31.07.2009


Theodor Ickler

Die vergessene Revision

Eine Erinnerung an das aufgeregte Jahr 2000

Als ich auf die vielen Neuerungen in der 22. Auflage des Duden hingewiesen hatte – eine heimliche Revision der Rechtschreibreform –, gaben sich der Verlag und natürlich auch die Reformer selbst alle Mühe, die Tatsachen zu leugnen, und das IDS hatte noch jahrelang auf seiner Website die ehrabschneiderische Behauptung stehen, ich hätte durch eine Falschmeldung Unruhe geschürt.
Was damals ich selbst in der FAZ und Dankwart Guratzsch in der "Welt" veröffentlicht haben, ist bekannt, und es hat sich in jeder Hinsicht als zutreffend herausgestellt. Wie ich sehe, scheint ein Folgetext von mir aber noch nicht im Netz zu stehen, oder? Ich bin jetzt noch einmal darauf gestoßen, weil erstaunlich vieles von damals auch noch auf die gegenwärtige Lage und den neuesten Duden zutrifft, trotz der beiden amtlichen Revisionen. Hier also (noch einmal?) mein "zweiter Gang durch den Duden":


Leicht verderblich

Ein zweiter Gang durch Dudens deutsche Rechtschreibung (22. Auflage 2000)

von Theodor Ickler

Der erste Blick in den neuen Rechtschreibduden (vgl. Rezension in FAZ vom 11.8.2000: Ein Fiasko) ergab, daß die Änderungen sowohl gegenüber der ersten reformierten Ausgabe (1996) als auch gegenüber der amtlichen Regelung tiefgreifend genug sind, um von einer Reform der Reform sprechen zu können. Mag der Anteil der Änderungen prozentual gering sein, so erfassen sie doch gerade die besonders häufig gebrauchten, außerdem auch besonders umstrittenen Bereiche des Wortschatzes. Die erste Generation der umgestellten Schulbücher, Kinderbücher und Rechtschreibmaterialien kann davon nicht unberührt bleiben. Besonders die orthographischen Nachschlagwerke und die dazugehörige Software müssen umgehend ersetzt werden. Allerdings sind bereits die Stellen sichtbar, an denen die nächste Revision ansetzen muß und wird.

Zur äußeren Gestalt

Der neue Duden erscheint erstmals in etwas größerem Format; die breiteren Seiten wirken nicht mehr so prall gefüllt wie bisher. Allerdings ist der Preis nicht mehr deutlich genug von dem des ungleich reichhaltigeren Universalwörterbuchs entfernt.
Auf den ersten Blick hat jedes Wort eine neue Zeile, aber wie auf S. 10 erklärt und bei näherem Hinsehen festgestellt wird, findet in Tausenden von Fällen doch eine gewisse Nestbildung statt. Zum Beispiel steht „fassweise“ unter „Fasswein“, ohne daß man den Grund erkennen könnte, oder es sind Ableitungen und Zusammensetzungen bis zu einem halben Dutzend unter demselben Haupteintrag geführt. Zwar ist die von der theoretischen Lexikonforschung gelegentlich geforderte Ersparung von Wortteilen (früher Pünktchen, in anderen Werken auch Tilden o. ä.) aufgegeben zugunsten voll ausgeschriebener Wörter, aber der Nutzen ist gering. Ich kann nach intensiver Benutzung nicht bestätigen, daß die Stichwörter in der Neuausgabe schneller aufzufinden sind als in der vorigen. Der Flattersatz läßt viel freien Raum, aber Worttrennung ist trotzdem häufig (und wirft außerdem das Problem der reformierten Trennweisen auf, s. u.). Auch ist die Schrift blasser als früher.
Der erste Teil besteht hauptsächlich aus einer dudeneigenen Fassung der neuen Regeln sowie den üblichen Hinweisen zu Textverarbeitung und Maschinenschreiben; im Anhang findet man das amtliche Regelwerk.

Das Alte

Der neue Band beansprucht, stets auch die bisherige Schreibweise, die ja weiterhin auch in den staatlich geregelten Bereichen gültig bleibt, zu dokumentieren. In der ersten Reformausgabe war das versäumt worden, denn der bloße Rotdruck der Neuschreibung ließ oft nicht klar erkennen, wie die bisherige ausgesehen hatte. Aber auch jetzt sind manche Angaben dieser Art nicht ganz richtig. So wird als „alte“ Schreibung angeführt: „da-rüberfahren“, was zwar hinsichtlich der Zusammenschreibung stimmt, nicht aber was die hier zufällig verwendete neue Trennung betrifft. Übrigens kann man an diesem Beispiel noch einmal sehr schön die sonderbare Vorschrift studieren, daß Verbzusätze wie „darüber“ und „darunter“, nur weil sie (zufällig?) nicht in der berüchtigten geschlossenen Liste aus § 34 (1) stehen, vom Verb getrennt geschrieben werden müssen, ihre synkopierten Varianten „drüber“ und „drunter“ jedoch nicht: „darüber fahren“, aber „drüberfahren“.
Die diskriminierende Kennzeichnung der bewährten Rechtschreibung als „alt“ findet sich mindestens fünftausendmal. Dies stört die Chancengleichheit, so daß man nicht mehr objektiv feststellen kann, welche Schreibweise sich in der Bevölkerung durchgesetzt haben wird; denn welcher Schreibende möchte sich schon in jeder dritten Zeile beschimpfen lassen, weil er das Alte benutzt?

