05.06.2005 Theodor Ickler KMK AktuellEinige Bemerkungen zur Pressemitteilung der KMK vom 3.6.2005Aus der KMK-Pressemitteilung vom 3.6.2005-06-05 Neuregelung der deutschen Rechtschreibung (Mit Kommentar von Theodor Ickler) Die Kultusministerkonferenz dankt dem Rat für deutsche Rechtschreibung für die bisher geleistete Arbeit. Der Rat hat in kurzer Zeit die Bereiche möglicher Änderungen am Regelwerk benannt. Für den Schuljahresbeginn 2005/2006 ist für Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern bedeutsam, dass die 1996 beschlossene Neuregelung (in der Fassung von 2004) Grundlage des Unterrichts an den Schulen bleibt, bis der Rat gegebenenfalls konkrete Änderungen vorlegt. Für alle Bereiche, zu denen aus dem Rat keine Änderungswünsche zu erwarten sind, das sind die Laut-Buchstaben-Zuordnung, die Schreibung mit Bindestrich sowie die Groß- und Kleinschreibung, endet mit dem 31.07.2005 an Schulen der Übergangszeitraum bei der Fehlerkorrektur. Für jene Bereiche, zu denen der Rat noch mögliche Änderungen vorlegen könnte, werden die vor 1996 geltenden Schreibweisen bis auf Weiteres nicht als falsch markiert und bewertet. Die Kultusministerkonferenz vereinbart zum Umgang mit der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung in allen Ländern: 1. Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, wie sie sich aus der Amtlichen Regelung von 1996 in der Fassung von 2004 ergibt, ist die verbindliche Grundlage des Rechtschreibunterrichtes an allen Schulen. 2. Am 31.07.2005 endet die Übergangsfrist und die damit verbundene Korrekturpraxis. Schreibweisen, die nicht der Neuregelung entsprechen, werden ab dem 01.08.2005 als Fehler nicht nur markiert, sondern auch bewertet. In den Bereichen, in denen der Rat seine Beratungen noch nicht abgeschlossen hat, jedoch Änderungsvorschläge zu erwarten sind, wird bei der Bewertung Toleranz geübt. Dies betrifft die Getrennt- und Zusammenschreibung, Worttrennung und Interpunktion. Für den Überschneidungsbereich von Getrennt- und Zusammenschreibung und Groß- und Kleinschreibung gilt diese Toleranzklausel ebenso. 3. In Zweifelsfällen werden Wörterbücher zugrunde gelegt, die nach den Erklärungen des Verlages den aktuellen Stand der Regelung vollständig enthalten. In Österreich wird das Österreichische Wörterbuch zugrunde gelegt. 4. Der aktuelle Stand des Regelwerks und des Wörterverzeichnisses ist im Internet (unter www.rechtschreibkommission.de) und im Buchhandel zugänglich. Kommentar von Theodor Ickler: „Der Rat hat in kurzer Zeit die Bereiche möglicher Änderungen am Regelwerk benannt.“ Das ist nicht wahr. Der Rat stand nicht vor der Aufgabe, Bereiche möglicher Änderungen zu benennen, und hat das auch nicht getan; er ist vielmehr willens, sämtliche Bereiche der Reform einer Revision zu unterziehen und dann über gegebenenfalls notwendige Änderungen zu beraten. „Für alle Bereiche, zu denen aus dem Rat keine Änderungswünsche zu erwarten sind, das sind die Laut-Buchstaben-Zuordnung, die Schreibung mit Bindestrich sowie die Groß- und Kleinschreibung, endet mit dem 31.07.2005 an Schulen der Übergangszeitraum bei der Fehlerkorrektur.“ Die KMK hat den Rat nicht gefragt, zu welchen Bereichen Änderungsvorschläge zu erwarten sind. Da der Rat sich nicht sofort und gleichzeitig mit allen Bereichen beschäftigen konnte, hat er sich aufgrund einer Agenda, die schon vor dem Zusammentreten des Rates aufgestellt worden war, zunächst mit der Getrennt- und Zusammenschreibung beschäftigt und die anderen Bereiche, darunter die Groß- und Kleinschreibung, auf spätere Sitzungen verschoben; das bedeutet aber nicht, daß der Rat der Meinung wäre, hier seien keine Änderungen erforderlich. Indem die KMK diese aus Gründen der Arbeitsökonomie aufgeschobenen Bereiche zum 1. August verbindlich zu machen gedenkt, entzieht sie sie de facto einer Bearbeitung durch den Rat. Was in den Schulen endgültig eingeführt ist, kann auf absehbare Zeit nicht mehr in Frage gestellt werden, ohne daß sofort auf die Unzumutbarkeit für die Schüler hingewiesen würde. Der Vorsitzende hat dennoch mit Recht die Entschlossenheit des Rates unterstrichen, die Groß- und Kleinschreibung noch im laufenden Jahre zu behandeln (Der Spiegel vom 6.6.2005). Damit wehrt er sich gegen den listigen Versuch