehe (die „Erklärungslücke“).
Andreas Kemmerling läßt offen, ob er durch einen „Schluß“ oder durch die behauptete Evidenz oder durch beides zum „Geist, wie er uns vertraut ist“, kommt:

„Mentale Repräsentation findet statt, wann immer wahrgenommen oder gedacht, gewollt oder gefühlt wird. Denn all dies sind geistige Phänomene, und sie alle haben einen Inhalt; jedes von ihnen allein reicht aus, um den Schluß zu ziehen: Es gibt mentale Repräsentation. Jeder beliebige geistige Zustand, Vorgang oder Akt mit einem intentionalen Gehalt bezeugt unmittelbar das Phänomen der mentalen Repräsentation. Mentale Repräsentation, als Singulare tantum, leugnen, hieße den Geist, wie er uns vertraut ist, selbst leugnen. (...) Mentale Repräsentation gibt es, das ist unbestritten.“ (Andreas Kemmerling in Kognitionswissenschaft 1, 1992:47f. )
Der letzte Satz erinnert an den triumphierenden Ton, in dem John Searle die „Wiederkehr des Geistes“ verkündet.
„Wenn aus einer Theorie die Nichtexistenz von Bewußtsein folgt, dann ist dies meines Erachtens eine schlichte reductio ad absurdum der Theorie.“ (John Searle: Die Wiederentdeckung des Geistes. München 1993:23)
In Wirklichkeit wird mentale Repräsentation von namhaften Philosophen wie Peter Hacker und von den Behavioristen bestritten. Skinner kommentiert:
„The battle cry of the cognitive revolution is 'Mind is back!' A 'great new science of mind' is born. Behaviorism nearly destroyed our concern for it, but behaviorism has been overthrown, and we can take up again where the philosophers and early psychologists left off.” (Recent Issues in the Analysis of Behavior. Columbus 1989:22)

Begriffliche Schwierigkeiten mit „Aboutness“

Die Intentionalität im phänomenologischen Sinn wird heute oft auf eine Weise formuliert, die für Nichtmentalisten geradezu unverständlich ist:
„Some things in the world - for example, pictures, names, maps, utterances, certain mental states - represent, or stand for, or are about other things.“ (Robert C. Stalnaker: Inquiry. Cambridge, Mass./London 1984:6)
„Something has an intentional property if it has propositional content, or if it is about something.“ (Rosenthal in Ders. [hg.]:463)
„Intentionality is aboutness. Some things are about other things: a belief can be about icebergs, but an iceberg is not about anything; an idea can be about the number 7, but the number 7 is not about anything; a book or a film can be about Paris, but Paris is not about anything.“ (Daniel Dennett: Intentionality (with John Haugeland), in R. L. Gregory, ed., The Oxford Companion to the Mind. Oxford 1987)
„Intentionality is the power of minds to be about, to represent, or to stand for, things, properties and states of affairs.“ (Jacob: Intentionality. Stanford Encyclopedia of Philosophy)
Die „über“-Beziehung ist uns von Verben des Sprechens und Denkens bekannt, die mit einem Präpositionalobjekt über x verbunden werden: sprechen, nachdenken usw. über etwas (aber bemerkenswerterweise nicht denken allein). Diese Verben können auch als Abstrakta substantiviert werden und erben dann die Valenz des Verbs: eine Rede (ein Vortrag, ein Buch usw.) über etwas. Eine philosophische Abstraktion ist die „Proposition“. Darin ist substantiviert, daß jemand etwas sagt. Auch Buch und Text werden nicht als „Gegenstände“, sondern als Abstraktionen zu Verba dicendi bzw. Synonyme davon mit "über" konstruiert. Dinge und Zustände können im eigentlichen Sinn nicht „über“ etwas sein. So zerfällt auch die Welt nicht in Gegenstände, die über etwas sind, und solche, die nicht über etwas sind. Das ist keine sachliche Feststellung, sondern eine begriffliche, sprachkritische. Ich frage mich, wie ein so scharfsinniger Denker sagen kann, manche Dinge (!) seien "über" etwas. Dennett ist hier ebenso naiv wie Searle.
Manchmal werden die „Dinge“ zu „Entitäten“ verfremdet, damit die Unbegreiflichkeit der Aboutness nicht so auffällt. Das ändert natürlich nichts an der Kritikwürdigkeit. Neuerdings hat man die Intentionalität in den Jargon der Neurologie gepackt und fragt danach, wie neuronale Prozesse sich auf etwas beziehen können. Sie steuern das Verhalten, darunter das Sprachverhalten, aber als reale Vorgänge können sie sich schon begrifflich nicht auf etwas „beziehen“, und der Neurologe wird auch bei genauester Beobachtung nichts dergleichen finden.


Den Beitrag und dazu vorhandene Kommentare finden Sie online unter
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1587