Besorgnis erregend

Ein Hauptfehler der Neuregelung ist es, die Adjektive vom Typ „besorgniserregend“ aufzulösen und stattdessen nur noch das syntaktische Gefüge aus einem Partizip und einer substantivischen Ergänzung gelten zu lassen: „Besorgnis erregend“. Verschiedene grammatische und stilistische Gründe sprechen dafür, daß es in vielen Fällen auch das zusammengesetzte Adjektiv weiterhin geben muß. Die Hauptgründe sind die gesamthafte Steigerbarkeit („noch besorgniserregender“, „sehr besorgniserregend“) sowie der prädikative Gebrauch („das ist besorgniserregend“). In beiden Fällen ist das Partizipialgefüge ausgeschlossen. Dieser schlagende Einwand, der sich übrigens bereits in einem Duden-Taschenbuch von 1996 aus der Feder der führenden Schweizer Reformer findet, führte im Dezember 1997 zu Vorschlägen der Rechtschreibkommission, den Paragraphen 36 einer „unumgänglich notwendigen“ Änderung zu unterziehen. Nach der Ablehnung dieser Vorschläge durch die Kultusminister und den deutschen Innenminister verlegten sich die Reformer darauf, die Änderung als bloße Interpretation auszugeben und sie stillschweigend, wenn auch nicht konsequent, in die neuesten Wörterbücher und sonstigen Rechtschreibmaterialien einzuschleusen. Den expliziten Widerspruch zur amtlichen Regelung nehmen sie in Kauf. So steht im amtlichen Wörterverzeichnis ganz eindeutig: „Furcht [einflößen/einflößend]“; so stand es dann auch im Duden von 1996, aber 2000 liest man „eine Furcht einflößende, auch furchteinflößende Vorstellung“. Ebenso „Furcht erregend/furchterregend“ - beides mit Hinweis auf die gesamthafte Steigerung.
Hier einige Revisionen:

Abscheu erregend/abscheuerregend
Achtung gebietend/achtunggebietend
Aufsehen erregend/aufsehenerregend
Besorgnis erregend/besorgniserregend
Ehrfurcht gebietend/ehrfurchtgebietend
Ekel erregend/ekelerregend
Epoche machend/epochemachend
Erfolg versprechend/erfolgversprechend
Erholung suchend/erholungsuchend
Furcht einflößend/furchteinflößend
Furcht erregend/furchterregend
Glück bringend/glückbringend
Glück verheißend/glückverheißend
Hitze abweisend/hitzeabweisend
Kosten sparend/kostensparend
Krebs erregend/krebserregend
Musik liebend/musikliebend
Platz sparend/platzsparend
Profit bringend/profitbringend
Respekt einflößend/respekteinflößend
Schauder erregend/schaudererregend
Schrecken erregend/schreckenerregend
Schwindel erregend/schwindelerregend
Staub abweisend/staubabweisend
Staunen erregend/staunenerregend
Unheil verkündend/unheilverkündend (aber nur „U. bringend, kündend“)
Verderben bringend/verderbenbringend
Vertrauen erweckend/vertrauenerweckend
viel sagend/vielsagend (aber nur „nichts sagend“)
viel versprechend/vielversprechend
Wasser abstoßend/wasserabstoßend
Wasser abweisend/wasserabweisend
(„weinbauend“ ist gestrichen)
(„Welten umspannend“ ist gestrichen)

Der ganze Umfang der Änderungen würde sich zeigen, wenn man auch die nicht eigens aufgeführten, aber gewiß analogen Fälle berücksichtigte: „Strom sparend“ usw. - Allerdings bleibt hier eine gewisse Unsicherheit, denn die Revision verfährt keineswegs konsequent. Einerseits sind nämlich Fälle wie „nichts sagend“ bisher nicht geändert, obwohl gesamthafte Steigerung vorkommt: „noch nichtssagender“, „besonders nichtssagend“. Andererseits sind aber nicht nur gesamthaft steigerbare Adjektive wenigstens fakultativ wiederhergestellt, sondern auch solche, bei denen Steigerung kaum oder gar nicht in Betracht kommt; dies jedoch sehr unsystematisch, also noch nicht etwa „eisenverarbeitend“, „funkensprühend“, „ölexportierend“, wohl aber: „epochemachend“, „erholungsuchend“. (Der Rotdruck ist wiederum unberechtigt, denn „Epoche machend“ gab es auch bisher schon als reguläre Verbform; versäumt ist wiederum der Hinweis auf obligatorische Benutzung des Adjektivs bei prädikativem Gebrauch: „das ist epochemachend“.)

Ganz neu eingetragen sind „Kraft raubend/kraftraubend“ und einige andere Fügungen dieser Art.

In umgekehrter Richtung sind auch getrennt geschriebene Gefüge nachgetragen:

fruchtbringend/Frucht bringend
fruchttragend/Frucht tragend
zeitraubend/Zeit raubend
zeitsparend/Zeit sparend

Manchmal schießen die Reformer über das Ziel hinaus: „blutreinigend, blutbildend, blutstillend, blutsaugend“ werden jetzt alle gleich behandelt, also „auch Blut reinigend“ usw. - Das ist aber falsch im Sinne der amtlichen Regelung, denn es heißt zwar „bildet Blut“, aber nicht „reinigt Blut“ (sondern „reinigt das Blut“). Bei „kostendeckend“, „Kosten sparend, auch kostensparend“ ist das wenigstens halbwegs berücksichtigt, auch wenn „kostensparend“ (das die Ausgabe von 1996 noch nicht wieder kannte) den Regeln widerspricht und die gesamte Rotschreibung sowieso fehl am Platze ist, denn es bleibt nun wieder alles beim alten.

