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23.07.2005
 

St. Galler Tagblatt
Neue Rechtschreibung: Ein Moratorium ist nötig

Am ersten August soll die neue Rechtschreibung in der Schule notenwirksam werden, dann gilt es ernst.

In der heutigen Ausgabe des St. Galler Tagblatts gibt Stefan Stirnemann einen Ausblick auf die Probleme, die nach der teilweisen Verbindlichwerdung der Reformrechtschreibung in den Schulen an der Tagesordnung sein werden.



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Kommentare zu »Neue Rechtschreibung: Ein Moratorium ist nötig«
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Kommentar von Solothurner Zeitung, verfaßt am 23.07.2005 um 10.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1290



Berner Bedenken stossen auf Widerhall

Das «Nein» des Kantons Bern zur definitiven Einführung der Rechtschreibreform sorgt auch in Solothurn für Diskussionsstoff.
Die Berner sträuben sich, die Rechtschreibreform am 1. August einzuführen: Wie gestern vermeldet, wird der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) vorgeschlagen, die seit sieben Jahren gültige Übergangsregelung weiterzuführen. Und zwar so lange, bis die immer noch umstrittenen Bereiche vom Rat der deutschen Rechtschreibung endgültig und klar geregelt worden sind. Die EDK hatte die Kantone informiert, dass die 1996 beschlossene und 2004 leicht modifizierte neue deutsche Rechtschreibung ab 1. August für den Unterricht verbindlich sein soll. In strittigen Punkten – Getrennt- und Zusammenschreibung – soll aber bis auf Weiteres die bisherige Praxis gelten, das heisst: Die alte Schreibweise wird korrigiert, aber nicht als Fehler gewertet.

Entscheidung in den nächsten Tagen

«Bis vor kurzem war es für mich klar, dass Solothurn am 1. August die Rechtschreibreform definitiv einführen wird», sagte Teddy Buser, Vorsteher des Amtes für Volksschule und Kindergarten (AVK), gestern auf Anfrage. Die Bedenken aus Bern bleiben offensichtlich in Solothurn nicht ohne Wirkung, zumal in Sachen neuer Rechtschreibung ohnehin noch keine definitiven Weisungen an die Schulen verschickt worden sind. Bildungsdirektorin Ruth Gisi (FdP) war gestern ferienhalber nicht für eine Stellungnahme erreichbar.

«Ich persönlich kann die Haltung von Bern nachvollziehen», meinte Buser. Es mache tatsächlich Sinn, die ganze Reform erst dann definitiv einzuführen, wenn alle Punkte geklärt sind.» Allerdings, so der Chef des AVK, betreffen die Unklarheiten nur «kleine Bereiche». Vor allem aber würden die Verlautbarungen der EDK unglaubwürdig, wenn einzelne Kantone aus gemeinsam gefassten Entschlüssen plötzlich ausscheren. Und schliesslich sei die definitive Umsetzung ja bereits seit Jahren auf dieses Datum hin geplant worden.

Bis zur Stunde ist es allerdings unklar, wie sich der Kanton in dieser Angelegenheit verhalten wird. Buser: «Wir müssen in den nächsten Tagen eine Entscheidung treffen.»

Lehrpersonen sind verunsichert

Könnte der neue gewählte Regierungsrat und künftige Bildungsdirektor Klaus Fischer, der genau am 1. August sein Amt antritt, bereits jetzt entscheiden, wäre der Fall klar: «Ich persönlich stehe auf der Seite des Kantons Bern.» Denn: «Solange der Rat der deutschen Rechtschreibung seine Abklärungen noch nicht endgültig abgeschlossen hat, sollte man die Reform nicht mit Autorität durchsetzen.» CVP-Mann Fischer weiss zudem aus seiner Praxis als Gymnasiallehrer, dass die Lehrerschaft punkto Rechtschreibreform «verunsichert» ist. Und: «Ich bin überzeugt, dass die Lehrerpersonen im Kanton Solothurn die Angelegenheit gleich beurteilen wie ich.»

Der Regierungsrat in spe zeigt sich weiter zuversichtlich, dass die EDK angesichts der Bedenken aus Bern in Sachen definitiver Einführung der Rechtschreibrereform nochmals über die Bücher gehen wird. (mz)
22.07.2005 14:29




Kommentar von Günter Loew, verfaßt am 23.07.2005 um 12.42 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1292

Leserbrief von Günter Loew im Hanauer Anzeiger Nr. 169 vom 23.07.2005

Ein argumentativer Salto mortale

Zum Kommentar im HA "Noch mehr Chaos" merkt Günter Loew in "der bewährten Rechtschreibung" an:

