09.11.2009


Theodor Ickler

Nature, Nurture und Skinner

Haltlose Behauptungen

Die Süddeutsche Zeitung bringt heute auf der ersten Seite folgenden Unsinn:

"Jeder Mensch könne ein erfolgreicher Musiker werden, behauptete der Psychologe Frederic Skinner vor 50 Jahren, man müsse nur früh genug ein intensives Training beginnen. Wie viele seiner Zeitgenossen glaubte Skinner fest an die Macht der Umwelt über die Entwicklung des Menschen."

Es ist ja spätestens seit Chomsky üblich, von Skinner zu behaupten, er habe den Einfluß der Vererbung (Phylogenese) geleugnet. Zuletzt hat der Pop-Linguist und Psychologe Pinker in seinem Buch "The Blank Slate", wie schon der Titel verrät, sich den Pappkameraden eines Leugners der Vererbung aufgebaut, um ihn mit großem Getöse umstoßen zu können. Darauf haben die Sachkundigen mit dem angebrachten Spott reagiert.

Die SZ-Autorin scheint ein berühmtes und berüchtigtes Zitat von Watson, dem Begründer des Behaviorismus, im Ohr gehabt zu haben, das aber kein anderer als Skinner an mehreren Stellen in den rechten Zusammenhang gerückt hat. Skinner hat das ihm Unterstellte nie behauptet, sondern tausendmal das Gegenteil gesagt. (Ich habe das andernorts ausführlich gezeigt.)

Der Artikel der SZ liest sich wie eine Rehabilitierung des Lamarckismus, aber bei genauerem Hin- und Nachsehen geht es bei den neuen Forschungen von Holsboer und anderen gar nicht um Veränderungen der Erbsubstanz in diesem Sinne, sondern ausdrücklich um "epigenetische" Veränderungen in der Aktivierung der Gene. Das verträgt sich selbstverständlich ohne weiteres mit dem operanten Konditionieren nach Skinner, denn Skinner sagt kein Sterbenswörtchen über die physiologische Grundlage des Lernens, das er untersucht hat. Aus diesem Grunde nennt er seine Richtung ja auch "radikalen Behaviorismus".


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