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11.08.2013
 

Germanistikprofessor Dieter Wrobel zum Thema 15 Jahre Rechtschreibreform
„Sprache ist mehr als Regeln“

Dieter Wrobel ist Professor für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur in Würzburg. Zu seinen Aufgaben gehört es, zu forschen, was man Kindern über ihre Muttersprache beibringen soll. Dazu gehört Rechtschreibung.

Die Einführung der ursprünglichen Reform jährt sich zum 15. Mal, mittlerweile hat es mehrere weitere Reformansätze gegeben. Sie haben Schreibregeln neu gefasst, die sich nicht durchsetzten.

Was ihm dazu einfällt, ist allerdings eher dürftig – siehe hier.


Quelle: Mainpost
Link: http://www.mainpost.de/ueberregional/meinung/Sprache-ist-mehr-als-Regeln;art9517,7621423

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Kommentare zu »„Sprache ist mehr als Regeln“ «
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.09.2013 um 06.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1154

Meinen vorigen Eintrag habe ich formuliert, bevor ich den letzten von Herrn Ludwig lesen konnte.

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.09.2013 um 06.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1153

Der Ersatzinfinitiv wird schon sehr lange diskutiert. Grimm führte ihn auf Partizipien zurück, die zufällig mit dem Infinitiv gleichlauteten, daraus sei dann verallgemeinert worden. Dagegen Merkes 1895 mit chronologischen Argumenten (im Original hier zu finden; immer noch lesenswert, auch von Paul im vierten Band seiner Grammatik erwähnt.)

Havers (Hb. der erklärenden Syntax 70) führt ihn wenigstens teilweise auf einen Perseverationsfehler zurück: der vorausgehende Infinitiv wirke nach. Ähnlich im Grunde auch Merkes, mit Erdmann.
Blatz II 616 hält das Vorbild von lassen, sehen, heißen für wahrscheinlich, wo das Part. ohne ge- und der Infinitiv gleich lauteten. Er spricht an verschiedenen Stellen über das Phänomen. Die Modalverben hatten kein Part. II, daher Ersatzbildungen:
ih kunde gestriten han = ich hätte streiten können
ich müese/müeste gevarn sin = ich hätte fahren müssen
Blatz vergleicht mit dem heutigen Englisch, das immer noch kein Part. II der Präteritopräsentien hat: I could have striven. (entspricht ih kunde gestriten han.) Vgl. I:550 mit weiteren englischen Beispielen: I could have given. II 612 nochmals darüber.

Die neueste Literatur ist oft nicht sehr erhellend (z. B. die Diss. von Tanja Schmid), meist wird schon die Erscheinung selbst unzutreffend beschrieben.

Lieber Herr Ludwig, Ihre Bedenken teile ich nicht. Das Partizip vergessen steht paradigmatisch regelhaft unter den Partizipien der bereits präfigierten Verben, ob schwach oder stark. Der Ersatzinfinitiv steht aber genau da, wo nach der Grundregel das Partizip II zu erwarten wäre. Das ist ein Lernproblem, dem man durch Umformulierungen ("zwei Partizipien") nicht abhelfen kann. Übrigens gibt es fast immer alternativ ein reguläres Partizip, was die meisten Grammatiken wegen ihrer rigid normativen Ausrichtung übersehen.

 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 11.09.2013 um 17.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1152