Wenn man es nicht schwarz auf weiß vor sich sähe, würde man’s nicht glauben, daß ein Journalist auf die Wahnsinnsidee verfallen könnte, ausgerechnet Günter Grass für das von der Rechtschreibreform angerichtete Chaos mitverantwortlich zu machen. In dem „Kommentar“ von Joachim Harde zu der dpa-Meldung, daß Bayern und Nordrhein-Westfalen die Rechtschreibreform (vorerst) aussetzen, liest sich dieser argumentative Salto mortale so: „Aber nicht nur Politiker und Fachleute sind für das Chaos verantwortlich, sondern auch Prominente wie Günter Grass, der sich nicht an die neuen Regeln halten will. Auch das kommt bei den Schülern nicht gut an. Was sollen die davon halten, wenn von ihnen verlangt wird, aufwändig mit „ä“ zu schreiben, es aber in den Büchern des Literaturnobelpreisträgers weiterhin mit „e“ steht.“

Joachim Harde scheint tatsächlich zu glauben, daß die KMK als länderübergreifendes Organ der deutschen Kultusminister die Regelungsgewalt über die deutsche Orthographie besäße und sich auch die deutschen Schriftsteller als gehorsame Staatsbürger nach den Vorschriften dieses Gremiums richten müßten. Die KMK ist aber ein Organ der exekutiven Gewalt und besitzt als solches keinerlei legislative Kompetenz. Daran hat sich auch durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14.7.1998 nichts geändert. Das Bundesverfassungsgericht hat der KMK lediglich das Recht zugebilligt, daß sie ohne vorherige Ermächtigung durch die Parlamente, die nach Artikel 80 des Grundgesetzes für eine Rechtsverordnung nötig gewesen wäre, einen orthographischen Regelungsversuch vornehmen durfte, weil die Rechtschreibung im deutschen Sprachraum „nicht auf Rechtsnormen, sondern auf sprachlichen und damit außerrechtlichen Regeln“ beruhe, „die auf Akzeptanz angewiesen seien“ (im Urteil auf S. 21/22). Weil es sich dabei also gar nicht um eine Rechtsverordnung handelte, hat das Gericht auch Wert auf die folgende Klarstellung gelegt: „Soweit dieser Regelung rechtliche Verbindlichkeit zukommt, ist diese auf den Bereich der Schulen beschränkt.“ (S. 59)

Nur wer von diesem Hintergrund keine Ahnung hat oder total obrigkeitshörig ist, wird auf die Schnapsidee verfallen können, die deutschsprachigen Schriftsteller dafür verantwortlich zu machen, daß die Schüler in der von ihnen gelesenen Literatur auf ganz andere Schreibungen stoßen, als sie sie von der Schule her kennen. Die Verantwortung für diesen skandalösen Tatbestand tragen einzig und allein die Kultusminister, die als kompetente Politiker und verantwortungsbewußte Menschen diese verheerende Folge ihrer Eingriffe in die deutsche Orthographie natürlich unbedingt hätten vorhersehen müssen. Da sie aber weder auf die Proteste der Bevölkerung und der kulturellen Eliten der Nation etwas gaben noch sich durch den Volksentscheid in Schleswig-Holstein von ihrem sprach- und kulturzerstörerischen Tun abbringen ließen und noch nicht einmal auf die weltweit anerkannten deutschen Schriftsteller, darunter die Nobelpreisträger Günter Grass und Elfriede Jelinek, hören mochten, haben sie sich jetzt durch eigenes Verschulden selbst die Qualifikation für ihr Amt abgesprochen: Ministern, die nicht einmal gemerkt haben, daß in dem von ihnen für „unstrittig“ erklärten Kapitel der Groß- und Kleinschreibung dicke Grammatikfehler enthalten sind, oder die sich mit der Arroganz der Macht sogar einfach darüber hinwegsetzen wollten und beschlossen haben, diese fehlerhaften Schreibungen vom 1. August an für verbindlich zu erklären und somit notenrelevant zu machen, kann man die Verantwortung für die deutsche Kultur nicht mehr anvertrauen.

Die Ministerpräsidenten von Bayern und Nordrhein-Westfalen haben jetzt die Notbremse gezogen und ihnen die Sache kraft ihrer eigenen Verantwortung für die deutsche Sprachkultur aus der Hand genommen.



Kommentar von Walter Matussat, verfaßt am 23.07.2005 um 15.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1295

yahoo-Nachrichten: http://de.news.yahoo.com/050723/3/4mh7g.html

Samstag 23. Juli 2005, 12:06 Uhr

Mehrheit hält Ausscheren bei Rechtschreibreform für richtig

Hamburg (dpa) - Mit ihrem Ausscheren aus dem Zeitplan der Rechtschreibreform stoßen Bayern und Nordrhein-Westfalen bei den meisten Bundesbürgern auf Unterstützung. Laut einer polis-Umfrage im Auftrag der dpa befürworten 62 Prozent, dass neben der neuen Rechtschreibung auch weiterhin die alte in den Schulen als richtig gewertet wird. Nur 35 Prozent halten das Vorgehen der beiden bevölkerungsreichsten Bundesländer für falsch.



Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 23.07.2005 um 17.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1297

Kürzlich schrieb eine französische Viertkläßlerin ihrer früheren Lehrerin: "Tu as etait une excellente maitresse tout au long de l'année." Man sieht, Französisch ist schwer - für Kinder allemal. Die Ministerialräte des Bremer Senators für Bildung und Wissenschaft würden diesen Satz wohl auch als Beweis für die Einführung der Rechtschreibreform in Frankreich sehen.Im Januar haben sie nämlich ihren unwissenden Ressortchef überredet, den Schulen die Übernahme der angeblichen französischen "Reformschreibungen" zu empfehlen. Gabriele Ahrens hat den entsprechenden Brief hier unter "Diskussion - Rechtschreibreform andernorts" [5. 7. 2005] eingestellt. Zu denken hätte allen Beteiligten geben müssen, daß ihre einzige Informationsquelle die Webseite [BP 106 – CH-1680 Romont – contact@orthographe-recommandee.info] eines schweizerischen Vereins für Rechtschreibreform ist. Wenn man ein wenig im Internet weitersucht, erfährt man die Wahrheit. Die als "rectifications" deklarierten minimalen Änderungen sind zwar am 6. 12. 1990 vom Journal officiel de la République veröffentlicht worden, nachdem sie am 3. 5. 1990 von der Académie française angenommen worden waren. Am 17. 1. 1991 machte die Akademie jedoch in einer erneuten Erklärung wesentliche Einschränkungen: L’orthographe actuelle reste d’usage, et les «recommandations» du Conseil supérieur de la langue française ne portent que sur des mots qui pourront être écrits de manière différente sans constituer des incorrections ni être jugés comme des fautes. Elle estime qu’il y a avantage à ce que lesdites recommandations ne soient pas mises en application par voie impérative et notamment par circulaire ministérielle. Selon une procédure qu’elle a souvent mise en œuvre, elle souhaite que ces simplifications ou unifications soient soumises à l’épreuve du temps, et elle se propose de juger, après une période d’observation, des graphies et emplois que l’usage aura retenus. [Die gegenwärtige französische Rechtschreibung bleibt weiterhin üblich, und die "Empfehlungen" des Obersten Rates für die französische Sprache beziehen sich nur auf Wörter, die unterschiedlich geschrieben werden können, ohne als Regelwidrigkeit zu gelten oder als Fehler beurteilt zu werden. Sie (= die Französische Akademie) hält es für vorteilhaft, wenn diese Empfehlungen nicht als obligatorisch und insbesondere nicht durch ministeriellen Erlaß in Kraft gesetzt werden. Wie in anderen Fällen wünscht sie, daß diese Vereinfachungen oder Vereinheitlichungen der zeitlichen Erprobung unterworfen werden, und sie nimmt sich vor, nach einer Beobachtungsperiode Schreibungen und Verwendungen, die gebräuchlich geworden sind, erneut zu beurteilen.] Ein französischer Kommentator hält dieses Verfahren für selbstverständlich. Die Durchsetzung der Rechtschreibreform per Dekret sei nur in Deutschland üblich. Er schließt die Bemerkung an, daß sich so wohl auch die beiden Kulturen unterscheiden. Die Öffentlichkeit einschließlich der Presse in Frankreich ignoriert bis heute die 1990er Empfehlungen des Obersten Rates für die französische Sprache und der Französischen Akademie. Kein Erziehungsminister hat sie offiziell an die Schulen weitergeben. Allerdings erscheinen einzelne Formen in den neuesten Bänden der im Erscheinen begriffenen Neuauflage des Akademiewörterbuchs.


Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 23.07.2005 um 19.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1305

Die Solothurner Zeitung schrieb: «Ich persönlich kann die Haltung von Bern nachvollziehen», meinte Buser. Es mache tatsächlich Sinn, die ganze Reform erst dann definitiv einzuführen, wenn alle Punkte geklärt sind.» Allerdings, so der Chef des AVK, betreffen die Unklarheiten nur «kleine Bereiche».

"Klein" ist relativ, d.h. es braucht eine Bezugsgröße. Nehmen wir mal die Groß- und Kleinschreibung, die Herr Buser vermutlich zu diesen "kleinen unklaren Bereichen" zählt. Wenn man die strittigen Groß-/Kleinschreibungsfälle beispielsweise auf die Gesamtzahl der im Wörterbuch enthaltenen großgeschriebenen Wörter bezieht, ergibt das in der Tat einen verschwindend kleinen Anteil. Bezieht man sie jedoch nur auf die Wörter, bei denen sich die Groß-/Kleinschreibung im Zuge der Reform geändert hat, sieht die Sache vermutlich ganz anders aus.


Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 24.07.2005 um 00.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1311

Inzwischen ist die Schuleinführung der französischen orthographe rectifiée auch aus anderen deutschen Bundesländern bekannt geworden. Es ist immer derselbe Text, so daß wohl mit einer zentralen Quelle gerechnet werden muß, wahrscheinlich das KMK-Sekretariat in Bonn. Offenbar soll der Eindruck verbreitet werden, in Frankreich habe es mit der Rechtschreibreform am Ende doch geklappt, warum dann nicht auch in Deutschland. In der Hauptsache geht es bei der französischen "Rechtschreibreform" um ein paar Akzente weniger oder anders und um ein paar Bindestriche mehr. Der Vergleich mit dem hiesigen Eingriff in die Schreibgewohnheiten der Bürger ist also völlig abwegig. Absolut unzutreffend ist aber auch die Annahme, die Sache sei in Frankreich gelaufen.