der KMK, vollendete Tatsachen zu schaffen und die Arbeit des Rates zu hintertreiben, auf dessen garantierte Unabhängigkeit er ausdrücklich hinweist. Dieselbe Vorentscheidung über den Kopf des Rates hinweg war im Vorfeld des 3. Juni als Unterscheidung von angeblich „unstrittigen“ und „umstrittenen“ Bereichen lanciert worden – womit ebenfalls ohne jede reale Grundlage lediglich die Absicht der KMK ausgedrückt war, solche Teile nicht mehr ändern zu wollen, deren Änderung den Wörterbuch- und Schulbuchbuchverlagen neue Kosten zu verursachen droht. Die jetzt beschlossene Konstruktion ist offensichtlich die einzige, die praktisch ohne Neudruck der entsprechenden Materialien eine weitere Durchsetzung der Rechtschreibreform ermöglicht. „Für den Überschneidungsbereich von Getrennt- und Zusammenschreibung und Groß- und Kleinschreibung gilt diese Toleranzklausel ebenso.“ Hier ist offenbar an fragwürdige Großschreibungen wie Acht geben, Recht haben, vielleicht auch Pleite gehen gedacht. Falls hier im Sinne der sonderbaren Wüster-Maxime Zusammenschreibung eingeführt würde, wäre auch die zum Teil ungrammatische Großschreibung vom Tisch. Nicht betroffen sind aber z. B. die archaisierenden Großschreibungen im Allgemeinen, des Öfteren, Letzterer, bei Weitem usw., ferner die Großschreibung in mehrteiligen Entlehnungen wie Primus inter Pares usw., die grammatisch falschen Großschreibungen jemandem Feind, Todfeind, Freund sein, die Großschreibung der Tageszeiten morgen Abend usw. sowie Diät leben, die Kleinschreibung fester Begriffe, die verordnete Kleinschreibung der Anredepronomina und einige Sonderfälle wie die künstlich altertümelnden Schreibweisen zu Eigen machen, in Sonderheit u. a. Sogar die Großschreibung am Satzanfang und nach Doppelpunkt muß neu formuliert werden, da sie bisher auf dem Begriff des „Ganzsatzes“ beruht, den Peter Gallmann, der Reformspezialist für Interpunktion, inzwischen aus zwingenden, von mir schon lange formulierten Gründen aufgegeben hat. Insgesamt eine beträchtliche Stoffmenge, die von der KMK für unstrittig erklärt wird, obwohl sie seit Beginn der Reform heftig umstritten ist. Die Groß- und Kleinschreibung war stets der wichtigste Diskussionsgegenstand schon im Internationalen Arbeitskreis, und die zur Zeit geltende Lösung wird von den Urhebern der Reform eigentlich nicht gutgeheißen. Sie von Amts wegen als unstrittig darzustellen ist eine außerordentliche Provokation, nicht nur für den Rat. Angeblich unstrittig sind laut KMK auch die neu verordneten Schreibweisen im ersten Bereich, der Laut-Buchstaben-Entsprechung: einbläuen, schnäuzen, Zierrat, Tollpatsch, nummerieren, deplatziert; Missstand;Fonetik, Spagetti, Tipp usw. - notorische Ansatzpunkte der Reformkritik von Anfang an. Es ist unvorstellbar, daß ein Schüler, der sich einer seit Jahrhunderten üblichen, grammatisch und semantisch einwandfreien Schreibweise wie im allgemeinen, des öfteren oder einbleuen, Zierat, numerieren bedient, deswegen mit einem notenrelevanten Fehler bestraft werden könnte. Auch die Verwendung der Ligatur ß in daß, muß usw. läßt nicht auf mangelhafte orthographische Kompetenz schließen und darf nicht bestraft werden. Viele Eltern dürften bereit sein, für ihre Kinder vor Gericht zu gehen, wenn der Staat sich in dieser unerhörten Weise über seine natürlichen Schranken hinwegsetzt. „In Zweifelsfällen werden Wörterbücher zugrunde gelegt, die nach den Erklärungen des Verlages den aktuellen Stand der Regelung vollständig enthalten.“ Wie schon 1996 wird nicht die tatsächliche Übereinstimmung der Wörterbücher mit der amtlichen Regelung verlangt, sondern nur die Erklärung des Verlages, daß es mit der Umsetzung seine Richtigkeit habe. Auch dies ist eine unerhörte Begünstigung der Verlage, die schon bisher mit dem Reformgeschäft befaßt waren. In anderen Bereichen der Schulbuchzulassung begnügen sich die Schulbehörden zu Recht nicht mit solchen Eigendeklarationen. „4. Der aktuelle Stand des Regelwerks und des Wörterverzeichnisses ist im Internet (unter www.rechtschreibkommission.de) und im Buchhandel zugänglich.“ Eine Veröffentlichung im Amtsblatt ist also nicht vorgesehen, im Gegensatz zu 1996. Offenbar ahnt man die Vergänglichkeit aller Dinge.
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