Lieber Herr Riemer, heute, wo der Sang schon so verschollen ist, daß der normale Sprecher des Deutschen dazu schon fast gar keine weiteren starken Formen mehr hat, gibt's aber doch noch eine Reihe Verben, die mehr als eine Perfektpartizipform haben, und bei einem großen Teil davon finden wir da eine starke und eine schwache. Deren Verteilung mag landschaftlich oder berufsprachlich sein oder was weiß ich wovon abhängen (andere germanische Sprachen kommen schon lange ohne das [perfektive] /ge-/ aus), aber daß bei den modalen Hilfsverben, die als "Deponentien" ja ihren ursprünglichen Vergangenheitsformen Präsensbedeutungen gegeben haben, sich zur Darstellung weiterer Vergangenheit eine Menge Eigenartiges erhalten oder ergeben hat, erstaunt mich gar nicht. Aber mich interessiert sowas immer noch, wenn ich darauf stoße. Auf einmal interessant ist in diesem Zusammenhang nämlich "Ich habe ihn nicht kommen hören", denn *hören* ist ja ein schwaches Verb. Genügend Menschen haben mich aber auch schon gefragt: "Haben Sie ihn denn nicht kommen gehört?", und ich hielt ihnen nicht vor, sie sprächen falsches Deutsch, sondern beantwortete einfach wahrheitsgemäß die Frage, die sie mir gestellt hatten. Schließlich muß ja nicht jeder so sprechen, wie's der Duden als alleinig richtig angibt.
Aber bei meinem und seinem "Ich habe ihn nicht kommen hören" steht "hören" in der Position des Perfektpartizips, und in "Ich werde ihn sicher kommen hören" steht es in der Position des Infinitivs, und das bestimmt meine Terminologie zur Beschreibung dessen, was hier vorliegt. Und für meine Deutschlerner benutzte ich also, damit sie den Sachverhalt klar sähen und sich anderer Lehrbücher wegen keine weiteren unnötigen Fragen stellen müßten, fürs letztere die Bezeichnung "real double infinitive" und fürs erstere "so-called double infinitive". Aber ich sagte ihnen nicht, daß sie derartige Sätze, mit zusammengesetzten Zeiten, im tagtäglichen Deutschen würden nur relativ selten sagen müssen oder auch nur zu hören bekommen.

Zu #1151: Nur starke Verben. Bei denen ist die Perfektpartizipendung "en", bei schwachen nicht (bestellt, zerstört).

Zu #1150 "Ich habe geschrieben, daß in *wollte sehen* "tatsächlich und unzweifelhaft der Infinitiv" steht, weil *sehen* hier nicht nur wie der Infinitiv aussieht, sondern formal auch an der Stelle des Infinitivs steht": Völlig richtig, und ich hätte nicht darauf herumreiten sollen, was aber auch wirklich nicht meine Absicht war. Unser "Problem" bezieht sich jedoch nicht auf den Gebrauch der Wortformen in den Hauptzeiten, sondern in den "zusammengesetzten" Tempora, Modi und dem Passiv. In "*Ich habe ihn kommen sehen* (=gesehen, Perf.) [/] Ich wollte ihn kommen sehen* (=sehen, Inf.)" sind "habe" und "wollte" zwar beide Hilfsverben, aber jedes mit ganz verschiedener Funktion. Ersteres eben zur Tempusbildung in zusammengesetzten Zeiten, das zweite zur Kennzeichnung der Modalität in allen Zeiten, — wobei ich ziemlich sicher bin, daß das Perfekt des Futurs *er wird nicht haben kommen können* wirklich nicht existiert; ich hätt's jedenfalls nie gehört, habe ich meinen Studenten übrigens in der Grammatikstunde hierzu auch immer gesagt. Bei der Kennzeichnung der Vermutung von etwas Vergangenem mit der gleichen Struktur bin ich mir aber schon nicht mehr so sicher. Mir käm's jedenfalls gar nicht so schwer von den Lippen, — aber den vielen anderen auch?

 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.09.2013 um 14.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1151

Es gibt eine ganze Gruppe von Verben, bei denen das Partizip Perfekt gleich dem Infinitiv ist, nämlich viele zusammengesetzte Verben mit Stammbetonung wie entkommen, beladen, entlassen, erschlagen, verlassen, zertreten, umfahren u.v.a.

 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.09.2013 um 10.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1150

Lieber Herr Ludwig,
ich habe geschrieben, daß in wollte sehen "tatsächlich und unzweifelhaft der Infinitiv" steht, weil sehen hier nicht nur wie der Infinitiv aussieht, sondern formal auch an der Stelle des Infinitivs steht. Es ist der Infinitiv.
Das kann man aber bei Ich habe das vergessen nicht sagen, denn vergessen sieht nur wie der Infinitiv aus, steht dort aber formal nicht an der Stelle des Infinitivs.