Am 9. 9. 2004 schrieb Marie-Éva de Villers [im Internet unter http://www.hec.ca/~x067/chroniqueslinguistiques/reformeorthographe.html nachzulesen] für ein kanadisches Publikum:

Jusqu'à présent, les Rectifications de l'orthographe ont été publiées au Journal officiel en 1990, elles ont reçu l'aval de l'Académie française, mais elles ne sont toujours pas enseignées ni appliquées par le ministère de l'Éducation nationale en France. Elles sont ignorées des médias écrits et électroniques. Elles sont retenues partiellement en Belgique et en Suisse, mais leur application demeure somme toute marginale. Elles sont signalées parfois dans les principaux dictionnaires comme variantes orthographiques de l'entrée, mais elles ne sont pas employées par les lexicographes du Petit Robert, du Grand Robert ni du Petit Larousse pour la rédaction des définitions, des exemples et des explications. C'est le cas aussi pour le Multidictionnaire de la langue française qui, comme tous les dictionnaires, doit se montrer respectueux de l'usage.
[Bis jetzt werden die 1990 im Journal officiel veröffentlichten und von der Académie française unterstützten Modifikationen der Rechtschreibung weder unterrichtet noch vom französischen Erziehungsministerium angewendet. Von den Medien - gedruckt wie elektronisch - werden sie ignoriert. Teilweise haben sie in Belgien und in der Schweiz Anklang gefunden, aber ihre Verwendung bleibt insgesamt marginal. In den wichtigsten Wörterbüchern werden sie im Kopf der Einträge als Varianten aufgeführt, bei der Redaktion der Definitionen, Beispiele und Erläuterungen aber weder von den Lexikographen des Petit bzw. des Grand Robert noch des Petit Larousse verwendet. Das trifft auch auf das Multidictionnaire de la langue française zu, das - wie alle Wörterbücher - dem Usus seinen Respekt zollen muß.]

Une réforme de l'orthographe est un processus long et complexe qui crée inévitablement beaucoup d'incertitude, d'insécurité, qui perturbe les enseignants, les élèves aussi bien que les parents, sans compter les médias, les auteurs, les éditeurs. Des réticences sont à prévoir, une inévitable résistance au changement. À l'examen des Rectifications proposées en 1990, il nous semble que les inconvénients dépassent les faibles avantages que ces demi-mesures procurent. Dans ces conditions, l'entreprise en vaut-elle la peine ? L'échec de la réforme allemande de l'orthographe devrait nous inciter à la plus grande prudence.
[Eine Rechtschreibreform ist ein lang andauernder und komplexer Vorgang, der unausweichlich viel Ungewißheit und Unsicherheit mit sich bringt und die Lehrer, die Schüler und auch die Eltern verwirrt, von den Medien, den Schriftstellern und den Verlegern ganz zu schweigen. Zurückhaltung ist zu erwarten, unvermeidlicher Widerstand gegen den Wandel. Bei der Überprüfung der Modifikationen von 1990 scheinen uns die Nachteile die geringen Vorteile zu überwiegen, die diese halbherzigen Maßnahmen verschaffen. Lohnt sich unter diesen Umständen der Aufwand für das Unternehmen? Der Mißerfolg der deutschen Rechtschreibreform sollte uns zur größten Vorsicht veranlassen.]

Selbst auf Webseiten, die die französische Minireform befürworten, sieht die bisherige Bilanz sehr bescheiden aus. Man lese unter http://www.ciip.ch/ciip/DLF/rectifs_rectifs.htm dieses nüchterne Résumé der schweizerischen Délégation à la langue française aus dem Jahre 2000:

Leur mise en pratique reste toutefois assez aléatoire. En Belgique et en Suisse, les formes rectifiées seraient désormais acceptées par les professeurs, mais non systématiquement enseignées, et aucune étude n'a été conduite pour mesurer un éventuel changement de pratiques.
[Ihre praktische Umsetzung bleibt indessen ganz und gar dem Zufall überlassen. In Belgien und in der Schweiz sollen die modifizierten Formen künftig angeblich von den Lehrern akzeptiert, aber nicht systematisch unterrichtet werden, doch bisher liegt keine Untersuchung vor, wie eine eventuelle Änderung der Praxis aussehen könnte.]

Ein Vergleich der beiden "Rechtschreibreformen" wäre gewiß lohnend. Er würde mit den äußeren Umständen anfangen. Einen außerordentlich aufschlußreichen Aufsatz zu den Vorgängen von 1990/91 von Heiner Wittmann [Verliert der Geschmack seinen Akzent? Das Gerangel um die französische Rechtschreibung] findet man unter http://www.tu-dresden.de/sulcifra/romanistik/articles/rechtschreibung.pdf



Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 24.07.2005 um 06.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1312

In Bayern 5 aktuell heute in der Sendung "Sonntags um 11" (11.05-12.00 Uhr), Motto: "Die Themen der Woche. Reden wir darüber!"

