30.11.2011


Theodor Ickler

Haupt- und Nebensachen

Zum deutschen Satzbau

Die Süddeutsche Zeitung gibt gerade einen Film von Lotte Reiniger neu heraus und erinnert mit Recht an diese große Künstlerin. Zum Glück kann man ja im Internet heute diese Scherenschnittfilme betrachten.

Im Wiki-Eintrag über Reiniger habe ich folgenden Satz gefunden:

In dem Film Der verlorene Schatten (1921) von Paul Wegener baute er Trickfilmteile von Lotte Reiniger ein.

Der Satz ist offenbar schlecht gebaut. Besser wäre:
In seinen Film Der verlorene Schatten baute Paul Wegener Trickfilmteile von Lotte Reiniger ein.

Es geht also darum, daß der Schwanz nicht mit dem Hund wedelt. Dazu muß man die komplizierten Regeln der Reihenfolge von Haupt- und Nebensatz und der Pronominalisierung beachten, worauf ich hier nicht theoretisch eingehen will. Ein paar Beispiele sollen genügen.

Mich wird er vergessen. Aber sein Handgelenk wird mich nicht vergessen. (Das sagt ein Geigenlehrer über seinen Schüler in Donata Elschenbroich: Weltwissen der Siebenjährigen. München 2001:191)
Man betont unwillkürlich die beiden Elemente, die an die Ausdrucksstelle im Vorfeld gesetzt sind: mich und sein Handgelenk. Der eigentliche Gegensatz besteht aber zwischen er und sein Handgelenk. Richtig muß es also heißen:
Er wird mich vergessen. Aber sein Handgelenk wird mich nicht vergessen.
Man könnte, um die Betonung des schwachen Pronomens sicherzustellen, noch ein selbst dahintersetzen: Er selbst ...
Richtig sind die Gewichte in folgendem Satz verteilt:
Himmel und Erde werden vergehen: meine Worte aber werden nicht vergehen. (Mk 13, 31)
Fast unverständlich wird ein Satz wie der folgende allein durch die falsche Verteilung der Gewichte:
Wenn schon nicht mehr in der Schule auf gutes Deutsch geachtet wird, dann doch zumindest auf richtiges. (Duden: Wie schreibt man gutes Deutsch? Mannheim 2000:11)
Hier ist der Fokus der Einschränkung falsch gesetzt, es müßte heißen:
Wenn in der Schule schon nicht mehr auf gutes Deutsch geachtet wird, dann doch zumindest auf richtiges.
Ebenso:
Für mich hat dann ein Ratgeber sein Ziel erreicht, wenn ... (ebd. 22)
Richtig:
Für mich hat ein Ratgeber sein Ziel dann erreicht, wenn ...
In Afghanistan sprengen sich Al-Qaida-Frauen immer wieder in die Luft. (SZ 13.8.11)
Auch der größte Fanatiker kann sich nur einmal in die Luft sprengen. Richtig also:
In Afghanistan sprengen sich immer wieder Al-Qaida-Frauen in die Luft.
Jeder weiß, was eine Zigarette ist. Der Fremdwörterduden (2005) definiert:
zum Rauchen dienende dünne Papierhülse, die mit fein geschnittenem Tabak gefüllt ist
Aber man raucht den Tabak, nicht das Papier. Also besser:
zum Rauchen dienende dünne Tabakrolle, die mit Papier umwickelt ist
Der Berliner Sozialpädiater K.H. beklagte, daß die kinderärztliche Betreuung in Ländern mit ausgedehnter Krippentradition weit intensiver sei als in der Bundesrepublik. (SZ 16.6.83)
Was gibt es da zu beklagen? Der Mediziner beklagte, daß die Betreuung in der Bundesrepublik nicht so intensiv ist. Logisch ist es dasselbe, aber wir verstehen es anders.
Noch vor wenigen Jahren war das staatliche Institut „die Bank mit den geringsten Schulden, den saubersten Büchern und den größten Reserven“, beklagt Ex-Vorstand Brandt. (SZ 5.12.08)
In Wirklichkeit beklagt er, daß die Bayerische Landesbank das heute nicht mehr ist.
Der Bundesinnenminister hat die Online-Durchsuchungen gestoppt,
weil ein Richter am Bundesgerichtshof bemängelte, dass dafür ein Gesetz nötig ist.
(SZ 11.9.07)
Der Richter hat bemängelt, daß solche Untersuchungen ohne ein Gesetz vorgenommen wurden, und ein solches Gesetz gefordert.
Mann durch Schüsse in Hannover getötet (Stern.de 5.7.10)
Schüsse in Hannover können einen Mann schon töten, vor allem wenn er selber gerade in Hannover ist. Besser also:
Mann in Hannover durch Schüsse getötet
Wirbel um einen Jungen namens „Cihad“: Eine Ärztin im südbadischen Donaueschingen hat sich geweigert, den 16-Jährigen wegen seines Namens zu behandeln. (Focus online 7.2.10)
Die Pflicht der Ärztin bestand nicht darin, den Jungen wegen seines Namens zu behandeln, sondern darin, ihn trotz seines Namen zu behandeln. Besser:
Wirbel um einen Jungen namens „Cihad“: Eine Ärztin im südbadischen Donaueschingen hat sich wegen seines Namens geweigert, den 16-Jährigen zu behandeln.
Wie die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit mitteilte, wird es aber zunehmend schwer, die verbliebenen Arbeitslosen wegen fehlender Qualifikationen in Jobs zu vermitteln. (Yahoo-Nachrichten 30.6.11)
Es wird wegen mangelhafter Qualifikation immer schwerer ...