Das Beispiel vergessen ist zur Klärung der Frage, ob es zwei Perfektpartizipien geben kann, ungeeignet, denn es hat sowieso immer nur die eine Form im Perfekt und als Infinitiv.

 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 10.09.2013 um 23.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1149

Auf irgendeiner internationalen Deutschlehrerkonferenz in den 70er Jahren erklärte ich mal in einer Sitzung, daß in den Perfektzeiten die deutschen modalen Hilfsverben zwei Perfektpartizipien haben, ein starkes und ein schwaches, und daß da die gelehrte "Regel", daß nach einem Infinitiv der Infinitiv das Perfektpartizip ersetze (wie auch bei "lassen", "hören" und "sehen"), eigentlich falsch beschreibe, was da wirklich vorgeht (vgl. hier).
Und in der nächsten Ausgabe seines Deutschlehrbuches hatte der Sitzungsleiter dann tatsächlich meine Erklärung im Kapitel zu den Perfektzeiten der modalen Hilfsverben, die natürlich nicht mit dem Duden übereinstimmte. In einer weiteren Ausgabe seines Buches bekam der Verfasser aber wohl kalte Füße und ließ diese Erklärung wieder weg und hatte wieder, was alle sonst gelernt hatten, weil's in den von ihnen benutzten Büchern stand, nämlich, der Infinitiv ersetzt hier nach abhängigen Infinitiven das Perfektpartizip. Und einfach angewendet führt das ja auch zu durchaus richtigem Standarddeutsch, und an dem sind die Deutschlehrer ja am meisten interessiert.
Mein Großwörterbuch *Pons Collins [...] Deutsch>Englisch [/] Englisch>Deutsch" (Neubearbeitung 1997, Stuttgart, Düsseldorf, Leipzig: Klett) hat allerdings hinten in der Formenliste der "Irregular Verbs" in der Spalte "Past Participle" "gedurft *(after infin)* dürfen", "gekonnt *(after infin)* können", "gemocht* (after infin)* mögen", "gesollt *(after infin)* sollen", "gewollt *(after infin)* wollen" — und bei "müssen" sogar nur "müssen", aber das geht wohl auf schwaches Korrekturlesen zurück. Bei "sehen" finden wir "gesehen *(after infin)* sehen" und bei "lassen" steht dementsprechend auch "gelassen *(after infin)* lassen'. So sieht's also wissenschaftlich aus.

Ich habe in meinen Kursen übrigens auch nie "irregular verbs" gesagt, obwohl das auch so ein gängiger Ausdruck ist. Aber ich wollte, daß die Studenten bei denen auch System sehen: drink, drank, drunk; sing, sang, sung; sink, sank, sunk, und nicht dumm herumreden,— und auch damit sie verstehen, warum ihre Großmutter im Hinterland "brung" vielleicht sagt, wofür sie selbst in der Schule für gute Noten "brought" gelernt hätten. Denn auch diese alte Dame spräche durchaus von einem System beeinflußt, aber eben nicht dem, das wir Standard nennen. Und die Studenten mußten zusätzlich darauf vorbereitet werden, damit zu leben, daß wir in den USA sechs *standard English* haben (jedes mit seinem eigenen Zentrum, genau wie London es fürs Queen's English ist), zu welchen *standards* wir aus dem Mittelwesten allerdings sagen (und ich auch), daß der des Mittelwestens der beste ist.
Und wenn hier zu unserer Frage "nach Modalverben [...] ja nun tatsächlich und unzweifelhaft der Infinitiv [steht]:
Ich habe ihn kommen sehen (=gesehen, Perf.)
Ich wollte ihn kommen sehen (=sehen, Inf.)",
lieber Herr Riemer, dann stünde ebenso tatsächlich und unzweifelhaft der Infinitiv "vergessen" in "Ich habe das vergessen", denn genauso aussehen tut er ja. Aber zur Bildung der germanischen Perfektzeiten hat der Infinitiv nun mal nirgends eine Funktion.
Seit den 70er Jahren habe ich übrigens den Duden nicht mehr als Informationsmittel benutzt, sondern nur dazu, um herauszufinden, was die Duden-Leute zu einem sprachlichen Problem haben, welches dann selbst Fachleute einfach und eben nicht weiter bedacht als richtig übernehmen und weitergeben. Da sah ich dann z. B. ziemlich schnell, daß es bei der Beschreibung der Verschriftung des deutschen stl. [s] beim Duden drunter und drüber ging und für den Deutschunterricht jedenfalls viel zu kompliziert war. (Nicht umsonst hat ja jetzt auch die Rechtschreibreform beim stl. [s] die größten Probleme.)