1. Bundespräsident Köhler macht den Weg frei für Neuwahlen. Wird das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung kippen?

2. Die endlose Rechtschreibreform - Bayern und Nordrhein-Westfalen scheren aus. Ist das sinnvoll oder stiftet es noch mehr Verwirrung?

Zu Gast im Studio bei Andrea Kister:
Anton Sahrlender, stellvertretender Chefredakteur der Mainpost, Würzburg.

Rufen Sie an, diskutieren Sie mit!

Die kostenlose Hörer-Telefon-Nummer

0800 / 80 80 789





Kommentar von SWR 2, verfaßt am 24.07.2005 um 13.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1318

Die Diskussion zwischen Herrn Denk und Herrn Zabel im SWR 2 am Donnerstag kann nun als Audiodatei über das eMule-Netzwerk heruntergeladen werden (falls eMule installiert und gestartet ist). Der entsprechende ed2k-Link lautet:

ed2k://|file|Rechtschreibreform%20Denk%20Zabel%20Diskussion%20SWR2%2021-07-2005.mp3| 41369181|826410398630F473C4A73622ABEAB7D7|h=SCS2H4MS5KAIZNAINIIRJTEV5FOCIPRA|/


Kommentar von Stefan Stirnemann, verfaßt am 26.07.2005 um 20.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1349

Meldung der sda zum Moratorium

http://www.nachrichten.ch/detail/217245.htm


Kommentar von sda, verfaßt am 27.07.2005 um 17.07 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1357

Ablauf der Übergangsfrist zur neuen Rechtschreibung - Noch immer ist alles im Fluss - Bern entscheidet nächste Woche

Bern (sda) Ab 1. August gilt in Schweizer Schulen die neue Rechtschreibung obligatorisch. Notenwirksam werden aber nur die "unstrittigen" Fälle. Die Verwaltung, für die als einzige neben der Schule die Reform verbindlich ist, verschiebt den Start gleich ganz.

Im Gegensatz zu den Behörden in Deutschland und Österreich verzichten die Bundeskanzlei und die kantonalen Verwaltungen auf eine Teilinkraftsetzung der Neuregelung. Sie werden die neuen Regeln verbindlich anwenden, sobald diese vollumfänglich vom Rat für deutsche Rechtschreibung bereinigt worden und politisch genehmigt sind.

"Wir rechnen damit, dass dies in der zweiten Jahreshälfte 2006 der Fall sein wird, also voraussichtlich auf Schulbeginn 2006/07", informierte der zentrale Sprachdienst der Bundeskanzlei am 20. Juli. Erst dann wird der Sprachdienst eine dritte, aktualisierte Auflage seines Rechtschreibe-Leitfadens veröffentlichen.

Nichts ist "unstrittig"

Denn auch die "unstrittigen" Schreibungen, die nun obligatorisch werden, sind keine heiligen Kühe, wie Werner Hauck, Sektionschef des Sprachdiensts, gegenüber der Nachrichtenagentur sda erklärte. Auch auf den gleichsam "abgesegneten" Gebieten wie Gross- und Kleinschreibung können sich die Regeln noch ändern.

Hauck, der auch Mitglied im zwischenstaatlichen Rat für deutsche Rechtschreibung ist, bestätigte damit, was der Vorsitzende des Rats, Hans Zehetmair, letzte Woche verlautetete: Das Gremium werde auch Problemfälle der Rechtschreibreform "ergebnisoffen" prüfen, die bisher von den politischen Stellen als unstrittig bezeichnet worden seien.

Das sei mit ein Grund, dass die Bundesverwaltung die Einführung verschiebe, sagte Hauck.

Bern: Noch ist alles möglich

Auch der Kanton Bern hat letzte Woche bekannt gegeben, er wolle ein Moratorium, bis alle Änderungsvorschläge gültig vorlägen. Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren EDK hat den entsprechenden Brief der Erziehungsdirektion des Kantons Bern inzwischen abschlägig beantwortet, wie ein EDK-Sprecher am Mittwoch gegenüber der sda sagte.

Die Ende Juni vom EDK an die Kantone verschickte Empfehlung, die "unstrittigen" Teile der Reform in der Version 2004 per 1. August obligatorisch zu erklären, sei gestützt auf das Konkordat der deutschsprachigen Länder von 1996 und deshalb bindend.

Spätzündung durch Ferienabwesenheit

Der Berner Erziehungsdirektor Mario Annoni ist noch bis 1. August in den Ferien. Er habe aber schon entschieden, dass der Kanton Bern keinen Alleingang wagen würde, hiess es aus seiner Behörde.

Laut der "Mittelland Zeitung" vom 22. Juli sympathisiert auch der Solothurner Bildungsdirektor Klaus Fischer mit der Berner Lösung. Doch auch er arbeitet - wie sein Berner Kollege und etliche anderen - erst ab nächster Woche.

