04.07.2012


Theodor Ickler

Geschichte und Wahrheit

Unbehagen an Fiktionalisierung

Ein ähnliches Unbehagen wie an der Romangattung, für die wir schon Kehlmanns "Vermessung" diskutiert haben, beschleicht einen ja auch anderswo.
In Bilderbüchern für Kinder wimmelt es von vierbeinigen Insekten und sechsbeinigen Spinnen. Vermenschlichte Schnecken haben irgendwo Augen, die sie physiognomisch faßlicher machen, aber die Fühler stehen auch noch irgendwie herum. Je besser man sich auskennt, desto weniger gelingt es einem, das niedlich zu finden, es sieht bloß noch verkrüppelt aus. Kupierte Hunde (heute verboten) wirken auf den Kenner wie Menschen, denen man die Zunge herausgeschnitten hat; schön ist das nicht.
Nun, das ist mir eingefallen, als ich mir gestern den berühmten Film "Gladiator" von Scott Ridley angesehen habe, den meine Töchter mir verordnet hatten. Als Film sicherlich gut gemacht, spannend, gute Schauspieler, dezente Animation usw. Aber wenn man einen Blck für historische Wahrheit hat, wird man ein Unbehagen nicht los. Es stimmt ja alles nicht, die Kleider, die Waffen, die Worte, die Bauwerke und die Handlung. Kann man darüber hinwegsehen? Wenn es um das Allgemeinmenschliche geht und einfach um eine spannende Handlung, warum müssen es dann die Römer und ganz bestimmte Kaiser usw. sein? Beim Publikum, das nichts Originales kennt, muß der Eindruck zurückbleiben, man habe nun doch etwas über die Römer gelernt. Der durchaus artikulierte Vorbehalt verliert sich, der Eindruck bleibt. Wenn ich an die Massen von Fernseh-Infotainment denke, die der Normalmensch in sich hineinschlingt, habe ich doch schwere Bedenken, ob diese suggerierte Augenzeugenschaft nicht eine falschere "Bildung" hinterläßt als früher die kritiklos tradierten Mythen vom Alten Fritz und Kaiser Friedrich lobesam.


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