Zur Terminologie in #1146: Das Perfekt ist eine Zeit, Infinitiv und Perfektpartizip (Partizip Perfekt, 2. Partizip) sind Wortformen des Verbs. Und wenn die beim Duden von einem "Ersatzinfinitiv" spechen, dann ist das bloßes Herumgerede und nicht wissenschaftlich.

 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.09.2013 um 10.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1148

Wahrscheinlich meinen Sie, lieber Germanist, den Fall, daß das perfektive Verb selbst das Modalverb ist wie in
Er hat kommen wollen (=gewollt)
Der Unterschied zu Verben wie sehen, lassen u.a. ist, daß bei allen Modalverben nicht nur das ge- weggelassen, sondern sich auch teilweise der Wortstamm und die Endung vom Infinitiv unterscheiden.
Bei diesem wollen vom Perfekt zu sprechen, ist also sozusagen noch "anstrengender" als bei sehen.

Andererseits, wenn man dieses wollen (für gewollt) als Infinitiv bezeichnet, kann man kaum anders, als auch dieses sehen (für gesehen) Infinitiv zu nennen. Die Modalverben bilden also nicht allein den Sonderfall.

worden ist eine Mischform, ge- fehlt zwar auch, aber der Stamm ist geändert, das kann man nun wieder nicht Infinitiv nennen.

Der Duden benutzt für den Fall der Gleichheit den Ausdruck "Ersatzinfinitiv". Also letztendlich doch ein Infinitiv?

 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 09.09.2013 um 23.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1146

Na ja, nach Modalverben steht ja nun tatsächlich und unzweifelhaft der Infinitiv:
Ich habe ihn kommen sehen (=gesehen, Perf.)
Ich wollte ihn kommen sehen (=sehen, Inf.)
Die Frage ist aber, ob man auch nach dem Hilfsverb haben, wo eigentlich das Perfekt steht, vom Infinitiv spricht oder von einer zweiten Perfektform.

 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 09.09.2013 um 20.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1145

Laut meiner Deutschen Schulgrammatik von 1952 und dem Kleinen Duden, Deutsche Grammatik von 1988 wird bei Modalverben das Partizip Perfekt durch den Infinitiv ersetzt. Aber möglicherweise ist das eine "volkstümliche" Ausdrucksweise und sehen das Sprachwissenschaftler ganz anders.

 

Kommentar von B.Troffen, verfaßt am 09.09.2013 um 17.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1144

Gleichgültigkeit ist der Hauptfeind, so ist es wohl, und das gilt nicht nur für das Thema hier, das gilt allgemein. Es hat viel damit zu tun, daß der Prozeß weit fortgeschritten ist, vor dem Neil Postman warnte mit "Wir amüsieren uns zu Tode": In den E-Medien wird alles den Mitteln, Moden und Methoden der Unterhaltung unterworfen. Das erleben wir jetzt beim sog. Wahlkampf, in den Talkshows und natürlich im Sport, der beim ZDF schon mit eigenem Sprecher bei den Hauptnachrichten dabei ist. Auch sonst wird alles showmäßig inszeniert, was sich nicht wehrt. Und Show ist belanglos, folgenlos, sinnlos – eine andere Haltung als Gleichgültigkeit wird ihr gar nicht gerecht. Das färbt dann wohl immer mehr ab auf Bereiche, wo es völlig unangemessen ist.