„zartbesaitet“ ist wieder Haupteintrag (im Kasten umgekehrt), ebenso verhält es sich bei „zartfühlend“, aber die Steigerung, die hier auch Getrenntschreibung rechtfertigen soll, wirkt seltsam: „zarter fühlend“. Und ist „zartestfühlend“ neben „zartfühlendst“ überhaupt belegbar?


Rat Suchende und Leid Tragende

Neben „leidtragend“ findet man neuerdings auch „Leid tragend“, jedenfalls im Kasten; dagegen im Wvz. nur „leidtragend“. Dazu der Beispielsatz im Kasten: „Die Leid Tragenden sind die Kinder.“

1996: „fest angestellt, fest besoldet“, „der Festangestellte, Festbesoldete“. 2000: „festangestellt, der fest Angestellte, auch Festangestellte“ (ebenso zu „besoldet“). War 1996 der Übergang von „fest angestellt“ zu „Festangestellte“ grammatisch unmöglich (so auch die Reformer Gallmann und Sitta a.a.O.), so ist es 2000 in dieser Hinsicht zwar „besser“ geworden, doch wird weiterhin das grammatisch nicht ableitbare „Festangestellte“ als Möglichkeit angeführt. Es setzt aber ein Adjektiv „festangestellt“ voraus. Ebenso zu „Dienst habende, der Diensthabende“ (richtig wäre nur „Dienst Habende“, aber dies wird überhaupt nicht angeführt!). „Dienst leistend“ ist neu eingeführt; es scheint aber keinen „Dienstleistenden“ und keinen „Dienst Leistenden“ zu geben, wohl aber neben dem „Zivildienstleistenden“ neuerdings auch den „Zivildienst Leistenden“. Zu den „Daheimgebliebenen“ gesellen sich „daheim Gebliebene“, nur „daheimgebliebene“ Urlauber gibt es nicht.

Wie ist das alles zu erklären? Unter den mit „K 1“ usw. bezeichneten Regeln finden sich weitere Hinweise, die mit einem „D“-Symbol gekennzeichnet sind und Interpretationen des Duden enthalten. Darunter auch die Regel S. 46 (als Ergänzung zu K 58), wonach bei Substantivierung auch Zusammenschreibung eintritt, obwohl sie grammatisch nicht ableitbar ist. Dieser unmögliche Übergang wird auch von der Reformkommission neuerdings behauptet, allerdings haben deren Mitglieder Gallmann und Sitta schon 1996 darauf hingewiesen, daß er nicht korrekt ist. (Duden-Taschenbuch sowie „Handbuch Rechtschreiben“) Übrigens hebt er den Anspruch auf Neuregelung und Rotdruck auf, denn „Arbeit suchende Menschen“, „Arbeit Suchende“ und „Arbeitsuchende“ hat es ja bisher schon ganz genauso gegeben.

Neu nachgetragen sind: „spät Gebärende“ (neben „Spätgebärende“), „schwer Kranke“ (neben den irregulären „Schwerkranken“), „der nicht Geschäftsfähige“, „das nicht Gewünschte“, „der nicht Sesshafte“. Solche Gefüge waren natürlich auch bisher möglich; es wird leider nicht darauf hingewiesen, warum man sie meist vermeidet und durch echte Zusammensetzungen ersetzt.
Eine neue Variante ist auch „nicht zielend“ (ein schulgrammatischer Fachausdruck für „intransitiv“); das immer noch zugelassene „nichtzielend“ widerspricht allerdings der Regel, daß beim Partizip nur noch getrennt geschrieben wird.


Unsicherheiten: „hoch“, „wieder“ usw.

Bei den vielen Zusammensetzungen von Partizipien und Adjektiven mit „hoch-“ sind zahlreiche Änderungen vorgenommen worden, die aber selten einleuchten und insgesamt eine große Unsicherheit der Reformer verraten. Neuerdings wiederzugelassen sind: „hochbegabt“ (aber nur „schwach begabt“; immerhin gibt es jetzt wieder die „Hochbegabtenförderung“ und nicht nur die „Hoch-Begabten-Förderung“), „hoch gespannt“ (mit der schwer lernbaren Differenzierung „hochgespannte Ströme“/„hoch gespannte Erwartungen“), „hochgesteckt“ („hochgesteckte Haare“/„hoch gesteckte Ziele“), „hochgewachsen“. Daneben gibt es neue Getrenntschreibungen von Wörtern, die bisher angeblich zusammenzuschreiben waren, die aber der Duden von 1991 gar nicht enthielt: „hoch angesehen“, „hoch dosiert“, „hoch motiviert“, „hoch spezialisiert“.

Der Kasten zu „hoch“ ist von ungewöhnlicher Kompliziertheit. Dazu nur ein Beispiel: Es wird behauptet, Zusammenschreibung trete ein, wenn „hoch“ rein intensivierend gebraucht wird: „hochanständig (sehr anständig)“ usw. Ist dies aber nicht auch bei „hochempfindlich“ usw. der Fall? Doch gerade dies darf nur getrennt geschrieben werden!