Bindend wäre ein Moratorium ohnehin nur durch einen gemeinsamen Beschluss der kantonalen Erziehungsdirektionen, heisst es aus der EDK. Eine Sitzung könnte indes frühestens im September stattfinden. Freilich habe bisher kein Kanton - auch Bern nicht - einen entsprechenden Antrag auf die Einberufung einer Sitzung gestellt.

Die Berner Erziehungsdirektion hat, wie sie gegenüber der Nachrichtenagentur sda sagte, die Empfehlung der EDK bisher noch nicht wie angewiesen an die Lehrer weitergeleitet - schliesslich dauerten die Ferien noch bis Mitte August. In welcher Form sie informieren werde, entscheide der Direktor - nächste Woche.


Ablauf der Übergangsfrist zur neuen Rechtschreibung II Nur wenig wird obligatorisch

Bern (sda) Am 31. Juli endet in den Schulen der Schweiz, Österreichs und 14 deutscher Bundesländer die 7-jährige Übergangsfrist zur neuen Rechtschreibung. Doch nur wenige "unstrittige" Neuerungen werden notenwirksam. Sie lassen sich auf zwei Seiten zusammenfassen.

Verbindliche Grundlage zur Fehlerkorrektur ist laut Weisung der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren EDK die Reformversion 2004. Sie ist auf www.ids-mannheim.de/reform dargestellt (Gratis-Download).

Notenwirksam werden aber nur die neuen Regeln in den Bereichen Laut-/Buchstaben-Zuordnung, Bindestrich und Gross-/Kleinschreibung, sofern nicht abhängig von Getrennt-/Zusammenschreibung.

Weiterhin nach alter Praxis korrigiert - rot angestrichen aber nicht als Fehler gewertet - werden die Bereiche, in denen Änderungsvorschläge des Rats für Rechtschreibung zu erwarten sind oder noch genehmigt werden müssen: Getrennt-/Zusammenschreibung, damit zusammenhängende Gross-/Kleinschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung am Zeilenende.

Jetzt obligatorisch: die Instantvariante

Seit wenigen Tagen enthält die ids-Homepage neben der Version 2004 eine aktualisierte Kurzfassung der obligatorischen Neuerungen. Die Instantvariante umfasst zwei Seiten Regeln und eine achtseitige Wörterliste:

Laut-Buchstaben-Zuordnung:

- Bei Zusammensetzungen werden drei gleiche Konsonanten immer beibehalten: Schifffahrt, Fussballländerspiel.

- Der Plural von englischen Wörtern, die auf -y enden, lautet nicht mehr -ies, sondern -ys.

Bindestrich:

- Zusammensetzungen mit Ziffern verlangen Bindestrich: 2-silbig, der 17-Jährige.

Neu gross:

- Tageszeiten nach Adverbien: gestern Abend

- substantivisch gebrauchte Adjektive und Partizipien: im Allgemeinen, Folgendes.

- Paarformeln zur Bezeichnung von Personen: Alt und Jung

- substantivierte Adjektive als Ordinalzahlen und unbestimmte Zahladjektive: der Nächste, alles Übrige

- Sprachbezeichnungen mit Präposition: auf Deutsch

- verblasste Substantive in festen Gefügen: zu Eigen machen

- fremdsprachige Substantive in Fügungen: Deus ex Machina (Ausnahme: wenn adverbial gebraucht, de jure)

Neu klein:

- du, ihr und so weiter in Briefanreden

- adjektivische Ableitungen von Personennamen auf -(i)sch: platonische Schriften (Ausnahmen: auf -sch ist auch Apostroph möglich (das Ohm"sche Gesetz) und als Teil eines Namens gross (der Halleysche Komet)).

Wörter:

- Am wichtigsten ist das Stammwortprinzip: behände, belämmert, Bändel, Gämse, Quäntchen, Wechte (statt Wächte) etc. aufwändig/aufwendig und Schenke/Schänke werden freigestellt, Eltern und schwenken sind Ausnahmen, weil ihr ursprünglicher Stamm den Sprechern heute nicht mehr im Bewusstsein ist.

- Mopp, Stepp, Tipp, Stopp (Ausnahme: Verkehrsschilder, aus praktischen Gründen)

- eingedeutschte Fremdwörter: Känguru (statt Känguruh), Foto

- diverse Begradigungen: Zähheit (früher Zäheit), Föhn (früher Fön)

Bald obligatorisch:

Im Bereich Getrennt/Zusammenschreibung hat der Rat für Rechtschreibung im Juni Änderungsvorschläge vorgelegt. Die Empfehlungen werden von den zuständigen politischen Stellen höchstwahrscheinlich genehmigt (nachzulesen auf www.rechtschreibrat.com).

Sie entsprechen weitgehend einer Rückkehr zur alten Schreibweise. Faustregel: Wird eine Kombination Substantiv/Verb als idiomatische Einheit empfunden, wird klein und zusammen geschrieben, also wie früher eislaufen, kopfstehen, leidtun, nottun, wundernehmen - und nicht wie in der Version 2004 Eis laufen und analog.



Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.07.2005 um 17.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1358

Die Nachrichten aus der Schweiz regen mich an, am Beispiel des Föhns von einmal die Prinzipienlosigkeit der Reform in Erinnerung zu rufen.