 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 09.09.2013 um 11.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1143

Zur Formenwahl bei den Maßbezeichnungen hier:
Ich habe den Eindruck, daß die Singularformen hier mehr im rein Berechnenden, im Geschäftsleben zu Hause sind, wo man also fürs Bestellen und Zusammenrechnen die Maßbezeichnung zusammen mit der Warenbezeichnung als Einheit sieht, die dann auch wenn's davon mehrere gibt, als Einheit berechnet werden. Ähnliches gilt für Dutzend. Ja, und wie ich eben nachgeschlagen habe: Sogar Schock (engl.: three score!) und Gros haben Pluralformen (auf -e), wobei die von "Gros" sogar mit Doppel-s geschrieben würde (Gros [neutr], ses, se! [als wäre das "s" am Ende der Singularform ein gebundenes Morphem, — was ich mir aber nicht vorstellen kann]). Ich gehe mit letzteren Maßbezeichnungen wirklich nicht tagtäglich um und habe deshalb damit bisher auch keine Schreibprobleme gehabt. Aber ich erleb's immer wieder, daß der Kellner mir vier Gläser Bier an den Tisch gebracht hat, mir aber schließlich die Kosten für 5 Glas Bier anrechnet, und ich protestiere, wenn ich's bemerke: "Fünf Glas ist falsch [nicht "sind"!]. Auch nach vier Gläsern Bier weiß ich das noch ganz genau." Dasselbe gilt wohl auch für die Maß Bier, die die Bayern in Maßen und die Schweizer in Massen trinken, auch wenn sie's in Maß/Mass trinken.

Wenn's ans Zahlen geht, da sieht schnöder Bürogeist Maßangabe und Ware als eine Einheit; wenn's jedoch allein um die Ware geht, dann kann zum Beispiel ein Faß Wein schon eine ganz schöne Menge sein, — aber zwei Fässer Wein sind noch schöner, und Ickler meint, daß man wohl meistens sagt, daß drei Faß Wein genug sei oder seien; und ganz sicher recht hat er, wenn man deren Bestellung aufgibt. Ich weiß von früher noch, als angelernter Bauarbeiter, ein Sack Zement ist schon unheimlich schwer; aber jetzt noch zwei Säcke Zement vom Auto bis an mein zerfallendes Haus zu schleppen, das ist jedenfalls bei meinem Alter gar nicht mehr drin, auch wenn ich die fünf Sack Zement, die ich jetzt brauche, leicht bezahlen kann. — Rede ich derartig richtig?

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.09.2013 um 05.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1142

Das ist wohl mehr eine Frage der Wortwahl. Man sagt wohl meistens drei Glas Bier/Faß Wein sind genug, aber man kann auch mit dem Singular des Verbs fortfahren.

 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 09.09.2013 um 00.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1141

Germanist schreibt ja auch schon, daß nach Mengenangaben größer als eins manchmal der Singular steht.

Deshalb gleich meine nächste Frage:

In dem Satz Ich habe ihn kommen sehen steht sehen eigentlich für das Perfekt gesehen. Ist also sehen eine zweite Perfektform neben gesehen, oder wird hier anstelle des Perfekts der Infinitiv eingesetzt?

Geht man analog zum Beispiel Faß/Fässer vor, müßte sehen auch in dieser Verwendung der Infinitiv sein. Ist das richtig?

 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 09.09.2013 um 00.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1140

Ich glaube auch nicht, daß Faß und Fässer beides mögliche Plurale von Faß sind.
Aber ich bin nicht sicher, was dann richtig ist.
Meiner Ansicht nach wird in zwei Faß Wein der Singular Faß benutzt, analog für Sack, Glas, Mal usw. (Ich bitte um Korrektur, falls das falsch ist.)

