13.06.2011 Theodor Ickler Für uns ErwachseneAus der Geschichte der ReformDie Welt 27.7.2004:"Mal was Neues: Der Senat verhindert ein Sommertheater Einblicke - Ausblicke Wenn man verfolgt, was so in Hamburg los ist, kommt einem manchmal der Gedanke: "Das hast Du doch schon mal gehört. Oder gelesen." Mir geht das so, wenn es zum Beispiel in einem der norddeutschen Landesparlamente wieder einmal einen klugen Kopf gibt, der sich für den "Nordstaat" ausspricht. Also für ein großes Bundesland aus den norddeutschen Bundesländern. Es gibt dann drei Tage lang eine muntere Diskussion, wo jeder gern mitdiskutiert, weil ja sonst auch nicht viel los ist im Sommerloch. Und irgendwann verschwindet genau dort auch das Thema, das uns so brennend beschäftigt hat. Und wir alle warten entweder auf die Neuauflage oder ein neues Wort zum Aufregen. "Transrapid" zum Beispiel. Da reicht wieder der kluge Kopf aus einem norddeutschen Landesparlament, und schon rauscht es los. Argumente im Stakkato. Für und Wider, "ja, aber nur, wenn er bis Moskau fährt", "nein, erst, wenn wir auf der Autobahn unter Durchschnittstempo 60 rutschen". Sie kennen das. Nach drei Tagen rauschen nur noch die Linden, der Transrapid rauscht woanders, und wir warten weiter. Und es gibt in unserem reichen Wortschatz noch ein Wort, das regelmäßig Anlass für ein Sommertheater ist - aber der Senat hat uns mit einer richtigen Entscheidung zumindest in diesem Jahr vor einer Neuaufführung verschont. Ich meine die Rechtschreibreform. Für Hamburg, so stand es gestern in dieser Zeitung, ist eine Reform der Rechtschreibreform kein Thema. Gut so. Natürlich - jeder hat je nach Überzeugung seine Argumente und seine konkreten Beispiele dafür, warum diese mittlerweile gut sechs Jahre alte Reform sinnvoll ist oder nicht, warum sie ihr Ziel erreicht oder verfehlt hat. Und zugegeben: Auch ich muss noch manchmal nachschlagen, wenn es knifflig wird. Auf der anderen Seite wird es auch jemandem, der die Reform im Schlaf beherrscht, nicht schwer fallen, ein Buch zu lesen, dass in alter Fassung geschrieben wurde - Beweis dafür, dass sich ein großer Teil der Aufregung nicht lohnt. Wir Erwachsenen kommen zurecht. Wie ist es bei den Kindern? Ich habe die Worte einer Hamburger Schuldirektorin im Ohr: "Wenn wir jetzt wieder an die Rechtschreibreform herangehen, dann muten wir unseren Kindern zu, in kürzester Zeit drei unterschiedliche Rechtschreibungen zu lernen." Und ich denke, bei allen fragwürdigen Details der Reform sollte dieses Argument uns zu denken geben. Auf unsere Kinder kommt eine immer härter werdende Situation in Ausbildung oder Studium zu. Sie müssen auf diese Situation vorbereitet sein. Lernen wird zur Lebensaufgabe, und wir alle glauben daran, dass mit dem Ende der Schullaufbahn das Lernen weitergehen muss. Deshalb wäre es falsch, unseren Kindern gleich mehrere Steine in den Weg zu rollen, auf denen - immerhin einheitlich - "Rechtschreibung" steht. Für uns Erwachsene läuft bis 2005 eine Übergangsfrist, innerhalb der die bisherige Rechtschreibung zwar nicht falsch ist, aber als überholt gilt. Also: Muten wir uns das zu, was auch von unseren Kindern verlangt wird. Lernen wir etwas Neues. Michael Neumann ist SPD-Fraktionsvorsitzender in der Hamburgischen Bürgerschaft und schreibt jeden Dienstag in der Hamburg-Ausgabe der WELT." — 29. Juli 2004 Ihre Mail vom 27. Juli 2004 Sehr geehrter Herr Ickler, für Ihre Ausführungen bezüglich der Rechtsschreibreform möchte ich mich bedanken. Es trifft zu, dass die Kultusministerkonferenz im Juni 2004 den 4. Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung beschlossen hat und damit auch die in diesem Bericht vorgeschlagenen Änderungen bezüglich der Rechtschreibung. Vor allem bei der Getrennt- und Zusammenschreibung gibt es – wie Sie ja auch dargestellt haben – Regeländerungen bzw. präzisierungen. Allerdings versichert die KMK, dass durch die vorgenommenen Änderungen „– mit unwesentlichen Ausnahmen - keine der bisher unterrichteten Schreibweisen falsch (werden), und es können alle Schulbücher, die der Neuregelung bisher schon folgen, weiter benutzt werden“. Dieses ist mein Hauptanliegen. Ich möchte den Schülerinnen und Schülern nicht zumuten, erneut neue Regeln für die Rechtschreibung zu lernen. Wie ich bereits in der Tageszeitung „DIE WELT“ geschrieben habe, kann es nicht sein, dass die Kinder in kürzester Zeit drei unterschiedliche Rechtschreibungen lernen müssen. Es muss eine verlässliche Basis geben, auf der sie ihre Schul- und Berufsausbildung aufbauen können. Deshalb spreche ich mich gegen eine Reform der Rechtschreibreform aus. Mit freundlichen Grüßen gez. Michael Neumann Fraktionsvorsitzender — Hamburger Abendblatt 7. August 2004 Rechtschreibreform: Viele begrüßen die Umkehr Umfrage: Politiker reagierten überwiegend positiv - Kritik kam von der Lehrergewerkschaft Wieder Känguruh statt Känguru, Thunfisch statt Tunfisch. Die Ankündigung des Verlages Axel Springer und des Spiegel-Verlages, wieder zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, hat in Hamburg heftige Reaktionen ausgelöst. Sie reichen quer durch alle Bevölkerungsschichten von Zufriedenheit und Zustimmung bis Skepsis und Ablehnung. "Ich begrüße das sehr, denn die alte Rechtschreibung hat viele logische Elemente", so Stadtentwicklungssenator Michael Freytag (CDU). Die Reform, so Freytag, sei im Übrigen gar nicht gelungen - dabei sei das Kind mit dem Bade ausgeschüttet worden. "Ich beglückwünsche jeden, der den Mut zu dieser Umkehr hat", so Freytag. "Durch die ungeliebte Rechtschreibreform sind Kosten entstanden, die vermeidbar gewesen wären", so Prof. Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer. "Es bleibt bedauerlich, dass die damalige Entscheidung nie wirklich nachvollziehbar war und in der Praxis weder konsequent umgesetzt noch verständlich gemacht wurde", so Schmidt-Trenz. Gewisse Vorbehalte macht SPD-Fraktionschef Michael Neumann geltend: "Sowohl die alte als auch die neue Rechtschreibung haben Punkte, die man korrigieren müsste", sagte er. Insgesamt sei es Schülern aber nicht zuzumuten, alle fünf Jahre neue Rechtschreibregeln auf den Markt zu bringen. "Dabei können diese Kinder gegenüber anderen europäischen Schülern ins Hintertreffen geraten", so Neumann. Die kulturpolitische Sprecherin der SPD, Dorothee Stapelfeldt, begrüßt die Umkehr, weil Sprache immer etwas Lebendiges sei. "Gerade die Veränderungen der Interpunktion und die neuen Trennungen finde ich grauenhaft", sagte Stapelfeldt. Eine Synthese aus Elementen beider Schreibweisen schlägt CDU-Fraktionschef Bernd Reinert vor, zumal die neue Rechtschreibung von jungen Menschen gut angenommen worden sei. "Ich empfehle allen Beteiligten - Verlagen, Autoren, Sprachwissenschaftlern und Pädagogen wie Politikern -, erneut miteinander das Gespräch zu suchen und Lösungen im Konsens anzustreben. Dabei sind Qualität und Akzeptanz wichtiger als die Schnelligkeit der Revision." FDP-Vorstandsmitglied Burkhardt Müller-Sönksen sprach sich für die Umkehr aus. "Die FDP hat immer vor der Reform gewarnt und sie abgelehnt. Jetzt ist der GAU da. Die Bildungspolitiker der großen Parteien haben posthum die Note fünf minus erhalten", so Müller-Sönksen. Kritik kommt dagegen von Stefanie Odenwald, Chefin der Hamburger Lehrergewerkschaft GEW. "Ich finde dieses Umschwenken sehr ungünstig", so Odenwald. Erst wurden die Schüler auf die neue Rechtschreibung trainiert, nun werden sie wieder in Verwirrung gestürzt." Ähnlich Arno Becker vom Hamburger Lehrerverband, der von einem "bedauerlichen Hin und Her" sprach. "Jetzt haben wir diese neue Regeln mit großem Aufwand eingeführt, da wäre es aberwitzig, sie wieder umzuwerfen." (schmoo) — Während die KMK sich in gewohnter Irreführung erging, stellten die Politiker ihre starken Meinungen aus. Den Schülern ist seither noch einiges zugemutet worden. Aber wen unter ihnen interessiert sein Geschwätz von gestern? Zur Zeit wissen wir immer noch nicht, ob die Empfehlungen vom Dezember 2010 nun tatsächlich von der KMK genehmigt worden sind (wie Bertelsmann behauptet) oder nicht. Eine Anfrage blieb bisher ohne Antwort.
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