Eines der größten Probleme sind für die Neuregelung die durchweg sehr häufig gebrauchten Verben mit dem Zusatz „wieder-“. Der äußerst mißverständlich formulierte Paragraph 34 (1) führte dazu, daß der erste Reformduden in gutem Glauben, wenn auch sicherlich mit schlechtem linguistischen Gewissen, zwei Dutzend Verben dieser Art aufspaltete: „wieder sehen“ usw. Vom längst wieder zum Leitwörterbuch gewordenen Duden drang diese Fehlschreibung in alle Kinder- und Schulbücher sowie in die überaus befremdliche Schreibung der Nachrichtenagenturen. Hier war also eine größere Reparatur fällig, doch wie sieht sie aus? Wieder zusammenzuschreiben sind: „wiederaufbereiten“, „wiederaufführen“, „wiederbeleben“, „wiedersehen“. Fakultativ „auch“ zusammengeschrieben kommen vor: „wiederaufbauen“, „wiederentdecken“, „wiedererkennen“, „wiedereröffnen“, „wiedererwecken“, „wiederfinden“, „wiedergeboren“, „wiedervereinigen“, „wiederverwenden“, „wiederverwerten“, „wiederwählen“. Weiterhin getrennt zu schreiben sind: „wieder aufnehmen“, „wieder aufsuchen“, „wieder auftauchen“, „wieder einfallen“, „wieder einsetzen“, „wieder gutmachen“ und „wieder herrichten“. Hier glaubt die Redaktion, wie der zugehörige Kasten zeigt, weiterhin, daß der Verbzusatz „wieder“ die Bedeutung „nochmals, erneut“ habe und daher laut § 34 getrennt zu schreiben sei. Das ist natürlich nicht richtig. Wer etwas wiederherrichtet, muß es nicht zuvor schon einmal hergerichtet haben, sondern versetzt es durch Herrichten in den früheren Zustand zurück; dieselbe Überlegung führt den Duden dazu, bei „wiederherstellen“, das unmittelbar auf „wieder herrichten“ folgt, die Zusammenschreibung beizubehalten. Man muß nach den Erfahrungen mit dem ersten Bericht und der Mannheimer Anhörung (Januar 1998) leider annehmen, daß auch die Rechtschreibkommission den Zusammenhang immer noch nicht verstanden hat. Hier ist also die nächste Revision fällig.

Der schlimmste Fehler (und ein Grund, den neuen Duden sofort wieder zurückzuziehen) ist jedoch folgender: Die Redaktion führt bei den fakultativen Getrenntschreibungen jeweils zwei Formen mit ganz unterschiedlichem Betonungsmuster an und erklärt dazu im Kasten:

„In vielen Fällen ist Getrennt- oder Zusammenschreibung möglich, vor allem dann, wenn die Betonung entweder nur auf 'wieder' oder sowohl auf 'wieder' als auch auf dem Verb oder Adjektiv liegen kann: die Firma wIEder AUfbauen, auch wIEderaufbauen (...)“ (S. 1074; aus technischen Gründen hier Großbuchstaben statt Unterstreichungen.)

Die vorige Ausgabe wußte noch wie alle früheren, daß der normale Wortakzent von „wiederaufbauen“ nicht auf „wieder“, sondern auf „auf“ liegt. Die neueste Aussprache kommt, wenn überhaupt, nur unter seltenen pragmatischen Sonderbedingungen in Betracht. Dieser Fehler scheint darauf zurückzugehen, daß der Bearbeiter die Betonungverhältnisse der Präfixverben („wIEder entdEcken“/„wIEderentdecken“, so S. 1075 s. v.) unbesehen auf die ganz anders gebauten Doppelpartikelverben übertragen hat.
Außerdem aber handelt es sich bei „wIEder AUfbauen“ („aufs neue aufbauen“, mit zwei Akzenten) und „wiederAUfbauen“ („durch Aufbauen in den früheren Zustand bringen“, mit einem Akzent) um völlig verschiedene Ausdrücke, so daß die beiden Schreibweisen keinesfalls als orthographische Varianten angeführt und durch ein irreführendes „auch“ verknüpft werden dürfen!

Bei den ebenfalls problematischen Partizipien mit „wohl-“ sind folgende Änderungen vorgenommen worden: Die Getrenntschreibung wird fakultativ ausgedehnt auf „wohl erzogen“, „wohl geformt“, „wohl gelitten“, „wohl genährt“, „wohl geraten“, „wohl proportioniert“, „wohl schmeckend“ (aber nur „wohlriechend“!). Umgekehrt wird fakultative Zusammenschreibung (wieder)eingeführt bei „wohltemperiert“.

„wohl vorbereitet“ ist neu eingefügt; es wurde angeblich zusammengeschrieben, war aber im Duden von 1991 gar nicht enthalten.

Dieser Teil der Neuregelung krankt daran, daß die Reformer mit dem Kriterium der Steigerbarkeit arbeiten und fälschlicherweise annehmen, „besser“ sei der Komparativ zu „wohl“, während es in Wirklichkeit der Komparativ zu „gut“ ist. „besser schmeckend“ gehört also zu „gut schmeckend“, während „wohlschmeckend“ natürlich den Komparativ „wohlschmeckender“ hat und daher ebenso zusammengeschrieben werden müßte wie „wohlriechend“, wo die Dudenredaktion sonderbarerweise anders verfährt. Daß all dies nicht so bleiben kann, liegt auf der Hand.