 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 07.09.2013 um 18.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1139

Vielen Dank für die Hinweise. Weil deutsche Wörter im Plural ihr Geschlecht verlieren, kann es bei zweigeschlechtigen Wörtern Mißverständnisse geben. Das Maß und die Maß haben den gleichen Plural, und deswegen trinken die Bayern das Bier nicht in Maßen, sondern in Maß: zwei Maß, drei Maß, und die Schweizer nicht in Massen, sondern in Mass.

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.09.2013 um 15.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1138

Ja, das ist jedenfalls die These: zwei Male und zwei Mal, wie zwei Fässer/Säcke/Gläser und zwei Faß/Sack/Glas. Ich glaube es aber nicht.

 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 05.09.2013 um 23.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1137

Wenn die Schüler leichter nach Regeln schreiben können sollen, warum haben die Reformer diese Ausnahme erfunden, daß bei "Mal" nach Mengenangaben größer als eins nicht immer der Plural steht, sondern manchmal ausnahmsweise der Singular? Im Duden von 1996 steht rot gedruckt "ein Dutzend Mal, Millionen Mal" und schwarz gedruckt " ein paar, ein paar Dutzend, eine Million Male, drei Millionen Male, ein oder mehrere Male, ein für alle Male, zu fünf Dutzend Malen, zu verschiedenen, wiederholten Malen". Es ist total unlogisch. Oder hat "das Mal" zwei verschiedene Plurale?

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.09.2013 um 06.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1136

Danke, Herr Blombach, für den Hinweis! Ich hatte mich mit Hüther noch nicht näher beschäftigt, nur aus einigen seiner Beiträge denselben Unsinn entnommen wie aus Spitzer. Neurobluff eben. Die ZEIT deutet nur zart an, daß sie auch nicht ganz unschuldig ist. Die Medien stellen im Zweifel den Unterhaltungs- und Sensationswert immer über die wissenschaftliche Seriosität. Diese Unverantwortlichkeit haben wir auch bei der Rechtschreibung erlebt und erleben sie noch.

Im Gespräch mit durchaus sympathischen Leuten stelle ich regelmäßig fest, daß sie über Dinge, die man wissen könnte, ganz krause Ansichten haben, die aus irgendwelchen Fernsehsendungen oder Zeitungsberichten stammen.

Ich hatte früher schon mal berichtet, was für komische Sachen hier auf der Insel geboten werden, Qigong und anderes Besinnliche, in der Inselbuchhandlung liegen die esoterischen Bücher dazu aus. Mit gewissen Salzen wird man glücklich. Manche gehen gleich hoch ins "Kurmittelhaus" und trinken Meerwasser. An der Wirksamkeit ist nicht zu zweifeln.

Aluminiumsalze freilich muß man meiden, auch in Deo-Kristallen, das ist ein richtiges Teufelszeug. So steht es auch auf vielen Internetseiten.

Zum Glück muß ich nicht oft in den Ort, sondern halte mich an den Teil der Insel, wo Kinder im Sand spielen oder kilometerweit überhaupt niemand zu sehen ist und wir herauszukriegen versuchen, warum die Kegelrobben neben uns herschwimmen und immer wieder zu uns rüberschauen, obwohl sie noch niemals von den Menschen irgend etwas bekommen und auch nichts zu befürchten haben. Neugierverhalten nennt man das, aber welchen biologischen Sinn hat es in diesem Fall?

Vor ein paar Tagen haben wir in unserer Ferienwohnung eine zweite Ausnahme (nach dem Kandidaten-"Duell") gemacht und eine halbe Stunde "Wer wird Millionär?" geguckt. Mein erster Eindruck wieder einmal. Was für ein Aufwand um ein paar triviale Quizfragen herum! Ein Mann namens Jauch rief dazu ein paar Nummern aus seinem Mimik-Repertoire ab, richtig komisch. Er wirkt so, als könne er in Wirklichkeit auch was Intelligentes machen, was aber nicht so viel Geld bringen würde. Wir schalten ab und grämen uns eine Weile mit dem Gedanken an Millionen Erwachsene, die ihre Abendstunden mit so etwas totschlagen.

