22.10.2009


Theodor Ickler

Schnirkelschnecken und gespeichelte Frauen

Beim Lesen der Süddeutschen Zeitung notiert

Im "Streiflicht" stieß ich heute morgen auf die Schnirkelschnecken. Sie sind mir schon immer lieb und teuer, zumal sich an ihnen die Prototypensemantik erläutern läßt.
Obwohl wir im allgemeinen Sprachgebrauch nur ein einziges Wort für Schnecken haben und die Engländer und Franzosen auf derselben Gebrauchsebene deren zwei (snail/slug, escargot/limace), unterscheiden wir doch intuitiv zwischen Schnirkel- und Nacktschnecken. So gehört das gewundene Haus nachweislich zu den prototypischen Merkmalen, daher "Schneckengewinde" usw., und auch beim Zeichnen einer Schnecke wird man immer in diesem Sinne verfahren, wie denn auch in Kinderbüchern die Schnecken stets als Schnirkelschnecken gezeichnet sind.

Aber nun zu den Wörterbüchern. Zu meiner Überraschung enthält kein Dudenwörterbuch (außer dem Zehnbänder) die Schnirkelschnecken, Wahrig natürlich erst recht nicht. Im Muret/Sanders steht es nur als Erklärungswort für engl. helix.
Man sollte erwarten, daß bei einem solchen zweisprachigen Wörterbuch die Erklärungswörter des einen Teils auch Stichwörter des anderen sind, aber das ist weitgehend nicht der Fall. Dabei wäre der Abgleich doch wohl elektronisch machbar.
Als ich die Schnirkelschnecke dann in meinem eigenen Rechtschreibwörterbuch nachtragen wollte, stellte ich nicht ohne Genugtuung fest, daß sie schon drinsteht. Das Buch ist zwar nicht so dick wie die prominenten anderen, aber die Stichwortauswahl ist besser, das Ganze daher in gewisser Weise vollständiger. Das war ja auch die Absicht.

Nun noch etwas anderes:
Außerdem werden 101 Frauen gespeichelt, die laut Meldeamt in dem Straßenzug in der Isarvorstadt wohnen. (SZ 22.10.09; es geht um die Mutter eines tot aufgefundenen Säuglings)
Das ist eine überraschende neue Verwendung von speicheln, aber naheliegend wie riestern und noch lehrreicher. Die Umdeutung läuft, wie bei vielen Fällen von "Aktantentausch", über eine Verallgemeinerung etwa in diesem Sinne: "eine typische Tätigkeit ausüben, die mit dem gegebenen Grundwort zusammenhängt". Subjekt und Objekte werden dann neu verteilt. So kam es ja auch zu ich promoviere und sie habilitiert über Nacktschnecken usw.


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