zurück zur Startseite Schrift & Rede, Forschungsgruppe dt. Sprache    FDS - In eigener Sache
Diskussionsforum Archiv Bücher & Aufsätze Verschiedenes Impressum      

Nachrichten rund um die Rechtschreibreform

Die neuesten Kommentare


Zur vorherigen / nächsten Nachricht

Zu den Kommentaren zu dieser Nachricht | einen Kommentar dazu schreiben


04.08.2004
 

Plattdüütsch höört in’n Kinndermund!
Niederdeutsch im Hamburger Curriculum

Die Hamburger Bürgerschaft hat Spaß daran, gelegentlich auf niederdeutsch zu debattieren. Da liegt es nahe, die bedrohte Sprache auch wieder an den Schulen der Hansestadt zu etablieren.

"Plattdüütsch höört in'n Kinndermund!", fordert das Institut für Niederdeutsche Sprache (INS) in Bremen: ein Anliegen, das sich die Bildungspolitiker in Norddeutschland derzeit verstärkt auf ihre Fahnen schreiben. Gleich mehrere Bundesländer machen sich für Platt im Unterricht stark, einen besonders wichtigen Schritt hat jetzt die Hamburger Schulbehörde gewagt: Die neuen Bildungspläne, die ab August verbindlich gelten, verankern Niederdeutsch als obligatorischen Unterrichtsgegenstand für die Stufen 1 bis 13."

Uwe Bahnsen lobt den parteiübergreifenden Konsens.


Quelle: Die Welt
Link: http://www.welt.de/data/2004/08/04/314618.html


Diesen Beitrag drucken.


Kommentare zu »Plattdüütsch höört in’n Kinndermund!«
Kommentar schreiben | älteste Kommentare zuoberst anzeigen | nach oben

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.04.2020 um 08.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=45#11097

Zum niederdeutschen Einfluß in Nordhessen fiel mir gerade ein: Die Luftröhre, die beim Schlachten der Weihnachtsgans (wozu sich in der Nachkriegszeit mehrere Familien zusammentaten) anfiel, nannten wir Strotte. Im Deutschen Wörterbuch steht nur die verschobene Form Strosse (vgl. engl. strut). Die Strotte wurde getrocknet, mit einer Handvoll Erbsen gefüllt und an beiden Enden zugebunden – fertig war die Rassel. So schönes und wohlriechendes Spielzeug gibt es heute gar nicht mehr.


Kommentar von F.A.Z., 03.01.2007, Nr. 2 / Seite 36, verfaßt am 11.05.2007 um 06.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=45#5882

Wat so'n rechten Schriwer is

Der Dichterprotest erzwang den Kompromiss: Die niederdeutsche Rechtschreibreform / Von Frank-Rutger Hausmann

Schon mehrfach haben von oben verordnete Eingriffe in die deutsche Rechtschreibung für große Unruhe unter den Schreibenden, vor allen den Schriftstellern, Journalisten und Verlegern, geführt. Die Argumente der anordnenden Instanzen, es handele sich um eine wirkliche Reform, die das Lesen und Schreiben erleichtere, konnten nur selten den obrigkeitsstaatlichen Reglementierungszwang verdecken und weckten Widerstand. Auch wenn sich die Veränderer und die Bewahrer zunächst unversöhnlich gegenüberstanden, kehrte langfristig Friede ein. Er wurde allerdings nur möglich, weil beide Seiten ermüdeten und Kompromisse eingingen. Dabei ist besonders interessant, wie sich über die Jahrzehnte hinweg die Argumente der Parteien gleichen.

Am 2. Juli 1935 erließ Hans Friedrich Blunck, der erste Präsident der Reichsschrifttumskammer, eine Anordnung, die alle Schulbuchverleger verpflichtete, von sofort an die vom NS-Lehrerbund in Hamburg unter der Federführung des Volksschullehrers Johannes Saß erarbeiteten Regeln für die Rechtschreibung des Platt- oder Niederdeutschen umzusetzen. Diese Vorschriften wurden gleichzeitig von der Reichspressekammer und am 20. September 1935 auch vom Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung verbindlich gemacht. Eine Revisionsverhandlung in Münster, an der alle Betroffenen teilnahmen, bestätigte das neue Regelwerk. Sein Ziel sollte es vorgeblich sein, die "starken örtlichen Eigenwilligkeiten" der plattdeutschen Rechtschreibung zu beseitigen, plattdeutsche Texte für hochdeutsche Leser zugänglich zu machen, den Eigenbestand des Niederdeutschen ohne Einführung von Sonderzeichen darzustellen und damit den Absatz plattdeutscher Bücher zu erhöhen.

