06.08.2008 Theodor Ickler Die Tyrannei des VermeintlichenPolitische Korrektheit als MaskeExemplarischer Fall aus dem bayerischen KultusministeriumIn dem Unterrichtswerk „ratio – Fälle aus dem römischen Recht“ wird „der Fall berichtet, daß auf einem Schiff eine Sklavin ein Kind gebar, woraufhin der Reeder auch für den Säugling ein Beförderungsentgelt erheben wollte. Der römische Rechtsgelehrte Ulpian wies diesen Anspruch zurück. Um den Lateinschülern im 20. Jahrhunderts den Gegenwartsbezug dieses Rechtsstreites zu vermitteln, verweisen die Herausgeber Manfred Fuhrmann und Detlef Liebs auf einen aktuellen Bezugsfall: Die Deutsche Bundesbahn habe, als eine Kuh während eines Viehtransportes kalbte, für das Kalb den tariflichen Transportpreis verlangt. Soweit, so gut – 13 Jahre lang nahm niemand Anstoß an dieser Darstellung, bis jetzt eine erweiterte Neufassung des Standardwerks erscheinen sollte. Dazu war eine erneute Begutachtung notwendig, wenn die Neuauflage in Bayern zugelassen werden sollte. Einer der beiden vom Kultusministerium beauftragten Experten geriet über die Geschichte mit dem Sklavenbaby und dem Kalb in heftige Erregung. Ein derartiger Vergleich, gutachtete er, sei 'aus der Feder heutiger Autoren schwer erträglich und kaum dazu geeignet, den Sinn für Menschenwürde bei Schülern zu schärfen.' Das bayerische Kultusministerium schloß sich diesen Bedenken an und genehmigte die Neufassung nur unter der Auflage, daß der Vergleich Kind–Kalb gestrichen werde. Die Herausgeber protestierten und zogen ihr Manuskript für die erweiterte Fassung zurück. Der zuständige Ministerialrat im Kultusministerium schrieb einen verbindlichen Brief, in dem er auf die 'Sensibilität der Öffentlichkeit gegenüber auch nur vermeintlichen Verletzungen z. B. der Menschenwürde' verwies und anregte, man könne statt des inkriminierten Beispiels mit dem Viehtransport vielleicht die Tarifbestimmungen der Luftfahrtgesellschaften heranziehen. Die Herausgeber blieben bei ihrer Weigerung, die 'absurde Streichung' vorzunehmen. Die Tarifordnungen der Transportunternehmen, argumentierten sie, führten von jeher Kinder, Hunde und Gepäckstücke nebeneinander auf, ohne daß jemand dadurch die Menschenwürde verletzt sehe. Dabei blieb es. Die Neufassung der römischen Rechtssammlung wird nicht erscheinen, die alte bleibt, wie sie war. Der unveränderte Nachdruck eines bereits zugelassenen Unterrichtswerks bedarf laut bayerischer Verordnung keiner neuen Zulassung.“ (Hans Holzhaider in der SZ vom 18.2.1988) Der Fall zeigt das Muster aller Fälle von Politischer Korrektheit: Man knickt vor einer vermuteten Empfindlichkeit anderer Leute ein. Es ist anzunehmen, daß im Ministerium die Unsinnigkeit des Ganzen überhaupt nicht bezweifelt wurde. Ähnlich war es mit der Rechtschreibreform. Mir ist damals zugetragen worden, daß sich das ganze Innenministerium (und nicht nur dies) über Ministerialrat Krimm lustig machte. Aber mitgemacht haben dann doch alle, ohne vernehmliches Murren. Aus lauter Ängstlichkeit wagt man nicht mehr zu seiner Meinung zu stehen. So wird ein ganz bestimmter Typ von Bürgern herangezüchtet. (Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, daß der Vergleich eigentlich gut altrömisch war. Aber wahrscheinlich würden die Gutmenschen am liebsten auch noch jeden Hinweis darauf tilgen, daß es in der Antike überhaupt Sklaverei gab.)
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