Bisher: Fehde, Fön (Haartrockner), Föhn (Fallwind), Känguruh
1989: Fede, Fön (Haartrockner, Fallwind), Känguru
1995: Fede, Föhn (Haartrockner, Fallwind), Känguru
1996: Fehde, Föhn, Känguru

Es gibt also überhaupt keine Grundsätze, sondern nur Momentaufnahmen, und ein mehr oder weniger zufälliger Ausschnitt daraus soll nun auf Dauer fixiert werden.



Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 27.07.2005 um 17.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1359

Wir ahnten ja schon immer, daß es sich bei der Rechtschreibreform um eine Glaubenslehre handelt. (vgl. auch die frühe Prophezeiung von Herrn Zehtmair!) - Nun aber ist es amtlich: Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren spricht ganz unbefangen von einem "Konkordat" der deutschsprachigen Länder und meint damit die ominöse Absichtserklärung. Na denn: Gott befohlen...


Kommentar von sda, verfaßt am 27.07.2005 um 19.55 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1360

Ablauf der Übergangsfrist zur neuen Rechtschreibung III: Rechtschreibrat - vom Tranquilizer via Troublemaker zur Instanz

Bern (sda) Ursprünglich war der Rat für deutsche Rechtschreibung gegründet worden, um Reformgegner zu beruhigen. Wider Erwarten zeigte er sich effizient. Nun gibt es Bestrebungen, ihm die unabhängige Entscheidungsgewalt über die Rechtschreibung zu übertragen.

Der Rechtschreibrat nahm seine Arbeit Ende 2004 auf. Ihm gehören 36 Experten aus Wissenschaft und Praxis an - Reformbefürworter ebenso wie -gegner. 18 stammen aus Deutschland, jeweils neun aus Österreich und der Schweiz.

Eigentlich ist das Gremium zu gross und zu heterogen, um effizient zu wirken. Dank der Einsetzung einer Arbeitsgruppe um den Potsdamer Germanistikprofessor Peter Eisenberg einigte es sich trotzdem im Juni auf eine umfangreiche Änderung des schwierigsten Bereichs der Orthografie: der Getrennt-/Zusammenschreibung.

Keine Angst vor zerschlagenem Geschirr

Der Rat orientierte sich dabei wieder am "normalen" Sprachgebrauch. Er gab ungerührt grosse Teile der über Jahre erarbeiteten Neuregelung auf. Ausserdem nahm er in Kauf, dass nun nur ein Teil des Regelwerkes eingeführt werden kann, weil vermutlich weitere Bereiche der Reform zurückbuchstabiert werden. "Die Reform ist gescheitert" titelten deshalb mehrere Zeitungen.

Die unerwartet umfangreichen Eingriffe des zum "Tranquilizer" bestimmten Gremiums hatten zur Folge, dass einige Instanzen - die Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen, die Schweizer Verwaltung und möglicherweise der Kanton Bern - die Einführung verschoben haben.

Das machte besonders den deutschen Kultusministern bewusst, welche Bremswirkung die Politik auf die Reform hatte. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff und sein bayerischer Amtskollege Edmund Stoiber unterstützen laut der Nachrichtenagentur dpa Bestrebungen, dem Rechtschreibrat das Recht zu übertragen, verbindliche Änderungen zu beschliessen.

Unabhängige Reforminstanz gesucht

Rechtschreibregelung geht auch ohne Politiker: Der Schweizer Bundesrat bestimmte schon 1902 den Duden als verbindliches Leitwörterbuch, die deutsche Kultusministerkonferenz erklärte die Duden-Schreibweisen 1955 für bindend.

Seither sorgte ein wissenschaftlischer Beirat in der Dudenredaktion Auflage für Auflage für eine sanfte, am Sprachgebrauch orientierte "Reform".

Mit der vorerst definitiven Festlegung der neuen Rechtschreibung, wie sie vom Rat für den Schuljahresbeginn 2006/07 versprochen ist, verliert der Duden sein Monopol und wird den anderen Wörterbüchern gleichgestellt. Der Rechtschreibrat als permanentes "Sprachpflegeteam" wäre demnach ein sinnvoller Ersatz für den Duden-Beirat.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.07.2005 um 20.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1361

Eine veränderte Aufgabenstellung für den Rat setzt natürlich auch eine ganz andere Zusammensetzung voraus. Das gegenwärtige Gremium ist doch unmöglich in der Lage, die Aufgabe der bisherigen Dudenredaktion zu übernehmen. Wenn es darum geht, den Schreibbrauch zunächst empirisch aufzunehmen und dann seinen langsamen Wandel zu beobachten, müssen drei Viertel der Mitglieder gehen. Zuerst diejenigen, die die Reform gemacht haben und einfach sitzen geblieben sind. Dann diejenigen, die bloß Verbandsinteressen vertreten und von der Linguistik und Lexikographie einfach zu weit entfernt sind. Es dürfen auch keine Beamten, die in der Schulverwaltung für die Durchsetzung (zur Zeit am Rat vorbei und gegen den Rat) verantwortlich sind, im Rat bleiben.
Aber wozu das Ganze? Die Wörterbuchredaktionen machen Rechtschreibwörterbücher, und der Käufer entscheidet über die Qualität. Für den Schulgebrauch gibt es die Schulbuchzulassung. Das wäre das einfachste und kostet gar nichts, nicht einmal Reisen nach Mannheim.


Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 28.07.2005 um 11.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1363

Man kann nicht oft genug darauf hinweisen, daß die "Beschlüsse" von KMK und MPK keinerlei rechtliche Bindungswirkung haben, nicht einmal für die diesen Gremien angehörenden Mitglieder selbst, wie sich ja sehr deutlich an den abweichenden Anordnungen der beiden Landesregierungen in Sachen RR zeigt, und schon gar nicht für den Bürger. G. Loew hat das dankenswerterweise noch einmal hervorgehoben. Zu ergänzen wäre allerdings, daß selbstverständlich auch die Exekutive geltendes Recht setzen kann, wenn auch nur aufgrund eines Gesetzes. Wir Untertanen werden täglich mit einer Fülle solcher Vorschriften (Rechtsverordnungen) konfrontiert, Gesetze werden für uns erst in dieser Form konkret fühlbar und wirksam. (Bsp. StVO, Immissionsschutzverordnung). Die Anweisung der Kultusminister an die Schulen bzgl. Anwendung der neuen Rechtschreibung haben diese in ihrer Eigenschaft als oberste Schulaufsichtsbehörden gegeben. Sie steht also hinsichtlich des Geltungsbereichs auf einer Stufe mit z.B. einem Rauchverbot oder Richtlinien für den Sexualkundeunterricht. Kein erwachsener Mensch käme auf den Gedanken, für sich aus den letztgenannten Punkten irgendeine persönliche rechtliche Verpflichtung abzuleiten. Der ungeheure Aufruhr, den die Einführung erzeugt hat, hat u.a. seinen Ursprung darin, daß der Staat als Machtwerkzeug der Reformer versucht, über die Schule ein ganzes Volk umzuerziehen. Darum wird auch beharrlich, und noch einmal verstärkt auf den 1. August hin, versucht, eine umfassende Bindungswirkung zu suggerieren. Es ist schon erstaunlich (oder vielleicht doch nicht), wieviele Journalisten sich zu willfährigen Nachbetern dieser Lüge machen lassen, aus welchen Gründen auch immer. (H. Markwort als prominentes Beispiel).


Kommentar von Pavel Nemec, Praha 4, verfaßt am 28.07.2005 um 12.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1364

Wörterbücher sind keine Schulbücher. Wenn Rechtschreibwörterbücher eine Schulbuchzulassung oder Zulassung für den Schulgebrauch benötigen, entscheiden wieder Schulbehörden über Aufnahme und Schreibweise von Wörtern. Bisher stand und steht im Duden keine ausdrückliche Zulassung für den Schulgebrauch. Wörterbücher, welche nicht den mehrheitlichen Stand der Wissenschaft, sondern Ansichten der Kultusminister wiedergeben, aber dies ins Impressum nicht angeben, sind nicht ernstzunehmen. Das muß geändert werden.


Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 28.07.2005 um 13.05 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=308#1365

Um den Journalisten Blamagen zu ersparen, könnte man immerhin schnell noch einige Leserbriefe schreiben, damit sie am 1.8. nicht nur unhaltbaren Unsinn verbreiten. [Selbst Heike Schmoll heute wieder in der FAZ: "... in Schulen und Behörden..."] An unser Lokalblatt, die Braunschweiger Zeitung, habe ich heute dies geschrieben:

Der 1.8.2005 ist ein Stichdatum für die Rechtscheibreform.
Es fällt leider auf, daß in vielen Publikationen falsch berichtet wird.
Das ist sogar bei Meldungen von dpa bemerkt worden.
Deshalb möchte ich Sie, hoffentlich gerade noch rechtzeitig, auf die folgenden Punkte hinweisen:

1. Es gibt keine unstrittigen Teile. Der "Rat für Rechtschreibung", eingesetzt von den Kultusministern, hat vielmehr angekündigt, sich um alle Bereiche nochmals zu bemühen.

2. Die Regeln gelten nicht für Behörden. Immer wieder wird geschrieben, "... in Schulen und Behörden ...". Das ist falsch, denn das Verfassungsgericht hat 1998 festgestellt, nur den Schulen könne von den Kultusministern etwas verordnet werden.

3. Es wird oft geschrieben, NRW und Bayern stifteten Verwirrung. Es sind vielmehr die anderen 14 Bundesländer, auf die das zutrifft. Denn außer in Bayern und NRW werden Schüler ab 1.8. Schreibweisen als Fehler angerechnet bekommen, die 100 Jahre richtig waren, und die in einigen Monaten auch wieder richtig sein werden, nachdem der Rat die Regeln überarbeitet haben wird. In Bayern und NRW wird einfach die Übergangszeit noch verlängert, in der beides durchgeht, d.h. die Schüler merken dort noch gar nichts.





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