23.01.2009


Theodor Ickler

Wortbildungskalauer

Was Germanistikstudenten heute lernen

Zu den Voraussetzungen der Rechtschreibreform gehört der beklagenswerte Zustand der Wortbildungslehre. Man hat mit Recht von einem "Handbuchwechsel" gesprochen, nämlich von der historischen Wortbildung (Henzen usw.) zur synchronischen gegenwartsbezogenen (Fleischer).
Damit ging ein ungeheuerlicher Qualitätsverlust einher. Ich hatte ja schon auf einige dieser neuen Bücher hingewiesen. Bei Fleischer/Barz steht z. B.:
"Die historisch (...) aus dem Partizip hervorgegangenen Derivationsbasen von Bekennt-, Erkenntnis sind synchron auf die Personalformen mit -t (3. Pers. Sing., 2. Pers. Plur.) zu beziehen." (1992, S. 166)
Die Verfasser kennen also – selbstverständlich – die richtige Etymologie, dürfen sie aber wegen des synchronischen Standpunkts nicht heranziehen. Was tun? Man sucht im Konjugationsparadigma der Verben so lange herum, bis man auf Formen stößt, die zufällig das gewünschte t enthalten: er erkennt, ihr erkennt. Aber es gibt gar keine Möglichkeit, von solchen Personalformen abstrakte Substantive abzuleiten, indem man etwa -nis dranhängt. Und doch müssen die Studenten aus dem Gesagten schließen, daß es solche Regeln gibt.


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