Im Gefolge der nationalsozialistischen Machtergreifung hatte das Plattdeutsche vor allem im norddeutschen Raum einen wahren Aufschwung erfahren. Im Rundfunk wurden verstärkt Mundartsendungen gebracht, die Schüler erhielten plattdeutschen Unterricht mit entsprechenden Lesestoffen, niederdeutsche Bühnen schossen aus dem Boden. und Mundartliteratur hatte Konjunktur. Diese Förderung hing mit dem Germanen- und Sachsenkult der NS-Bewegung zusammen. Die Mundart galt als Ausdruck des Völkischen und der Verwurzelung in der Heimaterde. Der Hamburger Bürgermeister Carl Vincenz Krogmann, der seit dem 8. März 1933 amtierte, eröffnete das Septemberheft der "Monatsschrift für das niederdeutsche Kulturgebiet", die "Niederdeutsche Welt", mit dem markigen Aufruf: "Blut und Boden sind die Grundlagen jeder völkischen Gemeinschaft. Nach langen schweren Kämpfen hat unser Volk zu sich selber zurückgefunden. Wir sind uns unseres Volkstums wieder bewusst geworden! Wir wissen wieder, dass Rasse und Landschaft die Kraftquellen jedes Volkstums sind. Diese Kraftquellen unseren niederdeutschen Menschen neu zu erschließen, niederdeutsches Erb- und Kulturgut zu hegen und zu pflegen soll die Aufgabe der neuen Zeitschrift sein." Doch dieses Kulturgut sollte sich möglichst einheitlich präsentieren, wie es dem Geist der Zeit entsprach.

Die neue Rechtschreibung war übersichtlich und umfasste nur wenige Regeln, unter denen die einschneidendste der Schreibung der Vokale galt. Ihre Länge in offener Silbe sollte nicht mehr bezeichnet werden, also Fru, Scho, twe, dre (Frau, Schuh, zwei, drei), desgleichen nicht am Wortanfang, also Aven, aver, egen, ilig, Isenbaan (Ofen, aber, eigen, eilig, Eisenbahn). In geschlossener Silbe sollten lange Vokale durch Verdoppelung, bei i durch ie bezeichnet werden, also Jaar, Leenstool, stief, Fuust, Lüüd, Söön (Jahr, Lehnstuhl, steif, Faust, Leute, Söhne).

Insbesondere die Mundartdichter waren nicht so leicht zu überzeugen und führten gegen die neue Schreibweise die Fülle unterschiedlich gesprochener Varianten des Niederdeutschen an, das vom Münsterland bis Südmecklenburg, vom Hamburger Umland bis zum Harz verbreitet sei. Der Hauptwiderstand kam dabei aus dem Gau Weser-Ems, an dessen Spitze der Gauleiter Carl Röver stand, der sich auch in anderen Bereichen als unangepasst erwies. Landesleiter der Gauschrifttumskammer war der populäre oldenburgische Mundartdichter August Hinrichs, Verfasser von niederdeutschen Novellen und Lustspielen mit deftigem Humor. Sein 1930 erstmals gespielter Dreiakter "Swienskomödi" wurde unzählige Male wiederholt, auch in hochdeutscher Übersetzung ("Krach um Jolante"), allein neunhundert Mal in Berlin. Die Verfilmungen von Carl Froehlich (1935) und Rudolf Schündler (1955), der den Titel in "Das fröhliche Dorf" veränderte, waren ebenfalls erfolgreich. Hinrichs' Stück war besonders beliebt, weil es die bäuerliche Solidarität gegen staatliche Willkür dokumentierte, und auch nach 1933 anschlussfähig, weil die Nationalsozialisten die Benachteiligung der Bauern in der als Systemzeit gescholtenen Weimarer Republik immer angeprangert hatten.

