04.09.2009


Theodor Ickler

Goethes Angel

Eine Frage an die Philologie

Thurmair, Maria/Eva-Maria Willkop (Hg.) (2003): Am Anfang war der Text. 10 Jahre "Textgrammatik der deutschen Sprache". München (iudicium)

Der Band ist in der damals neuen Reformschreibung abgefaßt, also inzwischen längst überholt. Nur zu Konrad Ehlichs Beitrag heißt es: "Auf nachdrückliche Bitte des Autors ist dieser Beitrag in der alten Rechtschreibung belassen worden."

Der gefeierter Harald Weinrich selbst, um dessen Werk es ja geht, scheint eine solche Bitte gegenüber seinen eigenen Schülerinnen nicht geäußert zu haben, und so liest man bei ihm z. B. das altmodische im Übrigen.

Ludwig Eichinger sieht einen „Anstoß für weiter führende Fragen“, Heinz Kretzenbacher ist von „Arbeitsplatz sichernden Erwägungen“ getrieben.

Usw. Dietrich Krusche bespricht Goethes "Fischer", gibt den Text nach der dtv-Ausgabe von 1977 wieder, aber in Reformschreibung (wüsstest). Schwerer wiegt, daß er die erste Strophe so zitiert, wie es wohl in der Erinnerung vieler Goethe-Leser heißt: sah nach der Angel ruhevoll. Goethe schrieb aber: sah nach dem Angel ruhevoll, und er meinte wahrscheinlich den Angelhaken, wie es damals üblich war. Krusches Interpretation handelt von "oben/unten, außen/innen", die Blickrichtung spielt also eine entscheidende Rolle. Sie ist aber verschieden je nachdem, ob der Fischer nach der Angel oder nach dem Haken sieht. Ich komme gerade von der Nordsee, wo die Angler teils nach oben zur Angelrute, teils in die Flut nach dem Haken gesehen haben. Gefangen haben sie in den vier Wochen so oder so nichts. Die Kühlbox für den Fisch enthielt aber stets genug Bier, mit dem sie sich über die langen Stunden hinweggerettet haben.
Krusche kündigt sogar an: "Das Gedicht soll so vor die Augen derer treten, die diese Zeilen lesen, wie sie es von jeher kennen." Ich habe die Goethe-Philologie nicht im Kopf, aber ist die hier gebotene Version vielleicht von Goethe irgendwo autorisiert?


Den Beitrag und dazu vorhandene Kommentare finden Sie online unter
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1205