Andere Verbzusätze zeigen sporadische Änderungen gegenüber der vorigen Auflage, ohne daß die dahinter stehenden Überlegungen dem Benutzer deutlich würden. „hinterdrein laufen“ kann neuerdings auch getrennt geschrieben werden; aber man muß sich geradezu wundern, daß es überhaupt wie „hinterherlaufen“ zusammengeschrieben werden darf, denn nur „hinterher“ steht in der geschlossenen Liste aus § 34. (Übrigens muß es mit „sein“ wieder getrennt geschrieben werden, also „hinterher sein“!) Bei „dafürkönnen“ hatte der Duden 1996 Getrenntschreibung vorgeschrieben, der neue läßt auch die Zusammenschreibung wieder zu und fügt noch die Paare „dafürhalten/dafür halten“, „dafürsprechen/dafür sprechen“ und „dafürstehen/dafür stehen“ hinzu. Natürlich muß man nun zusätzlich lernen, daß es hier einen Spielraum gibt, anderswo aber wieder nicht. Nach dem alten Duden konnte man den Oberkörper „frei machen“ oder ein paar Tage (und natürlich auch einen Brief) „freimachen“. 1996 legte der Reformduden fest: auch der Oberkörper wird „freigemacht“. Die neue Ausgabe kehrt genau zur alten Regelung zurück und macht wenigstens an dieser Stelle jeglichen Rotdruck rückgängig. „wachhalten“ kann neuerdings wieder zusammengeschrieben werden, mit der schwer deutbaren Differenzierung „jemanden wach halten, auch wachhalten; Erinnerungen wachhalten, auch wach halten“. Bei „wachrufen“, „wachrütteln“ ist aber nur Zusammenschreibung zulässig. „warmhalten“ darf wieder zusammengeschrieben werden, aber nur wenn es um einen Freund geht; das Essen wird, wie im alten Duden, „warm gehalten“. Bei „warmlaufen“ ist es wieder ein wenig anders: den Motor „warm laufen“ oder „warmlaufen“ lassen, sich selbst „warm laufen“ oder „warmlaufen“. Auch „heißlaufen“ kann neuerdings getrennt geschrieben werden. - Ist das alles nun leichter zu lernen als die alte, ebenso sprachferne Dudenregelung? Was nützt die „Liberalisierung“, wenn sie an von Wort zu Wort wechselnde Bedingungen geknüpft ist, die sich nicht vorhersagen lassen - und von einer Auflage zur nächsten so unterschiedlich festgelegt werden? Dabei beschränke ich mich hier auf die neuen Unklarheiten, zu denen ja noch Tausende von längst bekannten hinzukommen („kleinkriegen“, aber „klein machen“ usw.).

Bindestriche

Obwohl, recht verstanden, auch nach der herkömmlichen Rechtschreibung Bindestriche fast nach Belieben gesetzt werden konnten, haben die Reformer viel Aufhebens davon gemacht, daß sie nun großzügiger verwendet werden dürfen. Der neue Duden zeigt überraschend viele obligatorische Bindestriche. Substantivierte Infinitive vom Typ „das Außerachtlassen“ sind nicht mehr zulässig, es muß jetzt „Außer-Acht-Lassen“ geschrieben werden. Daher auch „das Nicht-zustande-Kommen, auch Nicht-zu-Stande-Kommen“ (bisher „Nichtzustandekommen“, so auch noch 1996).

Zur Entzerrung der neuen Buchstabenhäufungen wird bekanntlich der Bindestrich vorgeschlagen, der in reformierten Texten zu so linkischen Gebilden wie „Schnell-Lebigkeit“ führt. Der neue Duden führt an: „Brenn-Nessel“, „Miss-Stand“, „Miss-Stimmung“, „Still-Legung“, „Stoff-Fetzen“ u. a.

Bekanntlich werden jetzt auch nach arabischen Ziffern Bindestriche notwendig, die man bisher mit Recht für überflüssig hielt: „3-mal“. (Dabei erweist sich die Lehre vom Bindestrich als lückenhaft, denn der gelegentlich hinzukommende Ersparungsstrich nach Wortresten müßte eigentlich Verdoppelung des Zeichens ergeben: „2-- bis 3-mal“; das ist natürlich nicht gemeint.)

Die Regel, wonach bei Ableitungen von mehrteiligen geographischen Namen der Bindestrich weggelassen werden kann („Bad Hersfelder“, „New Yorker“), führt nun auch zu gewöhnungsbedürftigem „Costa Ricaner“, „Puerto Ricaner“; die alten Schreibweisen (1996 noch als einzige angeführt) waren besser: „Costaricaner“, „Puertoricaner“. Jetzt sollen sie gar nicht mehr zulässig sein.