Worum ging es? Dem Bauern Gerd Bunjes ist auf Anweisung der Steuerbehörde ein Schwein gepfändet worden, weil er mit seinen Zahlungen im Rückstand lag. Das Schwein, das vor der Versteigerung im Spritzenhaus eingesperrt wird, findet keinen Käufer und wird nachts von Bunjes und seinen Kumpanen befreit. Die Polizei kann nichts ausrichten und stößt im Dorf auf eine Mauer von Schweigen. "Bur is Bur - een mutt den annern helpen, of't recht oder unrecht is. Dat is dat beste an em! Wenn se us wat willt, dann stah wie tohop as 'n Koppel Wülfe und wiest är de Tähnen. Dat sitt dr ut olen Tieden noch in."

Wie ein Wolfsrudel solidarisierten sich mehrere im Gau ansässige Mundartdichter mit Hinrichs und zeigten den Hamburger und Berliner Großkopfeten die Zähne, allen voran Rudolf Kinau, der jüngere Bruder von Gorch Fock, und Alma Rogge, eine sonst eher unauffällige Autorin. Im September 1937 richtete die Landesleitung der Reichsschrifttumskammer Weser-Ems einen Beschwerdebrief an die Berliner Zentrale und beklagte die verheerenden Wirkungen der neuen Rechtschreibung. Nur die unbedeutenden plattdeutschen Schriftsteller hielten sich daran. Die anerkannten Dichter weigerten sich hingegen, unter dem Zwang dieser Bestimmungen noch weiter zu arbeiten, und würden keine Zeile mehr veröffentlichen, wenn die Regeln nicht zurückgenommen würden. Diese ergäben bei folgerichtiger Durchführung geradezu groteske Wortbilder und zerschlügen alle Feinheiten der Sprache, zumal Wörter verschiedenster Bedeutung wie "Erde" und "Ehre" in ein Schriftbild - "eer" - gepresst würden. Die Richtlinien dürften keinesfalls die lebendigen Unterschiede der verschiedenen plattdeutschen Mundarten töten oder verwaschen. Man merke, dass hinter den Regeln lebensfremde Wissenschaftler und pedantische Lehrer stünden.

Die Reichsschrifttumskammer beauftragte Saß als den Vordenker des Regelwerks mit der Antwort, die von Ende November 1937 datiert. Saß wies die Vorwürfe in allen Punkten zurück. Die Regeln seien längst zur Selbstverständlichkeit geworden und würden vom Quickborn-Verlag, der Nedderdüütsch Sellschop, der Gaustelle für Laienspiel, der Fehrs-Gilde und einer Reihe von Verlegern befolgt. Jeder Schriftsteller könne seine Manuskripte bei der Reichsschrifttumskammer umschreiben lassen. Wenn Hinrichs und seine Freunde an dem Dehnungs-h hingen, dann sei es ihnen unbenommen, "Eerd" und "Eer" zu schreiben, wo Erde und Ehre zusammenfielen und die Bedeutung nicht aus dem Zusammenhang hervorgehe.

Luther, auf den sich alle Verweigerer beriefen, schreibe selber "er feret" (fährt), "Sun" (Sohn), "Jar" (Jahr), "erbar" (ehrbar) und so weiter und liefere den Beleg dafür, dass das Dehnungs-h jüngeren Datums sei. Die neue plattdeutsche Rechtschreibung knüpfe nämlich an die mittelniederdeutsche Rechtschreibung an und habe somit ein höheres historisches Recht. Es gebe bereits plattdeutsche Lesebücher für Hamburg, Hildesheim, Holstein, Schleswig, Bremen und Oldenburg, weitere für Hannover, Hildesheim und Münster seien in Arbeit. Darin seien die Regeln auf allgemeine und regionaltypische Texte angewandt. Insgesamt seien schon 20 000 Exemplare ausgeliefert worden, und in Anbetracht der gemachten Investitionen sei eine Revision ökonomisch nicht zu vertreten.

