24.09.2009


Theodor Ickler

Vor 15 Jahren

schrieb ich meinen ersten Leserbrief zur Rechtschreibreform

Ich weiß aber nicht mehr, ob er veröffentlicht worden ist. Neulich bin ich mit einer gewissen Rührung auf den Text gestoßen und mußte daran denken, wieviel Lebenszeit ich mit diesem ganzen Unsinn schon vertan habe. Also hier ist der Brief:

Spardorf, 8.12.1994

An die Herausgeber
der F. A. Z.
60267 Frankfurt

Sehr geehrte Damen und Herren,

die geplante Rechtschreibreform wird als "sanft" und "behutsam" gepriesen und hat vielleicht auch deshalb in den Medien ein überraschend wohlwollendes Echo gefunden. In Wirklichkeit geht sie nicht weit genug, um den Aufwand zu lohnen, - und doch auch wieder zu weit, als daß man sie auf die leichte Schulter nehmen könnte. Die Erleichterungen für den gehätschelten "Wenigschreiber" sind nur gering. Zur Unterscheidung von das und dass - eine Hauptfehlerquelle - wird auch in Zukunft dasselbe grammatische Wissen notwendig sein wie bisher bei das/daß. Zwischen im allgemeinen und im Allgemeinen gibt es einen Unterschied, der mir immer teuer war und sich nun nicht mehr so leicht zum Ausdruck bringen läßt, und das gilt in vielen ähnlichen Fällen. Natürlich: Der Kontext wird's schon richten, aber das kann man immer sagen, es ist gewiß kein taugliches Kriterium. Über das Quäntchen mag man lächelnd hinweggehen, da die wenigsten Menschen es überhaupt je schreiben werden (ich habe es in dem halben Jahrhundert meines Schreiblebens wohl noch nie geschrieben!), aber was soll der Schankwirt am Ausschank seiner Schänke tun? Ausschänken? Und wo ist dann die Grenze zu den Weihnachtsgeschänken? Das muß man sich eben märken (wg. Marke!), wie bisher. Gerade bei manchen neuen Schreibungen mit ä geht das Zugeständnis an den Wenigschreiber in eine Apotheose des Ungebildeten über. Für die anderen hat es geradezu etwas Demütigendes, einbläuen schreiben zu müssen.

Die Fremdwortschreibung soll erstaunlich inkonsequent bleiben. Rytmus ist weder historisch (Rhythmus) noch wirklich modern (Rütmus bzw. rütmus). Man verweist gern auf das Italienische, Finnische usw. und spart wohlweislich das Französische und die Weltsprache Englisch aus, unter deren Einfluß unsere Schüler wohl weiterhin die mehr oder weniger gelehrten Schreibweisen beibehalten und daher auch die entsprechenden Fehler machen werden (Rhytmus, Rythmus usw.; hinzu kommt noch, daß die Anthroposophen ja seit Jahrzehnten querschießen mit ihrer Eurythmie!); dies bleibt also eine Fehlerquelle, bis die englischsprachige Welt sich ebenfalls zu einer Reform entschließt, womit es aber gute Weile zu haben scheint. Übrigens haben Ausländer, die Deutsch lernen, vorher fast immer schon Englisch gelernt. Ihnen ist mit der reformierten Schreibweise internationaler Fremdwörter also auch nicht gedient, zumal die Fachsprachen sich ja nicht ändern werden, man denke nur an die internationale medizinische Nomenklatur: Arrhythmie usw.

Eine unerwünschte Nebenwirkung jeder Rechtschreibreform ist es, daß sie alle bisher gedruckten Texte mehr oder weniger alt aussehen läßt. Man denke an die vielen Werkausgaben. Das wird die Beschäftigung der jungen Generation mit diesen Texten nicht gerade fördern. Als Hochschullehrer weiß man, daß viele Studenten schon ungern Fraktur lesen und daß ihnen alt-, mittel- und frühneuhochdeutsche Texte aufgrund der Schreibweise oft fremder vorkommen, als sie in Wirklichkeit sind. Aus diesem Grunde darf man die Rechtschreibung nicht zu oft reformieren, jede Reform muß ein Jahrhundertwerk sein. Das ist der neue Entwurf aber nun ganz gewiß nicht, und so kann man sicher sein, daß in etwa zehn Jahren, wenn die Reform durchgesetzt ist, eine neue Generation von Reformwilligen aufstehen wird, und sie wird dieselben guten Argumente gegen das herrschende Flickwerk haben wie die heutigen Reformer.

Natürlich sind den Reformern alle diese Einwände bekannt. Nur eins haben sie wohl nicht genügend bedacht: Was wird aus einer Reform, wenn sie durch Kompromisse mit der Kultusbürokratie, mit populistischen Politikern und mit der spöttelnden Publizistik bis zur Unkenntlichkeit verwässert wird? An irgendeinem Punkt verliert das ganze Unternehmen seinen Sinn.

Eine ironische Pointe sei noch erwähnt: Eindeutig vorteilhaft ist die Reform nur für den Duden, den die Reformer am heftigsten kritisiert haben und der nun das Geschäft des Jahrhunderts machen wird. Es sei ihm gegönnt, aber mein Vorschlag geht dennoch in eine andere Richtung: Man sollte den Kommissionsmitgliedern für ihre jahrzehntelange mühevolle Arbeit herzlich danken und dann die ganze Sache vergessen.

Mit freundlichen Grüßen


Prof. Dr. Theodor Ickler


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http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1218