Vermischte Beobachtungen

Völlig neu ist die Großschreibung bei „heute Früh“. Die Kritik hatte darauf hingewiesen, daß es widersinnig ist, in „heute abend“ usw. die Tageszeit anders aufzufassen als in „heute früh“ und daher groß zu schreiben. Diesem Einwand will der Duden nun offenbar zuvorkommen, indem er auch „Früh“ als Substantiv deutet. Allerdings ist „die Früh“ gar nicht durch ein eigenes Stichwort vertreten, sondern kommt nur idiomatisch gebunden unter „die Frühe“ vor: „in der Früh“. Die „Frühe“ wiederum kommt hier nicht in Betracht: „heute Frühe“ gibt es nicht. Vielleicht erklärt sich daher, daß „heute Früh“ nur fakultativ („auch“) möglich sein soll, anders als all die obligatorischen Großschreibungen der anderen Tageszeiten. Im amtlichen Regelwerk gibt es dazu kein Beispiel.
Der Duden hat es auch versäumt, für „Dienstag früh“ usw. die notwendige Folgerung zu ziehen, daß hier zumindest auch „Dienstagfrüh (wie „Dienstagabend“) vorgesehen werden muß.

Aus der Neuregel, daß man nach Belieben auch „Ja sagen“ schreiben könne (obwohl der Grund dieser Großschreibung schwer einzusehen ist), hat die Redaktion wahrscheinlich zu Recht gefolgert, daß nun alle Partikeln in diesem Zusammenhang auch groß geschrieben werden dürfen: „Hallo rufen“, „du musst Danke sagen“, „ich möchte Danke schön sagen“, „Bitte sagen“ (aber nicht „Bitte schön“?), „Ja sagen“, „Ach und Weh schreien“, „Pieps sagen“ usw.

Die Schreibweise „Justizium“ (Gerichtsstillstand) mit z wegen „Justiz“ ist absurd, weil in dem Wort –stitium (zu lat. stare) steckt, ebenso wie in „Solstitium“.

Der vielbelachte „Spinnefeind“ ist wieder gestrichen, aber das grammatisch ebenso falsche „jemandem Todfeind sein“ ist hinzugekommen, weil die Reformer um Gerhard Augst partout nicht zugeben wollen, daß sie sich hier geirrt haben. Erstaunlich, daß die kompetenteren Dudenredakteure das mitmachen!

„leicht behindert“ fehlt immer noch, obwohl es im amtlichen Wvz. ausdrücklich angeführt ist. Neu hinzugekommen ist „rein weiß“. Beim „Paukenschlägel“ (bisher „Paukenschlegel“) ist jetzt nur die Umlautschreibung zulässig, ganz gleich, wie mancher es aussprechen mag. (Dabei ist die Unterscheidung von langem ä und e durchaus noch standardgemäß.)

„Maß, bes. bayr. auch Mass; 2 Mass Bier“. Hier bekommen die süddeutschen Kritiker, die wegen ihres angeblich falschen Beispiels als nichtstandardgemäße Bierdimpfl verspottet wurden, also doch noch recht! Allerdings fragt man sich sogleich, warum andere Regionen vernachlässigt werden. Wären nicht „Spass“, „Fussball“, ja auch „Glass“ ebenso zu berücksichtigen?

„lang gestreckt“: Hier muß auch Zusammenschreibung vorgesehen werden, denn das Adjektiv wird als ganzes gesteigert: „Er erscheint noch langgestreckter als die vorher besprochenen Arten.“ (Grzimek Bd. 5, S. 169); „die kleinste Art ist etwas langgestreckter“ (ebd. S. 263)

Die Neuschreibung „Kreme“ aus dem amtlichen Wörterverzeichnis hatte der Duden 1996 glatt vergessen, jetzt ist sie überall nachgetragen, auch in „Butterkreme“ usw.; nur das zugehörige Verb „kremen“ ist nicht angepaßt worden, hier bleibt es bei „cremen“, während „einkremen“ schon im alten Duden stand.

Das amtliche Regelwerk ist so unübersichtlich, daß sogar der Mitverfasser Klaus Heller überrascht war, als ich ihn darauf hinwies, daß nach § 55 (4) „nochmal“ nur noch zusammengeschrieben zulässig ist. Im ersten Reformduden war der Eintrag glatt übersehen, es gab nur „noch mal“, wie im alten Duden. Jetzt soll es „auch nochmal“ geben, aber die amtliche Regelung läßt diesen Ausweg nicht zu. Übrigens fehlt im Kasten zu „Mal“ ausgerechnet „jedes Mal“, obwohl doch die Beseitigung des Wortes „jedesmal“ ein besonders auffälliger Eingriff in den deutschen Wortschatz ist.

„Modernjazz“ ist nicht die alte und „Modern Jazz“ nicht die neue Sdchreibung, sondern es verhält sich gerade umgekehrt. 1996 noch richtig dargestellt.

Daß „hierlassen“ usw. bisher nur zusammengeschrieben wurde, stimmt so nicht; vgl. Duden 1991 s. v. „hier“ und „da“. Falsch ist auch die Angabe, bisher habe es nur „festgeschnürt“ gegeben. Es soll übrigens jetzt heißen „ein festgeknotetes Seil“, aber „eine fest geschnürte Schlinge“. Kein geringes Lernproblem!

„Saucenlöffel“, „Saucenschüssel“ standen zufällig nicht im alten Duden, wohl aber „Sauce“; die Zusammensetzungen waren also auch bisher möglich, der Rotdruck ist nicht gerechtfertigt.