Hinrichs ließ jedoch nicht locker und wandte sich an Hanns Johst, den seit Herbst 1935 amtierenden neuen Präsidenten der Reichsschrifttumskammer. Johst wollte es mit niemandem verderben und antwortete am 21. April 1938, "dass im Augenblick die Bewährung der plattdeutschen Rechtschreibung noch nicht zur Diskussion gestellt werden soll, weil dazu die Erfahrungen noch nicht ausreichen". Er versprach die Einsetzung einer Kommission aus Befürwortern und Gegnern, die einvernehmlich mit dem Propagandaministerium als oberster Aufsichtsbehörde eine definitive Entscheidung herbeiführen solle. "Die weitere Prüfung der Angelegenheit und die Versuche zu einer Veränderung und Verbesserung der Regeln sollen jedoch nicht eingestellt werden." Diese Kommission ließ sich viel Zeit, bis der eineinhalb Jahre später ausbrechende Weltkrieg ganz andere Prioritäten setzte.

Zehn Jahre gingen ins Land, bis am 11. Februar 1956 in Hamburg auf Veranlassung und unter Mitwirkung der Fehrs-Gilde, eines 1916 gegründeten und heute noch bestehenden Vereins zur Förderung des Niederdeutschen, zwischen Vertretern aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Oldenburg abermals neue Regeln für die plattdeutsche Rechtschreibung vereinbart wurden, die diesmal die Zustimmung der niederdeutschen Schriftsteller, Verleger und Wissenschaftler fanden. Darin heißt es in Paragraph 3, das Dehnungs-h stehe nur in solchen Wörtern, deren hochdeutsche Entsprechungen es enthielten; Paragraph 5 ergänzt, die Länge des Selbstlauts in geschlossener Silbe werde durch Verdoppelung des Selbstlauts, bei i durch ie und in den Fällen von Paragraph 3 durch ein Dehnungs-h bezeichnet. Das im gleichen Jahr erschienene kleine plattdeutsche Wörterbuch von Johannes Saß, inzwischen auch als große Ausgabe erhältlich (zuletzt 2006, 12. Auflage) und mit dem Ehrentitel "Der Saß" bezeichnet und eingebürgert, schreibt, wie Hinrichs und seine Freunde es wollten, "Eer" für "Erde" und "Ehr" für "Ehre". Gründe für diesen Sinneswandel und die selbstverständliche Verwendung des Dehnungs-h werden nicht angegeben, doch mag man spekulieren, dass ein Regelwerk aus dem Jahr 1935 nicht unverändert in die Nachkriegszeit übernommen werden sollte.



nach oben


Ihr Kommentar: Sie können diesen Beitrag kommentieren. Füllen Sie dazu die mit * versehenen Felder aus und klicken Sie auf „Kommentar eintragen“.

Sie können in Ihrem Kommentar fett und/oder kursiv schreiben: [b]Kommentar[/b] ergibt Kommentar, [i]Kommentar[/i] ergibt Kommentar. Mit der Eingabetaste („Enter“) erzwingen Sie einen Zeilenumbruch. Ein doppelter Bindestrich (- -) wird in einen Gedankenstrich (–), ein doppeltes Komma (,,) bzw. ein doppelter Akut (´´) werden in typographische Anführungszeichen („ bzw. “) umgewandelt, ferner werden >> bzw. << durch die entsprechenden französischen Anführungszeichen » bzw. « ersetzt.

Bitte beziehen Sie sich nach Möglichkeit auf die Ausgangsmeldung.
Für sonstige Diskussionen steht Ihnen unser Diskussionsforum zur Verfügung.
* Ihr Name:
E-Mail: (Wenn Sie eine E-Mail-Adresse angeben, wird diese angezeigt, damit andere mit Ihnen Kontakt aufnehmen können.)
* Kommentar:
* Spamschutz:   Hier bitte die Zahl einhundertvierundfünfzig (in Ziffern) eintragen.
 


Zurück zur vorherigen Seite | zur Startseite


© 2004–2018: Forschungsgruppe Deutsche Sprache e.V.

Vorstand: Reinhard Markner, Walter Lachenmann, Jan-Martin Wagner
Mitglieder des Beirats: Herbert E. Brekle, Dieter Borchmeyer, Friedrich Forssman, Theodor Ickler, Michael Klett, Werner von Koppenfels, Hans Krieger, Burkhart Kroeber, Reiner Kunze, Horst H. Munske, Adolf Muschg, Sten Nadolny, Bernd Rüthers, Albert von Schirnding, Christian Stetter.

Webhosting: ALL-INKL.COM