Man hat polemisch von "Zuschauer-Demokratie" gesprochen. Aber das Zuschauen geht ja noch viel weiter. Das haben wir immer wieder zu spüren bekommen, wenn es um unser kleines Problem mit der Rechtschreibung ging. Die Ereignisse, denen man da zuschaut, sind amüsant oder empörend und in beiden Fällen vollkommen unwichtig und nach ein paar Minuten vergessen wie alles andere. Diese Gleich-Gültigkeit war von Anfang an unser Hauptfeind, unbesiegbar.

 

Kommentar von Andreas Blombach, verfaßt am 31.08.2013 um 19.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1135

Zu Hüther gibt es hier einen ganz netten Artikel: www.zeit.de

 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 28.08.2013 um 16.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1134

Am besten finde ich ja, daß es zu umständlich sei, mit zwei verschiedenen Rechtschreibformen zu hantieren. Einmal abgesehen davon, daß genau das seit Jahr und Tag etliche hier im Forum (mich eingeschlossen) tun und offenbar keine Probleme damit haben, müßte es doch für einen Didaktiker der deutschen Sprache ein interessantes Feld sein, zu erforschen, welche Erfahrungen man damit macht.

Ein sachkundiger Journalist mit Chuzpe hätte diesen Artikel auch ausfallen lasen und statt dessen schreiben können: "Der von uns als Experte befragte Professor hatte nichts wesentliches zu sagen; wir füllen deshalb die Zeilen mit einem Klein-Erna-Witz. Gute Unterhaltung!"

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.08.2013 um 07.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1133

Ein schlagendes Beispiel liefert heute Gerald Hüther in der "Welt". Warum will man von einem Hirnforscher Ratschläge für den Schulanfang? Er kann als Hirnforscher NICHTS dazu beitragen, sondern äußert Meinungen, freilich mit größtem Selbstbewußtsein. Genau wie Manfred Spitzer. Die Journalisten sind aber ebenfalls schuld.

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.08.2013 um 06.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1132

Als Professor wird man, wenn man irgendwie in die Medien geraten ist, alsbald zu Themen befragt, von denen man auch nicht mehr versteht als jeder andere. Die Versuchung ist groß, diese Gelegenheit zu nutzen und seine Meinungen über Gott und die Welt zum besten zu geben. Da man sich in diesem Beruf meistens sowieso gern reden hört und kaum unterbrochen wird, bedarf es einer gewissen Anstrengung, den Interviewer unverrichteter Dinge wegzuschicken (und ihm damit Unannehmlichkeiten zu bereiten – dieser Mitleidfaktor spielt auch eine Rolle). Meine 15 Minuten Ruhm seinerzeit brachten mich offenbar in die Kartei von vielen Zeitungen und Rundfunkanstalten, jeden zweiten Tag rief jemand an. Soweit ich mich erinnere, bin ich der Versuchung nicht erlegen, aber das stammt aus derselben Quelle wie meine Fernsehverweigerung und ist nicht weiter verdienstvoll. Oft konnte ich immerhin eine andere Adresse empfehlen und so dem armen Würstchen ein wenig weiterhelfen.

 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 27.08.2013 um 06.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1131

Besonders schön:

Die Fähigkeit 'ich kann nach einer Regel schreiben' wurde entzaubert.

Herr Wrobel scheint immer noch nicht kapiert zu haben, daß das Scheiben nach Regeln durch die Reform erst eingeführt und als ihre große Errungenschaft gepriesen wurde. Hat er denn die Schriften der Reformer noch nie gelesen?

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.08.2013 um 04.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=193#1130

Der Mann gibt auf jede Frage die dümmstmögliche Antwort. Kommentieren muß man das nicht im einzelnen.

 

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