Wiegand hat nachgewiesen, daß die Lexikographie gegenwärtig nicht in der Lage ist, auf Grund fehlender empirischer Untersuchungen die offenen Fragen zufriedenstellend zu beantworten. (Wortschatzforschung heute. Leipzig 1982:25)
Besser:
Wiegand hat nachgewiesen, daß die Lexikographie auf Grund fehlender empirischer Untersuchungen gegenwärtig nicht in der Lage ist, die offenen Fragen zufriedenstellend zu beantworten.
Aber gut ist auch dieser Satz noch lange nicht, schon wegen der fehlenden Untersuchungen, die etwas verursachen sollen, obwohl sie gar nicht existieren; deshalb habe ich auch die fehlenden Qualifikationen im vorletzten Beispiel stillschweigend ersetzt. Fügungen, bei denen das semantische Gewicht auf dem Attribut statt auf dem Substantiv liegt, werden kritisch beurteilt, auch wenn wir uns an manches dieser Art gewöhnt haben. Das Paradebeispiel ist der versuchte Mord (statt Mordversuch):
Später Anruf Obamas verärgert die Inder (SZ 14.11.08)
Hier verärgert die Inder nicht der Anruf, sondern dessen Verspätung.
Viel wichtiger als die Frage nach den Ursachen des verkümmerten Nationalstolzes ist die nach dessen vitaler Bedeutung für ein Volk. (Das Parlament 11.5.85)
Nicht um die Ursachen des Nationalstolzes geht es, sondern um die Ursachen von dessen Verkümmerung.
Noch 1919 bedauerte der erste Evangelische Kirchentag die in den Friedenswirren zerborstene Allianz von Thron und Altar. (FAZ 13.3.85)
Die Kirche hat keineswegs die Allianz von Thron und Altar bedauert, sondern deren Zerbersten.
Kompliziert wird es, wenn sich mehrere Fehler häufen:
Die unzulängliche Versorgung mit diesem Element (Magnesium) wird vielfach durch einseitige Ernährung, Alkohol, harntreibende Medikamente, Erbrechen und Durchfall begünstigt. (FAZ 21.11.85)
Hier könnte man meinen, daß es sich um etwas Gutes handelt (begünstigt!) und wird stutzig. In Wirklichkeit wird nicht die Versorgung begünstigt, sondern deren Unzulänglichkeit verstärkt.
Damit der Schwanz nicht mit dem Hund wedeln muß, ist es gut, zuerst den Hund und dann den Schwanz zu erwähnen.
Eine dieser Positionen betont die Tatsache, daß alles, was der Mensch weiß, er über seine Sinne erfahren hat. (Robert F. Schmidt/Gerhard Thews: Physiologie des Menschen. Berlin 1995:191)
Der gewichtige Ausdruck der Mensch ist im Nebensatz untergebracht, so daß er durch das Pronomen er im Hauptsatz wiederaufgenommen werden muß. Der Fehler ist leicht zu beheben:
Eine dieser Positionen betont die Tatsache, daß der Mensch alles, was er weiß, über seine Sinne erfahren hat.
Immer noch kein guter Satz (auch wegen der hilflosen Positionen, die etwas betonen), aber schon besser als die erste Fassung.
Fischer hätte gern Antje Vollmer nominiert. Deren Interesse an auswärtiger Kulturpolitik hat sie immer wieder bewiesen. (FAZ 8.11.01)
deren ist stärker als sie; das schwächliche sie sollte wenigstens durch ein selbst verstärkt werden (hat sie selbst immer wieder bewiesen). Besser wäre es, das Subjekt mit dem stärkeren Demonstrativum und das bloße Attribut mit dem Possessivartikel zu besetzen:
Die hat ihr Interesse an auswärtiger Kulturpolitik immer wieder bewiesen.
Trotz des nicht unerheblichen Zustroms lateinischer Wörter bis in die Zeit der Karolinger (Mitte des 8. bis Mitte des 10. Jahrhunderts) hatten diese nur geringen Einfluß auf die Sprache des Volkes. (Helmut Ludwig: Gepflegtes Deutsch. Leipzig 1983:14)
Hier muß das Subjekt erst durch ein schwerfälliges Pronomen (diese), das außerdem meist auf die zuletzt erwähnte Größe zu beziehen ist (hier also die Karolinger), aus dem Adverbial herausgeholt werden. Besser wäre: In der Zeit der Karolinger (Mitte des 8. Jahrhunderts bis Mitte des 10. Jahrhunderts) kamen viele lateinische Wörter hinzu, aber sie hatten nur geringen Einfluß auf die Sprache des Volkes.
Ernst Osterkamps Methode nennt er selbst mikrophilologisch. (SZ 25.5.10)
Besser:
Ernst Osterkamp nennt seine Methode mikrophilologisch.

Am leichtesten versteht man einen geschriebenen Text, wenn er sich auf Anhieb sinnvoll vorlesen läßt, also die betonten und unbetonten Stellen dort hat, wo man sie auch sprechen würde.
Das Vorfeld kann zwar durch beliebige Satzglieder besetzt werden, aber wenn dort ein Objekt steht, das formal nicht vom Subjekt zu unterscheiden ist, sind Mißverständnisse möglich:
Keine Figur des öffentlichen Lebens hat Max Weber tiefer verachtet und herzlicher gehaßt als den „Literaten“. (Valerio 2/2005:6)
Man denkt zuerst: Nanu, wer hat denn Max Weber verachtet?


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