05.04.2009


Theodor Ickler

Wo es herkommt

Ein Nachtrag zu den Verbzusätzen

Der Verbzusatz ist eines der umstrittensten, am wenigsten bewältigten Kapitel der deutschen Grammatik.
Die Rechtschreibreformer glaubten zuerst ohne diesen Begriff auskommen zu können, auch ohne Berücksichtigung der Arbeiten von Erich Drach, aber unter dem Eindruck der Kritik haben sie den Begriff dann doch noch eingeführt. Allerdings nur halbherzig, wie der revidierte Zustand der Reform zeigt.
Man sollte nicht vergessen, daß für die Getrennt- und Zusammenschreibung, das "Kuckucksei der Reform" (Munske), der Germanist Burkhard Schaeder zuständig war, der sich nach Offenbarwerden des Desasters völlig zurückgezogen hat, noch kleinlauter als sein Siegener Kollege und Mentor Augst. Nun, man muß in frühen Schriften nachschlagen, um sehen zu können, wann und wo der falsche Weg eingeschlagen wurde:

Bei Bergenholtz/Schaeder und Bergenholtz/Mugdan gibt es zwar eine Wortart Verbzusatz. Da sie sich bei ihrer Wortdefinition ganz von der Schrift leiten lassen, kommt der Verbzusatz aber in Gliedsätzen nicht vor. Die Konstruktionen kommt ... vor und vorkommt sind also – bloß wegen der orthographischen Konvention der Zusammenschreibung – völlig verschieden! (Ähnlich später bei Joachim Jacobs in seinem Buch "Spatien".) "Ein Verbzusatz kommt in den drei Satztypen vor, aber nicht in Gliedsätzen." (Bergenholtz, Henning/Schaeder, Burkhard: Die Wortarten des Deutschen. Stuttgart 1977:90; ebenso in Bergenholtz, Henning/Mugdan, Joachim: Einführung in die Morphologie. Stuttgart 1979:136)
Die verräterische Wortdefinition lautet:
Ein Wort ist eine solche Einheit, die von Zwischenräumen oder von Satzzeichen umgrenzt ist." (Bergenholtz/Schaeder:19)
"Verräterisch" in doppeltem Sinne, denn hier wird die Grammatik an die Orthographie verraten – und damit der Willkür staatlicher Erlasse ausgeliefert.
Nimmt man noch hinzu, was Schaeder später verkündete: "Jede Regel ist besser als gar keine" – dann hat man die tiefsten Wurzeln der gegenwärtigen Verwirrung beisammen.

Noch etwas anderes geht mir nicht aus dem Kopf: Es gibt wohl keinen Germanisten, der die Rechtschreibreform für gelungen gehalten hätte. Warum warfen sich trotzdem so viele diesem Monstrum in die Arme und fingen sogleich an, gegen die Reformkritiker zu polemisieren? Das Verordnete galt und gilt ihnen als das "Zeitgemäße". Ich mache mir Sorgen.


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