Der „Armesünder“ ist weiterhin unzulänglich dargestellt. Der Duden bemüht sich, die absurde Neuregelung plausibel vorzuführen, doch die Angabe, bei Flexion des Erstgliedes werde getrennt geschrieben, ist nicht richtig exemplifiziert. Denn die Beispiele lassen die Flexion erst mit dem Genitiv beginnen, so daß man meinen könnte, „der arme Sünder“ sei unzulässig. Die vorgeführte Reihe lautet absurderweise: „der Armesünder, des armen Sünders“ usw. gegenüber „der Armesünder, des Armesünders“ usw.

Zu „Hämorroiden“ wird in der Ausgabe von 1996 richtig gesagt, daß es eine eingedeutschte Variante „Hämorriden“ gibt; es ist allerdings keine Schreibvariante, sondern die Schreibung folgt der anderen Aussprache. In der Neuausgabe werden beide Formen als bloße Schreibvarianten angeführt; das ist deutlich schlechter.

Mit Befriedigung nehmen wir zur Kenntnis, daß entgegen dem amtlichen Wörterverzeichnis nun klein geschrieben wird: „das ist mir wurst/wurscht“; denn man sagt ja auch „wie wurscht mir das ist“ usw. - ein deutlicher Hinweis auf Entsubstantivierung. Leider bleibt es bei falschem „so Leid es mir tut“, „wie Recht du doch hattest“ usw.; auch „Pleite gehen“ wäre endlich zu korrigieren. Im Dezember 1997 war die Kommission dazu bereit, aber die Kultusminister untersagten bekanntlich jede Korrektur; sogar offensichtliche Versehen blieben im Regelwerk stehen, und so trat es dann in Kraft.


Pars pro Toto

Die Fremdwortschreibung ist durch die Neuregelung deutlich erschwert. Bisher galt die einfache Regel, daß in mehrteiligen Fremdwörtern alle Bestandteile außer dem ersten klein geschrieben werden: „Dolce vita“, „Ultima ratio“ usw. (Nur für das Englische gab und gibt es Sonderregelungen.) Neuerdings muß man die Wortart aller Teile kennen, damit man die Substantive groß schreiben kann. Hier hatten alle reformierten Wörterbücher, besonders das von Bertelsmann, nur sehr lückenhaft umgestellt. Der neue Duden repariert nun die vergleichsweise wenigen Fehler der ersten Ausgabe: „Aide-Mémoire“, „Nomen Acti“ (ebenso „Actionis, Agentis, Instrumenti“), „Pars pro Toto“.
Das Französische scheint hier besondere Schwierigkeiten zu bereiten, die es bisher nicht gab: Dem „Agent provocateur“ wird der „Agent Provocateur“ zur Seite gestellt, dem „Chapeau claque“ der „Chapeau Claque“.


Fachsprache

Die Fachsprachen sollen von der Reform nicht betroffen sein - eine verständliche Vorsichtsmaßnahme der Reformer, weil sie keinen Widerstand von seiten der Wissenschaften heraufbeschwören wollten. Natürlich wußten sie, daß auf die Dauer kein Bereich der Sprache verschont bleiben würde. Immerhin sollte vorläufig Ruhe herrschen. Dieses Hintertürchen hat die Dudenredaktion schon im „Praxisduden“ genutzt.
Der neue Duden stellt nun „blindfliegen“, „blindschreiben“ und „blindspielen“ wieder her.
Allerdings wäre auf diesem Wege noch manche Härte zu vermeiden gewesen. Niemand hat je „Fonetik“, „Fonem“ usw. geschrieben, erst recht nicht wäre es nötig gewesen, die „Antiphon“ der Kirchensprache in „Antifon“ umzuwandeln. (Und das „Kolophonium“ in „Kolofonium“ zu ändern ist erst recht unangebracht, weil darin nicht der Stamm „phon“, sondern der Name der Stadt Kolophon zu erkennen ist. )

Auf vielfache Vorhaltungen hat sich die Dudenredaktion dazu durchgerungen, wenigstens die „Not leidenden Kredite“ wieder in „notleidende“ umzuwandeln; das wird als „fachsprachlich“ gerechtfertigt. Die Bevölkerung bleibt jedoch ganz unfachlich „Not leidend“.

Ohne ausdrücklichen Bezug auf die Fachsprache werden die sportspezifischen Ausdrücke „halblinks“ und „halbrechts (spielen)“ wiederhergestellt, die Getrenntschreibungen nur noch als Varianten geduldet. Der traditionelle Unterschied („halb links“ = 'ein wenig links', halblinks = 'auf der halblinken Position') ist aufgehoben, kaum zum Vorteil der Sprache, und für den Lerner ist die punktuelle Beliebigkeit auch kein Gewinn.


Zur Silbentrennung

Gleich nach ihrem Erscheinen war die erste Auflage des Reformdudens den Vorwürfen der Bertelsmannfraktion ausgesetzt, nicht alle zulässigen Trennungen seien angeführt (sie waren es übrigens seinerzeit auch im Bertelsmann-Wörterbuch nicht). In weiteren Bänden, vor allem im „Praxiswörterbuch“ und nun in der Neuauflage der Rechtschreibung tritt der Dudenverlag die Flucht nach vorn an und gibt auch die absurdesten Trennungen ohne jede Differenzierung an. Das ist nicht im Sinne des Benutzers, der ja nicht die banausenhaften Trennungen vorzufinden hofft, die er sich selbst ausdenken kann und mit denen er sich möglicherweise lächerlich macht, sondern die besseren, sprachgerechten; sonst würde er wohl nicht nachschlagen. Es hätte nahegelegen, nur die guten Trennungen anzuführen und auf die schlechteren nur pauschal zu verweisen. Die amtliche Regelung sieht eine solche Abstufung zwar nicht vor, schließt sie aber auch nicht aus. Dazu einige Beispiele:

Zu „Deng Xi-ao Ping“ usw: Man sollte hier doch wohl, wie es auch in der Aussprache angedeutet ist, die chinesische Einsilbigkeit solcher Wörter berücksichtigen und auf eine Trennung verzichten.
Es folgt eine kleine Auswahl von Trennungen:

A-bitur (aber Consilium Ab-eundi!), a-däquat, ap-ropos, Audi-ovision, Ausgehu-niform, Bassa-rie, Bibli-ograf, Bleia-sche, Cro-margan, De-oroller, Di-alog, Diag-nose (auch Prog-nose, aber nur Dia-gramm, Pro-gramm), Du-odenum, Esse-cke, E-xil, E-xorzist, Fide-ikommiss, ge-ozentrisch, Ge-ograph, Ge-odreieck, Harvardu-niversität (aber nur Lomonossow-universität), Indust-rie, I-nundation, Koloni-akübel, Kont-rast (aber nur Kon-trakt), Kont-rolle, Kore-akrieg, Malu-tensilien, Parak-let (aber nur Para-klase), Subs-kribent, Subs-tanz (aber nur Sub-stantiv)

Die Dudenredaktion gibt durch ihre eigene Praxis zu erkennen, daß sie die Trennung „ei-nander“ für die bessere hält, denn selbst dort, wo „ein-ander“ eine bessere Zeilenfüllung ergäbe, trennt sie „ei-nander“ und nimmt dafür mehr leeren Raum am Zeilenende in Kauf (zum Beispiel s. v. „Spagatprofessor“). Ebenso bevorzugt die Redaktion die Trennung „Res-pekt“.

In der Ausgabe von 1996 hatte die Dudenredaktion nur die Neutrennungen „hi-nab“ usw. ausdrücklich vorgeführt, auf die klassische Trennung wurde durch pauschale Angabe einer Paragraphennummer verwiesen. Diese Bevorzugung der „Trennung nach Sprechsilben“ ist jetzt aufgegeben, alle Trennstellen sind gleichberechtigt vorgeführt, also „hi-n-ab“ usw. Ebenso in zahllosen Fällen. Nur aus dem Regelverweis, d. h. durch zusätzliches Nachschlagen, konnte man 1996 allenfalls herausfinden, daß „Diok-letian“ vielleicht auch noch etwas sinnvoller getrennt werden könnte. Der neue Duden führt die Trennung „Dio-kletian“ immerhin gleichberechtigt vor; ihre Überlegenheit wird aber mit keiner Silbe angedeutet.

Im Anschluß an eine Vorlage zur „Mannheimer Anhörung“ werden nun tatsächlich die neuen Trennungen „Po-wer“ und „To-wer“ eingeführt, und bei den „Telto-wer (!) Rübchen“ soll die bisherige Trennung gar nicht mehr möglich sein, vielleicht weil der Schweizer Reformer, der dies ersonnen hat, mit dem norddeutschen Gemüse nicht so vertraut ist. - Bei „Chewinggum“ (einem ganz ungebräuchlichen Wort, das aber im amtlichen Wörterverzeichnis steht, weil es der Duden mitschleppte) und einigen anderen Einträgen sind bewährte Trennstellen fälschlicherweise als neu gekennzeichnet.


Zur Aussprache

Die Behandlung der Aussprache im Duden ist nicht erst heute ein Ärgernis. Wir finden nun:
Change (Geldwechsel) [tschehntsch], Update [apdeht], Mainstream [mehnstrihm] usw. (aber nicht konsequent! vgl. Edutainment [edjutein...], aber wiederum Entertainer [...tehner]); Handout [häntaut, 1996 noch händaut]
Die vulgärstmögliche Aussprache (ich transkribiere hier aus technischen Gründen in Normalschrift) bei vielen Fremdwörtern ist gerade beim Englischen widersinnig und unterläuft die Bildungswirklichkeit mit dem obligatorischen Englischunterricht in allen Schulen. Es ist auch nicht so, daß damit der allgemein übliche Aussprache-Standard korrekt wiedergegeben wäre. Gerade der verhältnismäßig gebildete Benutzerkreis des Dudens führt keineswegs überall die Auslautverhärtung durch und beachtet auch die Diphthongierung.

Sowohl mit der Silbentrennung als auch mit der Aussprache zeigt die Dudenredaktion, daß sie sich weder den Benutzern noch der Sprachkultur verpflichtet fühlt, sondern allein den Kultusministern, die es gegen jede Kritik abzuschirmen gilt. Wie radikal diese Willfährigkeit geht, zeigt nichts deutlicher als die Tatsache, daß aus allen Publikationen des Verlagskonzerns (Langenscheidt, Brockhaus, Meyer, Bibliographisches Institut, Duden) im Zuge der Reform das deutsche Wort „selbständig“ entfernt und dafür das wenig gebräuchliche, einigermaßen kakophone „selbstständig“ eingesetzt worden ist. Gerade weil dieser Wechsel im Grunde gar nichts mit Orthographie zu tun hat, ist er so bezeichnend für den neuen Ungeist.


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